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Klassischer Fehler XX: Dass der Angeklagte (so) spät etwas sagt, darf für ihn nicht nachteilig sein

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„Glück gehabt“ – aus Sicht des Angeklagten allerdings nicht die richtige Formulierung – hat die Schwurgerichtskammer des LG Stade in einem Revisionsverfahren. Der BGH stellt im BGH, Beschl. v. 09.12.2014 – 3 StR 462/14 – einen zwar „klassischen Fehler“ fest, auf dem dann nach seiner Auffassung die Verurteilung dann aber nicht beruht hat. Es geht mal wieder um das leidige Thema „Wertung des späten Zeitpunkts der Einlassung des Angeklagten zu seinen Lasten“. Ein Dauerbrenner, der mich immer überrascht. Denn ich frage mich schon: Warum  begibt sich eigentlich eine Schwurgerichtskammer – immerhin mit drei Berufsrichtern besetzt – auf diese Schien. Weiß man es nicht besser oder ist es der Kammer egal, dass man „so gefährlich argumentiert“. Beides ist in meinen Augen gleich schlimm.

Der BGH erledigt den Fehler und die Beruhensfrage dann allerdings in einem Zusatz:

„Auch die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar hat das Landgericht seine Annahme, die entlastende Darstellung des Tathergangs durch den Angeklagten entspreche nicht der Wahrheit, auch darauf gestützt, dass dieser sich erst am vierten Tag der Hauptverhandlung im ersten Rechtszug und insbesondere nicht anlässlich einer vorangegangenen mündlichen Haftprüfung zur Sache eingelassen habe. Dies ist rechtsfehlerhaft, denn die dem Angeklagten zustehende Aussagefreiheit (vgl. § 136 StPO) verbietet es, aus dem Umstand, dass er sich nur spät im Verfahren erstmals zur Sache einlässt, ihm nachteilige Schlüsse zu ziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2014 – 3 StR 332/14). Jedoch schließt der Senat angesichts der Vielzahl der vom Landgericht vorrangig herangezogenen, objektiv gegen die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten sprechenden Beweisanzeichen aus, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht.“

Klassischer Fehler XI: Wann man sich eingelassen hat, geht das Gericht nichts an

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Taufrisch von der Homepage des BGH – gestern eingestellt – ist der BGH, Beschl. v. 28.05.2014 – 3 StR 196/14, mit einem Dauerbrenner/klassischen Fehler in der Beweiswürdigung, bei dem einen wundert, dass einer (erfahrenen) Strafkammer der Fehler unterläuft. Für die Strafkammer war nämlich bei der Würdigung der Einlassung des für die Tatzeit ein Alibi geltend machenden Angeklagten „von entscheidender Bedeutung„, dass er dieses erst zu einem sehr späten Zeitpunkt im Verfahren vorbrachte, was nicht nachvollziehbar sei.Dazu der BGH – verhältnismäßig kurz und zackig:

„Damit hat das Landgericht in unzulässiger Weise aus dem anfänglichen Schweigen des Angeklagten für diesen nachteilige Schlüsse gezogen. Diesem steht es frei, ob er sich zur Sache einlässt (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO). Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus der durchgehenden noch aus der anfänglichen Aussageverweigerung nachteilige Schlüsse gezogen werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 1965 – 5 StR 515/65, BGHSt 20, 281, 282 ff.; Beschluss vom 7. Dezember 1983 – 3 StR 484/83, StV 1984, 143).

Da dem Urteil entnommen werden kann, dass der Angeklagte erstmals in der Hauptverhandlung überhaupt Angaben machte, liegt auch kein Fall eines – der Würdigung grundsätzlich zugänglichen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2005 – 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147, 148) – teilweisen Schweigens vor, so dass der dargelegte Rechtsfehler auf die Sachrüge hin zu beachten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 1996 – 3 StR 248/96, NStZ 1997, 147). Auf diesem beruht das Urteil auch. Da die Kammer dem prozessualen Verhalten des Angeklagten ausdrücklich entscheidende Bedeutung beigemessen hat, kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer anderen Überzeugung bezüglich der Täterschaft des Angeklagten gelangt wäre, wenn es dessen Einlassung rechtsfehlerfrei gewürdigt hätte.

Ich frage mich bei solchen Sachen immer, warum so etwas beim Lesen der Urteilsgründe vor der Unterschrift nicht auffällt. In der Revision sind das i.d.R. dann „Selbstläufer“.

Mund auf, sonst wird die Geldbuße teuerer/zu hoch

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Bunt durcheinander geht es in der Frage, wie und ab wann müssen Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen getroffen werden, wenn eine Regelgeldbuße festgesetzt wird. Dazu hatte sich im vergangenen Jahr bereits der 3. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm zu Wort gemeldet (vgl. hier: Schlechte wirtschaftliche Verhältnisse: Arbeitsloser: Ja, Rentner. Nein?) und in meinen Augen recht großzügig entschieden, dass selbst bei einer Geldbuße von 1.000 € keine besonderen Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen erforderlich sein sollen, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese außergewöhnlich gut oder schlecht sind. In die Diskussion hat sich jetzt auch der 1. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 13.06.2013, 1 RBs 72/13 – eingeschaltet. Er sieht die Dinge moderater und reduziert die Grenze auf 500 €. Für mich übrigens immer noch zu hoch.

