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Entziehung der FE I: Falsche Begründung der Behörde, oder: Ermessen und Aufklärungspflicht der Behörde

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Und dann heute „Kessel Buntes“. In dem erneut zwei Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis. Hier zunächst der OVG Saarland, Beschl. v. 22.07.2024 – 1 B 43/24 – mit folgendem Sachverhalt:

Gestritten wird um die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Entziehung seiner Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Abgabe seines Führerschein. Die örtliche Polizeiinspektion hatte dem Antragsgegner mit Schreiben vom 01.02.2023 mitgeteilt, über den Antragsteller lägen Informationen über Tatsachen vor, die auf nicht nur vorübergehende Mängel hinsichtlich der Eignung oder auf Mängel hinsichtlich der Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen ließen. Daraufhin bat der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 09.02.2023, eine Bescheinigung seines behandelnden Arztes vorzulegen, welche fahreignungsrelevanten Krankheiten vorlägen und welche Medikamente regelmäßig verordnet würden. Der Antragsteller legte dem Antragsgegner eine Ärztliche Bescheinigung eine praktischen Arztes vom 20.03.2023 vor, wonach mehrere näher bezeichnete Erkrankungen bestünden und näher bezeichnete Medikamente eingesetzt würden; aufgrund der Angaben des Untersuchten und der von ihm erhobenen Befunde empfehle er „vor Erteilung der Fahrerlaubnis keine weitergehende Untersuchung, da keine Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens festgestellt werden konnten.“

Der Antragsgegner wies den Antragsteller mit Schreiben vom 24.03.2023 darauf hin, dass bei ihm über die in dem Attest vom 20.03.2023 genannten Erkrankungen hinaus ausweislich seiner Fahrerlaubnisakte am 16.01.2023 eine Ataxie diagnostiziert worden sei und er eine psychiatrische Behandlung ablehne, weshalb das Attest „nicht anerkannt“ werden könne und er „erneut aufgefordert“ werde, ein ärztliches Attest seines behandelnden und ggf. seines vorherigen Arztes mit „sämtlichen Diagnosen“ zu den Fragen vorzulegen, welche fahreignungsrelevanten Krankheiten vorlägen, welche Medikamente regelmäßig verordnet würden und seit wann er bei diesem Arzt in Behandlung sei, wobei das Attest „jedoch keine Aussage über Ihre Kraftfahreignung treffen“ solle und der Arzt „schriftlich zu bestätigen“ habe, dass ihm dieses Schreiben vorgelegt worden sei. Eine Fristverlängerung lehnte der Antragsgegner mit Schreiben vom 31.03.2023 ab. Der Antragsteller legte dem Antragsgegner eine Bestätigung des Dr. D. vom 31.03.2023 vor, wonach er seit 20.03.2023 bei ihm in Behandlung sei und ihm das Schreiben der Stadtverwaltung vom 09.02.2023 vorgelegt habe, und reichte das Attest vom 20.03.2023 erneut ein.

Mit Anordnung zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens vom 24.05.2023 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, ein ärztliches Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation bis zum 25.07.2023 zu näher bezeichneten Fragen vorzulegen. Die beigefügte Einverständniserklärung unterzeichnete der Antragsteller nicht. Das ihm aufgegebene Gutachten legte der Antragsteller nicht vor.

Nach entsprechender Anhörung entzog der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 26.09.2023 die ihm erteilte Fahrerlaubnis,  ordnete die sofortige Vollziehung an, drohte widrigenfalls ein Zwangsgeld an und setzte eine Verwaltungsgebühr fest.

Der Antragsteller gab am 27.09.2023 seinen Führerschein beim Antragsgegner ab. Am ß2.10.2023 legte er gegen den Bescheid vom 26.09.2023 Widerspruch ein. Am gleichen Tag beantragte er beim Verwaltungsgericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs.

