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Das mit dem Handy gefilmte rectale Einführen einer Flasche, oder: Zurschaustellen von Hilflosigkeit?

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Der BGH hat sich im BGH, Beschl. v. 25.04.2017 – 4 StR 244/16 – mit den Voraussetzungen, unter denen die Hilflosigkeit einer Person auf einer Bildaufnahme zur Schau gestellt wird (§ 201a Abs. 1 Nr. 2  StGB), befasst. Zwischen dem Angeklagten und zwei Mitangeklagten und dem Nebenkläger war es im August 2015 zu einer „Auseinandersetzung“ gekommen. Hintergrund war, dass die jüngere Schwester des Angeklagten, E. K. , bis etwa einen Monat vor dem Tatgeschehen eine geheim gehaltene Liebesbeziehung zu dem Nebenkläger unterhalten hatte, in deren Verlauf es auch mindestens einmal zum Geschlechtsverkehr gekommen war, worüber der Nebenkläger in seinem Freundeskreis berichtete. Davon erfuhr der Angeklagte etwa eine Woche vor der Tat und verstand dies so, dass der Nebenkläger damit geprahlt habe, er habe „K. s Schwester gefickt“. Das hat der Angeklagte als Beleidigung seiner Schwester und auch seiner eigenen Person angesehen. Es kam dann – aus Rache – zu einer Auseinandersetzung. Zunächst wurde der Nebenkläger verprügelt. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung forderte der Angeklagte vom Nebenkläger die Zahlung von 2.500 € für die operative Rekonstruktion des Hymens seiner Schwester.

Um den Nebenkläger dann noch einmal in besonderer Weise zu demütigen und sich ihm gegenüber ein Druckmittel zu verschaffen, verlangte der Angeklagte dann von diesem, sich eine leere 0,3-Liter-Flasche mit langem Hals in den Anus einzuführen. Den Hals der Flasche hatte der Angeklagte zuvor eingecremt. Der Nebenkläger kam der Aufforderung nach. Der Angeklagte filmte dieses Geschehen mit der Kamerafunktion des Mobiltelefons eines der beiden Mitangeklagten. Er zeichnete zunächst das Gesicht des Nebenklägers auf. Dann nahm er gezielt dessen Gesäß in den Fokus. Nach einiger Zeit gestattete der Angeklagte dem Nebenkläger aufzuhören. Er erklärt, er werde das Video im Internet veröffentlichen, wenn er die 2.500 € nicht erhalten würde oder wenn der Nebenkläger zur Polizei gehen würde.

Beim LG Essen ist für dieses Tatgeschehen eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren verhängt. Der Angeklagte ist u.a. wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen gem. § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB verurteilt worden. Dazu dann jetzt der BGH, der das LG-Urteil aufgehoben hat. Begründung: Die bislang vom LG getroffenen Feststellungen seien nicht ausreichend für die Verurteilung wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs i.S. § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB durch die Bildaufnahmen der vom Nebenkläger verlangten rektalen Einführung der Flasche. Nach Auffassung des BGH ist zwar das Merkmal der Hilflosigkeit erfüllt. Aber es haperte bei dem weiteren Tatbestandsmerkmal des Zur-Schau-Stellens:

„b) Indes bestehen auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen durchgreifende Zweifel daran, dass die Hilflosigkeit des Nebenklägers auf der Bildaufnahme auch „zur Schau“ gestellt wird.

aa) Hinsichtlich der Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal „Zur-Schau-Stellen“ in § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB teilt der Senat die Auffassung im Schrifttum, wonach der Wortlaut der Regelung hier eine besondere Hervorhebung der Hilflosigkeit als Bildinhalt voraussetzt, so dass diese für einen Betrachter allein aus der Bildaufnahme erkennbar wird (ebenso Bosch aaO, Rn. 12; Fischer aaO, Rn. 10b). In Fällen der bloßen Abbildung der Vornahme einer Handlung durch eine Person (als Tatopfer) bedarf dies in der Regel näherer Darlegung, wenn die abgebildete Handlung nicht schon ohne Weiteres die Hilflosigkeit der sie vornehmenden Person impliziert. Gibt erst der Gesamtkontext der Bildaufnahme – etwa bei ambivalenten Handlungen – zu erkennen, dass die abgebildete Person sie im Zustand der Hilflosigkeit vornimmt, beispielsweise in einer Bemächtigungssituation, bedarf es dazu eingehender tatrichterlicher Feststellungen.