Allerdings: Entscheidend ist immer, dass der Betroffene zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen überhaupt Angaben macht. Lässt er sich zu seinem wirtschaftlichen Verhältnissen nicht ein, ist nach der Rechtsprechung von durchschnittlichen Verhältnissen auszugehen. Von daher ist es Sache des Betroffenen, sich jedenfalls zu diesem Punkt einzulassen, um die Regelwirkung zu durchbrechen, wenn seine wirtschaftlichen Verhältnis deutlich unterdurchschnittlich sind. Wegen der Regelwirkung liegt hierin, wie das OLG Hamm wohl zu Recht ausführt, wie bei der Frage der Unverhältnismäßigkeit eines Regelfahrverbots wegen beruflicher Folgen kein Verstoß gegen den „nemo tenetur“ – Grundsatz vor.

Also: Mund auf, sonst wird es teuerer.

 

 

Peinlich, peinlich für die Schwurgerichtskammer – Einlassung des Angeklagten übersehen

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Ebenso peinlich wie für die Verteidigerin im Verfahren BGH 1 StR 252/13 der BGH, Beschl. v.08.08.2013 – 1 StR 252/13 –war, ist m.E. für das Schwurgericht des LG Ulm der BGH, Beschl. v. 16.05.2013 – 1 StR 79/13. Das LG hat Angeklagten wegen dreifachen versuchten Mordes, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, u.a. zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten dringt mit einer Verfahrensrüge durch. Denn: Das Schwurgericht hat die Einlassung des Angeklagten übersehen:

„Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

In den Feststellungen hat die Schwurgerichtskammer aufgeführt: „Zum Sachverhalt hat der Angeklagte bis zuletzt keine Angaben gemacht“ (UA S. 19).

Demgegenüber macht die Revision, bestätigt vom Hauptverhandlungsprotokoll vom 15. Oktober 2012, unwidersprochen geltend, dass der Verteidiger an diesem Tag für den Angeklagten eine schriftlich vorbereitete Erklärung abgegeben hat, wobei sich der Angeklagte auf Nachfrage diese Erklärung ausdrücklich zu eigen gemacht hat.

In Überlegungen darüber, ob und wie es sich auf die Feststellungen ausgewirkt hätte, wenn diese – als Anlage zum Protokoll genommene – Erklärung, die sich vor allem auf die subjektive Tatseite, aber auch auf die Verhältnisse am Tatort bezieht, von der Strafkammer in ihre Erwägungen einbezogen worden wäre, tritt der Senat nicht ein, da ihm eine eigene Beweiswürdigung verwehrt ist.

Zack, das war es. Auch ohne Worte.

„Butter bei die Fische“ – wenn Dritte gefahren sein sollen, muss man schon konkret werden

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Da muss man als Betroffener/Verteidiger schon konkret werden, wenn behauptet werden soll bzw. wird, dass nicht der Betroffene sondern auch ein Anderer/Dritter zum Vorfallszeitpunkt gefahren sein soll. Allgemeine Behauptungen helfen da nicht und zwingen das AG auch nicht zu einer Auseinandersetzung mit dieser Möglichkeit. Das folgt aus einem Zusatz zum OLG Hamm, Beschl. v. 13.09.2012 – III 1 RBs 128/12:

„Soweit der Betroffene nunmehr nachträglich noch eine Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, ist – unabhängig von der Verfristung dieser Rüge – anzumerken, dass sich das Amtsgericht mit der Einlassung des Betroffenen, dass auch Dritte gefahren sein könnten, auseinandergesetzt hat. Einer breiten Auseinandersetzung mit dieser – angesichts der Dürftigkeit der Einlassung des Betroffenen hierzu – rein hypothetischen Möglichkeit bedurfte es nach §§ 261 StPO, 71 Abs. 1 OWiG nicht (vgl. nur: BGH Beschl. v. 09.10.2002 – 2 StR 297/02). Nach den – für den Senat maßgeblichen – Feststellungen im angefochtenen Urteil wurde eine konkrete Möglichkeit der Nutzung des Fahrzeugs des Betroffenen durch Dritte zum Tatzeitpunkt (etwa Entwendung des Fahrzeugs, andere Familienmitglieder) nicht behauptet. Der lediglich als „in Betracht kommend“ dargestellte Sohn des Betroffenen wurde vom Amtsgericht als Fahrer ausgeschlossen.

Also: „Butter bei die Fische“ – und die näheren Umstände mitteilen/vortragen.