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Neues aus Berlin I: Geschäftsverteilung und Schöffen, oder: Beschränkung der Laienverteidigung

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Und dann starte ich in die neue Woche mal nicht mit Entscheidungen, sondern mit zwei Beiträgen zu Gesetzesvorhaben, die in Berlin in der Pipeline sind.

Zunächst der Hinweis auf einen am 30.08.2024 veröffentlichen Referentenentwurf des BMJ zu geplanten Änderungen im GVG. Vorgesehen sind zwei Änderungen, und zwar.

  • In Zukunft sollen Gerichte verpflichtet sein, ihre Geschäftsverteilungspläne im Internet zu veröffentlichen.
  • Zudem soll der Zugang zum Schöffenamt strenger reguliert werden. Es sollen Personen als Schöffen ausgeschlossen sein, die wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden. Bisher lag die Schwelle bei sechs Monaten Freiheitsstrafe, Geldstrafen hatten gar keine Bedeutung.

Und dann gibt es noch einen Gesetzesentwurf zur Änderung der StPO aus Bayern (BR-Drucksache 206/24), und zwar zur Beschränkung der Laienverteidigung. Hintergrund ist § 138a Abs. 2a StPO. Danach darf ausnahmsweise vom Gericht im Einzel-
fall auf Antrag eine andere Person als ein Rechtsanwalt oder Hochschullehrer, der die Befä-
higung zum Richteramt hat, als Verteidiger zugelassen werden (sogenannte
Laienverteidiger). Diese muss kein Rechtsanwalt oder Volljurist sein. Es genügt,
dass sie nach Ansicht des Gerichts ausreichend sachkundig und vertrauenswürdig
für eine ordnungsgemäße Verteidigung ist und keine sonstigen Bedenken gegen die
gewählte Person bestehen.

Vorgeschlagen wird, eine Genehmigung nur noch folgenden Personen zu erteilen:

„1. Volljährigen Angehörigen des Beschuldigten,
2. Personen mit Befähigung zum Richteramt, wenn die Vertretung nicht im
Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit für den Beschuldigten
steht,
3. Vertretern von Berufsverbänden, Gewerkschaften oder Vereinigungen von
Arbeitgebern sowie von Zusammenschlüssen solcher Verbände für ihre
Mitglieder oder für andere Verbände oder Vertreter von Zusammenschlüssen mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder oder
4. Vertretern von juristischen Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaft-
lichen Eigentum einer der in Nummer 3 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und
Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer
Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit ihrer Vertreter haftet.“

Mal sehen was aus den beiden Vorhaben wird.

 

StPO I: Unterjährige Änderung der Geschäftsverteilung, oder: Hohe Anforderungen an die Begründung

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Heute dann StPO-Entscheidungen. Die kommen aber nicht vom BGH, sondern „aus der Instanz“.

Ich beginne mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.08.2023 – 2 OLG 53 Ss 80/22 – zu den mit der unterjährigen Änderung des Geschäftsverteilungsplans zusammenhängenden Fragen.

Der – erfolgreichen Verfahrensrüge des Angeklagten liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

„Die beim Landgericht am 4. August 2020 eingegangene Berufungssache wurde gemäß dem geltenden Geschäftsverteilungsplan (Vorschaltliste IV) zunächst der 8. Strafkammer zugewiesen (28 Ns 26/20) und von dem zuständigen Vorsitzenden dieser Strafkammer weiter gefördert. Unter dem 2. Dezember 2020 vermerkte der Vorsitzende, dass eine Terminierung im Jahr 2020 nicht mehr möglich und für Januar/Februar 2021 nicht zielführend sei, weil die 8. Strafkammer zum 1. Januar 2021 von einem anderen Vorsitzenden übernommen werden solle, der mitgeteilt habe, in seinem (anderen) Dezernat bereits bis Mitte März 2021 terminiert zu haben.

Durch Beschluss vom 29. März 2021 hat das Präsidium des Landgerichts den Vorsitz der 8. Strafkammer dem zum 1. April 2021 den Dienst beim Landgericht antretenden Vorsitzenden Richter am Landgericht pp. mit 20 % Arbeitskraftanteil zugewiesen und „angesichts der Neuübernahme des Vorsitzes (…) sowie des daraus resultierenden Erfordernisses eines Belastungsausgleichs zwischen der 8., der 7. und der 5. Strafkammer (…) eine Neuverteilung der Eingänge und eine Übernahme von Beständen“ angeordnet. Der Jahresgeschäftsverteilungsplan 2021 wurde mit Wirkung zum 1. April 2021 u.a. insoweit geändert, als der 7. Strafkammer der zum 31. März 2021 bei der 8. Strafkammer anhängige Bestand und der 8. Strafkammer lediglich näher bestimmte Neueingänge zugeteilt wurden.