Das VG hat den Antrag zurückgewiesen. Dagegen die Beschwerde und der Widerspruch. Beides ohne Erfolg.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung des OVG. Wem es um die Einzelheiten geht: Bitte selbst im verlinkten Volltext nachlesen:

1. Das Schriftlichkeitserfordernis des § 80 Abs 3 Satz 1 VwGO stellt eine rein formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Vollziehbarkeitsanordnung dar, weshalb es unschädlich ist, wenn die dargelegten Gründe sich später im gerichtlichen Verfahren als (materiell) unzutreffend erweisen.

2. Trotz der Formulierung „darf“ in § 11 Abs 8 FeV ist der Fahrerlaubnisbehörde im Rahmen der Frage, ob aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf die Fahrungeeignetheit des Betroffenen geschlossen werden kann, kein Ermessen eingeräumt.

3. Fehlt in der Beschwerdebegründung eine Auseinandersetzung mit der entscheidungstragenden Argumentation des Verwaltungsgerichts, so hat dies nach § 146 Abs 4 Sätze 3 und 6 VwGO zur Folge, dass die Beschwerde der Zurückweisung unterliegt.

4. Zur Pflicht der Fahrerlaubnisbehörde, den der Gutachtenanordnung zugrunde liegenden Sachverhalt umfassend aufzuklären und deutlich zu machen.

4. Zur Notwendigkeit der Erkennbarkeit des Anlasses der angeordneten Untersuchung für den Betroffenen.

Eine Ergänzung oder Korrektur der Gutachtenanordnung ist nur relevant, wenn sie vor Erlass des Fahrerlaubnisentziehungsbescheides erfolgt ist.

Die der Verwaltungsgerichtsbarkeit obliegende Funktion der Kontrolle (und nicht der Reparatur) von Verwaltungshandeln schließt eine Heilung einer unzureichenden Begründung einer Gutachtenanordnung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus.

Aktive Nutzungspflicht des beA in laufenden Verfahren, oder: Fax zur Fristwahrung reicht nicht mehr

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Heute ist Samstag und damit „Kessel-Buntes-Tag“. In dem „Kessel“ köcheln heute Entscheidung, die für die anwaltliche Praxis und/oder auch Haftung von Bedeutung sein können. Und zwar:

Seit dem 01.01.2022 sind die Vorschriften in den Verfahrensordnungen „scharf geschaltet“, die die aktive Nutzungspflicht der elektronischen Form postulieren, also z.B. § 130d ZPO, § 32d StPO und auch § 55d VwGO. Dazu habe ich dann gleich auch zwei Entscheidungen, die sich mit den Vorschriften befassen, und zwar eine aus dem Zivilrecht und eine aus dem Verwaltungsrecht.

Bei der Entscheidung aus dem Zivilrecht handelt es sich um das LG Frankfurt am Main, Urt. v. 19.01.2022 – 2-13 O 60/21. Der Kläger macht in dem Verfahren mit seiner Klage einen Anspruch auf Einzahlung einer restlichen Stammeinlage geltend. Der Kläger hat bereits in der Klageschrift den Antrag nach § 331 Abs. 3 Satz 1 ZPO gestellt. Der Vorsitzende der Kammer hat das schriftliche Vorverfahren angeordnet. Die Anordnung einschließlich der Belehrung gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO ist dem Beklagten am 21.12.2021 zusammen mit der Klage zugestellt worden. Mit Schreiben vom 03.01.2022, eingegangen als Faxkopie am 04.01.2022 und im Original auf dem Postweg am 05.01.2022, hat der Beklagtenvertreter die Vertretung des Beklagten angezeigt und mitgeteilt, dass sich der Beklagte gegen die Klage verteidigen werde. Das LG hat den Beklagten im schriftlichen Verfahren durch Versäumnisurteil zur Zahlung verurteilt:

„Der Beklagte war auf Antrag des Klägers im schriftlichen Vorverfahren gemäß § 331 Abs. 3 S. 1 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch Versäumnisurteil zu verurteilen. Obschon ordnungsgemäß gemäß § 276 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 ZPO belehrt, hat der Beklagte seine Verteidigungsbereitschaft nicht fristgerecht angezeigt.

