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Fahrspurbenutzungsverbot -ja, Geschwindigkeitsüberschreitung – nein, ggf. aber doch Fahrverbot?

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Wir kennen die Situation alle: Meist ist es eine BAB mit mehreren Fahrspuren, für die über eine Schilderbrücke unterschiedliche Geschwindigkeiten geschaltet werden können. So auch in einem OWi-Verfahren, das dann seinen Weg zum OLG Braunschweig gefunden hat. Da war bei einer dreispurigen Fahrbahn die zulässige Geschwindigkeit zur Tatzeit auf dem linken Fahrstreifen von drei Fahrstreifen durch Verkehrszeichen 274 auf 60 km/h. Über der mittleren und der rechten Fahrspur zeigte die Brücke hingegen „rote gekreuzte Schrägbalken“. Der Betroffene fuhr auf der mittleren Spur mit einer über 60 km/h liegenden Geschwindigkeit. Ergebnis: Bußgeldverfahren und Verurteilung nicht nur wegen des Verstoßes gegen das Fahrstreifenbenutzungsverbotes sondern auch wegen Geschwindigkeitsüberschreitung. Der OLG Braunschweig, Beschl. v. 27.05.2014 – 1 Ss (OWi) 26/14 – hebt wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung auf:

„Dem Betroffenen ist neben dem nach §§ 24 Abs. 1 StVG, 49 Abs.3 S. 2 StVO bußgeldbewehrten Verstoß gegen das Fahrstreifenbenutzungsverbot des § 37 Abs. 3 S. 2 StVO kein Verstoß gegen §§ 24 Abs. 1 StVG, 41 Abs. 1 StVO i. V. m. Zeichen 274 der Anlage 2 vorzuwerfen, weil auf der mittleren Fahrspur, die der Betroffene nach den Urteilsfeststellungen benutzte, keine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h angeordnet war. Das Verkehrszeichen 274 bezog sich, wie dies den VwV zu § 41 (dort Rn. 3) entspricht, ausdrücklich nur auf den linken Fahrstreifen.

Diese Bewertung des Senats beruht auf dem Analogieverbot (vgl. hierzu: Gürtler in Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 3 Rn. 6) und führt nicht zu Verfolgungslücken. Vielmehr ist der Bußgeldrahmen bei einem Verstoß gegen das Fahrstreifenbenutzungsverbot ebenfalls § 24 Abs. 2 StVG (bei fahrlässiger Begehung gemindert nach § 17 Abs. 2 OWiG) zu entnehmen, so dass die jeweiligen Betroffenen, denen ein Verstoß gegen §§ 24 Abs. 1 StVG, 49 Abs.3 S. 2 StVO, § 37 Abs. 3 S. 2 StVO vorzuwerfen ist, mindestens ebenso hart bestraft werden können wie jene, die wegen Geschwindigkeitsüberschreitung zu verurteilen sind. § 25 StVG ermöglicht zudem, allein wegen eines Verstoßes gegen §§ 24 Abs. 1 StVG, 49 Abs.3 S. 2 StVO, § 37 Abs. 3 S. 2 StVO ein Fahrverbot zu verhängen.

Die Annahme einer Geschwindigkeitsbeschränkung für den mittleren Fahrstreifen ergibt sich insbesondere auch nicht aus einem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6. Mai 1981 (4 StR 530/79, juris). Durch diesen Beschluss ist zwar die Standspur, deren Benutzung ebenfalls regelmäßig verboten ist, der Fahrbahn zugeordnet (Rn. 9 ff.) und klargestellt worden, dass das Zeichen 274 auch auf diesem gilt (Rn. 21). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs greift aber deshalb nicht ein, weil die Geschwindigkeitsbegrenzung durch Zeichen 274 vorliegend nur eingeschränkt, nämlich speziell für die linke Fahrspur, angeordnet wurde.“

Den (deutlichen) Hinweis wegen des Fahrverbotes wird der Verteidiger nicht gern gelesen haben. Allerdings wird das AG, wenn es denn ein Fahrverbot verhängen will, das, da es kein Regelfall ist, eingehend begründen müssen.

