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„… die Anzeigenerstatterin ist eine „Psychopathin“…“, das ist erlaubt

© eyetronic - Fotolia.com

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Mal wieder wieder „Schmähkritik“ vs. freie Meinungsäußerung. Das war der Streit, den das BVerfG im BVerfG, Beschl. v. 28.10.2015 – 1 BvR 3217/14 – zugunsten der freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG) entschieden hat.

Ausgangspunkt für die Entscheidung ist eine Verurteilung wegen Beleidigung (§ 185 StGB). Der Beschwerdeführer war im Dezember 2012 von seiner Nachbarin wegen Beleidigung und Bedrohung angezeigt worden. Die Anzeigeerstatterin äußerte in diesem Verfahren schriftlich gegenüber der StA, dass der Beschwerdeführer die gesamte Nachbarschaft einschüchtere, aus seiner Wohnung im dritten Obergeschoss eine Person mit einer Flasche beworfen habe sowie auf Tauben geschossen und auf der Straße ein Kind geschlagen habe. Sie regte wegen der möglichen Gefährlichkeit des Beschwerdeführers „eine Durchsuchung beziehungsweise Überprüfung“ an.

Die StA verwies die Anzeigeerstatterin auf den Privatklageweg. Zur Vorbereitung der Privatklage beantragte die einen Sühneversuch gem. § 380 StPO. Der Beschwerdeführer wurde von der für den Sühneversuch zuständigen Behörde zur Stellungnahme hinsichtlich der Beleidigungs- und Bedrohungsvorwürfe aufgefordert und äußerte sich wie folgt:

„die (…) erhobenen Behauptungen weise ich mit aller Entschiedenheit zurück.
Frau … leidet offenkundig an Wahnvorstellungen, die Vorwürfe sind frei erfunden.
Die Behauptung, ich würde aus meiner Wohnung scharf auf Tauben schießen, ist eine Ungeheuerlichkeit. (…)
Die Behauptung, daß Nachbarn dies beobachtet haben sollen, ist eine glatte Lüge und eine unglaubliche Frechheit.
Ebenso unglaublich ist die Behauptung, ich hätte auf einen Menschen eine Flasche aus dem Fenster geworfen und ein Kind geschlagen. Beides ist frei erfunden. Ich hab auch niemanden beleidigt und bedroht. (…)
Die Anregung, aufgrund dieser vorgebrachten „Tatsachen“ meine Wohnung zu durchsuchen ist der Gipfel der Dreistigkeit und beweist, dass Frau … mittlerweile den Bezug zur Realität völlig verloren hat. Nur eine Psychopathin kann auf eine solche Idee kommen. (…)
Die Ursache für die offenkundige psychische Erkrankung ist mir natürlich nicht bekannt, ebenso wenig kann ich beurteilen, ob die Störungen temporär oder dauerhafter Natur sind, deshalb rege ich an, dass Frau … einer psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen und sie gegebenenfalls dauerhaft oder vorübergehend in einer psychiatrischen Einrichtung unterzubringen.“

Wegen dieses Schreiben ergeht ein Strafbefehl wegen Beleidigung. Nach Einspruchseinlegung wird der Angeklagte zu einer Geldstrafe verurteilt. Seine Berufung wird als unzulässig gemäß § 313 StPO verworfen. Die Verfassungsbeschwerde hat dann Erfolg:

„a) Das Amtsgericht verkennt bereits, dass die inkriminierten Äußerungen in den Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit fallen, da sie durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet und deshalb als Werturteile anzusehen sind (vgl. BVerfGE 7, 198 <210>; 61, 1 <8>; 90, 241 <247>). Meinungen sind durch die subjektive Beziehung zum Inhalt einer Aussage geprägt (vgl. BVerfGE 7, 198 <210>) und genießen den Schutz des Grundrechts, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird (vgl. BVerfGE 90, 241 <247>; 124, 300 <320>). Die polemische und verletzende Formulierung entzieht eine Äußerung grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>; 93, 266 <289>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 5. Dezember 2008 – 1 BvR 1318/07 -, NJW 2009, S. 749).

