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StPO II: Entfernung des Angeklagten aus der HV, oder: Unterrichtung durch Videovernehmung?

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Dehani bandara – Eigenes Werk

Die zweite Entscheidung des Tages kommt mit dem BGH, Beschl. v. 23.03.2021 – 3 StR 60/21 – auch vom BGH. Ist in meinen Augen auch eine Dauerbrennerentscheidung.

Das LG hat den Angeklagten der u.w. wegen Vergewaltigung verurteilt. Dagegen  Verfahrensrügen, u.a. mit der Rüge eines Verstoßes gegen § 247 Satz 4 StPO. Sie hatte keinen Erfolg:

„Der Erörterung bedarf allein die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte einen Verstoß gegen die Pflicht zur Unterrichtung nach § 247 Satz 4 StPO geltend macht.

1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

Die Strafkammer beschloss in der Hauptverhandlung vor der Zeugenvernehmung eines geschädigten Kindes gemäß § 247 Satz 1 StPO die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal und ordnete zugleich an, dass die Vernehmung dieser Zeugin über eine Videoanlage in einen Nebenraum übertragen wurde, von dem aus der Angeklagte die Vernehmung audiovisuell verfolgen konnte. Im Rahmen der Vernehmung des Kindes wurde mit diesem eine Grundrisszeichnung der Wohnräume des Angeklagten erörtert; ferner wurde dem Kind ein Chatverkehr durch Verlesung vorgehalten. Nach der Vernehmung wurde der Angeklagte in den Sitzungssaal zurückgerufen und erklärte, dass er der Vernehmung von dem Nebenraum aus habe folgen können, allerdings Nachfragen an die Zeugin habe. Seinem Wunsch entsprechend wurde die Zeugin dann in seiner erneuten Abwesenheit ergänzend befragt; auch diese Befragung konnte der Angeklagte im Wege der Videoübertragung von dem Nebenraum aus verfolgen. Der Angeklagte wurde anschließend wiederum in den Sitzungssaal gerufen und gefragt, ob er noch weitere Fragen an die Zeugin habe, woraufhin er erklärte, dass er der Vernehmung habe folgen können und keine Nachfragen mehr habe. Daraufhin wurde die Zeugin entlassen. Dieser Geschehensablauf wiederholte sich am darauffolgenden Hauptverhandlungstag bei der Zeugenvernehmung eines weiteren geschädigten Kindes, wobei dieser Zeugin während ihrer Vernehmung neben der Grundrisszeichnung als weiterer Vernehmungsbehelf ein Foto vorgelegt wurde.

 

2. Der Angeklagte macht geltend, mit dieser Vorgehensweise habe die Strafkammer jeweils gegen § 247 Satz 4 StPO verstoßen. Zum einen sei der Angeklagte entgegen § 247 Satz 4 StPO nach seiner Rückkehr in den Sitzungssaal nicht vom Vorsitzenden von dem wesentlichen Inhalt dessen unterrichtet worden, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt wurde. Die Videoübertragung habe den Bericht des Vorsitzenden nicht ersetzen können, weil die Unterrichtung nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut vorzunehmen sei, sobald der Angeklagte wieder anwesend ist, also erst nach seiner Rückkehr in den Sitzungssaal. Zum anderen hätte der Vorsitzende im Rahmen einer Unterrichtung nach § 247 Satz 4 StPO angesichts der den Zeuginnen als Vernehmungsbehelfe vorgelegten Unterlagen abklären müssen, ob der Angeklagte auch insofern die Vernehmungsinhalte vollständig erfassen konnte.

3. Soweit die Verfahrensrüge mit der Stoßrichtung erhoben worden ist, die nach § 247 Satz 4 StPO gebotene Unterrichtung sei unterblieben, ist sie unbegründet.