„Gekotzt“ wird auf dem Seitenstreifen, oder: Brechtüten in die/der Taxe?

man_vomitingManchmal ist zu einer bestimmten Problematik monate-/jahrelang Ruhe. Und dann gibt es auf einmal dazu Entscheidungen. So im Moment zum rechtfertigenden Notstand bei der Geschwindigkeitsüberschreitung. Nach dem Stuhldrang beim AG Lüdinghausen  (vgl. “ein drückendes Problem” – das AG Lüdinghausen und der Stuhldrang) nun das befürchtete Erbrechen beim OLG Bamberg. Da war es ein Taxifahrer, den das AG frei gesprochen hatte. Es war der Einlassung des Taxifahrers gefolgt, wonach dieser zwei betrunkene Fahrgäste befördert und deswegen auf einer BAB die Geschwindigkeit überschritten hatte, um die nächste Ausfahrt zu erreichen. Er habe damit verhindern wollen, dass einer der Fahrgäste sich im Fahrzeug übergeben müsse und sein Fahrzeug mit Erbrochenem verunreinige. Das OLG Bamberg hebt im OLG Bamberg, Beschl. v. 04.09.2013 – 3 Ss OWi 1130/13 – erst jetzt bekannt geworden – auf:, und zwar weil:

  • das amtsgerichtliche Urteil legt nicht dar,  wieweit das Taxi von der nächsten Ausfahrt oder einem Parkplatz entfernt war. Deshalb könne nicht nachvollzogen werden, ob der Betroffene berechtigter Weise annehmen durfte, er könnte durch schnelles Fahren die bevorstehende Verunreinigung seines Fahrzeugs durch Erbrochenes verhindern.
  • dem Urteil lässt sich nicht entnehmen lässt, inwiefern – abgesehen von einem Anhalten auf dem Seitenstreifen – andere Mittel zur Verfügung gestanden hätten, um die Gefahr der Verunreinigung des Taxis abzuwehren. Es liege in jeder Hinsicht nahe, dass in Taxis sog. Brechtüten, wie dies in Flugzeugen üblich ist, mitgeführt werden.
  • es kann nicht von einem Überwiegen der Interessen des Betroffenen ausgegangen werden.

Nicht nachvollziehen kann ich das Argument mit den Brechtüten. Liegt es wirklich „in jeder Hinsicht nahe, dass in Taxis sog. Brechtüten, wie dies in Flugzeugen üblich ist, mitgeführt werden„? Da muss dich dann demnächst doch mal nachfragen.

(Nur) Streckenbegrenzung in Gegenrichtung? Gilt nicht…

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Mit einer in meinen Augen etwas eigentümlichen Argumentation hat das AG in dem dem OLG Bamberg, Beschl. v. 17.07. 2013 – 3 Ss OWi 944/13 – zugrunde liegenden Urteil den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsbeschränkung verurteilt: Der Betroffene, ein Taxifahrer, hatte ein Staatsstraße befahren und war von der nach links in eine Nebenstraße eingebogen. Auf der Staatsstraße war eine Geschwindigkeitsbeschränkung angeordnete. Nach den Feststellungen des AG bog der Betroffene, nachdem er Fahrgäste abgesetzt hatte, dann aus der Nebenstraße zurück nach rechts auf die Staatsstraße ein. Vor der Einmündung der Nebenstraße in die Staatsstraße war die Geschwindigkeit durch Zeichen 274 auf 60 km/h beschränkt worden. Nach den Feststellungen des AG befand sich jedoch zwischen der Einmündung und der darauf folgenden Messstelle keine weitere Geschwindigkeitsbeschränkung in Fahrtrichtung des Betroffenen. Aufgrund der für das Rechtsbeschwerdegericht bindenden Feststellungen des Tatgerichts stand damit fest, dass der Betroffene nach dem Absetzen der Fahrgäste keine Geschwindigkeitsbeschränkung auf dem Rückweg passierte. Das AG hat dennoch wegen einer Geschwindigkeitsbeschränkung verurteilt. Geht nicht, sagt das OLG, denn:

