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Befangenheit im Kindschaftsverfahren, oder: Das Kindschaftsverfahren hat (immer) Vorrang

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Die zweite Entscheidung, der OLG Koblenz, Beschl. v. 06.08.2021 – 7 WF 513/21 – behandelt die Frage der Besorgnis der Befangenheit wegen Ablehnung eines Terminsverlegungsantrags in einem Kindschaftsverfahren.

Ergangen ist er in einem Sorgerechtsverfahren. In dem  terminierte die abgelehnte Richterin die Sache am 11.03.2021 auf den 12.05.2021. Den von dem Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter unter Hinweis auf von ihm am selben Tag wahrzunehmende Musterverfahren vor dem VGH Baden-Württemberg am 22.03.2021 gestellten Verlegungsantrag wies die abgelehnte Richterin mit Beschluss vom 06.04.2021 unter Hinweis auf das Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 Abs. 2 FamFG zurück.

Darauf lehnte die Kindesmutter die abgelehnte Richterin mit auf den 28.04.2021 datiertem Schriftsatz als befangen ab. Zur Begründung führte sie aus, in Anbetracht des seitens der abgelehnten Richterin nicht mit übermäßiger Dringlichkeit behandelten Verfahrens lasse die Ablehnung des Terminsverlegungsantrags befürchten, dass ihre – der Mutter – Position für nicht relevant gehalten und die Entscheidung unabhängig von dieser getroffen werden solle. Durch dieses Vorgehen werde überdies ihr Recht auf den Anwalt ihres Vertrauens verletzt.

Nach Eingang des Befangenheitsgesuchs am 07.05.2021 hat die abgelehnte Richterin den Termin vom 12.05.2021 mit Verfügung vom 11.05.2021 aufgehoben und die Sache der zuständigen Richterin zur Entscheidung über das Befangenheitsgesuch zugeleitet. Diese hat die abgelehnte Richterin mit Verfügung vom 14.05.2021 zur Abgabe einer dienstlichen Stellungnahme aufgefordert. Dem ist die abgelehnte Richterin unter dem 28.05.2021 nachgekommen.

Ohne die dienstliche Stellungnahme den Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu bringen, hat das Amtsgericht das Ablehnungsgesuch sodann mit Beschluss vom 20.06.2021 als unbegründet zu-rückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die beanstandeten verfahrensleitenden Maßnahmen erschienen nicht als willkürlich. Insbesondere werde durch sie aus objektiver Sicht nicht der Anschein einer Voreingenommenheit oder sachwidrigen Bevorzugung einer Partei begründet. Die am selben Tag verfügte Hinausgabe des Beschlusses vom 20.06.2021 an die Verfahrensbeteiligten ist erst am 09.07.2021 erledigt worden.

Die sofortige Beschwerde, mit der u.a. geltend geamcht worden ist, dass auch für einen verständigen Verfahrensbeteiligten nicht nachvollziehbar sei, dass in einem vier Monate „vor sich hin dümpelnden“ Verfahren die Terminsstunde nicht verschoben werden könne, hatte beim OLG keinen Erfolg:

„Insoweit ist, worauf die angefochtene Entscheidung zutreffend abgehoben hat, zunächst darauf hinzuweisen, dass die Richterablehnung grundsätzlich nicht auf eine fehlerhafte Verfahrensweise oder eine fehlerhafte Rechtsanwendung gestützt werden kann (vgl. OLG Hamm, FamRZ 2018, 838 m. w. N.). Das Ablehnungsverfahren stellt nämlich im Gegensatz zum Rechtsmittelverfahren kein Instrument zur Verfahrens- und Fehlerkontrolle dar. Vielmehr geht es im Ablehnungsverfahren alleine um die behauptete Parteilichkeit des abgelehnten Richters und nicht um die Überprüfung der Richtigkeit des von ihm eingeschlagenen Verfahrens und der inhaltlichen Richtigkeit der von ihm getroffenen Entscheidungen. Diese ist ausschließlich dem Rechtsmittelgericht vorbehalten, während über das Ablehnungsgesuch (zunächst) in der gleichen Instanz zu entscheiden ist.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist lediglich dann gerechtfertigt, wenn sich die Gestaltung des Verfahrens durch den abgelehnten Richter so weit von den anerkannten rechtlichen Grundsätzen entfernt, dass sie aus Sicht eines objektiven Beteiligten nicht mehr verständlich und offen-sichtlich unhaltbar erscheint und dadurch den Eindruck einer willkürlichen oder jedenfalls sachfremden Einstellung des Richters erweckt. Dies kann insbesondere bei einer nachhaltigen Verletzung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör der Fall sein (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Auflage, § 42 Rn. 23 ff.; OLG Hamm a. a. O.).

Diese Voraussetzungen liegen im zu entscheidenden Fall nicht vor: Zwar hat die abgelehnte Richterin, was die Kindesmutter zu Recht beanstandet, nach Einleitung des vorliegenden Verfah-rens am 13.01.2021 mit der Terminierung auf den 12.05.2021 mit Verfügung vom 22.03.2021 gegen das Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 FamFG verstoßen. Dieses hat in Absatz 2 S. 2 der Bestimmung seinen Ausdruck auch darin gefunden, dass der Termin spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens stattfinden soll.