Nach vielfach vertretener Auffassung kann die Unterrichtung auch in Form einer Videosimultanübertragung der Vernehmung in einen Nebenraum erfolgen, in dem sich der Angeklagte aufhält; einer weiteren Information des Angeklagten nach dessen Rückkehr in den Sitzungssaal durch einen Bericht des Vorsitzenden bedarf es dann nicht (BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2018 – 2 StR 250/18, NJW 2019, 692 Rn. 15; Urteil vom 22. August 2017 – 1 StR 216/17, NJW 2017, 3397 Rn. 18; Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 268/06, BGHSt 51, 180 Rn. 15; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 247 Rn. 48; BeckOK StPO/Berg, 39. Ed., § 247 Rn. 16; KK-StPO/Diemer, 8. Aufl., § 247 Rn. 15; SK-StPO/Frister, 5. Aufl., § 247 Rn. 67; SSW-StPO/Tsambikakis, 4. Aufl., § 247 Rn. 36; ablehnend in einem Fall einer von technischen Störungen begleiteten Videoübertragung BGH, Beschluss vom 26. August 2005 – 3 StR 269/05, NStZ 2006, 116 sowie generell MüKoStPO/Cierniak/Niehaus, § 247 Rn. 17; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 247 Rn. 14a, 16a). Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs sieht eine solche Videoübertragung sogar als die regelmäßig rechtlich vorrangig gebotene Form der Unterrichtung an (BGH, Urteil vom 22. August 2017 – 1 StR 216/17, NJW 2017, 3397 Rn. 20 ff.; aA BGH, Beschluss vom 16. Juni 2009 – 3 StR 193/09, NStZ 2009, 582; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 247 Rn. 48; BeckOK StPO/Berg, 39. Ed., § 247 Rn. 16; Mosbacher, JuS 2018, 129, 133; Schneider, NStZ 2018, 128, 129 ff.).

Im vorliegenden Fall hat eine Unterrichtung durch den Vorsitzenden im Sinne des § 247 Satz 4 StPO im Anschluss an die Rückkehr des Angeklagten in den Sitzungssaal stattgefunden, so dass es nicht darauf ankommt, ob ungeachtet des Wortlauts von § 247 Satz 4 StPO schon die Videoübertragung als solche eine ausreichende Unterrichtung darstellt. Denn die Art und Weise der Unterrichtung ist im Rahmen der Verhandlungsleitung (§ 238 Abs. 1 StPO) vom Vorsitzenden zu bestimmen (BGH, Urteil vom 22. August 2017 – 1 StR 216/17, NJW 2017, 3397 Rn. 15; Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 268/06, BGHSt 51, 180 Rn. 15; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 247 Rn. 43; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 247 Rn. 16). Sie kann deshalb in der Gestalt erfolgen, dass der Vorsitzende den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, fragt, ob er durch die Videoübertragung den Aussageinhalt habe erfassen und der Vernehmung auch im Übrigen habe folgen können (vgl. zum Erfordernis der Abklärung einer störungsfreien Übertragung BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 268/06, BGHSt 51, 180 Rn. 16). Teilt der Angeklagte daraufhin – wie hier geschehen – mit, dass er das Verhandlungsgeschehen audiovisuell habe wahrnehmen können, und macht er keine technischen Störungen oder Ausfälle bei der Übertragung geltend, ist dem Unterrichtungserfordernis Genüge getan.

4. Soweit die Verfahrensrüge mit der Angriffsrichtung erhoben worden ist, die Unterrichtung durch den Vorsitzenden sei unzureichend gewesen, weil dieser nicht mit dem Angeklagten gesondert erörtert habe, ob er der Vernehmung auch insoweit folgen konnte, als der Zeugin eine Grundrisszeichnung beziehungsweise ein Foto vorgelegt wurde (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 268/06, BGHSt 51, 180 Rn. 23), ist die Rüge unzulässig. Denn insofern rügt der Angeklagte nicht das Unterlassen einer gesetzlich vorgeschriebenen Handlung, sondern die Art und Weise ihrer Vornahme durch den Vorsitzenden, also eine ermessensfehlerhafte Ausgestaltung der Unterrichtung. Daher wäre für die Zulässigkeit der hierauf bezogenen Verfahrensrüge eine Beanstandung der Art und Weise der Unterrichtung des Angeklagten durch den Vorsitzenden in der Hauptverhandlung nach § 238 Abs. 2 StPO erforderlich gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 22. August 2017 – 1 StR 216/17, NJW 2017, 3397 Rn. 26; Beschlüsse vom 26. April 2006 – 5 StR 118/06, juris Rn. 2; vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1009; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 247 Rn. 56; MüKoStPO/Cierniak/Niehaus, § 247 Rn. 26; Schneider, NStZ 2018, 128, 133 f.; aA SK-StPO/Frister, 5. Aufl., § 247 Rn. 90). Eine solche Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO bringt die Revision jedoch nicht vor.“

StPO I: Entfernung des Angeklagten aus der HV, oder: Keine Augenscheinseinnahme von Lichtbildern

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Und im Programm dann heute: StPO-Entscheidungen

Den Reigen eröffne ich mit einem Dauerbrenner aus der Rechtsprechung des BGH. Der hat im BGH, Beschl. v. 17.02.2021 – 4 StR 533/20 – noch einmal zur Frage der Augenscheinseinnahme, wenn der Angeklagte gemäß § 247 StPO aus der Hauptverhandlung entfernt worden ist, Stellung genommen.