b) Das Landgericht geht in verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Weise vom Vorliegen von Schmähkritik aus. Wegen seines die Meinungsfreiheit schon grundsätzlich verdrängenden Effekts, der dazu führt, dass die Meinungsfreiheit noch nicht einmal in eine Abwägung mit den Rechten der Betroffenen eingestellt wird, hat das Bundesverfassungsgericht den in der Fachgerichtsbarkeit entwickelten Begriff der Schmähkritik eng definiert. Danach macht auch eine überzogene oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen. Wesentliches Merkmal der Schmähung ist mithin eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung. Nur dann kann im Sinne einer Regelvermutung ausnahmsweise auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden. Aus diesem Grund wird Schmähkritik bei Äußerungen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vorliegen und im Übrigen eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>; 93, 266 <294, 303>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2009 – 1 BvR 2272/04 -, NJW 2009, S. 3016 <3018>).

Aus dem Gesamtzusammenhang ist ersichtlich, dass es dem Beschwerdeführer eben nicht um eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung ging. Der Beschwerdeführer äußerte sich im Rahmen des von einer Behörde durchgeführten Sühneverfahrens zu den Vorwürfen der Anzeigeerstatterin und zieht ihre geistige Gesundheit angesichts der – seiner Ansicht nach – aus der Luft gegriffenen Vorwürfe in Zweifel. Dem Beschwerdeführer ging es hierbei nicht ausschließlich um die Diffamierung der Anzeigeerstatterin, sondern in erster Linie um die Verteidigung gegen die aus seiner Sicht haltlosen und abstrusen Vorwürfe. Es handelt sich zwar um polemische und überspitzte Kritik; diese hat aber eine sachliche Auseinandersetzung zur Grundlage.

c) Beide Gerichte unterlassen zu Unrecht die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Anzeigeerstatterin. Hierbei wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass sich der Beschwerdeführer, der sich gegen die seiner Meinung nach nicht gerechtfertigten Vorwürfe der Anzeigeerstatterin und dabei auch gegen deren Anregung, bei ihm eine Wohnungsdurchsuchung durchzuführen, verteidigte, sich in einer rechtlichen Auseinandersetzung befand. Dabei ist ihm zur plastischen Darstellung seiner Position grundsätzlich erlaubt, auch starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen (vgl. BVerfGE 76, 171 <192>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Februar 2012 – 1 BvR 2883/11 -, NJW-RR 2012, S. 1002 <1003> m.w.N.).“

Müsste dann auch für den Rechtsanwalt/Verteidiger gelten, der für seinen Mandanten zu einer Strafanzeige Stellung nimmt. Oder?

„Rabaukenjäger“ – noch erlaubt/schon verboten?

entnommen wikimedia.org Urheber Photo: Andreas Praefcke

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Zu dem Beitrag zum OLG Hamm, Beschl. v. 07.05.2015 – 5 RVs 55/15 (dazu: …entsprechend der verdorbenen charakterlichen Natur….“ – Noch „Kampf ums Recht“?) passt ganz gut das AG Pasewalk, Urt. v. 20.05.2015 – 711 Js 10447/14 -, das schon einige Zeit in meinem Blog-Ordner hängt. Das ist der „Rabaukenjäger“, der die Blogs im Mai schon beschäftigt hat, inzwischen liegt der Volltext vor.