Damit kann dem Betr. nicht nachgewiesen werden, dass er fahrlässig gegen das trotz der Einmündung weiter geltende Streckengebot in Form der Geschwindigkeitsbeschränkung verstoßen hat. Aufgrund des Umstandes, dass der Betr. auf dem Hinweg in entgegenge­setzter Richtung fuhr und vor dem Linksabbiegevorgang von der Staatsstraße auf die Nebenstraße derartige Geschwindigkeitsbeschränkungen auf der Staatsstraße wahrgenommen hat, ergibt sich jedenfalls nicht, dass der Betr. fahrlässig gegen die für die nunmehr befahrene Richtung geltende Geschwindig­keitsbeschränkung verstoßen hat. Die Schilder, die der Betr. auf der Hinfahrt nämlich passiert hatte konnten aufgrund des Sichtbarkeitsgrundsatzes das Gebot der Geschwindigkeitsbe­schränkung nur in der Fahrtrichtung, in der sie aufgestellt waren, entfalten (OLG Celle, Beschluss vom 26.07.2000 – 322 Ss 101/00 = DAR 2000, 578 f.; König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 42. Aufl. § 39 StVO Rn. 32). Zwar galt die Streckenvorschrift der Ge­schwindigkeitsbeschränkung nicht nur bis zu der Einmündung, aus der der Be­tr. schließlich die Staatsstraße wieder befuhr, sondern auch darüber hinaus. Der Sichtbarkeitsgrundsatz verlangt aber für den Einbiegeverkehr jedenfalls die Wiederholung aller Verkehrszeichen hinter der betreffenden Einmündung (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 05.07.2001 – 2 Ss OWi 524/01 = NZV 2001, 489 f. = DAR 2001, 517 = VRS 101, 226 ff. = VerkMitt 2002, Nr. 14). Der Fahrlässigkeitsvorwurf ergibt sich im gegebenen Fall auch nicht daraus, dass der Betr. aufgrund des nach den Feststellungen des AG wohl in beiden Fahrtrichtungen gleich schlechten Straßenzustandes davon ausgehen musste, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung auch für die Gegenrichtung galt. Allein aufgrund der geschilderten Umstände musste der Betr. nämlich nicht davon ausgehen, dass auch für die Gegenfahrbahn ein entsprechendes Geschwindigkeitsgebot bestand. Vielmehr hätte ein Geschwindigkeitsgebot auf der Hinfahrt auch seinen Grund darin haben können, um im Hinblick auf eventuelle Linksabbieger eine Geschwindigkeitsreduzierung des Geradeausverkehrs zu er­reichen. Jedenfalls insoweit unterscheidet sich die vorliegende Fallkonstellation von dem der Entscheidung des BGH vom 25.09.1957 – 4 StR 367/57 (= NJW 1957, 1934) zugrunde liegenden Sachverhalt. Aufgrund dieser Mängel ist das Urteil aufzuheben und zurückzuverweisen, da noch weitere Feststellungen denkbar sind, die den Tatvorwurf stützen könnten.“

Vorsatz, Vorsatz, Vorsatz – immer wieder Vorsatz…reelle Chance

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Die Frage, ob dem Betroffenen bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen werden kann, vorsätzlich zu schnell gefahren zu sein, ist für die Frage, ob ggf. von einem Fahrverbot abgesehen werden kann, von erheblicher entscheidender Bedeutung. Denn die BKatV geht in § 1 Abs. 2 Satz 2 BKatV davon aus, dass bei den in Abschnitt 1 des BKat enthaltenen Verkehrsordnungswidrigkeiten i.d.R. Fahrlässigkeit vorliegt. Hat der Betroffene also in diesen Fällen nicht nur fahrlässig, sondern vorsätzlich gehandelt, muss er ggf. „erst recht“ mit einem angedrohten Fahrverbot rechnen. Das Absehen wird in den Fällen i.d.R. nicht zu erreichen sein.

Deshalb ist das Verhindern einer Vorsatzverurteilung von erheblicher Bedeutung. Und ist das beim AG nicht gelungen, stehen die Chancen in der Rechtsbeschwerde gar nicht schlecht, eine Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils zu erreichen. Denn die Rechtsprechung des OLG an die Anforderungen des Vorsatzes sind recht streng. Dazu haben sich in der letzten Zeit in meinem Blog-Ordner drei OLG-Entscheidungen angesammelt, auf die ich dann heute in einem Posting hinweisen möchte, allerdings nur mit den Leitsätzen, die Volltexte stehen – wie immer – kostenfrei auf meiner HP:

1. Annahme vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung wegen Vorahndungslage

Die Verurteilung wegen einer (bedingt) vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit darf nicht ausschließlich mit der verkehrsrechtlichen Vorahndungssituation des Betroffenen begründet werden. Erforderlich sind darüber hinaus vielmehr wenigstens ergänzende Feststellungen zur Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung sowie im Einzelfall gegebenenfalls zu weiteren indiziell beweisrelevanten Umständen.
OLG Bamberg, Beschl. v. 12.11.2013 – 3 Ss OWi 1304/13