bb) Gemessen an diesem Verständnis des Tatbestandsmerkmals des Zur-Schau-Stellens ermöglichen die bisher getroffenen Feststellungen dem Senat nicht die Prüfung der Frage, ob der Bildinhalt die Hilflosigkeit des Tatopfers im dargelegten Sinne zu erkennen gibt. Dem angefochtenen Urteil ist insoweit lediglich zu entnehmen, dass der Angeklagte das betreffende Geschehen, hier die rektale Einführung der Flasche, mit der Kamerafunktion des Mobiltelefons des Mitangeklagten Y. aufzeichnete. Ob diese Bildaufzeichnung auch die Be- drohungssituation widerspiegelt, ergeben die Urteilsfeststellungen nicht. Der Umstand, dass sich der Geschädigte die Flasche rektal einführte, sagt aber für sich genommen noch nichts über den Kontext aus, in dem die Handlung ausgeführt wurde.“

Geschwindigkeitsmessung duch Nachfahren, eine fast sichere Bank, nicht nur zur Nachtzeit

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Wenn man sich die OLG-Rechtsprechung zur Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren ansieht, kann man m.E. festststellen: Eine (fast) sichere Bank. Denn bei der Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren handelt es sich nach der Rechtsprechung der OLG nicht um ein standardisiertes Messverfahren. Dementsprechend hoch sind daher auch die Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen. Und dementsprechend oft reichen die amtsgerichtlichen Feststellungen nicht und werden die AG-Urteile aufgehoben.

Worauf bei diesen Fragen zu achten ist, fasst noch einmal – für eine Messung zur Nachtzeit – das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 10.03.2017 – 4 RBs 94/17 – zusammen:  Auf der Grundlage der h.M. in der Rechtsprechung (vgl. die Nachweise bei Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl., 2015, Rn. 2334 ff. – demnächst 5. Aufl. 🙂 )  weist das OLG daraufhin, dass bei einer bei Dunkelheit oder schlechten Sichtverhältnissen durchgeführten Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren zusätzlich Angaben über die Beobachtungsmöglichkeiten der Polizeibeamten, insbesondere zum Abstand der Fahrzeuge und zur Sicht- und Beleuchtungssituation vor Ort erforderlich sind. Die fehlen in den amtsrichterlichen Urteilen nicht selten.

Das OLG geht zudem davon aus, dass Mindestmessstrecken auf der Grundlage behördlicher Richtlinien für die Gerichte nicht bindend sind (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG), sondern diese sich nach den Grundsätzen der §§ 71 Abs. 1 OWiG, 261 StPO eine Überzeugung zu bilden haben. Je kürzer allerdings die Messstrecke ist, umso genauer sind die Umstände der Messung darzustellen sowie solche Umstände, wie etwa die nachfahrenden Polizeibeamten in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum gleichzeitig Aufgaben der fahrerischen Tätigkeit der Verfolgung, die Feststellung eines gleichbleibenden oder sich vergrößernden Abstands – unter welchen Beleuchtungsverhältnissen und in welchem (ungefähren) Abstand zum verfolgten Fahrzeug – und das Ablesen der Geschwindigkeit bewältigen konnten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass etwa bei einem sehr großen Abstand zum verfolgten Fahrzeug ein gleichbleibender oder sich vergrößernder Abstand erst nach längerer Nachfahrt ermittelt werden kann.

HWS/Schleudertrauma, Haushaltsführungsschaden und das KG

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Entscheidungen zum Schleudertrauma und/oder zum Haushaltsführungsschaden hatte ich – glaube ich – hier noch nie im Bericht. Heute dann aber mal eine Entscheidung aus diesem Problembereich, der, wenn ich mich richtig an meine Zivilrichterzeit erinnere – lang, lang ist es her -, in der Praxis eine große Rolle spielt.