Das AG hat einen Journalisten wegen der Bezeichnung „Rabauken Jäger“ wegen Beleidigung verurteilt. Grund: Die Berichterstattung über einen Jäger, der ein totes Reh an der Anhängerkupplung seines Pkw hinter sich her gezogen hatte (hier zu der Zeitung mit den großen Buchstaben). Der Jäger erstattete Strafanzeige. Das AG hat dann zu einer Geldstrafe von 1.000 € verurteilt und führt u.a. aus:

„….Der Bundesverfassungsgericht postuliert eine Vermutung zugunsten der Meinungsfreiheit in seiner konstitutiven Bedeutung für einen freiheitlich-demokratischen Prozess, soweit Meinungsäußerungen Beiträge zum geistigen Meinungskampf in einer der Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage darstellen, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational, scharf oder verletzend formuliert ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingestuft wird (vgl. BVerfG NJW 1994, 1779; BVerfG, NJW 1995, 3303, 3305; BVerfG, NJW 1999, 2358, 2359; auch OLG Celle, a.a.O., zitiert nach Juris). Die Äußerung, die dem Angeklagten vorgeworfen wird, betrifft jedoch keine solche Konstellation mit politischer Auseinandersetzung oder aber der Durchsetzung legitimer Rechte, so dass die Vermutung zugunsten der Meinungsfreiheit nicht greift.

Die gebotene Abwägung führt vorliegend dazu, dass dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Geschädigten der Vorrang zu geben ist.

Für ein Überwiegen der Meinungsfreiheit spricht zwar, dass der Vorfall auch außerhalb der Presseberichterstattung, nämlich in den sozialen Netzwerken, große Beachtung gefunden hat und das Verhalten des Geschädigten in der Öffentlichkeit kritisiert wurde sowie die Tierethik – auch der Umgang mit toten Tieren – immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Für ein Überwiegen der persönlichen Ehre des Geschädigten spricht jedoch, dass die Bezeichnung als „Rabauken-Jäger“ eine schwere Kränkung darstellt, bei dem von einem unterstellten Fehlverhalten in einem Einzelfall auf seine Integrität als Jäger geschlossen wurde. Dem Geschädigten wurde die moralische Integrität zur Ausübung seiner waidmännischen Tätigkeit abgesprochen. Ehrverletzungen durch Presseveröffentlichungen belasten den Betroffenen besonders nachhaltig, da „Vorverurteilungen“ durch die Presse regelmäßig nur von einem kleinen Teil der Leserschaft kritisch gewürdigt und hinterfragt werden. Auch dem ist bei der Frage nach dem (noch) vertretbaren Verhältnis zwischen dem Anliegen der Öffentlichkeit und den (zu befürchtenden) Beeinträchtigungen des Betroffenen Rechnung zu tragen. Je schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen durch die Äußerung der Presse beeinträchtigt wird, desto eher muss die Presse durch kritische Zurückhaltung zu erkennen geben, dass sie die Interessen des Betroffenen über ihren eigenen Belangen nicht aus den Augen verliert. An der Verbreitung bloßer Sensationsnachrichten („Knüller“) mag die Presse allenfalls ein rein gewerbliches Interesse haben; insoweit kann aber eine Persönlichkeitsverletzung niemals gerechtfertigt sein (vgl. BGH, Urteil vom 03.05.1977, Az. VI ZR 36/74, zitiert nach Juris). Für ein sachliches Anliegen dürfte nämlich stets eine nicht ehrverletzende Äußerung möglich sein.

Die Äußerung des Angeklagten führt zu einer Vorverurteilung des Geschädigten. Zwar darf der Äußernde Kritik üben und angebliches oder tatsächliches Fehlverhalten aufzeigen, jedoch gilt grundsätzlich die Unschuldsvermutung. Diese Unschuldsvermutung, von der im Artikel vom 02.06.2014 durch das Zitat des Sprechers der Unteren Jagdbehörde beim Landkreis, Achim Froitzheim, – „Ich bezweifle, dass das strafbar oder ordnungswidrig ist“ – noch ausgegangen wird, wird dem Geschädigten im Artikel vom 03.06.2014 jedoch abgesprochen. …..“

Wird sicherlich nicht rechtskräftig geworden sein. Mal sehen, was LG und OLG Rostock daraus machen.