Hierdurch wird aber auch in Zusammenschau mit der Zurückweisung des Terminsverlegungsantrags vom 22.03.2021 mit Beschluss vom 06.04.2021 ohne Hinzutreten weiterer Umstände bei objektiver Betrachtung nicht der Eindruck einer willkürlichen oder jedenfalls sachfremden Einstellung gegenüber der Kindesmutter erweckt. Zwar verwundert die Zurückweisung des Terminsverlegungsantrags der Kindesmutter vom 22.03.2021 in Anbetracht des zunächst nicht gerade durch eine „straffe Verfahrensführung“ gekennzeichneten Vorgehens der abgelehnten Richterin, die die Sache entgegen § 155 Abs. 2 S. 2 FamFG auf einen fast vier Monate nach der Verfahrenseinleitung liegenden Zeitpunkt terminiert hat. Andererseits kann ihr dessen ungeachtet nicht im Sinne einer fehlerhaften Verfahrensführung zum Vorwurf gemacht werden, dass sie den Vorgaben des Gesetzes entsprechend die Verlegung des schließlich für den 12.05.2021 bestimmten Termins abgelehnt hat: Nach § 155 Abs. 2 S. 4 FamFG ist eine Terminsverlegung in Kindschaftssachen nur aus zwingenden Gründen zulässig. Solche werden allerdings, wie die abgelehnte Richterin in dem Beschluss vom 06.04.2021 zutreffend ausgeführt hat, nicht durch das Vorliegen einer Terminskollision für den Verfahrensbevollmächtigten in einem anderen Verfahren begründet, sofern es sich bei diesen nicht ebenfalls um eine der in § 155 Abs. 1 FamFG aufgeführten Angelegenheiten handelt. Will der Verfahrensbevollmächtigte eines Beteiligten trotz des Vorrang- und Beschleunigungsgebots des § 155 FamFG eine Terminsverlegung wegen anderer Verfahren erreichen, muss er diese genau bezeichnen und ihre vorrangige Wichtigkeit darstellen (vgl. OLG Brandenburg NZFam 2019, 187). Handelt es sich dabei nicht um einen Fall des § 155 FamFG, muss er in der anderen Sache einen Verlegungsantrag stellen, dem das andere Gericht wegen des Vorrangs der Kindschaftssache stattzugeben hat (vgl. Bundestag-Drucksache 16/6308, 236).

Entspricht das Vorgehen der abgelehnten Richterin im Zusammenhang mit der Behandlung des Terminsverlegungsantrags vom 22.03.2021 danach dem Gesetz, kann hieraus kein Ablehnungsgrund hergeleitet werden, auch wenn sie das Verfahren zuvor nicht mit dem erforderlichen Nachdruck betrieben hat. Da die kollidierenden Verhandlungstermine vor dem VGH Baden-Württemberg auf Antrag ihres Verfahrensbevollmächtigten auch von diesem Gericht aufgrund des Vorrangs der vorliegenden Kindschaftssache hätten verlegt werden müssen, kann aus dem Umstand, dass die abgelehnte Richterin den Verlegungsantrag ihrerseits abschlägig beschieden hat, entgegen der von der Kindesmutter vertretenen Auffassung auch nicht hergeleitet werden, sie habe beabsichtigt, ihr den Anwalt ihres Vertrauens vorzuenthalten und den Hauptsachetermin nicht mehr ergebnisoffen zu führen. Den Eindruck einer insoweit bereits gefallenen Entscheidung kann sie dabei insbesondere auch nicht daraus herleiten, dass in dem vorangegangenen Eilverfahren der regelmäßige Aufenthalt eines Kindes zum Kindesvater wechseln sollte. Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 13.01.2021 in diesem Verfahren ist eine derartige gerichtliche Anordnung nämlich gerade nicht ergangen: Das Anordnungsverfahren wurde vielmehr nach einer Einigung des Beteiligten über den Wechsel des Kindes zum Kindesvater eingestellt.

Der Eindruck der Befangenheit der abgelehnten Richterin ergibt sich aus objektiver Sicht auch nicht daraus, dass diese ihre mit Verfügung vom 04.05.2021 angeforderte dienstliche Stellungnahme erst unter dem 28.05.2021, und damit wieder mit dem Vorrang- und Beschleunigungsgebots des § 155 FamFG kaum in Einklang zu bringen, abgegeben hat. Rückschlüsse auf eine Voreingenommenheit und Parteilichkeit ergeben sich aus der verzögerten Abgabe der dienstlichen Stellungnahme nicht.“

Hätte man m.E. auch anders sehen können.

Termin II: Frühe Terminierung ==> Anreise am Vortag, oder: Keine Terminsverlegung ==> Befangen?

