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Ich freue mich schon auf die Kommentare – „erforderlich“ ist nicht „unerlässlich“

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Die Anwendung des § 47 StGB, der die Voraussetzungen für die Verhängung einer sog. kurzfristigen, d.h. sechs Monate nicht übersteigenden Freiheitsstrafe, regelt, macht in der Praxis bzw. manche LG/AG bekommen hier die Enden nicht zusammen und übersehen die an dieser Stelle recht strenge Rechtsprechung der Obergerichte (vgl. dazu z.B. den BGH, Beschl. v. 08.09.2010 – 2 StR 407/10). Denn die legen hohe Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal „unerlässlich“ , wie mal wieder der OLG Naumburg, Beschl. v. 15.01.2014, 2 Rv 2/14 zeigt:

„Die Verhängung von Einzelfreiheitsstrafen begegnet in allen drei Fällen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Gemäß § 47 Abs. 1 StGB dürfen Freiheitsstrafen unter 6 Monaten nur verhängt werden, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen des § 47 StGB ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalles festzustellen, wobei die Anzahl, das Gewicht und der zeitliche Abstand der Vorstrafen, die Umstände der Tat und deren Schuldgehalt sowie die Lebensverhältnisses des Täters zu berücksichtigen sind. Die Unerlässlichkeit bedarf einer besonderen und eingehenden Begründung. Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe setzt daher voraus, dass unter Beachtung des Regel-Ausnahmeverhältnisses die Unverzichtbarkeit einer freiheitsentziehenden Einwirkung mit einer umfassenden und erschöpfenden Begründung dargestellt wird (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 12.03.2012, 2 Ss 157/11, zitiert nach Juris).

Das Amtsgericht hat in allen drei Fällen „aufgrund der zahlreichen einschlägigen Vorstrafen sowie der kurz vor Tatbegehung verbüßten Freiheitsstrafe“ eine kurze Freiheitsstrafe für „erforderlich“ gehalten. Dabei hat es diese Formulierung gleichlautend für alle drei Fälle gewählt. Nach den Feststellungen des Urteils ist der Angeklagte jedoch nicht wegen Beleidigung oder vergleichbarer Delikte vorbestraft, weshalb einschlägige Vorstrafen im Hinblick auf die Verurteilung wegen zweifacher Beleidigung nicht vorliegen. Das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB darf im Übrigen nicht schematisch aus einschlägigen Vorstrafen, Bewährungsbrüchen oder der Wirkungslosigkeit früherer Haftzeiten geschlossen werden, sondern ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalls festzustellen [vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 02.04,2012, 2 (7) Ss 117/12, zitiert- nach Jude Zudem muss bei Fallgestaltungen mit geringem Unrechtsgehalt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im besonderen Maße Beachtung finden (vgl. OLG Karlsruhe a. a. 0.). Aufgrund des in allen drei Fällen gegebenen geringen Unrechtsgehalts bedarf es zur Einschätzung der Verhältnismäßigkeit der Verhängung von kurzen Freiheitsstrafen einer genauen auf den Einzelfall bezogenen Darstellung sämtlicher Umstände.“

„Erforderlich“ – oder eine andere Formulierung ist eben nicht „Unerlässlich“, oder? Ich freue mich schon auf die Kommentare 🙂

Die unerlässliche Unerlässlichkeit

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Wahrscheinlich wird es jetzt wieder Kommentare der mitlesenden „Pragmatiker“ geben, wenn ich auf den OLG Naumburg, Beschl. v. 21.05.2013 – 1 Ss 19/13 – hinweise, in dem mal wieder das alt bekannte Problem der Voraussetzungen für die Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe (§ 47 StGB) behandelt wird. Im Grunde auch einer dieser Klassiker, bei denen es immer wieder zu Aufhebungen durch die OLG kommt, weil die Tatgerichte eben nichts oder nicht ausreichend zur Unerlässiglichkeit ausführen, was für die OLG aber unerlässlich ist. So auch für das OLG Naumburg, das ausführt:

Die Verhängung einer Einzelfreiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten statt einer Geldstrafe kommt deshalb nur in Betracht, wenn sie aufgrund besonderer Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, zur Einwirkung auf den Angeklagten oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich ist (§ 47 StGB).

„Die Unerlässlichkeit bedarf einer besonderen Begründung (siehe nur § 267 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 StPO). Die Anwendung von § 47 StGB muss im Urteil erörtert werden (Fischer, a.a.O., § 47 StGB, Rd. 15).

Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe setzt daher voraus, dass unter Beachtung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses die Unverzichtbarkeit einer freiheitsentziehenden Einwirkung im Rahmen einer umfassenden und erschöpfenden Begründung dargestellt wird, aus der sich weiterhin ergibt, aufgrund welcher konkreten Umstände sich die Tat oder der Täter derart von  dem Durchschnitt solcher Taten oder dem durchschnittlichen Täter abhebt, dass eine Freiheitsstrafe ausnahmsweise unerlässlich ist (vgl. BGHR StGB § 47 Abs. 1 StGB Umstände 6; OLG Hamburg, Beschluss vom 27. September 2006, 111-104/06, StV 2007,305).

Aus der Entscheidung des Gesetzgebers für eine Beschränkung der kurzen Freiheitsstrafe auf Ausnahmefälle folgt auch, dass die Begründung des Tatrichter erkennen lassen muss, dass das Gericht sich der Bedeutung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes bewusst gewesen ist und die besondere Härte der kurzen Freiheitsstrafe im Vergleich zur Geldstrafe in seine Erwägungen einbezogen hat (Kammergericht, Beschluss vom 31. Mai 2007, 1Ss 65/06, StV 2007, 35, 36)

Die Ausführungen des Amtsgerichts halten der rechtlichen Prüfung unter dem Gesichtspunkt des § 47 Abs. 1 StGB nicht stand.

Es fehlt bereits an einer gesonderten, von allgemeinen Strafzumessungserwägungen klar abgegrenzten Befassung mit den Voraussetzungen von § 47 Abs. 1 StGB und den Anforderungen, die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben.

Den Gründen kann schon nicht hinreichend entnommen werden, ob das Amtsgericht eine Prüfung des § 47 StGB vorgenommen hat. Es teilt mit, dass mit Geldstrafe nicht mehr auf den Angeklagten eingewirkt werden kann. Dies genügt hier nicht den Anforderungen des § 47 StGB (siehe: BGH, Beschluss vom 08. April 2003, 3 StR 92/03, StV 2003, 485).

 Zudem hätte es nahe gelegen zu prüfen, ob die jetzige Haft einen solchen Eindruck auf den Angeklagten gemacht hat, dass die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe doch nicht unerlässlich ist.“

OLG Hamm: Strafrest von 9 Monaten = Fluchtgefahr

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Ich hatte ja gestern schon über den  OLG Hamm, Beschl. v.17.01.2012 – III-3 Ws 14/12 – berichtet, und zwar wegen der Begründung der Haftfortdauerentscheidung. Ich komme dann heute noch einmal auf die Entscheidung zurück, nun aber wegen der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Da heißt es im Beschluss

„Bei dem Angeklagten besteht nach wie vor der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. Nr. 2 StPO.

Der Angeklagte ist in Q aufgewachsen und hat dort seinen Lebensmittelpunkt mit Ehefrau und zwei Kindern. Die Bundesrepublik Deutschland hat er dagegen offenbar ausschließlich zur Begehung von Straftaten aufgesucht. Gegen ihn ist eine zu vollstreckende Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt worden, von der er auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer bedingten Entlassung gemäß § 57 Abs. 1 StGB nach Verbüßung von 2/3 dieser Strafe insgesamt mindestens 20 Monate wird verbüßen müssen. Derzeit sind im Wege der Anrechnung der erlittenen Untersuchungshaft bis heute rund 11 Monate verbüßt, so dass noch ein zu verbüßender Strafrest von neun Monaten verbleibt. Dieser Strafrest ist erheblich genug, um auch heute noch auf den Angeklagten einen deutlichen Fluchtanreiz auszuüben, sich im Falle seiner Freilassung in sein Heimatland Q zu begeben und dort auch zu bleiben, um sich der weiteren Strafvollstreckung zu entziehen. Dies gilt in besonderem Maße, weil der Angeklagte gesundheitlich deutlich angeschlagen ist (er leidet an Asthma, ist zuckerkrank und hat ein Leberleiden) und deshalb besonders haftempfindlich sein dürfte.

Die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft ist auch verhältnismäßig, § 112 Abs. 1 Satz 2 StPO, da mit der alsbaldigen Vorlage der Akten beim Senat zur Durchführung des Revisionsverfahrens und damit mit dem Abschluss zumindest des Revisionsverfahrens in absehbarer Zeit zu rechnen ist. Je nach Ausgang des Revisionsverfahrens wird dann ggf. erneut über die Haftfrage zu entscheiden sein.“

Na, da habe ich so meine Probleme. Neun Monate und damit wird die Fluchtgefahr begründet? Passt – wenn überhaupt – nur, wenn man davon ausgeht, dass der Angeklagte als Ausländer die Bundesrepublik sofort nach seiner Freilassung verlassen wird.

