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Etwas (zu) schnell war das OLG Dresden mit der Verwerfung, oder: Das BVerfG richtet es…..

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Im BVerfG, Beschl. v. 16.12.2016 – 2 BvR 2422/16 – geht es zwar um die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des OLG Dresden mangels Rechtswegerschöpfung. Das BVerfG macht darin aber auch Ausführungen zur möglichen Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist bei einer fehlerhaften Revisionsbegründung aufgrund von Versäumnissen des Rechtspflegers, bei dem die Revisiosnbegründung zur Protokoll gegeben worden ist (§ 345 Abs. 2 StPO). Das OLG hatte die zu Protokoll der Geschäftsstelle begründete Revision des Beschwerdeführers allein deswegen als unzulässig verworfen, weil sie vom zuständigen Rechtspfleger nicht in einer den Anforderungen der fachgerichtlichen Rechtsprechung genügenden Weise (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 17.12.2015 – 4 StR 483/15 und dazu Eigene Revisionsbegründung des „Reichsbürgers“: Auch da ist der UdG nicht nur Schreibkraft).

Dazu das BVerfG:

„In diesen Fällen gebietet es das Grundrecht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG), dass der Beschwerdeführer zuvor die Möglichkeit erhält, über das Verfahren der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eine Korrektur zu erreichen, falls die den förmlichen Anforderungen des § 345 Abs. 2, § 344 Abs. 2 StPO nicht entsprechende Begründung der Revision auf ein Versäumnis des Rechtspflegers und nicht auf ein Verschulden des Beschwerdeführers zurückzuführen sein sollte (vgl. BVerfGK 8, 303 <304>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2006 – 2 BvR 1612/06 -, juris, Rn. 6; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Oktober 2012 – 2 BvR 1095/12 -, NJW 2013, S. 446 <447>; vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. Mai 2006 – 2 StR 64/06 -, NStZ 2006, S. 585). Das ist nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Verfassungsbeschwerde jedenfalls nicht ausgeschlossen, auch wenn – worauf das Oberlandesgericht zutreffend hinweist – das Protokoll mit der Erklärung des Rechtspflegers schließt, der Beschwerdeführer habe auf Aufnahme des Antrags in der vorliegenden Form bestanden. Über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung ist der Betroffene gegebenenfalls zu belehren (vgl. BVerfGK 8, 303 <304>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2006 – 2 BvR 1612/06 -, juris, Rn. 9; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Oktober 2012 – 2 BvR 1095/12 -, NJW 2013, S. 446 <447>). Dies ist hier – soweit ersichtlich – unterblieben.

Eine Wiedereinsetzung scheidet dann auch nicht wegen Fristablaufs aus. Soweit der Beschwerdeführer die Frist zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags versäumt hat und nicht entsprechend belehrt war, kommt zumindest eine Wiedereinsetzung auch in diese Frist in Betracht (vgl. BVerfGK 5, 151 <154 f.>; 8, 303 <304>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2006 – 2 BvR 1612/06 -, juris, Rn. 9; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Oktober 2012 – 2 BvR 1095/12 -, NJW 2013, S. 446 <447>).“

„Richtig“ übirgens der OLG Braunschweig, Beschl. v. 26.02.2016 – 26.02.2016 – 1 Ss 6/16 und dazu: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – Hilfe vom OLG.

Nacktkontrollen im Strafvollzug, oder: Ausnahmen müssen sein

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Ich habe schon länger nicht mehr über Entscheidungen zum/aus dem Strafvollzug berichtet. Das will ich dann heute nachholen. Ich eröffne den Reigen mit dem schon etewas älteren BVerfG, Beschl. v. 05.11.2016 – 2 BvR 6/16. Es geht um die Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen, die sich gegen dessen Durchsuchung vor dem Gang zu einem Besuch richtete. Der Strafgefangene musste sich dafür vollständig entkleiden, die körperliche Durchsuchung umfasste auch eine Inspektion der Körperöffnungen. Grundlage der Durchsuchung war eine gemäß Art. 91 Abs. 2 Satz 1 BayStVollzG erlassene Durchsuchungsanordnung, wonach jeder fünfte Gefangene und Sicherungsverwahrte vor der Vorführung zum Besuch zu durchsuchen sei. Der Strafgefangene hatte sich dagegen gewehrt, mit seinen Rechtsmitteln aber weder beim LG noch beim OLG Erfolg. Erst das BVerfG hat dem – zumindest vorerst – Einhalt geboten. Dazu aus der PM des BVerfG:

„1. Der Beschluss des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG).

a) Durchsuchungen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellen einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar. Dies gilt in besonderem Maße für Durchsuchungen, die mit einer Inspizierung von normalerweise verdeckten Körperöffnungen verbunden sind. Diese Wertung liegt auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zugrunde, die bei der Auslegung der Grundrechte des Grundgesetzes zu berücksichtigen ist. Mit Entkleidungen und der Inspektion von Körperöffnungen verbundene Durchsuchungen können durch die Erfordernisse der Sicherheit und Ordnung der Haftanstalt gerechtfertigt sein. Insofern erlaubt Art. 91 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BayStVollzG im Einzelfall die mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung von Gefangenen auf Anordnung des Anstaltsleiters. Die Definition des „Einzelfalls“ wird sehr weit gefasst, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, solange nicht fast alle Gefangenen von der Anordnung betroffen sind. Demnach ist für eine Einzelfallanordnung ausreichend, dass sie durch Ort, Zeit, Art und Umfang der Maßnahme im Einzelnen so bestimmt abgegrenzt werden kann, dass dadurch für jeden denkbaren Einzelfall erkennbar ist, worin die Maßnahme im Einzelnen besteht und welcher Gefangene ihr unterworfen sein soll.

b) Vor diesem Hintergrund ist das Landgericht vertretbar davon ausgegangen, bei der Durchsuchungsanordnung vom 17. Mai 2015 handele es sich um eine Einzelfallanordnung im Sinne des Art. 91 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BayStVollzG. Allerdings verletzt die Anordnung der Durchsuchung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers, weil sie keine Abweichungen zulässt und daher dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht ausreichend Rechnung trägt. Mit Blick auf den weiten Begriff des „Einzelfalls“ hätte die Verfügung der Anstaltsleitung erkennen lassen müssen, dass von der Anordnung der Durchsuchung jedes fünften Gefangenen ausnahmsweise abgewichen werden kann. Um einen gerechten Ausgleich zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, der Wahrung der Intimsphäre des Gefangenen und dem Sicherheitsinteresse der Vollzugsanstalt zu erreichen, hätte den die Durchsuchungsanordnung vollstreckenden Vollzugsbeamten durch den Wortlaut der Anordnung zumindest die Möglichkeit belassen werden müssen, von ihr abzuweichen, wenn die Gefahr des Missbrauchs des Besuchs fernliegt.

c) Die Entscheidung der Frage, ob die Justizvollzugsanstalt vorliegend zu Gunsten des Beschwerdeführers von der getroffenen Anordnung hätte abweichen müssen, da die Gefahr eines Missbrauchs des Besuchs durch den Beschwerdeführer fernliegend war, obliegt den Fachgerichten. Dies ist insbesondere mit Blick darauf, dass der Beschwerdeführer sich bei dem Empfang von Besuchen in der Vergangenheit bewährt hatte, jedenfalls nicht ausgeschlossen.“

Dazu passt dann ganz gut der OLG Hamm, Beschl. v. 03.11.2016 – 1 Vollz (Ws) 385/16.