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Die zweite Entscheidung stammt vom OLG Dresden. Das hat im OLG Dresden, Beschl. v. 18.05.2021 – 4 W 283/21 – zur Frage der Besorgnis der Befangenheit wegen Ablehnung eines Terminsverlegungsantrag Stellung genommen. Am Aktenzeichen sieht man, dass es sich um ein Zivilverfahren gehandelt hat. Das ist aber wegen der Thematik ohne Belang. Denn die Frage stellt sich ja auch in Strafverfahren immer wieder.

Das OLG hat hier in der Ablehnung des Verlegungsantrags keinen Grund für die Besorgnis der Befangenheit gesehen:

„Der Verfügungsbeklagte greift mit seiner Beschwerde einen Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 17.03.2021 an, mit dem sein Antrag vom 15.03.2021, den mit der Hauptsache befassten Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, von diesem wegen Rechtsmissbräuchlichkeit als unzulässig verworfen wurde.

Der Verfügungsbeklagte meint, der erkennende Richter sei befangen, da er einem von seinem Prozessbevollmächtigten gestellten Terminverlegungsantrag nicht nachgekommen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die unter Ziff. I wiedergegebenen Gründe der angefochtenen Entscheidung ergänzend Bezug genommen.

Das Landgericht Leipzig hat das Befangenheitsgesuch mit dem angefochtenen Beschluss vom 17.03.2021 zurückgewiesen und der Beschwerde mit einem weiteren Beschluss vom 20.04.2021 nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 46 Abs. 2, 567 Abs. 1 Ziff. 1, 569 ZPO zulässig, in der Sache hat sie aber keinen Erfolg.

Das gegen RiLG K. gestellte Befangenheitsgesuch ist unbegründet. Gemäß § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Derartige Gründe ergeben sich vorliegend weder aus der Zurückweisung des Terminverlegungsgesuchs des Prozessbevollmächtigten des Verfügungsbeklagten vom 09.02.2021, durch Beschluss vom 17.03.2021 noch aus dem Umstand, dass der Einzelrichter das Befangenheitsgesuch selbst als unzulässig zurückgewiesen hat. Eine den Verfügungsbeklagten zumindest anscheinsgemäß einseitig benachteiligende sachwidrige Behandlung eines Terminverlegungsgesuchs liegt darin nicht.

Das Übergehen oder die Verweigerung einer beantragten Terminsverlegung begründet regelmäßig nicht die Besorgnis der Befangenheit, weil diese nach § 227 ZPO nur bei Vorliegen erheblicher Gründe in Betracht kommt (vgl. BGH NJW 2006, 2492 – 2495). Anders ist es nur dann, wenn erhebliche Gründe für eine Terminsverlegung offensichtlich vorliegen, die Zurückweisung des Antrags für die betreffende Partei angesichts dessen schlichtweg unzumutbar wäre und damit deren Grundrecht auf rechtliches Gehör verletze oder sich aus der Ablehnung der Terminsverlegung der Eindruck der sachwidrigen Benachteiligung einer Partei aufdrängt. Einzelne im Laufe eines Rechtsstreits zu treffende Entscheidungen des erkennenden Gerichts sollen regelmäßig nicht im Verfahren nach § 42 Abs. 2 ZPO inhaltlich überprüft werden. Zudem ist die Entscheidung über die Ablehnung eines Terminsverlegungsgesuchs nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 227 Abs. 4 Nr. 3 ZPO unanfechtbar. Diese Regelung würde unterlaufen, ließe man die bloße Ablehnung eines begründeten Terminsverlegungsgesuchs für einen erfolgreichen Befangenheitsantrag ausreichen (vgl. KG Berlin NJW 2006, 2788).