Die vorliegende Berufungssache wurde sodann bis zur Urteilsverkündung von der gemäß dem geänderten Geschäftsverteilungsplan nunmehr zuständigen 7. Strafkammer geführt (27 Ns 23/21).

Zum Erfordernis eines Belastungsausgleiches hat die Präsidentin des Landgerichts die Verteidigung mit Schreiben vom 23. März 2022 darüber informiert, dass das Protokoll der Präsidiumssitzung vom 29. März 2021 mit Ausnahme der Beschlussfassung keine weiteren Erläuterungen in dieser Sache enthalte. Den Präsidiumsmitgliedern sei mit Anschreiben vom 19. März 2021 mitgeteilt worden, dass bei dem Vorschlag zu den kleinen Strafkammern die Übernahme des Vorsitzes der 8. Strafkammer mit 20 % Arbeitskraftanteil des Vorsitzenden zugrunde gelegt worden sei und die Verschiebungen zur Zuständigkeit zwischen der 7. und 8. Strafkammer aus „der dann folgenden Überlast der 8. Strafkammer“ resultierten. Die weiteren Veränderungen in der 7. Strafkammer ergäben sich aus dem Belastungsausgleich (Neueingänge) im Vergleich zur 5. Strafkammer.“

Dem OLG reicht das so nicht. Wegen der Zulässigkeit verweise ich auf den verlinkten Volltext. zur Begründetheit führt das OLG aus:

2. Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet.

b) Die Rüge dringt auch in der Sache durch, weil der Präsidiumsbeschluss die Gründe für die Erforderlichkeit einer Übertragung des Berufungsverfahrens — zusammen mit den weiteren bei der zunächst mit der Sache befassten Strafkammer anhängigen Verfahren — auf eine andere Strafkammer nicht im erforderlichen Umfang dokumentiert hat und dadurch nicht hinreichend prüfbar ist, ob dem Angeklagten der gesetzliche Richter entzogen wurde (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

Eine unterjährige Änderung des Geschäftsverteilungsplans, mit der bereits anhängige Verfahren übertragen werden, ist allein dann zulässig, wenn nur so dem Beschleunigungsgebot angemessen Rechnung getragen werden kann (BGH, Beschl. v. 12. Mai 2015 — 3 StR 569/14, NJW 2015, 2597). Dass dies der Fall war, vermag der Senat aufgrund der vorliegenden Dokumentation nicht zu erkennen.

aa) Das Präsidium darf die getroffenen Regelungen zur Geschäftsverteilung ausnahmsweise auch während des laufenden Geschäftsjahres ändern, wenn dies wegen der Überlastung eines Spruchkörpers nötig wird und nur auf diese Weise die Gewährung von Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit erreicht werden kann (§ 21 e Abs. 3 Satz 1 GVG); das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter ist dabei mit dem rechtsstaatlichen Gebot einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und dem Beschleunigungsgrundsatz zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen; § 21e Abs. 3 GVG lässt eine Änderung der Zuständigkeit für bereits anhängige Verfahren zu, sofern dies geeignet ist, die Effizienz des Geschäftsablaufs zu erhalten oder wiederherzustellen; Änderungen der Geschäftsverteilung, die hierzu nicht geeignet sind, können vor Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG keinen Bestand haben (BGHSt 58, 268, 270f.; BVerfG NJW 2005, 2689, 2690). Die betreffende Präsidiumsentscheidung unterliegt in der Revisionsinstanz insoweit nicht lediglich einer Willkürkontrolle, sondern ist auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen (BGH, Beschl. v. 10. Juli 2013 — 2 StR 160/13, NStZ 2014, 226; Urt. v. 21. Mai 2015 4 StR 577/14, NStZ-RR 2015, 288 Beschl. v. 17. Januar 2023 — 2 StR 87/22, zit. nach Juris Rdnr. 41 mwN).