Die Bayern müssen bei uns bleiben, ob sie wollen oder nicht

entnommen wikimedia.org Author Freistaat Bayern

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Ein bisschen aus dem Rahmen der üblichen Berichterstattung fällt dieses Posting zum BVerfG, Beschl. v. 16.12.2016 – 2 BvR 349/16. Es ging um die Verfassungsbeschwerde eines bayerischen Bürgers, der die Zulassung einer Volksabstimmung  in Bayern über den Austritt des Bundeslandes Bayern aus der Bundesrepublik Deutschland verlangt hatte. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen und dem Beschwerdeführer kurz/lapidar mitgeteilt:

In der Bundesrepublik Deutschland als auf der verfassungsgebenden Gewalt des deutschen Volkes beruhendem Nationalstaat sind die Länder nicht „Herren des Grundgesetzes“. Für Sezessionsbestrebungen einzelner Länder ist unter dem Grundgesetz daher kein Raum. Sie verstoßen gegen die verfassungsmäßige Ordnung.

Also: Die Bayern müssen bei uns bleiben. Man kann nur spekulieren, ob sich über den Beschluss alle gefreut haben. Ich könnte mir vorstellen, der ein oder andere aus/in München wäre vielleicht gern gegangen, der ein oder andere – vielleicht auch die ein oder andere 🙂 – wäre die Bayern vielleicht auch ganz gern los geworden. Ist aber nicht. Ich überlege gerade: Wäre Bayern bei einem Austritt aus der BRD dann eigentlich ein „sicheres Herkunftsland“ ? 🙂

 

Die Verwertung des Schweigens zum Nachteil, oder: Andere Länder, andere Sitten

entnommen openclipart.org

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Auslieferungsrecht ist im Blog insgesamt ein wenig (zu) kurz gekommen. Heute will ich dann aber doch mal zwei Entscheidungen vorstellen, die sich mit diesen Fragen befassen. Die erste ist der BVerfG, Beschl. v.  06.09.2016 – 2 BvR 890/16. In ihm geht es um die verfassungsrechtliche Überprüfung einer Auslieferungsentscheidung des KG, durch die die Auslieferung des Verfolgten in das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland zum Zwecke der Strafverfolgung als zulässig angesehen worden ist. Der Verfolgte hatte seine  Auslieferung als unzulässig angesehen, weil die Selbstbelastungsfreiheit im Prozessrecht des Vereinigten Königreichs nicht in demselben Umfang gewährleistet ist, wie dies von Verfassungs wegen im deutschen Strafverfahren der Fall ist. Das BVerfG hat das anders gesehen. ich nehme, weil sie sehr schön den Sachverhalt wiedergibt und die Entscheidungsgründe referiert – entgegen meiner sonstigen Übung mal die PM des BVerfG, aus der ich zitiere:

Der Beschwerdeführer ist kroatischer und irischer Staatsangehöriger und wurde am 04.02.2016 aufgrund eines Europäischen Haftbefehls in Berlin festgenommen. Dem Europäischen Haftbefehl liegt ein Haftbefehl des Central Hertfordshire Magistrates‘ Court zugrunde, worin dem Beschwerdeführer unter anderem zur Last gelegt wird, am 26.04.1993 in Hertfordshire einen Mann erschossen zu haben. Das Kammergericht erklärte mit dem angegriffenen Beschluss die Auslieferung des Beschwerdeführers an das Vereinigte Königreich für zulässig. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde und rügt vornehmlich, dass im Falle einer Auslieferung an das Vereinigte Königreich § 35 Criminal Justice and Public Order Act 1994 zur Anwendung kommen könne. Diese Vorschrift eröffne einem Gericht oder einer Jury die Möglichkeit, aus dem Schweigen des Angeklagten Schlüsse auf seine Schuld zu ziehen. Dies stehe im Gegensatz zu der Stellung des Schweigerechts des Angeklagten in der deutschen Rechtsordnung und berühre die Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland. Auf Antrag des Beschwerdeführers hat das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung erlassen und die Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden des Vereinigten Königreichs bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde einstweilen ausgesetzt. Dabei ließ die Kammer offen, ob die Verwertung des Schweigens des Angeklagten zu dessen Lasten tatsächlich eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG darstelle, und wies darauf hin, dass dies im Hauptsacheverfahren geklärt werden müsse. Die gebotene Folgenabwägung führe aber zum Erlass der einstweiligen Anordnung. Denn erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, so entstünden dem Beschwerdeführer durch die Übergabe an die Behörden des Vereinigten Königreichs erhebliche und möglicherweise nicht wiedergutzumachende Nachteile. Die Verzögerung der Übergabe des Beschwerdeführers wiege demgegenüber weniger schwer.

Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet. Die angegriffene Entscheidung verstößt nicht gegen die in Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG für integrationsfest erklärten Grundsätze der Verfassung. Einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ist im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich besonderes Vertrauen entgegenzubringen. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens wird jedoch dann erschüttert, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Falle einer Auslieferung die unverzichtbaren Anforderungen an den Schutz der Menschenwürde nicht eingehalten würden. Stellt sich heraus, dass der vom Grundgesetz geforderte Mindeststandard vom ersuchenden Mitgliedstaat nicht eingehalten wird, darf das zuständige Gericht die Auslieferung nicht für zulässig erklären (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.12.2015, Az.: 2 BvR 2735/14).

Der durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf ein faires Verfahren gewährleistete Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit umfasst das Recht des Beschuldigten auf Aussage- und Entschließungsfreiheit im Strafverfahren. Dazu gehört, dass im Rahmen des Strafverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen. Ein Zwang zur Selbstbezichtigung berührt die Würde des Menschen, dessen Aussage gegen ihn selbst verwendet wird. Dementsprechend gehört das Schweigerecht des Beschuldigten im Strafverfahren seit Langem zu den anerkannten Grundsätzen des deutschen Strafprozesses. Steht dem Beschuldigten ein Schweigerecht zu, folgt hieraus auch, dass sein Schweigen jedenfalls dann nicht als belastendes Indiz gegen ihn verwendet werden darf, wenn er die Einlassung zur Sache vollständig verweigert hat, da ihn die Verwertung seines Schweigens mittelbar einem unzulässigen psychischen Aussagezwang aussetzte; anderenfalls würde das aus der Menschenwürde hergeleitete Schweigerecht des Beschuldigten entwertet.

Daraus, dass der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit in der Menschenwürde wurzelt, folgt allerdings nicht, dass jede verfassungsrechtlich gewährleistete Ausprägung dieses Grundsatzes auch unmittelbar dem Schutz von Art. 1 GG unterfiele. Nur wenn der unmittelbar zur Menschenwürde gehörende Kerngehalt der Selbstbelastungsfreiheit berührt ist, liegt auch eine Verletzung von Art. 1 GG vor. Dies wäre etwa der Fall, wenn ein Beschuldigter durch Zwangsmittel dazu angehalten würde, eine selbstbelastende Aussage zu tätigen. Dagegen folgt unmittelbar aus Art. 1 GG nicht, dass ein Schweigen des Beschuldigten unter keinen Umständen einer Beweiswürdigung unterzogen und gegebenenfalls zu seinem Nachteil verwendet werden darf. Eine Auslieferung auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls ist somit nicht schon dann unzulässig, wenn die Selbstbelastungsfreiheit im Prozessrecht des ersuchenden Staates nicht in demselben Umfang gewährleistet ist, wie dies von Verfassungs wegen im deutschen Strafverfahren der Fall ist. Vielmehr ist die Auslieferung erst dann unzulässig, wenn selbst der dem Schutz von Art. 1 GG unterfallende Kernbereich der Selbstbelastungsfreiheit nicht mehr gewährleistet ist.

Gemessen an diesen Maßstäben genügt der angegriffene Beschluss des Kammergerichts den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Zwar wird die Selbstbelastungsfreiheit durch den Criminal Justice and Public Order Act 1994 eingeschränkt. Die Einschränkung berührt jedoch nicht den Kernbereich der Selbstbelastungsfreiheit und lässt daher keine Verletzung der unantastbaren Menschenwürde besorgen. Insbesondere hat der Beschuldigte auch unter dem Criminal Justice and Public Order Act 1994 das Recht zu schweigen. Zwar unterliegt sein Schweigen unter Umständen der Beweiswürdigung und kann zu seinem Nachteil verwendet werden, wodurch mittelbar ein Aussagedruck entstehen kann. Dies wiegt jedoch nicht so schwer wie ein Zwang zu einer Aussage oder gar zu einer Selbstbezichtigung.