…“dass Ihre Amtsvorgänger die Reichsrassengesetze gegen die Juden rechtssicherer angewandt haben“…

© froxx - Fotolia.com

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Der Angeklagte schreibt als Reaktion auf einen vorherigen Fernsehbericht des WDR über die Abschiebehaft eines serbischen Ehepaares, in dem über „angebliche Missstände bei der Abschiebepraxis“ berichtet worden war, eine E-Mail mit folgendem Inhalt an die zuständige Behörde, das Ausländeramt des Kreises G:

„Sehr geehrte Damen und Herren,
nach dem Erleben des heutigen WDR-Beitrages muss ich sachlich feststellen, daß Ihre Amtsvorgänger die Reichsrassengesetze gegen die Juden rechtssicherer angewandt haben. Man sollte doch erwarten, daß die rechtssicheren Handlungen, die jedem damaligen Judenschänder seinen Beamtenstatus erhielten, auch noch von Ihnen beherrscht werden. Aber zu Ihrer Beruhigung: Ehe dem deutschen Beamten ein Rechtsbruch nachgewiesen würde, drehte sich die Erde rückwärts.
Weiter so bis zum Ruhestand.
Und Kopf hoch, selbst Roland Freislers Witwe wurde im Nachhinein die Altersversorgung aufgebessert.“

Na ja, ist schon ganz schön dicke, oder?. Hat sich das AG auch wohl gedacht und verurteilt den Angeklagten wegen Beleidigung verurteilt. OLG Hamm hebt auf die Revision des Angeklagten dann aber im OLG Hamm, Beschl. v. 14.08.2014 – 2 RVs 29/14 – auf und spricht frei. Begründung. (noch) keine Schmähkritik, sondern noch freie Meinungsäußerung_

Die mangels Vorliegens einer Schmähkritik demnach unter Berücksichtigung aller wesentlichen Einzelumstände vorzunehmende konkrete Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht der Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Angeklagten fällt vorliegend zugunsten der Meinungsfreiheit aus.

Zwar ist der Ehrschutz und das Persönlichkeitsrecht der bei der Ausländerbehörde des Kreises G tätigen Mitarbeiter in massiver Weise angegriffen bzw. verletzt worden. Denn in seiner E-Mail nimmt der Angeklagte zwar auch auf den Inhalt des WDR-Berichtes Bezug, eine nähere Auseinandersetzung mit dem Inhalt des WDR-Berichtes erfolgt jedoch nicht. Vielmehr steht der ehrverletzende Charakter der E-Mail im Vordergrund. Gerade der vom Angeklagten vorgenommene Vergleich der Mitarbeiter des Ausländeramtes des Kreises G mit den Amtsvorgängern der NS-Diktatur, welche „Judenschänder“ gewesen seien, und die damit gezogene Parallele zu den Gräueltaten der NS-Diktatur, greift in massiver Weise in den Ehrschutz der Mitarbeiter der Ausländerbehörde ein.

Dennoch überwiegt bei Zugrundelegung der Maßstäbe der maßgeblichen bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung im Rahmen der hier vorzunehmenden Abwägung die Meinungsfreiheit.

Für den Vorrang der Meinungsfreiheit spricht, dass nach dem Inhalt des Fernsehberichtes des WDR Anlass zu – auch scharfer – Kritik gegeben war. In einem solchen Fall ist der Umfang dessen, was an Meinungsäußerung noch gerechtfertigt ist, erheblich größer (vgl. Thür. OLG, Beschluss vom 4. Juli 2001, NJW 2002, 1890). Dabei fallen auch scharfe und übersteigerte Äußerungen grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Bei Beiträgen zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage gilt die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 1992, NJW 1992, 2815).