Verurteilt worden ist der Angeklagte u.a, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen. Der Angeklagte hatte mit der Verfahrensrüge geltend gemacht, dass ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung, die Einnahme eines Augenscheins von mehreren Lichtbildern . in Abwesenheit des Angeklagten stattgefunden hat (§ 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 230 Abs. 1 StPO). Der BGH meint: Zu Recht:

„a) Der Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

In der Hauptverhandlung am 10. Juni 2020 ordnete die Strafkammer gemäß § 247 StPO für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungszimmer an. Während der anschließenden in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Zeugenvernehmung der Nebenklägerin wurden mehrere vom Verteidiger überreichte Lichtbilder in Augenschein genommen. Nach Abschluss der Befragung unterrichtete der Vorsitzende den wieder anwesenden Angeklagten über die Aussage der Nebenklägerin.

b) Aufgrund der Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls gemäß § 274 StPO steht fest, dass die Lichtbilder nicht lediglich als Vernehmungsbehelf Verwendung fanden, sondern Gegenstand einer förmlichen Beweiserhebung durch Einnahme eines Augenscheins waren. Nach dem im Regelungszusammenhang des § 247 StPO aufgrund der hohen Bedeutung der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung eng auszulegenden Begriff der Vernehmung (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2010 . GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 90 mwN) ist die Erhebung eines anderweitigen Sachbeweises, selbst wenn sie in engem Zusammenhang mit der Vernehmung steht, nicht Teil der Vernehmung, so dass die Durchführung der Beweiserhebung in Abwesenheit des Angeklagten durch den Entfernungsbeschluss nach § 247 StPO nicht gedeckt wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2014 . 4 StR 529/13, NStZ 2014, 223; vom 5. Oktober 2010 . 1 StR 264/10, NStZ 2011, 51). Die Inaugenscheinnahme hätte daher nach § 230 Abs. 1 StPO nicht in Abwesenheit des Angeklagten erfolgen dürfen.

c) Der Verfahrensverstoß ist nicht durch eine Wiederholung des Augenscheins in Anwesenheit des Angeklagten geheilt worden. Eine Verfahrenskonstellation, in welcher ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler denkgesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2006 . 4 StR 131/06, StV 2007, 20; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 247 Rn. 21 mwN), liegt ebenfalls nicht vor. Selbst wenn . was allerdings angesichts der unterbliebenen Mitwirkung des Angeklagten an und seiner fehlenden Kenntnis von der Beweiserhebung zweifelhaft erscheint . ein denkgesetzlicher Ausschluss des Beruhens in Betracht zu ziehen wäre, falls dem Angeklagten das Augenscheinsobjekt in einer nicht hinter der Augenscheinseinnahme zurückbleibenden Weise bekannt ist (offengelassen in BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 . 1 StR 264/10, aaO), lägen diese Voraussetzungen nicht vor. Denn es steht weder . entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts . zweifelsfrei fest, dass die vom Verteidiger vorgelegten Lichtbilder vom Angeklagten stammen, noch besteht vor dem Hintergrund der Gegenerklärung des Verteidigers eine erfolgsversprechende Möglichkeit, die Herkunft der Bilder freibeweislich zu klären.

2. In Folge der Aufhebung des angefochtenen Urteils auf Grund der Verfahrensrüge kommt es nicht mehr darauf an, dass die Urteilsformel hinsichtlich der Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in drei der ausgeurteilten Fälle nicht mit der von den Feststellungen getragenen rechtlichen Würdigung in den Urteilsgründen in Einklang zu bringen ist.

Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung ferner darauf hin, dass die Strafbarkeit wegen Herstellens einer kinderpornographischen Schrift nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in der bis zum 26. Januar 2015 geltenden Fassung eine auf die Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung der Schrift gerichtete Verwendungsabsicht des Täters voraussetzt. Der neue Tatrichter wird hinsichtlich dieses Tatvorwurfs gegebenenfalls auch die Frage der Verfolgungsverjährung zu prüfen haben.“

StPO I: Wenn der Angeklagte in der HV abwesend ist, oder: Keine Augenscheinseinnahme von Lichtbildern

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Heute dann am Ende der „normalen“ Berichterstattung in dieser Woche – dann kommt ja nur 🙂 noch RVG und Kessel Buntes – drei StPO-Entscheidungen.