Darüber hinaus kann das Schweigen nur neben weiteren Beweismitteln im Rahmen einer Gesamtwürdigung zur Begründung einer Verurteilung herangezogen werden. Auch wenn die Regelung gleichwohl dazu führen kann, dass sich der Beschwerdeführer zu einer Aussage gedrängt fühlt, muss er doch keine Verurteilung allein aufgrund seines Schweigens fürchten. Vielmehr kann er unter Berücksichtigung der Beweislage abwägen, ob er eine Aussage tätigen möchte. Ein derartiger Aussagedruck, wie er unter Umständen auch im deutschen Strafprozess in bestimmten Konstellationen des sogenannten Teilschweigens entstehen kann, verletzt noch nicht die Menschenwürde.

Schließlich entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass es nicht von vornherein einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK darstellt, wenn das Schweigen des Beschuldigten zu dessen Nachteil verwertet wird, sondern dass stets eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen werden muss. Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs bekräftigt die Feststellung, dass eine Anwendung von § 35 Criminal Justice and Public Order Act 1994 zumindest keine Verletzung der unantastbaren Menschenwürde darstellt.“

BVerfG: Im Klageerzwingungsverfahren es bitte nicht mit der Begründung übertreiben

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Im dritten Beitrag zu Entscheidungen des BVerfG (vgl. zum ersten Rechtsbeugung in Erfurt, oder: Wenn der OWi-Richter sauer ist…. und zum zweiten 4 x innerhalb von 10 Tagen BVerfG zur Durchsuchung – da liegt wohl was im Argen) geht es um das sog. Klageerzwingungsverfahren (§ 172 StPO). Dazu muss das das BVerfG auch immer wieder Stellung nehmen, weil nämlich hinsichtlich der Anforderungen an die Zulässigkeit eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung die Hürden hoch liegen, m.E. fast noch höher als bei der Begründung der Verfahrensrüge bei der Revision (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Und das BVerfG hat schon mehrfach beanstandet, dass die Hürden von den OLG zu hoch gelegt werden. Mit den Fragen setzt sich dann jetzt im BVerfG, Beschl. v. 27.07.2016 – 2 BvR 2040/15 – das BVerfG noch einmal auseinander. Mein Fazit: Die OLG dürfen nicht zu streng sein. Im vorgestellten Fall hat es für das OLG Celle gerade noch einmal gereicht. Bedenken hatte das BVerfG, zur Aufhebung haben sie aber nicht geführt:

bb) Zu den tragenden Erwägungen der angegriffenen Entscheidung gehört der Umstand, dass die Antragsschrift eine den Beschuldigten entlastende Einlassung des Zeugen S. nicht wiedergegeben habe. Dies ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Allerdings begegnet der vom Oberlandesgericht insofern angelegte einfachgesetzliche Maßstab mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlichen Bedenken.

(1) Der Zweck des Klageerzwingungsverfahrens darf nicht darauf verkürzt werden, den Oberlandesgerichten eine bloße Aufsicht über die Richtigkeit der staatsanwaltschaftlichen Einstellungsbescheide zu überantworten. Für die gerichtliche Kontrolle im Klageerzwingungsverfahren kommt es vielmehr darauf an, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung aus der Sicht des Oberlandesgerichts genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage besteht.

Verlangt das Gericht für die Zulässigkeit des Antrags eine Wiedergabe der Ermittlungsergebnisse auch dann, wenn diese für die in den Bescheiden der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft dokumentierten Entscheidungen keine Rolle spielen und sich die Antragsschrift auch im Übrigen nicht auf die Ermittlungsakten bezieht, so verfehlt dies die norminternen Direktiven der Rechtsschutzgarantie in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise.