Es geht im KG, Urt. v. 15.01.2015 – 22 U 68/11 – ist schon etwas älter, da vor der Veröffentlichung durch das KG erst die Rechtskraft abgewartet worden ist – um Schmerzensgeld und Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Berlin, an dem die Klägerin als Fahrgast in einem Taxi beteiligt war. Im Streit sind ganz erhebliche Schadensersatz-/Schmerzensgeldsummen, die die Klägerin mit einer bei dem Unfall erlittenen HWS-Distorsion begründet. Die Klage war zunächst vom LG abgewiesen worden, das KG hatt in einem ersten Berufungsverfahren aufgehoben, dann hatte das LG teilweise – zu einem geringen Betrag – verurteilt. Die erneute Berufung hatte dann beim KG keinen Erfolg.

Hier dann die Leitsätze des KG, Entscheidung:

1. Auch bei Überschreiten des Grenzwertes der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung genügen zur Feststellung einer HWS-Distorsion subjektive Beschwerden wie Kopf-, Nackenschmerzen oder Spannungsgefühl für sich nicht, weil insoweit lediglich ein zeitlicher Zusammenhang herzustellen wäre, sie nicht verletzungstypisch und daher ohne besondere Aussagekraft sind.

2. Die Ladung bzw. Anhörung (von Amts wegen) eines Privat-Sachverständigen durch das Gericht, kommt nicht in Betracht. Das Gericht ist insoweit nur verpflichtet, der Partei bzw. in Anwaltsprozessen ihrem Rechtsanwalt die Gelegenheit zu geben, den vom Gericht beauftragten Sachverständigen in Anwesenheit ihres (Privat-) Sachverständigen anzuhören, damit die Partei sich fachlich beraten lassen kann.

3. Zur Darlegung des Haushaltsführungsschadens genügt nicht die Angabe von Tabellenwerten. Es ist der vor dem Unfall im Haushalt tatsächlich geleistete Aufwand konkret unter Beweisantritt darzulegen, weil es sich nicht um einen abstrakt ersatzfähigen Schaden handelt, der von der tatsächlich ausgefallenen Haushaltstätigkeit losgelöst wäre. Lediglich zur Höhe kann der Schaden fiktiv auf der Grundlage des Nettogehalts einer Ersatzkraft berechnet werden.

Der Tattag ist mir doch egal, oder: Das OLG deckt schlampige Feststellungen

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Der OLG Hamm, Beschl. v. 31.05.2016 – 4 RBs 111/16 – ist ein „schönes“ Beispielt, dass nicht selten von den OLG „gehalten“ wird, was gehalten werden kann. Das AG hat den Betroffenen wegen eines  Verstoßes gegen §§ 9 Abs. 1, 17 Abs. 1 lit. e LImSchG – Störung der Nachtruhe – schon da stimmte die der Liste der angewandten Vorschriften im Urteil nicht – zu einer Geldbuße von 5.000 EUR verurteilt. Nach den Feststellungen im AG-Urteil ließ der Betroffene als verantwortlicher Geschäftsführer einer U GmbH& Co KG „am 29.10.2014 zu einer nicht näher festgestellten Uhrzeit Geräuschimmissionen von dem Betriebsgelände des genannten Unternehmens ausgehen, welche mit einem konstanten Lärmpegel von 52,9 dB(A) gemessen wurden, wobei der Mindestpegel bei 52,1 dB(A) und der Spitzenpegel bei 54,3 dB(A) lag. Die Messung wurde von einem „Ersatzmessort“ aus vorgenommen, der ca. 30m vom Wohnhaus eines Beschwerdeführers wegen einer früheren Lärmbelästigung aus dem Jahre 2013 liegen und diesem gleichwertig sein soll. Näheres zum Messort wird nicht mitgeteilt.“

Das OLG schaut in die Akten und stellt bei der Prüfung des dem Verfahren zugrunde liegenden Bußgeldbescheides fest: Der Bußgeldbescheid hat eine Tat vom 26.10.2014 zum Gegenstand. Wer meint, das OLg hat nun Porbleme mit der Wirksamkeit des Bußgeldbescheides, der irrrt sich gewaltig. Locker heißt es dazu:

„Das Verfahren war nicht wegen Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung – hier eines wirksamen Bußgeldbescheids betreffend die abgeurteilte Tat – einzustellen. Zwar bezieht sich der von Amts wegen vom Rechtsbeschwerdegericht zur Kenntnis zu nehmende Bußgeldbescheid vom 15.01.2015 auf eine Tat am 26.10.2014. Angesichts der nahezu identischen Messergebnisse (laut Bußgeldbescheid 53 dB(A), laut Urteil 52,9 dB(A) konstanter Lärmpegel) und im Übrigen gleichem Tatort und sonstiger Umstände, geht der Senat davon aus, dass Bußgeldbescheid und angefochtenes Urteil dieselbe Tat betreffen.“