Vorliegend hat indes der Terminverlegungsantrag vom 09.02.2021 dem Landgericht nicht vorgelegen. Aus Sicht einer objektiv wägenden Partei lag zudem unabhängig hiervon kein Grund für die Annahme einer sachwidrigen oder einseitig den Verfügungsbeklagten benachteiligenden Bearbeitung vor. Mit einer Bewilligung des erneuten Terminverlegungsantrages vom 09.02.2021 durfte der Beklagte nicht rechnen, da erhebliche Gründe für eine erneute Verlegung im Sinne des § 227 ZPO offensichtlich nicht vorlagen. Es handelte sich um ein beschleunigungsbedürftiges einstweiliges Verfügungsverfahren, das zuvor bereits mehrfach verlegt worden war. Beschränkungen bestanden auch wegen der Corona-Pandemie nicht, eine Anreise mit dem Zug von Saarbrücken nach Leipzig war grundsätzlich am Vortag der um 9.30 Uhr angesetzten Verhandlung zumutbar, und der Prozessbevollmächtigte hätte auch einen Antrag nach § 128 a ZPO auf Durchführung der Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung stellen können, um die Anreise nach Leipzig zu vermeiden. Der Beklagte kann demgegenüber nicht geltend machen, der abgelehnte Richter habe „die anerkannten Regeln u. a. für Anwälte mit weiter Anreise wie dies aus der Akte und aus dem Schriftsatz vom 09.02.2021 offensichtlich“ sei, nicht beachtet. In dem Terminverlegungsschriftsatz vom 09.02.2021 wird nicht erwähnt, dass die Anreise am Vortag wegen einer parallel stattfindenden Strafverhandlung nicht möglich gewesen wäre. Auch fehlt die notwendige Glaubhaftmachung dieses Umstandes. Eine Terminsverlegung wegen der weiten Anreise des Prozessbevollmächtigten entspricht zumindest in einem beschleunigungsbedürftigen einstweiligen Verfügungsverfahren auch nicht „anerkannten Regeln“ und kann daher nicht ohne Weiteres erwartet werden. In § 227 ZPO wird dies als erheblicher Grund für eine Terminverlegung nicht aufgeführt. Die vom Prozessbevollmächtigen zitierte Rechtsprechung (OLG Naumburg, Beschluss vom 08.06.2016, Az.: 12 W 36/16) verhält sich allein dazu, dass bei einer weiten Anreise die dann anfallenden Kosten einer Übernachtung des Prozessbevollmächtigten erstattungsfähige Kosten des Rechtsstreits sind. Hinzu kommt, dass nach Erlass der einstweiligen Verfügung mit Beschluss vom 11.10.2019 und dem dagegen gerichteten Widerspruch, der am 17.01.2020 eingegangen ist, bis zum Zeitpunkt der Antragstellung wegen Befangenheit bereits vier Verhandlungstermine jeweils auf Antrag des Prozessbevollmächtigten verlegt worden waren. Der zuletzt verlegte Verhandlungstermin am 14.01.2021 war ebenfalls auf 9.30 Uhr terminiert worden, ohne dass dieser Umstand vom Prozessbevollmächtigen der Beklagten beanstandet worden wäre. Das Landgericht hatte zudem bereits mit der Terminsverlegungsverfügung darauf hingewiesen, dass der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsbeklagten zum Termin am 18.03.2021, 9.30 Uhr seine rechtzeitige Anreise nach Leipzig sicherzustellen habe und eine erneute Terminverlegung aus den im Schriftsatz vom 12.01.2021 genannten Gründen – Fahrt mit dem PKW und gesundheitliche Einschränkungen – nicht erfolgen werde. Es hätte dann dem Beschleunigungsgebot in Verfügungsverfahren über eine Gegendarstellung Rechnung getragen. Hierauf hätte sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten einstellen müssen. Angesichts dessen wäre zumindest eine Nachfrage bei Gericht wegen der fehlenden Verbescheidung des Terminsverlegungsgesuchs vom 09.02.2021 geboten gewesen; diese ist aber zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Dem Verfügungsbeklagten hätte sich angesichts dessen bei vernünftiger Würdigung aller Umstände aufdrängen müssen, dass der erkennende Richter weder mit der Bestimmung eines auf den 18.03.2021 um 9.30 Uhr angesetzten Verhandlungstermins noch mit fehlenden Verbescheidung des Terminsverlegungsgesuchs vom 09.02.2021 den Eindruck mangelnder Objektivität erweckt hat. Wenn der Einzelrichter vor diesem Hintergrund selbst den Befangenheitsantrag mit Beschluss vom 17.03.2021 als unzulässig zurückgewiesen und in der Sache selbst entschieden hat, kann der Verfügungsbeklagte daraus bei vernünftiger Betrachtung ebenfalls nicht die Besorgnis der Befangenheit herleiten. Eine sachlich urteilende Partei würde sich der Erkenntnis nicht verschließen, dass der Antrag auf Verlegung des Verhandlungstermins am 18.03.2021 nicht den Anforderungen des § 227 Abs. 1 ZPO entsprach, und dass sein Ablehnungsgesuch deshalb als rechtsmissbräuchlicher Versuch, die beantragte Terminsverlegung auf dem Weg über die Befangenheitsablehnung zu erzwingen, gewertet werden könnte. Der abgelehnte Richter ist – abweichend von § 45 Abs. 2 ZPO – ausnahmsweise dann zu einer eigenen Entscheidung über das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch befugt, wenn dieses Ablehnungsgesuch rechtsmissbräuchlich ist, weil es offensichtlich nur dazu dienen soll, das Verfahren zu verschleppen, oder weil mit der Ablehnung verfahrensfremde, von Sinn und Zweck des Ablehnungsrechts offensichtlich nicht erfasste Ziele verfolgt werden sollen. Dies ist der Fall, wenn – wie hier – das Übergehen des Antrags auf Terminsverlegung zum Anlass genommen wird, durch Anbringen eines hierauf gestützten Ablehnungsgesuch kurzfristig eine Terminsverlegung zu erreichen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 24.10.2008 – 2 U 155/08 -, Rn. 17 – 18, m.w.N., – juris; OLG Hamm Beschluss vom 07.03.2019 – 4 WF 22/19, BeckRS 2019, 5610 Rn. 12-15, beck-online).“

StPO I: Wenn der Verteidiger der Sohn des Richters ist, oder: Besorgnis der Befangenheit

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Heute ist dann ein Tag der StPO-Entscheidungen, aber nicht von BGH-Entscheidungen, sondern von den sog. „Instanzgerichten“.

