Heute wird im Bundestag dann am Nachmittag das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz-und Strafverfahrensrecht“ beraten (vgl. hier die Tagesordnung). Eine BT-Drucksache dazu ist erst seit heute veröffentlicht (vgl. bislang die sog. „Formulieungshilfe der Bundesregierung… „. Es ist die – so weit ich das sehe – wortgleiche BT-Drucks. 19/18110 v. 24.03.2020.
Interessant ist hier, was sich im Strafverfahrensrecht tut. Und das ist der Artikel 3 der vorgeschlagenen Änderungen/Erweiterungen – oder wie immer man das nennen will:
„Artikel 3
Änderung des Einführungsgesetzes zur Strafprozessordnung
§ 10 des Einführungsgesetzes zur Strafprozessordnung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 312-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1724) geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:
„§ 10
Hemmung der Unterbrechungsfristen wegen Infektionsschutzmaßnahmen
(1) Unabhängig von der Dauer der Hauptverhandlung ist der Lauf der in §229 Ab-satz 1 und 2 der Strafprozessordnung genannten Unterbrechungsfristen gehemmt, solange die Hauptverhandlung aufgrund von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) nicht durchgeführt werden kann, längstens jedoch für zwei Monate; diese Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest.
(2) Absatz1 gilt entsprechend für die in §268 Absatz 3 Satz 2 der Strafprozessordnung genannte Frist zur Urteilsverkündung.“
Dazu dann die Begründung (s. Bl. 33 der BT-Drucksache):
„Zu § 10 (Hemmung der Unterbrechungsfristen wegen Infektionsschutzmaßnahmen)
Hauptverhandlungen im Strafverfahren dürfen gemäß § 229 Absatz 1 und 2 StPO derzeit bis zu drei Wochen, wenn sie vor der Unterbrechung länger als zehn Verhandlungstage angedauert haben, bis zu einem Monat unterbrochen werden. Urteile, die nicht am Schluss der Verhandlung verkündet werden, müssen gemäß § 268 Absatz 3 Satz 2 StPO spätestens am elften Tag danach verkündet werden. Bei Hauptverhandlungen, die länger als zehn Verhandlungstage angedauert haben, sind diese Fristen gemäß § 229 Absatz 3 Satz 1 auf-grund von Krankheit, Mutterschutz und Elternzeit bis zu zwei Monaten gehemmt und enden gemäß § 229 Absatz 3 Satz 2 frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung.
In § 10 StPOEG soll nunmehr ein zusätzlicher Hemmungstatbestand für die Unterbrechungsfristenbei strafgerichtlichen Hauptverhandlungen sowie für die Hemmung der Urteilsverkündungsfrist geschaffen werden, der auf die aktuellen Maßnahmen zur Vermeidung der Verbreitung der COVID-19-Pandemieabstellt. Damit soll verhindert werden, dass eine Hauptverhandlung aufgrund der aktuellen Einschränkungen des öffentlichen Lebens ausgesetzt und neu begonnen werden muss.
Zu Absatz 1
Der Tatbestand soll abweichend von § 229 Absatz 3 StPO unabhängig von der bisherigen Dauer der Hauptverhandlung gelten, also auch für solche Hauptverhandlungen, die im Zeitpunkt der Unterbrechung noch nicht zehn Verhandlungstage angedauert haben. Das ist aufgrund der besonderen Situation gerechtfertigt, die durch das bundesweit alle Gerichtsverfahren in gleicher Weise erfassende Pandemiegeschehen eingetreten ist.
Auch darüberhinaus ist der Tatbestand weit gefasst und erfasst sämtliche Gründe, die der ordnungsgemäßen Durchführung einer Hauptverhandlung aufgrund von Infektionsschutzmaßnahmen der Gerichte und Gesundheitsbehörden entgegenstehen.