Da die Übertragung einer bereits anhängige Strafsache auf einen anderen Spruchkörper erhebliche Gefahren für das verfassungsrechtliche Gebot des gesetzlichen Richters in sich birgt, bedarf es insbesondere in diesen Fällen einer umfassenden Dokumentation und Darlegung der Gründe, die eine derartige Umverteilung erfordern und rechtfertigen, damit überprüfbar ist, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die nur ausnahmsweise zulässige Änderung der Geschäftsverteilung vorlagen, wobei die Begründung so detailliert sein muss, dass eine Prüfung der Rechtmäßigkeit möglich ist (vgl. BVerfG NJW 2005, 2689; BGH, Beschl. v. 17. Januar 2023, aaO.; Karlsruher Kommentar/Diemer-StPO, 9. Aufl. § 21e GVG Rdnr. 15 mwN.). Sowohl der Grund für die Entlastung an sich („ob“) als auch das Erfordern für die konkrete Ausgestaltung der Entlastungsmaßnahme („wie) müssen stets im Beschluss des Präsidiums, einer darin in Bezug genommenen Überlastungsanzeige oder einem Protokoll der entsprechenden Präsidiumssitzung festgehalten werden (Karlsruher Kommentar, aaO. mwN.).

bb) Den danach geltenden Anforderungen wird der Präsidiumsbeschluss vom 29. März 2021 nicht gerecht, denn weder die Beschlussfassung noch das Protokoll der Präsidiumssitzung weisen eine näher dokumentierte Begründung dafür auf, warum infolge der mit dem Dienstantritt des Vorsitzenden Richters am Landgericht pp. vorgesehenen Neubesetzung der 8. Strafkammer ein „Belastungsausgleich“ zwischen den kleinen Strafkammern und mit Blick auf das Beschleunigungsgebot eine Übernahme des (gesamten) Bestandes durch die 7. Strafkammer zwingend erforderlich gewesen sein soll.

Eine ausreichende Begründung für die unterjährige Änderung der Geschäftsverteilung lässt sich auch der vom Senat erbetenen ergänzenden Stellungnahme der Präsidentin des Landgerichts vom 28. November 2022 zu den Gründen der Beschlussfassung des Präsidiums nicht entnehmen.

(a) Obgleich die Gründe für eine Umverteilung der Geschäfte grundsätzlich schon im Zeitpunkt der Präsidiumsentscheidung dokumentiert sein müssen (vgl. BGH, Urt. v. 9. April 2009 — 3 StR 376/08, NJW 2010, 625, 627; Urt. v. 21. Mai 2015 — 4 StR 577/14, NStZ-RR 2015, 288; BeckOK GVG/Graf, § 21e Rdnr. 21), ist eine Behebung von Begründungsmängeln noch im Revisionsverfahren möglich, da die zu einer Besetzungsrüge vorgetragenen Umstände grundsätzlich einer Überprüfung durch das Revisionsgericht im Wege des Freibeweises zugänglich sind und die Einschränkung, dass Mängel der Begründung nur noch bis zur Entscheidung über einen Besetzungseinwand erhoben werden können, nicht gelten, wenn das Landgericht nicht erstinstanzlich, sondern als Berufungsgericht mit der Sache befasst war und somit das für den Besetzungseinwand gemäß § 222b StPO geregelte Verfahren nicht zum Tragen kommt (vgl. zur Prüfung der Besetzungsrüge in der Revisionsinstanz nach altem Recht: BGH, Urt. v. 25 September 1975 — 1 StR 199/75, zit. nach Juris). Auch ist eine erläuternde Stellungnahme des Landgerichtspräsidenten zum erhobenen Besetzungseinwand nicht grundsätzlich ungeeignet, um dem Revisionsgericht die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Präsidiumsbeschlusses nach den durch das Bundesverfassungsgericht entwickelten verfassungsrechtlichen Kriterien zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschl. v. 25. März 2015 — 5 StR 70/15, BeckRS 2015, 07394, Rdnr. 12).