Bei der Beurteilung der Schwere der zweifellos vorliegenden Ehrverletzung und ihrer Gewichtung im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung ist zudem von Bedeutung, ob die betroffenen Mitarbeiter der Ausländerbehörde persönlich angegriffen und womöglich sogar namentlich genannt wurden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 1992, a.a.O.). Vorliegend hat der Angeklagte mit dem Inhalt seiner E-Mail jedoch keine einzelnen Personen, sondern allgemein die Mitarbeiter der Ausländerbehörde des Kreises G ansprechen wollen. Zudem ist der Inhalt der E-Mail nicht unbeteiligten Dritten zugänglich gemacht worden, was ebenfalls bei der Abwägung zu berücksichtigen ist.

Auch ist zu bedenken, dass der Inhalt der E-Mail des Angeklagten zwar beleidigend, jedoch angesichts der gewählten Formulierungen nicht derart ehrverletzend ist, dass der Ehrschutz überwiegen würde. Vielmehr dürfen im „Kampf um das Recht“ auch scharfe, polemische und übersteigerte Äußerungen getätigt werden, um eine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn die Kritik auch anders formuliert hätte werden können (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 3. Juni 2004, NStZ-RR 2006, 7; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20. März 2012, NStZ-RR 2012, 244). Bei Beiträgen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage – wie hier der Abschiebung von Ausländern – muss Kritik an staatlichen Maßnahmen, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird, hingenommen werden, weil anderenfalls die Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses drohte (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. BVerfGE 82, 272]).“

Die Richterin muss „effizient bestraft werden, um zu verhindern, dass diese Richterin nicht auf eine schiefe Bahn gerät“

© Klaus Eppele - Fotolia.com

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Gerade läuft die PM des BVerfG zum BVerfG, Beschl. v. 28.07.2014 1 BvR 482/13 über den Ticker. Mal wieder etwas zur Schmähkritik und zum Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Nichts Neues, sondern wie schon in der Vergangenheit: Auch überspitzte Kritik fällt grds. in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit.

Mache ich es mir doch einfach und zitiere aus der PM.

„Sachverhalt und Verfahrensgang:

Das Amtsgericht wies eine Schadensersatzklage des Beschwerdeführers ab; die Berufung gegen dieses Urteil blieb ohne Erfolg. Der Beschwerdeführer erhob eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die zuständige Richterin des Amtsgerichts, in der er unter anderem ausführte, er protestiere „gegen das schäbige, rechtswidrige und eines Richters unwürdige Verhalten der Richterin“ und meine, „sie müsse effizient bestraft werden um zu verhindern, dass diese Richterin nicht auf eine schiefe Bahn gerät“. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer aufgrund dieser Äußerungen wegen Beleidigung gemäß § 185 des Strafgesetzbuches (StGB) zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 20 €. Im Berufungsverfahren sprach das Landgericht den Beschwerdeführer zunächst frei. Dieses Urteil hob das Oberlandesgericht jedoch im Revisionsverfahren auf und verwies das Verfahren zurück. Das Landgericht verwarf die Berufung des Beschwerdeführers daraufhin als unbegründet. Die erneute Revision des Beschwerdeführers blieb vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. 1. Das Urteil des Landgerichts, dem sich das Oberlandesgericht anschließt, nimmt in verfassungsrechtlich nicht mehr tragbarer Art und Weise an, dass es sich bei den für strafbar erachteten Äußerungen um Schmähkritik handle. Hierbei verkennt das Landgericht die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen in der Fachgerichtsbarkeit entwickelten Begriff wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng definiert. Danach macht auch eine überzogene oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen. Nur dann kann ausnahmsweise auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden. Aus diesem Grund wird Schmähkritik bei Äußerungen zu Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren, nur ausnahmsweise vorliegen und im Übrigen eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben. Dem genügt die Entscheidung des Landgerichts nicht. Auch in der Äußerung, es müsse verhindert werden, dass die Richterin auf eine schiefe Bahn gerate, geht es nicht allein um eine Verunglimpfung der Betroffenen, sondern auch um eine Auseinandersetzung, die einen sachlichen Hintergrund hat. Der Beschwerdeführer bezieht sich auf das von ihm in der Dienstaufsichtsbeschwerde kritisierte Verhalten und bezweckt eine Überprüfung dieses Verhaltens durch eine übergeordnete Stelle. Es handelt sich zwar um polemische und überspitzte Kritik; diese hat aber eine sachliche Auseinandersetzung zur Grundlage. Bezüglich der weiteren Äußerungen begründet das Landgericht seine Einordnung als Schmähkritik überhaupt nicht. 2. Soweit das Landgericht hilfsweise dennoch eine Abwägung vornimmt, verstößt es hierbei zunächst insofern gegen die Meinungsfreiheit, als es die Äußerung des Beschwerdeführers, „es müsse verhindert werden, dass die Richterin auf eine schiefe Bahn gerate“, dahingehend auslegt, dass hiermit der betroffenen Richterin die künftige Begehung von Straftaten unterstellt wird. Mit anderen möglichen Deutungen hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt. Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist jedoch, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Ein Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit liegt vor, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde legt, ohne vorher die anderen möglichen Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben. Auch im Übrigen genügt die Abwägung nicht den verfassungsrechtlichen Maßstäben. Das Landgericht stellt einseitig auf den Ehrschutz ab, ohne die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers ausreichend zu berücksichtigen. Insbesondere wird nicht hinreichend gewürdigt, dass der Beschwerdeführer das Schreiben zwar auch an die Gegenseite gesandt, den Adressatenkreis des Schreibens aber überschaubar gehalten hat. Zudem ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer im „Kampf ums Recht“ befand und ihm hierbei zur plastischen Darstellung seiner Position grundsätzlich erlaubt ist, auch starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen. 3. Die Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts werden daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.“