Es ist folglich nicht erforderlich, dass der Angeklagte oder eine zur Urteilsfindung berufene Person selbst erkrankt ist oder sich in Quarantäne befindet. Der Fall der Krankheit ist bereits von § 229 Absatz 3 Satz1 Nummer1 StPO erfasst. Handelt es sich um eine festgestellte SARS-CoV-2-Infektion, liegt allerdings zugleich aufgrund der in einem solchen Fall zwingend erforderlichen Infektionsschutzmaßnahmen der neue Hemmungstatbestand des §10 Absatz 1 StPOEG vor mit der Folge, dass die Hemmung der Unterbrechung für jede Hauptverhandlung unabhängig von ihrer bisherigen Dauer eintritt. Der neue Hemmungstatbestand ist allerdings zugleich auch wesentlich weiter, weil auch Verdachtsfälle oder Krankheiten, die nicht getestet werden, ausreichen, solange eine Person gehalten ist, sich deshalb in häusliche Quarantäne zu begeben. Darüber hinaus genügt auch ein eingeschränkter Gerichtsbetrieb oder die Beteiligung zur Risikogruppe gehörender Personen, wie beispielsweise ältere Personen, Personen mit Grunderkrankungen oder einem unterdrückten Immunsystem, für die Annahme von Schutzmaßnahmen, die eine weitere Durchführung der Hauptverhandlung verhindern. Ein Hindernis für die Durchführung der Hauptverhandlung liegt auch vor, wenn es nur mittelbar auf gerichtlichen oder gesundheitsbehördlichen Schutzmaßnahmen beruht.
Das Gericht prüft – wie in den Fällen des § 229 Absatz 3 Satz 1 StPO – grundsätzlich im Freibeweisverfahren, ob, ab wann und bis wann der Hemmungstatbestand vorliegt. Deshalb muss das Gericht bei der Anwendung des § 10 StPOEG künftig im Freibeweisverfahren prüfen, ob Infektionsschutzmaßnahmenerforderlich sind, welche die Durchführung der Hauptverhandlung unmöglich machen. Die Unmöglichkeit der Durchführung der Hauptverhandlung kann auf Anordnungen und Empfehlungen der Gerichtsverwaltung oder der Gesundheitsbehörden beruhen, sie kann sich daraus ergeben, dass ein Gericht auf Notbetrieb geschaltet hat, die Abstände zwischen den Verfahrensbeteiligten nicht eingehalten werden können oder sich Personen in häuslicher Quarantäne befinden oder bei Durchführung der Verhandlung potentiell gefährdet werden.
§ 10 Absatz1 Halbsatz 2 und Satz 2 StPOEG entspricht § 229 Absatz 3 Satz 2 und 3 StPO. Eine Hauptverhandlung kann damit auch in den Fällen des § 10 StPOEG für maximal drei Monate und zehn Tage unterbrochen werden, wobei das Gericht Beginn und Ende der Hemmung durch unanfechtbaren Beschluss feststellt.
Zu Absatz 2
Absatz 2 ordnet an, dass der in Absatz 1 geregelte Hemmungstatbestand auch für die Hemmung der in § 268 Absatz3 Satz2 StPO genannten Frist zur Urteilsverkündung gilt. § 268 Absatz 3 Satz 3 StPO verweist bereits auf § 229 Absatz3 und ordnet die entsprechende Geltung der dort geregelten Hemmungsvorschriften für die Urteilsverkündungsfrist an. Gleiches soll für den Hemmungstatbestand des § 10 Absatz1 StPOEG gelten.“
Der Hemmungstatbestand in § 10 StPOEG soll auf ein Jahr befristet werden. Artikel 3 soll am Tag nach der Verkündung in Kraft treten, Artikel 4, der § 10 StPOEG wieder aufhebt, ein Jahr nach dem Tag der Verkündung.
Ich gehe davon aus, dass das heute Nachmittag so verabschiedet wird und es dann auch so durch den Bundesrat geht, der ja am 25. und 27.03.2020 tagt. Dann wird verkündet. Ich denke, je nach der Verkündung im BGBl. werden wir die Neuregelung dann spätestens Anfang der kommenden Woche in Kraft haben.
Ach so: „wobei das Gericht Beginn und Ende der Hemmung durch unanfechtbaren Beschluss feststellt.“ Ich lenke den Blick auf § 336 Satz 2 StPO.
Edit: Die Änderungen sind dann verabschiedet worden, waren am 27.03.2020 im Bundesrat und sind noch am Abend des 27.03.2020 im BGBl. verkündet worden. Damit sind Sie seit dem 28.03.2020 in Kraft. Sie gelten, da es sich um Verfahrensrecht handelt, auch in bereits laufenden Verfahren.