Das, was das OLG schreibt, ist in meinen Augen nicht haltbar. Man kann zwei Abweichungen feststellen zwischen festgestellter Tat und der Tat, die Gegenstand des Bußgeldbescheides ist/war, nämlich einemal beim Tattag – 26.10.2014 oder 29.10.2014 – und beim Messergbnis – „laut Bußgeldbescheid 53 dB(A), laut Urteil 52,9 dB(A)“. Aber das macht dem OLG nichts. Und die Begründung? „Nahezu identisch“, aber bitte: Das ist für mich aber nicht identisch. Und was heißt: „im Übrigen gleichem Tatort und sonstiger Umstände„? Damit ist doch bei den Geräuschimmission aus einer Firma zu rechnen.

Die Begründung des OLG ist in meinen Augen heiße Luft und deckt schlampige Feststellungen des AG. Da kann man doch am besten gleich den Bußgeldbescheid als Verfahrensgrundlage abschaffen. Denn wie soll sich der Betroffene denn zeitlich – Alibi-Beweis!! – verteidigen können, wenn nicht klar ist, wann denn nun die ihm zur Last gelegte Tat begangen sein soll?

Es hilft auch nicht, dass das OLG aus einem anderen Grund aufgehoben hat. Denn die erforderliche Einstellkung hätte zur Erledigung des Verfahrens insgesamt geführt. So darf das ASG es noch einmal versuchen…..

Du „Zigeuner“ – Beleidigung ja oder nein?

entnommen wikimedia.org Herkunft/Fotograf Palais Dorotheum, 11. Dezember 2013, Lot Nr. 232

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Herkunft/Fotograf Palais Dorotheum, 11. Dezember 2013, Lot Nr. 232

Heute soll es dann mal zwei Entscheidungen zur  Beleidigung geben, und zwar zunächst den OLG Hamm, Beschl. v. 28.04.2016 – 3 RVs 37/16. In ihm geht es um die Frage, ob (allein) die Bezeichnung einer anderen Person als „Zigeuner“ eine Beleidigung i.S. des § 185 StGB darstellt. Das hatt das AG Detmold angenommen, das OLG sieht es aber anders. Nach seiner Auffassung stellt der Begriff „Zigeuner“ im deutschsprachigen Raum grundsätzlich eine Fremdbezeichnung für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe dar; es handelt sich nicht um einen Begriff, der allein die Bedeutung eines Schimpfwortes hat.

Nach Auffassung des OLG müssen weitere Umstände hinzukommen, nämlich „zur Feststellung, ob die Verwendung dieser Bezeichnung auch den Tatbestand des § 185 StGB erfüllen kann, u.a. Feststellungen dazu, in welchem Zusammenhang die Äußerung gefallen ist, welcher Abstammung der Geschädigte ist und weiterer Feststellungen zum Kulturkreis des Angeklagten.“

Und dazu war das AG-Urteil dem OLG „zu dünn“:

„Die seitens des Amtsgerichts vorgenommene Beweiswürdigung ist vor den oben genannten Anforderungen derart lückenhaft, dass eine dementsprechende Nachprüfung seitens des Revisionsgerichts nicht erfolgen kann.
Um eine etwaige Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beleidigung prüfen zu können, bedürfte es u. a. Feststellungen zu folgenden Fragen:
Welche Bedeutung hat der Begriff „Zigeuner“ im Kulturkreis des Angeklagten?
War sich der Angeklagte der Bedeutung des Begriffes, insbesondere ob seiner Alkoholisierung, im hiesigen Kulturkreis hinreichend bewusst?
Welchen Gegenstand hatten die dem Ausruf vorhergehenden Streitigkeiten?
Welchem Kulturkreis entstammt der Zeuge H ursprünglich?
All diese Fragen bleiben im angefochtenen Urteil offen und ungeklärt.“

Die „Checkliste“ kann das AG dann jetzt im zweiten Durchlauf abarbeiten.