Zunächst hier der AG Meiningen, Beschl. v. 20.05.2021 – OWi 161 Js 14163/20 – zur Besorgnis der Befangenheit. Es geht um eine „Selbstanzeige/Selbstablehnung“ eine OWi-Richters, der seine Selbstanzeige damit begründet hat, dass in einer Bußgeldsache der Verteidiger des Betroffenen sein Sohn ist. Das AG sagt: Die Selbstablehnung ist begründet:

„Schon die Selbstanzeige des Richters am Amtsgericht X führt dazu, dass er wegen Besorgnis der Befangenheit vom Verfahren zu entbinden ist. Zwar liegt ein gesetzlicher Ausschließungsgrund nach §§ 22, 23 StPO nicht vor und eine analoge Anwendung auf ähnlich erscheinende Sachverhalte scheidet grundsätzlich aus, weil die Aufzählung in § 22 StPO erschöpfend ist. (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 22, Rn. 3 m.w.N.). Der anzeigende Richter ist aber wegen Besorgnis der Befangenheit vom Verfahren zu entbinden, § 24 StPO……

….. II.

Die Selbstanzeige ist begründet, § 46 Abs. 1 OWiG, §§ 30, 24 Abs. 2 StPO.

1. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit eines Richters findet gemäß § 46 Abs. 1 OWiG, § 24 Abs. 2 StPO statt, wenn bei verständiger Würdigung aufgrund des bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme besteht, dass der betreffende Richter gegenüber dem Beschuldigten eine innere Haltung einnehmen könnte, die seine Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Dabei kommt es auf den Standpunkt des Betroffenen an, nicht aber auf seinen (möglicherweise einseitigen) subjektiven Eindruck. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge scheiden als Ablehnungsgrund aus. Maßgeblich ist vielmehr der Standpunkt eines vernünftigen Beschuldigten und die Vorstellungen, die sich ein geistig gesunder, bei voller Vernunft befindlicher Prozessbeteiligter bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 24, Rn. 8 m.w.N.).

Ein Befangenheitsgrund kann jedoch auch dann vorliegen, wenn eine in § 22 StPO beschriebene ähnliche Konstellation gegeben ist, die sich nicht unter diese Regelung fassen lässt. Allein die Nähe zu § 22 StPO genügt hierfür zwar nicht. Um einen generellen Rückgriff auf § 24 StPO und eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 22 StPO entgegen der gesetzgeberischen Wertung zu vermeiden, bedarf es jedoch besonderer Umstände, die auf die fehlende Neutralität des vorbefassten Richters schließen lassen (LG München I, Beschluss vom 13. Juli 2015 – 20 KLs 124 Js 209119/14 –, juris, m.w.N.). Solche werden bei engen persönlichen Verhältnissen des Richters zu weiteren Prozessbeteiligten angenommen (so auch Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. August 2016 – 1 Ws 305/16 –, juris, Rn. 19). So hat der 5. Zivilsenat des BGH in einer Grundsatzentscheidung ausgeführt, dass ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann, wenn seine Ehefrau als Rechtsanwältin – auch ohne mit der Sache selbst befasst zu sein – in der Kanzlei tätig ist, die den Gegner vor diesem Richter vertritt und dies damit begründet, dass alleine schon die besondere berufliche Nähe der Ehefrau des Richters zu dem Prozessbevollmächtigten des Gegners der Partei begründeten Anlass zur Sorge gebe, dass es dadurch zu einer unzulässigen Einflussnahme auf den Richter kommen könnte. Auch wenn grundsätzlich davon auszugehen sei, dass Richter über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügten, die sie befähigten, unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden, sei es einer Partei nicht zuzumuten, darauf zu vertrauen, dass eine unzulässige Einflussnahme durch den Gegner unterbleiben werde, und den Richter erst dann abzulehnen, wenn dies doch geschehe und ihr das bekannt werde (BGH, Beschluss vom 15. März 2012 – V ZB 102/11 –, juris). Mit gleicher Begründung hat das Amtsgericht Kehl das Vorliegen eines Befangenheitsgrundes angenommen, wenn die zuständige Richterin und der sachbearbeitende Staatsanwalt miteinander verheiratet sind (AG Kehl, Beschluss vom 15. April 2014 – 5 OWi 304 Js 2546/14 –, juris). Zur Begründung hat das Amtsgericht Kehl ausgeführt, dass die Ehe in der Regel auf gegenseitiges Vertrauen und Wertschätzung gegründet sei. Aus Sicht eines unvoreingenommenen Angeklagten bzw. Betroffenen bestehe in dieser Situation dann die Besorgnis, dass der Richter den Ausführungen eines mit ihm verheirateten Staatsanwalts eine besondere Bedeutung beimesse, ihnen einen höheren Richtigkeitsgrad zuerkenne als in vergleichbaren Fällen oder (eventuell auch nur unbewusst) aus Rücksicht auf den Ehepartner einem Entscheidungsvorschlag (Verurteilung, Strafmaß etc.) zustimme, ohne dass dies der Sach- und Rechtslage im Verfahren entspreche (AG Kehl, a.a.O.; ebenso Ellbogen/Schneider, JR 2012, 188). Insofern wird zu Recht angenommen, dass eine Befangenheit in der Regel anzunehmen ist, wenn eine Ehe oder ein Verlöbnis mit einem Prozessbeteiligten (Staatsanwalt, Verteidiger oder Nebenklagevertreter) besteht (MüKo/Conen/Tsambikakis, StPO, 1. Aufl., § 24, Rn. 30).