Der “umstrittene Anwalt“, Schmähkritik oder zulässige Meinungsäußerung?

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In der Diskussion in Streit-/Rechtsfragen geht es manchmal hoch bzw. höher her und es wird auch nicht selten scharf geschossen. Damit muss man ggf. leben (können). Bei manchen Äußerungen stellt sich dann aber für den Betroffenen doch die Frage, ob er sich diese als freie Meinungsäußerung des Gegners „gefallen lassen muss“, oder obe es sich um Schmähkritik handelt, gegen die man vorgehen kann. So in einem Fall, der vor einiger Zeit das OLG Dresden beschäftigt hat. Es geht offenbar um einen Streit/einen Sachverhalt, der im Reiserecht spielt. Dort wird ein Artikel veröffentlicht, in dem ein Kollege als ein „umstrittener Rechtsanwalt“ bezeichnet wird bzw. ausgeführt wird, er gelte in der Reisebranche „als „umstritten“. Der Kollege macht im Wege der einstweiligen Verfügung einen Unterlassungsanspruch geltend, hat damit aber weder beim LG noch beim OLG Dresden Erfolg. Das OLG Dresden geht im OLG Dresden, Beschl. v. 27.09.2012 – 4 W 1036/12 von zulässiger Meinungsäußerung aus.