(b) Nach der ergänzenden Stellungnahme der Präsidentin des Landgerichts zu den vom Präsidium erwogenen Gründen der Beschlussfassung hätte die vorgesehene Besetzung der 8. Strafkammer unter Einsatz des Vorsitzenden Richters am Landgericht pp. mit einem Arbeitskraftanteil von nur 20 % — gegenüber der bis dahin geltenden Besetzung mit einem Arbeitskraftanteil des für die Kammer bislang zuständigen Vorsitzenden von 40% — „bei gleichbleibenden Zuständigkeiten (…) dazu geführt, dass eine erhebliche Überlast sowohl des Richters als auch des Spruchkörpers vorgelegen hätte. Insbesondere die dort bereits anhängigen Verfahren hätten nicht in einem angemessenen Zeitraum und damit nicht mit der erforderlichen Effizienz bearbeitet werden können“. Angesichts der Bestände in der 7. Strafkammer (37 Verfahren) und der 8. Strafkammer (33 Verfahren) und der bisherigen Besetzung beider Kammern mit einem Vorsitzenden mit jeweils 40-prozentigem Arbeitskraftanteil sei dem Präsidium vorgeschlagen worden, die Bestände in der — fortan mit einem Vorsitzenden mit 80-prozentigem Arbeitskraftanteil zu besetzenden — 7. Strafkammer zu konzentrieren und der von Herrn     geleiteten 8. Strafkammer ausschließlich Neueingang zuzuweisen.

(c) Dieser Begründung für die Änderung der Geschäftsverteilung lässt sich bereits nicht entnehmen, warum überhaupt infolge des Dienstantritts des Vorsitzenden Richters am Landgericht pp. und dessen vorgesehenem Einsatz als Vorsitzender der 8. Strafkammer eine Entlastung des Spruchkörpers durch eine unterjährige Änderung der Geschäftsverteilung geboten und erforderlich gewesen sein soll („ob“ der Entlastungsmaßnahme). Insbesondere ist nicht dargetan, warum die bislang geltende Besetzung durch einen Vorsitzenden mit 40 Arbeitskraftanteil nicht beibehalten werden konnte, sondern der Arbeitskraftanteil des Vorsitzenden der 8. Strafkammer nunmehr auf 20 % verringert werden musste. Hierzu teilt die Präsidentin des Landgerichts mit, es sei vorgeschlagen worden, dass Herr    pp. den Vorsitz der Strafvollstreckungskammer mit 80 % seiner Arbeitskraft übernehme, weil der bisherige Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer, der dort mit 20 % seiner Arbeitskraft eingesetzt war, bereits seit längerem darum gebeten habe, wieder ausschließlich im Zivilbereich eingesetzt zu werden, und dass „Beisitzer aus der Kammer ausschieden“. Dass diese weitreichenden, die Belastungssituation der 8. Strafkammer erst auslösenden Besetzungsänderungen innerhalb des laufenden Geschäftsjahres zur Gewährleistung der Effizienz der Verfahrensabläufe zwingend erforderlich waren, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich.

Zu etwaigen Besonderheiten, die bei Dienstantritt eines Vorsitzenden Richters am Landgericht und dessen womöglich erstmaligem Einsatz als Strafkammervorsitzenden unter Umständen vorlagen und die im Einzelfall geeignet sein könnten, eine unterjährige Änderung der Geschäftsverteilung zu rechtfertigen (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 12. April 1978 — 3 StR 58/78, NJW 1978, 1444, 1445), verhalten sich weder die Dokumentation des Präsidiums, noch die  ergänzende Stellungnahme der Präsidentin des Landgerichts.

Darüber hinaus ist auch nicht dargelegt, weshalb aufgrund der — durch die Verringerung des Arbeitskraftanteils des Vorsitzenden erst verursachten — Belastung der 8. Strafkammer eine Verlagerung von bereits im Bestand der Kammer befindlicher Verfahren auf einen anderen Spruchkörper erforderlich und nicht mehr bis zum folgenden Geschäftsjahr aufschiebbar gewesen sein soll, nur hierdurch eine hinreichend beschleunigte Bearbeitung der bereits anhängigen Sachen gewährleistet gewesen sei und eine Anpassung des Geschäftsanfalls durch eine weitergehende Verringerung der Zuständigkeit für Neueingänge (als naheliegende Alternative) nicht ausgereicht habe (Dokumentationsmangel zum „wie“ der Entlastung). Die Präsidentin des Landgerichts hat hierzu lediglich ausgeführt, dass dem Präsidium vorgeschlagen worden sei, „die Bestände in einer Kammer zu konzentrieren“, was dazu geführt habe, dass „die von Herrn    geleitete Kammer ausschließlich für Neueingänge zuständig sein sollte, was unter Berücksichtigung der Arbeitskraftanteile sowohl in der Strafvollstreckungs-als auch in der Strafkammer vertretbar erschien“. Warum die damit vorgesehene „Bündelung der Bestandsverfahren“ in der Zuständigkeit der 7. Strafkammer und die damit verbundene unterjährige Umverteilung bereits anhängiger Verfahren notwendig und geeignet gewesen sein soll, um die Effizienz des Geschäftsablaufs zu erhalten oder wiederherzustellen, wird damit nicht nachvollziehbar dokumentiert; namentlich, ob nur auf diese Weise zu gewährleisten war, die Bestandsverfahren der 8. Strafkammer zeitnah zu fördern und in angemessener Zeit zu verhandeln bzw. abzuschließen.“