2. Gemessen an diesen Ausführungen ist eine Befangenheit auch dann anzunehmen, wenn der Verteidiger des Betroffenen der Sohn des zuständigen Richters ist. Auch hier besteht auf Grund der sehr nahen verwandtschaftlichen Verbindung des anzeigenden Richters ein derart enges höchst persönliches und intimes Vertrauensverhältnis zwischen dem Richter und dem Verteidiger, dass vom Standpunkt eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten Grund zu der Annahme bestehen kann, dass der anzeigende Richter auf Grund familiär bedingter Aspekte/Rücksichtnahmen eine innere Haltung einnehmen könnte, die seine Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (in diesem Sinne auch Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. August 2016 – 1 Ws 305/16 –, juris, Rn. 22). Es ist daher aus Sicht eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten nachvollziehbar, dass er aufgrund des vorliegenden Verhältnisses Grund zur Sorge dahin gehend hat, dass die erforderliche Neutralität des anzeigenden Richters durch sein Näheverhältnis zum Verteidiger beeinflusst werden kann.“

StPO II: Schokoladenweihnachtsmann nur für den Staatsanwalt, oder: Besser nicht

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Als zweite Entscheidung dann der LG Flensburg, Beschl. v. 20.01.2021 – V KLs 2/19. Wenn man ihn liest, klingelt es: Denn die Problematik hatten wir ja schon mal. Nämlich: Besorgnis der Befangenheit durch Übergabe von Süßigkeiten (nur) an den Staatsanwalt. Ja, das ist/war LG Koblenz (der Beschluss wird ja auch vom LG zitiert.

Das LG Flensburg kommt hier – ebeno wie das LG Koblenz – zur Besorgnis der Befangenheit:

„Die Kammer geht von folgendem glaubhaft gemachten Sachverhalt aus:

Am letzten Sitzungstag vor Weihnachten, dem 18. Dezember 2020, verteilten die Schöffinnen PP. und PP. an die Ergänzungsschöff*innen sowie die Protokollführerin Frau pp. vor Beginn der Sitzung im Verhandlungsaal jeweils einen Schokoladenweihnachtsmann. Die Schöffin pp. übergab zudem einen Schokoladenweihnachtsmann an der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, Staatsanwalt pp.. Die Berufsrichter*innen haben diese Übergaben nicht beobachtet. In einer späteren Verhandlungspause übergab die Schöffin PP. ebenfalls einen Schokoladenweihnachtsmann an den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft. Auch diese Übergabe beobachteten die Berufsrichterinnen nicht. Weder die Angeklagten noch deren Verteidiger*innen erhielten einen Schokoladenweihnachtsmann.

Richter am Landgericht pp. sah zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt nach der Verteilung Schokoladenweihnachtsmänner im Sitzungssaal stehen, ohne jedoch – wie ausgeführt – beobachtet zu haben, auf welche Weise diese dorthin gelangt waren. Vorsitzende Richterin am Landgericht pp. erfuhr ebenfalls zu einem jedenfalls nach der ersten Verteilung liegenden Zeitpunkt von Frau pp.,  dass die Ergänzungsschöff*innen von einer Schöffin einen Schokoladenweihnachtsmann bekommen hätten und dass Frau pp. – wonach sie auch von pp. gefragt worden sei – nicht bekannt sei, ob der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft ebenfalls einen solchen erhalten habe oder nicht.

II.

1. Beide Ablehnungsanträge sind zulässig. Derjenige des Angeklagten pp. vom 12. Januar 2021, der später aufgrund der dienstlichen Stellungnahmen abgeändert und um einen erneuten Ablehnungsantrag ergänzt wurde, ist insbesondere rechtzeitig angebracht worden, § 25 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Die Verteidiger des Angeklagten pp. haben in ihren Antrag ausgeführt und anwaltlich versichert, dass zwar Rechtsanwalt pp. das Vorhandensein von auf dem Tisch der Ergänzungsschöff*innen und am Platz von Frau pp. bereits am 18. Dezember 2020 beobachtet habe, ihnen jedoch die Übergabe von Schokoladenweihnachtsmännern an den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft – worauf der erste Ablehnungsantrag gestützt wurde – erst am 11. Januar 2021 zur Kenntnis gebracht worden sei. Diesem Vortrag entgegenstehende Gesichtspunkte sind nicht ersichtlich, zumal beide Schöffinnen in ihren dienstlichen Stellungnahmen ausgeführt haben, dass zum Zeitpunkt ihrer jeweiligen Übergaben der Süßigkeit an Staatsanwalt pp. keine weiteren Personen zugegen gewesen seien.