Zunächst ein verfahrensrechtlicher Dauerbrennner im BGH, Beschl. v. 03.03.2021 – 4 StR 324/20. Nämlich die Frage der Inaugenscheinnahme von Lichtbildern während eine Zeugenvernehmung, bei der der Angeklagte gem. § 247 StPO nicht anwesend war. Dazu der BGH:

„Die Verurteilung in den Fällen II. 2 und II. 3 kann nicht bestehen bleiben. Die Revision beanstandet zu Recht, dass ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung ? die Einnahme eines Augenscheins von mehreren Lichtbildern ? in Abwesenheit des Angeklagten stattgefunden hat (§ 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 230 Abs. 1 StPO).

a) Der Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

In der Hauptverhandlung vom 20. März 2020 ordnete die Strafkammer gemäß § 247 StPO für die Dauer der Vernehmung der Opferzeugin    S.   die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungszimmer an. Während der anschließenden in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Zeugenvernehmung wurden drei Aktenblätter mit Lichtbildern in Augenschein genommen. Nach Abschluss der Befragung unterrichtete der Vorsitzende den wieder anwesenden Angeklagten über die Aussage der Zeugin.

b) Aufgrund der Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls gemäß 274 StPO steht fest, dass die Lichtbilder nicht lediglich als Vernehmungsbehelf Verwendung fanden, sondern Gegenstand einer förmlichen Beweiserhebung durch Einnahme eines Augenscheins waren. Nach dem im Regelungszusammenhang des § 247 StPO aufgrund der hohen Bedeutung der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung eng auszulegenden Begriff der Vernehmung (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2010 ? GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 90 mwN) ist die Erhebung eines anderweitigen Sachbeweises, selbst wenn sie in engem Zusammenhang mit der Vernehmung steht, nicht Teil der Vernehmung, so dass die Durchführung der Beweiserhebung in Abwesenheit des Angeklagten durch den Entfernungsbeschluss nach § 247 StPO nicht gedeckt wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2014 ? 4 StR 529/13, NStZ 2014, 223; vom 5. Oktober 2010 ? 1 StR 264/10, NStZ 2011, 51). Die Inaugenscheinnahme hätte daher nach § 230 Abs. 1 StPO nicht in Abwesenheit des Angeklagten erfolgen dürfen. Der Verfahrensverstoß ist nicht durch eine Wiederholung des Augenscheins in Anwesenheit des Angeklagten geheilt worden.

c) Eine Verfahrenskonstellation, in welcher ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler ausnahmsweise denkgesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2006 ? 4 StR 131/06, StV 2007, 20; Beschluss vom 30. Januar 2001 – 3 StR 528/00; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 63. Aufl., § 247 Rn. 21 mwN), liegt hinsichtlich der Fälle II. 2 und II. 3 nicht vor. Zwar hat der Angeklagte diese Taten gestanden, das Landgericht hat jedoch ausgeführt, dass dieses Geständnis unter anderem durch die Angaben der Zeugin    S.   gestützt wird. Zur Tat II. 3 hat es zudem darauf verwiesen, dass die Zeugin ihre Angaben anhand der in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Lichtbilder ergänzen und präzisieren konnte. Damit hat das Landgericht die Zuverlässigkeit der Aussage der Zeugin und die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auch auf die in Abwesenheit des Angeklagten in Augenschein genommenen Lichtbilder gestützt.“

StPO I: Unterrichtung des Angeklagten nach Entfernung, und/oder: Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichung

Heute will ich drei verfahrensrechtliche Entscheidungen des BGH vorstellen. Den Anfang mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 26.11.2019 – 5 StR 555/19, der in einem Verfahren mit einem Totschlagsvorwurf zu zwei verfahrensrechtlichen Problemen Stellung nimmt, die in der Praxis immer wieder eine Rolle spielen. Es geht um Verstöße gegen § 247 StPO bzw. gegen §§ 252, 255a StPO. Der Angeklagte hatte mit beiden Verfahrensrügen keinen Erfolg.