StPO II: Das Kollegialverhältnis bei einem kleinen AG, oder: Wenn niemand für eine Entscheidung mehr bleibt

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Als zweite Entscheidung dann ein Beschluss aus einem familiengerichtlichen Verfahren, also keine StPO 🙂 . Die im OLG Nürnberg, Beschl. v. 16.03.2022 – 7 AR 165/22 – angesprochenen Fragen zum Kollegialverhältnis können aber auch in Strafverfahren Bedeutung erlangen.

Bem Beschluss liegt ein Scheidungsverfahren zugrunde liegt. In dem ist die Antragsgegnerin Richterin am Amtsgericht in T und mit dem Antragsteller verheiratet. Der letzte gemeinsame Aufenthalt des Ehepaares war in der Gemeinde , die zum Bezirk des Amtsgerichts T gehört. Die Antragsgegnerin lebt dort weiterhin zusammen mit den beiden minderjährigen Kindern.

Das Amtsgericht T ist das kleinste Amtsgericht im Bezirk des Oberlandesgerichts Nürnberg. Es sind dort einschließlich des Direktors sowie des Richters am Amtsgerichts als ständiger Vertreter des Direktors insgesamt fünf Richterinnen und Richter beschäftigt.

Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten hat der Antragsteller beim Amtsgericht T einen Scheidungsantrag einreichen lassen. Dieser wurde der Antragsgegnerin zugestellt. Nacheinander haben die weiteren vier Richter des Amtsgerichts T eine Selbstanzeige gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, § 48 ZPO abgegeben. Der RiAG, der als Letzter die Anzeige nach § 113 Abs. 1 FamFG, § 48 ZPO abgegeben hat, hat das Verfahren dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgelegt.

Das OLG bestimmt das zuständige Gericht – insoweit bitte selbst lesen – und führt zu den Selbstanzeigen aus:

„2. Sämtliche Selbstanzeigen sind begründet.

Ebenso wie ein Ablehnungsgesuch eines Beteiligten ist die Selbstanzeige dann begründet, wenn Umstände, die die Besorgnis der Befangenheit begründen, vorliegen. Die Besorgnis der Befangenheit ist dann zu bejahen, wenn Gründe gegeben sind, die geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dafür ist erforderlich, aber auch ausreichend, das Vorliegen eines Sachverhaltes, der vom Standpunkt eines vernünftigen Dritten aus bei Betrachtung und Würdigung aller Umstände berechtigten Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters gibt (Zöller-Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 42 Rn 9 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei braucht nicht auf die in den Selbstanzeigen jeweils geschilderten persönlichen Beziehungen zwischen der Antragsgegnerin und dem jeweiligen Richter eingegangen werden; denn die berechtigte Besorgnis der Befangenheit besteht im vorliegenden Fall bereits aufgrund des Kollegialverhältnisses zwischen der Antragsgegnerin und den die Selbstanzeigen erstattenden Richtern. Grundsätzlich reicht das bloße Kollegialverhältnis zwischen einem Richter und einem Verfahrensbeteiligten zwar nicht für die Begründung der Befangenheit aus. Etwas anderes gilt jedoch innerhalb eines kleinen Gerichts wie es das Amtsgericht T ist, da bei einem kleinen Gericht eine sehr enge berufliche Zusammenarbeit zwischen allen Richtern des Gerichts naheliegt (BGH NJW-RR 2022, 284; BGH NJW 1957, 1400; Zöller-Vollkommer aaO § 42 Rn 12a m.w.N.; Wieczorek/Schütze-Niemann, ZPO, 3. Aufl., § 42 Rn 16).“