 Der Ablehnungsantrag des Angeklagten pp. vom 18. Januar 2021 ist ebenfalls rechtzeitig angebracht, da er über seine Verteidigerinnen vorgetragen hat, dass ihm die Vorgänge um die Verteilung von Schokoladenweihnachtsmännern erst durch den Ablehnungsantrag des Angeklagten pp. bekannt geworden seien.

2. Die Ablehnung der Schöffinnen durch die Angeklagten wegen der Besorgnis der Befangenheit ist begründet. Dies ist dann der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhaltes Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (st. Rspr., statt vieler LG Koblenz, Beschluss vom 19. Dezember 20122090 Js 29752/10 – 12 KLs -, juris, Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage, § 24 Rn. 8). Allein auf den Standpunkt des Ablehnenden kommt es an; ob der abgelehnte Richter tatsächlich befangen ist oder sich dafür hält, ist unerheblich (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Rn. 6 m.w.N.). Die Übergabe von Schokoladenweihnachtsmännern seitens der Schöffinnen an den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, jedoch nicht an die Angeklagten und ihre Verteidiger*innen, war geeignet, bei den Ablehnenden den Eindruck zu erwecken, dass die Schöffinnen dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft eher gewogen sind als ihnen und ihren Verteidiger*innen. Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass die Übergabe von kleinen Süßigkeiten zur Weihnachtszeit durchaus ein sozialadäquates Verhalten mit mäßigem Erklärungswert, was persönliche Zuneigung betrifft, darstellt. Es handelt sich aber auch nicht um einen vollkommen neutralen Vorgang. Unabhängig davon, dass die Verteilung von Süßigkeiten in einem Strafverfahren generell unangemessen ist, drückt dies doch eine gewisse Wertschätzung aus, die den Angeklagten und ihren Verteidiger*innen eben nicht zuteil geworden ist…..“

Befangen II: Die Schweige-/Gedenkminute beim Schwurgericht, oder: Nicht befangen

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Der ein oder andere wird sich vielleicht erinnern. Beim Schwurgericht des LG Oldenburg ist ein Verfahren anhängig, in dem es um die Mitverantwortlichkeit von Klinikmitarbeitern des Oldenburger Klinikums am Tod von Patienten geht. Zu dem Verfahren hatte es bereits ein Strafverfahren gegen einen Krankenpfleger wegen Mordes an Patienten von zwei Kliniken gegeben, in denen der Pfleger tätig war.

Den nunmehr in dem neuen Verfahren Angeschuldigten wird vorgeworfen, jeweils durch Unterlassen Morde sowie versuchte Morde durch den Krankenpfleger ermöglicht zu haben, indem sie es billigend in Kauf nahmen und nichts dagegen unternahmen, dass dieser Patienten durch Injektion verschiedener Medikamente, insbesondere Kalium, tötete. In dem Verfahren sind verschiedene Mitglieder des Schwurgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden, u.a. auch der Vorsitzende. Bei diesem wird insbesondere sein Verhalten im Laufe der vorangegangenen Verfahren gegen den Krankenpfleger, etwa dessen Auftreten gegenüber Zeugen und der Öffentlichkeit, beanstandet. Dabei geht es u.a. auch um eine sog. Schweige-/Gedenkminute.

Das LG hatte insoweit keine Besorgnis der Befangenheit gesehen. Das OLG dann im Beschwerdeverfahren im OLG Oldenburg, Beschl. v. 30.10.2020 – 1 Ws 362/20 – auch nicht:

„2. Gedenkminute

a)  Auf der Grundlage des – auch durch die dienstliche Stellungnahme bestätigten – Vorbringens der Angeschuldigten, bat der Vorsitzende Richter am Landgericht (…) nach Aufruf der Sache in dem gegen FF gerichteten Verfahren zu Az. 5 Ks 800 Js 54254/17 (1/18) in der öffentlichen Hauptverhandlung alle Anwesenden, zu einer Gedenkminute aufzustehen. Er erklärte hierzu an die Angehörigen der (möglicherweise) von FF getöteten Patienten gerichtet, dass alle ihre Angehörigen es verdient hätten, dass man ihrer in Ehren gedenke, unabhängig davon, ob FF etwas mit ihrem Tod zu tun habe oder nicht. Anschließend erhoben sich die Prozessbeteiligten und die anwesenden Zuhörer zu einer Schweigeminute.

b) Ob ein bestimmtes Verhalten des Richters im Verfahren – mag es auch prozessual fehlerhaft gewesen sein – die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, ist in besonderem Maße von den Umständen und dem Gesamtzusammenhang des Einzelfalls abhängig. Dies gilt auch für im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden liegende Maßnahmen der Sachleitung nach § 238 Abs. 1 StPO (vgl. Cirener, in BeckOK-StPO, 37 Ed., § 24 Rn. 20). Bei dieser Wertung ist in den Blick zu nehmen, inwieweit die Verfahrensfehler mit einer Einschränkung besonders wesentlicher Verteidigungsrechte einhergehen (vgl. BGH, Urteil vom 09.07.2009 – 5 StR 263/08, juris Rn. 31, insoweit in NJW 2009, 3248 nicht abgedruckt; Cirener a.a.O.). Rechtfertigen können die Ablehnung daher nur grobe, insbesondere objektiv willkürliche oder auf Missachtung grundlegender Verfahrensrechte von Prozessbeteiligten beruhende Verstöße gegen Verfahrensrecht (vgl. KG, Beschluss vom 01.11.2018 – 3 Ws (B) 253/18, juris Rn. 11).