Im Lichte von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG interpretiert, gestattet § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO allerdings, dass die Oberlandesgerichte in die Lage versetzt werden, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen. Um sie vor einer Überlastung durch unsachgemäße und unsubstantiierte Anträge zu bewahren, kann für einen zulässigen Antrag gefordert werden, dass die Antragsschrift in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für ihre Unrichtigkeit wiedergibt sowie eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthält, der bei Unterstellung eines hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage rechtfertigt. Entlastende Umstände, auf die sich auch Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft nicht stützen und deren Angabe nicht erforderlich ist, um das Ermittlungsverfahren in groben Zügen darzustellen, sind für eine Schlüssigkeitsprüfung insoweit nicht unentbehrlich.

Der wesentliche Inhalt eines Beweismittels, der in den staatsanwaltschaftlichen Bescheiden keine Rolle spielt, muss nur dann dargestellt werden, wenn die Antragsschrift auf die Ermittlungsakten zurückgreift, insbesondere weil sie auf diesem Weg das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts aufzeigen möchte. In diesem Fall kann eine selektive Wiedergabe dem Zweck des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO zuwiderlaufen. Gelingt es der Antragsschrift aber, die Unrichtigkeit der staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen darzustellen und auf der Grundlage der dort verarbeiteten Ermittlungsergebnisse schlüssig das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts zu belegen, ist diesem Zweck Genüge getan. Anders als das Oberlandesgericht meint, ist die Frage, ob aus seiner Sicht genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage besteht, keine Voraussetzung für den Zugang des Antragstellers zu Gericht, sondern für die Anklageerhebung (§§ 170, 174 StPO). Dass sich aus den Ermittlungen insgesamt ein hinreichender Tatverdacht ergibt, darf daher nicht zu einer Voraussetzung der Zulässigkeit des Antrags gemäß § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO gemacht werden.

(2) Die Anwendung von § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO im vorliegenden Fall genügt vorliegend jedoch den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die Beschwerdeführerin hatte sich dazu entschieden, die Einlassungen des Beschuldigten und der Zeugen in der Antragsschrift wiederzugeben, und dabei umfangreich auf Inhalte der Ermittlungsakten zurückgegriffen. Sie war daher gehalten, zumindest den wesentlichen Inhalt der Beweismittel mitzuteilen, um eine nur selektive und dadurch gegebenenfalls sinnentstellende Darstellung der Ermittlungsergebnisse zu verhindern.

Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung des Oberlandesgerichts, die Antragsschrift gebe insoweit nicht den wesentlichen Inhalt der Ermittlungsergebnisse wieder, verfassungsrechtlich noch vertretbar. Die Antragsschrift gibt unter anderem die Angaben des Zeugen S. wieder, der als einziger etwas darüber aussagen konnte, ob der Geschädigte das Messer bei Abgabe des zweiten Schusses noch in der Hand hielt. Bei der Wiedergabe dieser Aussage hat sie die vom Oberlandesgericht hervorgehobenen Passagen jedoch ausgelassen, obwohl für die Beschwerdeführerin Anlass bestanden hätte, insofern vollständig vorzutragen. Der Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft schildert insoweit, dass der Beschuldigte der Auffassung gewesen sei, schießen zu müssen, weil der Geschädigte das noch unbeschädigte Messer in der erhobenen rechten Hand gehalten und so den Eindruck erweckt habe, angreifen zu wollen. Der Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft greift die Aussage des Zeugen S. auf, wonach das Messer in der Hand des Geschädigten unbeschädigt gewesen sei. Dagegen behauptet die Antragsschrift, zusätzliche Ermittlungen hätten zeigen können, dass das Messer durch den ersten Schuss bereits zerstört worden sei und der Geschädigte zum Zeitpunkt des zweiten Schusses das Messer nicht mehr in der Hand gehalten habe. Dieser Umstand ist maßgeblich für die rechtliche Erwägung, dass die Tötung des Geschädigten durch Notwehr gerechtfertigt war. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, dabei handele es sich um einen den Beschuldigten entlastenden Umstand von solchem Gewicht, dass er neben den diesen belastenden Aspekten nicht habe verschwiegen werden dürfen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Solche zeigt auch die Beschwerdeführerin nicht auf.“