StPO II: Geschäftsverteilungsplan, oder: Ein besonderes Turnussystem für Anklagen des GBA

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 16.06.2021 – StB 25/21 u.  StB 26/21. Ergangen ist diese Entscheidung in einem Staatschutzverfahren beim OLG Düsseldorf. Die Angeklagten haben die Gerichtsbesetzung in der seit dem 19.05.2021 vor dem OLG gegen sie stattfindenden Hauptverhandlung beanstandet. Den Einwänden liegt folgendes Geschehen zugrunde:

„Der Generalbundesanwalt erhob unter dem 27. Januar 2021 gegen die Beschwerdeführer und drei Mitangeklagte Anklage zum Oberlandesgericht insbesondere wegen Straftaten gemäß §§ 129a, 129b StGB. Die Sache wurde nach Eingang am 1. Februar 2021 dem dortigen 6. Strafsenat zugewiesen.

Nach den Ziffern B.12. a., b. und e. der Geschäftsverteilungspläne für die Jahre 2020 und 2021 ist für die Strafsachen, die aufgrund einer Anklage- oder Antragsschrift des Generalbundesanwalts eingehen, ein gesonderter Turnus maßgeblich. Die Sachen erhalten nach der Reihenfolge ihres Eingangs bei der Eingangsgeschäftsstelle eine fortlaufende, aufsteigende Ordnungsbezeichnung sowie den Zusatz „GBA“. Bei gleichzeitigem Eingang entscheidet das Los. Die Geschäftsverteilungspläne für die Jahre 2020 und 2021 weisen dem 6. Strafsenat jeweils die Sachen mit den „Endziffern 1, 3, 5, 7 und 9 GBA“ zu. Soweit jene die „Endziffern 2, 4, 6, 8 und 0 GBA“ tragen, gelangen sie zum 7. Strafsenat.

Ob der Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2021 eine Regelung dafür trifft, mit welcher Ordnungsnummer zum neuen Geschäftsjahr begonnen wird – der „1“ oder der Zahl, welche an den letzten Eingang des Vorjahres anknüpft -, teilen die Rügeschriften nicht mit. Vorgelegt wird jedoch die handschriftliche Aufzeichnung einer Stationsreferendarin, die für die Verteidigerin des Angeklagten G. Einblick in die Turnuseingänge genommen hat. Die Notiz zeigt eine Tabelle mit der Überschrift „Turnusliste GBA von 2019 bis 2021 [aufgeführt nur 2021]“. Die Tabelle enthält unter den Spaltenüberschriften drei horizontale Zeilen. Die hiesige Sache ist in der ersten Zeile verzeichnet mit „Datum 27.01.21“, „Uhrzeit 12.30“, „Ordnungsnr. 13“. Zwei nachfolgende Verfahren sind mit Daten aus Februar und Mai 2021 und den Ordnungsnummern 14 und 15 aufgeführt.

Weitere Turnusse sieht der Geschäftsverteilungsplan vor für „diejenigen Strafsachen, die aufgrund einer Anklage- oder Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft eingehen“, und für „sonstige Strafsachen, für die das Oberlandesgericht in Staatsschutzsachen im Sinne von §§ 74a , 120 GVG sowie nach § 120b GVG zur Entscheidung berufen ist und die nicht anderweitig zugewiesen sind“. Der 6. und der 7. Strafsenat nehmen an diesen Turnussen teil.“

Der BGH hat den erhobenen Besetzungseinwand verworfen.:

„aa) Die von den Angeklagten beanstandete Regelung im Geschäftsverteilungsplan des Oberlandesgerichts genügt diesen Anforderungen. Sie verknüpft – wie heute für die Verteilung erstinstanzlicher Verfahren in Strafsachen an den Land- und Oberlandesgerichten vielfach üblich – die Zuständigkeit der Spruchkörper mit dem Kriterium der zeitlichen Reihenfolge des Eingangs beim Gericht (sogenanntes Turnus- oder Rotationsprinzip; vgl. hierzu schon BGH, Urteil vom 17. August 1960 – 2 StR 237/60 , BGHSt 15, 116, 117 f. ; ferner Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 21e Rn. 154 f.). Damit trifft der Geschäftsverteilungsplan im Voraus eine generell-abstrakte Zuständigkeitsregelung der Spruchkörper für alle im Jahr 2021 beim Gericht eingehenden Sachen. Diese werden „blindlings“ auf die am Turnus teilnehmenden Strafsenate verteilt. Der Gefahr der Manipulation durch gerichtsinterne Bedienstete begegnet der Jahresgeschäftsverteilungsplan mit einem Losverfahren für den Fall des zeitgleichen Eingangs.