Zu § 247 StPO führt der BGH aus:

„1. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des § 247 StPO rügt, ist kein Verfahrensfehler darin zu erkennen, dass der Angeklagte im Zusammenhang mit seiner Unterrichtung durch den Vorsitzenden gemäß § 247 Satz 4 StPO nicht noch einmal ausdrücklich gefragt worden ist, ob er noch Fragen an die kindliche Zeugin stellen wolle. Jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen bedurfte es keiner entsprechenden Nachfrage und auch keines damit einhergehenden ausdrücklichen Hinweises auf sein – mittelbar auszuübendes (§ 241a StPO) – Fragerecht gemäß § 240 Abs. 2 Satz 1 StPO.

Der Angeklagte war während der Vernehmung der Zeugin in einen anderen Saal gebracht worden, in den dieser Verfahrensabschnitt per Video übertragen wurde. Während einer ersten Unterbrechung der Zeugenvernehmung fragte der Vorsitzende ausweislich des Protokolls „die Verfahrensbeteiligten“, ob noch weitere Fragen zu stellen seien. Nachdem die Zeugin daraufhin zusätzliche Fragen beantwortet hatte, wurde in einer weiteren Vernehmungspause der Angeklagte nach seiner Rückkehr in den Verhandlungssaal über den Inhalt der Zeugenaussage unterrichtet. Anschließend wurde in seiner Anwesenheit über die Entlassung der Zeugin verhandelt, die im allseitigen Einverständnis erfolgte. Bei dieser prozessordnungsgemäßen Verfahrensweise des Gerichts war dem Angeklagten eine Ausübung seines eigenen Fragerechts nicht abgeschnitten.2

Und zu §§ 252, 255a StPO heißt es:

2. Die Rüge, § 252 StPO sei verletzt worden durch das vernehmungsersetzende Vorspielen einer Bild-Ton-Aufzeichnung der ermittlungsrichterlichen Vernehmung des achtjährigen Enkels des Angeklagten gemäß § 255a Abs. 2 Satz 1 StPO ohne vorherige Klärung der Frage, ob der Zeuge sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO in der Hauptverhandlung ausüben wolle, ist jedenfalls unbegründet.

Der Senat schließt sich insoweit der Auffassung des 3. Strafsenats an, wonach die nachträgliche Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechts der Verwertung der Bild-Ton-Aufzeichnung einer früheren richterlichen Vernehmung nach § 255a Abs. 2 StPO nicht entgegensteht (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2004 – 3 StR 185/03, BGHSt 49, 72, 83). Deshalb muss auch die Frage einer aktuellen Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts vor einer Anwendung von § 255a Abs. 2 StPO nicht geklärt werden.

Für diese Auslegung spricht, dass ein vom Ermittlungsrichter ordnungsgemäß vernommener Zeuge die Verwertung dieser Angaben durch eine nachträgliche Ausübung seines Zeugnisverweigerungsrechts grundsätzlich nicht verhindern kann (vgl. nur BGH, Beschluss vom 15. Juli 2016 – GSSt 1/16, BGHSt 61, 221, 230 ff. mwN). In diesem Fall wäre es mit dem verfassungsrechtlichen Gebot bestmöglicher Sachaufklärung (vgl. nur BVerfGE 133, 168 mwN) nicht vereinbar, auf das regelmäßig überlegene Beweismittel der Videoaufnahme einer Vernehmung zu verzichten, um stattdessen den Ermittlungsrichter zum Inhalt der Zeugenaussage vernehmen zu müssen. Dass der Gesetzgeber in § 255a Abs. 1 StPO auf § 252 StPO verweist und in diesen Fällen ein solches Prozedere vorschreibt (vgl. zur Reformbedürftigkeit dieser Regelung BGH, Urteil vom 12. Februar 2004 – 3 StR 185/03, aaO S. 78 f.), steht nicht entgegen. Denn § 255a Abs. 2 StPO nimmt gerade nicht auf § 252 StPO Bezug und hat einen von § 255a Abs. 1 StPO unabhängigen Regelungsgehalt (vgl. BGH, aaO, S. 82 f.; Mosbacher in Löwe/Rosenberg, 27. Aufl., § 255a Rn. 21). Gründe des Opferschutzes sprechen ebenso für diese Auslegung (Mosbacher aaO). Eine analoge Anwendung der Verweisung auf § 252 StPO im Rahmen von § 255a Abs. 2 StPO ist aufgrund des abweichenden Normzwecks dieses Absatzes deshalb nicht geboten (vgl. aber auch MüKo-StPO/Krüger, § 255a Rn. 25 mwN zu abweichenden Auffassungen).“