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„Kleinvieh macht Mist“ = Aktenversendungspauschale, oder: Ausdruckversand und teilweise geschwärzte Akte

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Heute dann Gebühren-/Kostentag. An dem stelle ich zwei AG-Entscheidungen und eine BGH-Entscheidung vor. Ich lasse den AG den Vortritt.

Beide AG-Entscheidungen befassen sich mit der Aktenversendungspauschale (Nr. 9003 GV GKG). Es geht zwar nur jeweil um 12 EUR, aber „auch Kleinvieh macht Misr“ 🙂 . Hier dann.

Für die Übersendung eines Ausdrucks der Akte fällt eine Aktenversendungspauschale an, wenn die Akte zwer elektronisch geführt, die technischen Voraussetzungen für eine elektronische Übermittlung bei der Verwaltungsbehörde noch nicht gegeben sind.

Die Erhebung einer Aktenversendungspauschale ist nicht zulässig, wenn die Akten dem Betroffenen nur teilweise geschwärzt (hier: Schwärzung der Namen anderer Betroffener der derselben OWi) zur Verfügung gestellt werden.

Mit folgender Begründung:

„Im vorliegenden Fall besteht noch eine weitere Besonderheit, die eine Gewährung der vollständigen Akteneinsicht erforderlich macht. Den Verfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Zentrale Bußgeldstelle) liegen die Namen aller Betroffenen in ihrer Gesamtheit vor. Diese können damit weitergehende Informationen aus den Parallelverfahren auch im Verfahren gegen die Betroffene nutzen. Insoweit unterscheidet sich diese Verfahrenskonstellation von den Fällen, in denen Akten von anderen Behörden oder Gerichten noch beigezogen werden müssen und ihr Inhalt sämtlichen Beteiligten erst durch Einsicht in die beigezogenen Verfahrensakten vermittelt wird. Hier sind die Namen der anderen Betroffenen jederzeit zugänglich. Bei einer solchen Fallkonstellation gebietet es der Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 I EMRK), der Verteidigung dasselbe Maß an Kenntnis des Akteninhalts einzuräumen wie den übrigen Verfahrensbeteiligten. Ob Informationen für die Verteidigung von Bedeutung sein können, unterliegt allein ihrer Einschätzung. Um dies zu überprüfen, muss sie durch Einsichtnahme von dem vollen Inhalt der Akten nehmen können.

Dies rechtfertigt es, die datenschutzrechtlichen Belange der andern Betroffenen dahinter anzustellen. Das leitende Interesse für die Akteneinsicht ist hier die Vorbereitung der Verteidigung in einem Bußgeldverfahren, nicht ein aus einer anderen Rechtsbeziehung folgendes Interesse.

Auch kann der Antragsteller als Rechtsanwalt nur so die von der Zentralen Bußgeldstelle angeführte Verpflichtung lediglich einen Betroffenen im Bußgeldkomplex zu vertreten, um somit einen Interessenkonflikt zu vermeiden, hinreichend sicher überprüfen.“

Nochmals: Ausdruck einer elektronischen Akte zur Akteneinsicht, oder: Keine Aktenversendungspauschale

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Die zweite Entscheidung des Tages zum Gebühren-/Kostenrecht kommt dann vom AG Idar-Oberstein. Das hat sich im AG Idar-Oberstein, Beschl. v. 15.05.2020 – 5 OWi 73/20 – mit der vor allem für Bußgeldverfahren in Rheinland-Pfalz bedeutsamen Frage des Anfalls der Aktenversendungspauschale bei Übersendung eines Ausdrucks der elektronisch geführten Akte  zur Akteneinsicht befasst.

Gegen den Betroffene wurde seitens des Polizeipräsidiums Rheinpfalz – Zentrale Bußgeldstelle (nachfolgend: Bußgeldstelle) – ein Verfahren wegen eines Verkehrsunfalls beim Einparken geführt. Der Verteidiger hatte schon bei der Polizeiinspektion Idar-Oberstein Akteneinsicht beantragt. Nach Abgabe der Staatsanwaltschaft an die Bußgeldstelle, gewährte die Bußgeldstelle in Form von ausgedruckten Kopien der elektronischen Akte Akteneinsicht. Für die Aktenversendung wurde eine Auslagenpauschale von 12,00 Euro erhoben.

Das AG hat den Anfall – ebenso wie einige andere AG in Rheinland-Pfalz – verneint:

„Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist begründet.

Es fehlt im Hinblick auf den durch die Bußgeldstelle an den Verteidiger übersandten Aktenausdrucks derzeit an einer Grundlage für die Auslagenfestsetzung.

Gemäß § 107 Abs. 5 S. 1 OWiG kann von demjenigen, der die Versendung von Akten beantragt, je durchgeführte Sendung einschließlich der Rücksendung durch Behörden pauschal 12 Euro als Auslagen erhoben werden. Wird die Akte elektronisch geführt und erfolgt ihre Übermittlung elektronisch, wird eine Pauschale nicht erhoben, § 107 Abs. 5 S. 2 OWiG.

Die elektronische Führung der Akten erfolgt bei der Bußgeldstelle trotz fehlender Rechtsgrundlage (OLG Koblenz, Beschluss vom 17.07.2018 -1 OWi 6 SsBs 19/18). Bisher fehlt es im Landesrecht von Rheinland-Pfalz an einer Rechtsgrundlage, die eine elektronische Aktenführung durch die Verwaltungsbehörde ermöglicht. Eine Rechtsverordnung auf Grundlage der Verordnungsermächtigungen in § 110a Abs. 1 OWiG n.F. ist bisher nicht erlassen worden.

Insofern ist die Aktenführung bei der Zentralen Bußgeldstelle des Polizeipräsidiums Rheinpfalz, wo alle verfahrensrelevanten Dokumente zunächst nur digital vorhanden sind und erst bei Bedarf ausgedruckt werden, derzeit rechtswidrig: Nichts anderes gilt hier, auch wenn die Akte zum Zeitpunkt des Akteneinsichtsersuchens noch in Papierform bei der Polizei/der Staatsanwaltschaft geführt wurde. Erfolgt ist die Akteneinsicht erst durch die Bußgeldstelle, welche zum Zeitpunkt der Gewährung der Akteneinsicht die Akte bereits elektronisch führte, ohne dass hierfür eine Rechts-grundlage vorliegt. Die Übersendung eines Ausdrucks einer insofern ohne Rechtsgrundlage geführten elektronischen Akte kann keine Aktenversendungspauschale begründen, denn eine solche kann nur dann anfallen, wenn Einsicht in eine zulässigerweise und ordnungsgemäß geführte Akte gewährt wird (vgl. AG Trier, Beschluss vom 02. Februar 2020 — 35a OWi 1/20 —, juris m.w.N.). Infolgedessen war die Auslagenfestsetzung der Bußgeldstelle vom 08.04.2020 aufzuheben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 62 Abs. 2 S. 2 OWiG, 467 Abs. 1 StPO.“

Die Hinweise/Links zu Entscheidungen anderer AG, die die Problematik ebenso sehen, gibt es hier: Ausdruck einer elektronischen Akte/Akteneinsicht, oder: Aktenversendungspauschale.