Nach diesen Maßstäben vermag die Anordnung einer Schweigeminute die Besorgnis der Befangenheit nicht zu rechtfertigen. In diesem Zusammenhang kann es der Senat dahingestellt sein lassen, ob und inwiefern eine solche Maßnahme von der Sachleitungsbefugnis des § 238 StPO gedeckt ist. Denn ein solches Vorgehen war hier jedenfalls nicht völlig unvertretbar oder gar willkürlich (vgl. BGH, Beschluss vom 03.12.2015 – 1 StR 169/15, NStZ 2016, 357 <360 Tz. 25>).

So ergibt sich nicht zuletzt aus der – entgegen der Auffassung des Angeschuldigten BB sehr wohl zu berücksichtigenden (vgl. BGH, Urteil vom 02.03.2004 – 1 StR 574/03, NStZ-RR 2004, 208 <209>; Beschluss vom 04.03.2009 – 1 StR 27/09, NStZ 2009, 701 Tz. 5; Urteil vom 18.10.2012 – 3 StR 208/12, juris Rn. 19, insoweit in NStZ-RR 2013, 168 nicht abgedruckt; Urteil vom 28.02.2018 – 2 StR 234/16, NStZ-RR 2018, 186 <187>; Urteil vom 15.05.2018 – 1 StR 159/17, juris Rn. 66) – dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden Richters am Landgericht (…) durchaus einen nachvollziehbaren Grund für diese Vorgehensweise, welcher einem möglichen Misstrauen die Grundlage zu entziehen geeignet ist:  Der Vorsitzende hat in der Exhumierung der Betroffenen nicht nur einen „Eingriff in die Totenruhe“ gesehen, sondern mit diesem Eingriff gedanklich auch eine „erhebliche emotionale Belastung“ der Angehörigen der Verstorbenen verbunden. Die Bestattungen der Betroffenen hätten zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Jahre zurückgelegen, so dass die Angehörigen zum Zeitpunkt der Exhumierung von den Betroffenen bereits „geordnet Abschied genommen“ hätten. Nach dem Eindruck des Vorsitzenden sei es „vielen Nebenklägern – unabhängig von der Feststellung einer Schuldfrage – auch deswegen so wichtig“ gewesen, weil es für sie „die Möglichkeit einer nun notwendigen erneuten geordneten Abschiednahme“ eröffnet habe. Dies zeigt, dass der Vorsitzende darauf abzielte, die durch das Verfahren belasteten Angehörigen der Exhumierten zu schonen; zugleich lässt dies die Annahme, er habe das Verfahren – so der Vorwurf der Angeschuldigten – „emotionalisieren“ wollen, eher fernliegend erscheinen.

Zudem hat der Vorsitzende Richter sowohl seinerzeit in der Hauptverhandlung als auch in der Stellungnahme deutlich unterstrichen, dass sich das Gedenken „an sämtliche exhumierten Toten“ richten sollte, „deren Umstände ihres Versterbens Gegenstand des Verfahrens“ waren und zwar ausdrücklich unabhängig davon, ob der „Angeklagte etwas mit ihrem Tod zu tun hatte oder nicht“. Er habe keine „Rollenzuschreibung als Opfer“ vorgenommen. Vor diesem Hintergrund liegt eine Verletzung der Unschuldsvermutung fern und es trifft gerade nicht zu, dass ein „Gedenken für Geschädigte“ stets impliziere, diese seien Opfer einer Straftat geworden (a.A. Leitmeier, StV 2019, 282 <284>). Damit geht auch der Einwand des Angeschuldigten BB in seiner Beschwerdebegründung fehl, dass die „Opfer des Mörders FF […] öffentlich gewürdigt werden [sollten].“

Schließlich ist weder ersichtlich noch sonst dargetan, inwiefern durch die Anordnung der Schweigeminute in einem vorangegangen Verfahren wesentliche Verteidigungsrechte der Angeschuldigte im nunmehr anhängigen Verfahren tangiert, geschweige denn gravierend eingeschränkt worden sein sollen, zumal bislang keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Vorsitzende Richter am Landgericht (…) auch in dem jetzt anhängigen Verfahren ähnlich verfahren wird.“

Im Übrigen: Auch der Rest des 31 Seiten langen Beschlusses ist „empfehlenswert“. Na ja, ich weiß nicht. Ist vielleicht dann insgesamt doch ein wenig viel, oder?