1 Jahr und 2 Monate für Diebstahl von Katzenfutter (72,46 €) „nicht unvertretbar hoch“?

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Wann ist eigentlich eine Freiheitsstrafe unvertretbar hoch und löst sich – so die Formulierung in der Rechtsprechung – nach oben von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs? Das habe ich mich beim Lesen des BGH, Beschl. v. 21.03.2012 1- StR 100/12 gefragt.

In dem InBeschluss hat der BGH – man ist geneigt zu schreiben: natürlich der 1. Strafsenat – eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten für den Diebstahl von Katzenfutter im Wert von 72,46 € als noch nicht unvertretbar hoch angesehen und das landgerichtliche Urteil in dem Punkt „gehalten“. M.E. kann man daran erhebliche Bedenken haben. Man kann viele Gründe anführen: Der Grenze für den Wert einer geringwertigen Sache wird zum Teil erst bei 50 € gezogen (§ 248a STGB) , ein nicht völlig belangloser Schaden bei einem Verkehrsunfall (§ 142 StGB) liegt auch zum Teil bei bis zu 50 € und die OLG ziehen die Grenze bei Bagatelldelikten auch anders (damit setzt sich der BGH nicht auseinander). Und, wenn man bedenkt, was man sich sonst alles für ein Jahr und zwei Monate erlauben kann – ich erinnere mal an das Steuerstrafrecht und die Rechtsprechung gerade des 1. Strafsenats dazu, dann scheint mir die Strafe – selbst unter Berücksichtigung der Vorbelastungen der Angeklagten – unvertretbar zu hoch zu sein.

Das LG hatte übrigens – quasi als „Zugabe“ – auch noch keine Bewährung gewährt. Insoweit hat der BGH das landgerichtliche Urteil allerdings aufgehoben. Das LG hatte zu der Frage gar nichts geschrieben. Das hat der BGH beanstandet:

In dieser Sache war die Angeklagte vom 11. November 2011 bis zum 9. Dezember 2011 – erstmals – in Haft (§ 230 Abs. 2 StPO) in der Justizvollzugsanstalt Aichach. Deshalb lag hier eine Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung nicht so fern, dass auf eine Gesamtwürdigung der wesentlichen Umstände im Hinblick auf die der Angeklagten zu stellende Kriminalprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) und auf das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB verzichtet werden konnte.“

Aber nach den Formulierungen ist die Bewährungsfrage auch kein „Durchmarsch“.

Freiheitsentziehung in Malaysia – Anrechnung 1:2

Nach § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB ist eine im Ausland erlittene Freiheitsentziehung auf hier verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen. Schaut man sich dazu die Rechtsprechung an, kann man davon ausgehen, dass der BGH bei in Europa erlittener Freiheitsentziehung, i.d.R. 1 : 1 anrechnet, vgl. z.B. hier Niederlande, Belgien, Österreich, Italien, England. Manchmal ist es für Spanien anders, wenn der Angeklagte dort in einem der berühmten/berüchtigten Knaste in Madrid eingessen hat (Name ist mir im Moment entfallen).

Anders ist es bei der Anrechnung von Freiheitsentziehung im außereuropäischen Ausland. Da gelten günstigere Anrechnungsmaßstäbe. So z.B. der BGH, Beschl. v. 13.07.2011 -2 StR 179/11. In dem hat der BGH in Malaysia erlittenen Freiheitsentzug mit 1 : 2 angerechnet. Insoweit nichts Besonderes im Beschluss.

Allerdings lässt sich ihm ein Hinweis entnehmen: Wenn der BGH formuliert:

Eine weitergehende Anrechnung ist nicht angebracht, da es an konkreten Anhaltspunkten für eine größere Belastung des Angeklagten fehlt. Weitergehende Ermittlungen zu dieser Frage sind hier nicht angebracht.“

dann bedeutet das: Wenn der Angeklagte eine noch bessere Quote erzielen will, muss er zu den Erschwernissen vortragen und dazu ggf. einen Beweisantrag stellen. Vielleicht führt das ja zu einem „Gerichtsausflug“ in das betreffende Land, um sich vor Ort von den Haftbedingungen zu überzeugen :-). Wohl eher nicht. Aber es wird im Zweifel eine Anfrage an die örtliche Botschaft der Bundesrepublik geben.