„Eine derartige Schmähkritik hat das Landgericht in der Bezeichnung des Antragstellers als „umstritten“ mit Blick auf den in dem Artikel selbst mitgeteilten Sachbezug und den Umstand, dass der dort mitgeteilte Tatsachenkern für das Verfügungsverfahren als wahr zu behandeln ist, zu Recht nicht gesehen. Diese Anknüpfung an ein eigenes und in dem Artikel aufgeführtes Verhalten des Antragstellers unterscheidet die hier gegebene Konstellation von der Fallgestaltung, die dem Urteil des OLG Köln (Urteil vom 18.7.2012, 16 U 184711-juris) zugrunde lag. Dort hatte das OLG die Bezeichnung des Klägers als „Winkeladvokat“ mit der Begründung als unzulässig angesehen, unter einem Winkeladvokat sei „jedenfalls derjenige zu verstehen, der eine Sache entsprechend seinem Berufsstand nicht verantwortungsbewusst zu vertreten befähigt ist, was bedeute, dass damit ein Rechtsanwalt gemeint sei, der „eine mangelnde fachliche Eignung aufweist und dessen Zuverlässigkeit zweifelhaft ist“, der „sich zwar noch im Rahmen des geltenden Rechts bewegt, aber dessen Grenzen in bedenklichem Maße austestet“, sich dabei „ nicht nur in zulässiger Weise taktisch [verhält], sondern … eine Verhaltensweise an den Tag [legt], die „hart an der Grenze“ ist, um für seinen Mandanten etwas „herauszuholen“, wobei ihm „jeder „Winkelzug“ recht [sei], um das für seinen Mandanten günstige Ergebnis zu erreichen“ und der bereit sei, „sich bei der Berufsausübung über Vorschriften hinwegzusetzen und Recht zu verbiegen, wenn ihm dies zum eigenen Vorteil verhilft“ (OLG Köln aaO.). Eine solche Zuschreibung schließt die Begriffserläuterung in dem streitgegenständlichen Artikel aus. Die Bewertung als „umstritten“ weist überdies neben den o.a. negativen Assoziationen auch darauf hin, dass es neben denjenigen, die das Vorgehen des Antragstellers kritisieren, auch Befürworter gibt und wertet auch vor diesem Hintergrund den Antragsteller nicht in vergleichbaren Maße ab.

Eine unzulässige Schmähkritik kann auch nicht aus der Verbindung des Textes mit dem begleitenden Foto hergeleitet werden, das nach der Bildunterschrift einen „Mann mit einem Esel aus Ägypten“ zeigt. In dem Artikel wird ein Zusammenhang mit der Berichterstattung dadurch hergestellt, dass die Gegendarstellung, die der Antragstellers gegen das Portal www.hotelling.net erwirkt hatte und die Gegenstand der Berichterstattung auf der von der Antragsgegnerin betriebenen Seite war, in einem „Hamburger Reise Magazin, das auch über Ägypten berichtet“ erfolgte. Der durchschnittliche Leser, der den Artikel zur Kenntnis nimmt, wird bei dieser Sachlage das Bild nicht auf die Person des Antragstellers, sondern auf den Gegenstand der Berichterstattung beziehen, auch wenn er die Motivauswahl für eine Berichterstattung über eine Gegendarstellung als willkürlich und ungeschickt empfinden wird, weil sie die Kernaussage des Berichts nicht unterstützt, sondern wie eine zufällige Verlegenheitslösung mangels passenderer Bilder wirkt. Selbst wenn es angesichts dessen dem Leser nicht gelingt, zwischen dem Bild und dem Text des Artikels eine solche Verbindung herzustellen, so wird er jedenfalls nicht zwingend und unabweisbar zu der vom Antragsteller genannten Schlussfolgerung gelangen, dieser solle hier als „Esel“ verunglimpft werden. Ein solches Wortverständnis steht mit der Bewertung als „umstritten“, die unterschwellig nicht auf die mit der Beschimpfung als „Esel“ verbundene Dummheit, sondern im Gegenteil auf eine besondere Gerissenheit des so Bezeichneten hinweist, nicht in Einklang. Es tritt hinzu, dass sich der Esel auf der Fotographie im Bildhintergrund befindet und der Blick des Betrachters daher zunächst auf den ägyptischen Mann fällt, bei dem es sich um einen Bauern oder Händler handelt. Eine Verbindung zwischen dem abgebildeten „Ägypter“ und dem Antragsteller, die sich als Schmähkritik oder Formalbeleidigung darstellen würde, zeigt aber auch die Beschwerde nicht auf.

Zum erwähnten „Winkeldekladvokatenurteil“ des OLG Köln: Der Kollege “Winkeladvokat”