bb) Zwar ist das Turnussystem nicht völlig frei von der Möglichkeit missbräuchlicher Eingriffe. Da es auf den Zeitpunkt des Eingangs der Verfahren beim Gericht ankommt, steht es theoretisch der Staatsanwaltschaft offen, einzelne Anklagen zurückzuhalten oder vorzuziehen, um so einen bestimmten Spruchkörper bei dem speziellen Verfahren zu umgehen oder die Zuweisung an die bevorzugte Kammer bzw. den gewünschten Senat zu erreichen. Eine Verteilung, die schlechthin jeden potentiellen Einfluss ausschließt und dennoch praktikabel ist, ist allerdings kaum vorstellbar (vgl. MüKoStPO/Schuster, § 21e GVG Rn. 29). Den Erfordernissen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist deshalb Genüge getan, wenn sachfremde Einflüsse der Justizverwaltung oder der Staatsanwaltschaft nach dem Verteilungsmodus nicht ernsthaft zu befürchten sind. Denn allein die abstrakte Möglichkeit eines Missbrauchs macht eine Geschäftsverteilung weder verfassungs- noch gesetzeswidrig ( BVerfG, Beschluss vom 30. März 1965 – 2 BvR 341/60 , BVerfGE 18, 423, 427; BGH, Urteil vom 10. Juli 1963 – VIII ZR 204/61 , BGHZ 40, 91, 98 ; Beschluss vom 2. November 1989 – 1 StR 354/89 , BGHR StPO § 338 Nr. 1 Geschäftsverteilungsplan 1 mwN)……“

Rest der doch recht umfangreichen Begründung dann bitte selbst lesen 🙂 .

Geschäftsverteilung, oder: Bloß keine Mauschelei

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Die Änderung des Geschäftsverteilungsplanes für das laufende Jahr im laufenden Jahr und damit der Zuständigkeiten, die durch eine Änderung der Zuweisung von Verfahren zwangsläufig die Folge ist, ist immer gefährlich für die Tatgerichte, i.d.R. die Landgerichte. Denn der BGH misst dem sich aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ergebenden Recht auf den gesetzlichen Richter große Bedeutung zu und ist, was das Vorliegen der Voraussetzungen für eine solche Änderung angeht, sehr streng; jeder bloße Anschein von Mauschelei ist zu vermeiden. Das zeigt noch einmal der BGH, Beschl. v. 04.05.2016 – 3 StR 385/15, der ein Verfahren beim LG Düsseldorf betrifft. Die umfangreichen Ausführungen des BGH lassen sich etwa wie folgt zusammenfassen:

  • Eine nachträgliche Änderung der Geschäftsverteilung (vgl. dazu § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG) kann ggf. nverfassungsrechtlich geboten sein, wenn nur auf diese Weise die Gewährung von Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit, insbesondere eine beschleunigte Behandlung von Strafsachen, erreicht werden kann.
  • Das Beschleunigungsgebot lässt jedoch das Recht auf den gesetzlichen Richter nicht vollständig zurücktreten. Vielmehr hat der Angeklagte einen Anspruch auf eine zügige Entscheidung durch diesen. Daher muss in derartigen Fällen das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter mit dem rechtsstaatlichen Gebot einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden.
  • Jede Umverteilung während des laufenden Geschäftsjahres, die bereits anhängige Verfahren erfasst, muss geeignet sein, die Effizienz des Geschäftsablaufs zu erhalten oder wiederherzustellen. Daran fehlt es regelmäßig, wenn nach einer Überlastungsanzeige in der Mitte des Geschäftsjahres lediglich ein einziges Verfahren auf eine andere Strafkammer übertragen wird.

Das gilt unabhängig davon, ob ausschließlich anhängige Verfahren oder daneben auch zukünftig eingehende Verfahren umverteilt werden.

Als Verteidiger muss man in diesen Fällen immer die Besetzungsrüge im Auge behalten (§ 222b StPO), sonst wird es nichts mit der Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 1 StPO.