2. Relative Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit

Bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen kann in der Regel von vorsätzlicher Begehungsweise ausgegangen werden, wobei dies nach der Rechtsprechung ab Überschreitungen von ca. 40 % angenommen wird. Bei niedrigeren Überschreitungen müssen weitere Indizien herangezogen werden, wie etwa das Vorliegen von mehreren Geschwindigkeitsüberschreitungen in engem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang.
OLG Celle, Beschl. v. 28. 10.2013 – 322 SsRs 280/13

3. Tatvorsatz bei massiver Geschwindigkeitsüberschreitung mit Motorrad

 1. Maßgeblich für die dem Schuldspruch wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zugrunde zu legende Schuldform ist nicht die gemessene Tatzeitgeschwindigkeit und das aus dieser resultierende exakte Maß der sog. relativen Geschwindigkeitsüberschreitung sondern die Überschreitung der am Tatort zulässigen Höchstgeschwindigkeit als solcher.

 2. Wird die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 100 km/h überschritten, bedarf die tatrichterliche Feststellung, der Betroffene habe „nur fahrlässig“ gehandelt, auch dann einer qualifizierten und nachvollziehbaren Begründung, wenn die Tat mit einem Motorrad begangen und damit begründet wird, der Betroffene habe das Drehmoment des Gasdrehgriffs der ihm unvertrauten Maschine unterschätzt.
OLG Bamberg, Beschl. v. 19.06. 2013 – 3 Ss OWi 474/12

Also: Reelle Chance.

Ein lachendes und ein weinendes Auge….

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Ein lachendes, ein weinendes Auge hatte der Verteidiger, der mir den von ihm erstrittenen OLG Celle, Beschl. v. 31.07.2013 – 322 SsBs 65/13 übersandt hat.

Das lachende Auge bezieht sich auf die Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung wegen nicht ausreichender Feststellungen. Insoweit aber auch nichts Besonderes, denn es ist ständige Rechtsprechung der Obergerichte, dass dass bei Verurteilungen wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen es, da die Zuverlässigkeit der verschiedenen Messmethoden und ihr vom Tatrichter zu beurteilender Beweiswert naturgemäß voneinander abweichen, grundsätzlich nicht mit der Wiedergabe der als erwiesen erachteten Geschwindigkeit sein Bewenden haben kann. Vielmehr muss der Tatrichter, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Kontrolle der Beweiswürdigung zu ermöglichen, neben dem angewandten Messverfahren jeweils auch den berücksichtigten Toleranzwert mitteilen (so schon BGHSt 39, 291 ff. und im Anschluss daran alles OLG). Insoweit war das AG-Urteil zu knapp begründet, denn:

Diesen Anforderungen genügen die Urteilsfeststellungen nicht. Das Urteil teilt zur festgestellten Geschwindigkeit lediglich mit, der Betroffene habe die Messstelle mit einer Geschwindigkeit von 163 km/h passiert und damit die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 63 km/h überschritten. Hieraus ist für den Senat nicht erkennbar, ob es sich bei den 163 km/h um die von der Geschwindigkeitsmessanlage gemessene Bruttogeschwindigkeit des Pkws des Betroffenen oder um die – nach Toleranzabzug ermittelte – vorwerfbare Geschwindigkeit handelt. Zudem kann der Senat nicht überprüfen, ob das Amtsgericht den zutreffenden Toleranzabzug zugrunde gelegt hat. Da der Senat die Berücksichtigung des Toleranzabzuges auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang des Urteiles entnehmen kann und zudem an keiner Stelle des Urteiles deutlich wird, dass es sich bei der zugrunde gelegten Geschwindigkeit von 163 km/h um diejenige nach Abzug des Toleranzwertes handelt, konnte das Urteil aufgrund des aufgezeigten Mangels keinen Bestand haben.

Das weinende Auge des Kollegen bezog sich auf die Segelanweisung des OLG:

„Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass das in den Urteilsgründen ordnungsgemäß in Bezug genommene und damit für den Senat zugängliche Foto (BI. 1 Bd. I d. A.) jedenfalls generell zur Identifizierung von Personen geeignet ist.“

Damit ist die Frage der Täteridentifizierung, die auch streitig war, gleich inzidenter mitentschieden und das AG weiß, wie es mit dem Lichtbild umgehen muss. Das hat den Kollegen weniger gefreut. 🙁