Die Verteidigungsanzeige hätte gemäß § 130d S. 1 ZPO als elektronisches Dokument übermittelt werden müssen. Weder das auf dem Postweg eingereichte handschriftlich unterschriebene Anwaltsschreiben noch dessen Faxkopie wahren die seit dem 01.01.2022 zwingend vorgeschriebene Form; sie sind daher unbeachtlich.

Seit dem 01.01.2022 sind gemäß § 130d S. 1 ZPO vorbereitende Schriftsätze sowie schriftlich einzureichenden Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Dabei gilt § 130d S. 1 ZPO grundsätzlich für alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der ZPO (BT-Drs. 17/12634, 28). Zu den von der Vorschrift umfassten Erklärungen gehört auch die Verteidigungsanzeige im schriftlichen Vorverfahren, die nach § 276 Abs. 1 S. 1 ZPO schriftlich anzuzeigen ist. Der von § 130d ZPO vorgegebene Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO – in der Regel die Einreichung über das besondere Anwaltspostfach (beA) – ist nach dem 01.01.2022 der einzig zulässige (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 130d ZPO, Rn. 1). Eine Ausnahme, wonach die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig ist, besteht nach den § 130d S. 2 ZPO allein für den Fall, dass die Einreichung auf dem Weg des § 130a ZPO aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. In diesen Fällen ist die vorübergehende Unmöglichkeit nach § 130d S. 3 ZPO jedoch bei Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Dies ist hier nicht geschehen, weder zusammen mit der Ersatzeinreichung noch unverzüglich danach; seit der Ersatzeinreichung sind zwei Wochen ohne weitere Erklärung vergangen.

Die Form der Einreichung ist eine Frage der Zulässigkeit und von Amts wegen zu beachten. Auf die Einhaltung der Vorgaben des § 130d ZPO können die Parteien nicht verzichten (§ 295 ZPO), der Gegner kann sich auch nicht rügelos einlassen (BT-Drs. 17/12634, 27). Die Einschränkung auf die Übermittlung als elektronisches Dokument hat zur Folge, dass auf anderem Wege eingereichte Klagen oder Berufungen als unzulässig abzuweisen bzw. zu verwerfen sind (BT-Drs. 17/12634, 27; Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 130d ZPO, Rn. 1; Siegmund NJW 2021, 3617 (3618); BeckRA-HdB, § 69 Rn. 54; zur Parallelvorschrift des § 46 g ArbGG siehe LAG Schleswig-Holstein Beschl. v. 25.3.2020 – 6 Sa 102/20, BeckRS 2020, 10446). Prozesserklärungen sind unwirksam und Fristen werden durch sie nicht gewahrt (Fritsche NZFam 2022, 1 (1); Hoeren/Sieber/Holznagel MMR-HdB, Teil 24 Digitale Justiz Rn. 11). Diese Rechtsfolge entspricht dem klaren Willen des Gesetzgebers (BT-Drs. 17/12634, 27) und ist auch sachgerecht. Denn ohne diese Rechtsfolgenbewehrung könnte die Pflicht zur flächendeckenden Aktivnutzung des beA nicht wirksam etabliert werden.

Mithin ist auch eine auf anderem als auf dem elektronischen Übermittlungsweg nach § 130d S. 1 ZPO eingereichte Verteidigungsanzeige unbeachtlich.“

Die zweite Entscheidung, der OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 25.01.2022 – 4 MB 78/21, stammt aus dem Verwaltungsverfahren. Dort war gegen einen Beschluss des VG noch am 29.12.2021 form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt worden. Die Begründung ist dann am 17.01.2022 eingegangen, allerdings lediglich als Fax. Das reicht(e) nicht, sagt das OVG. Hier dann (nur) die Leitsätze zu seiner Entscheidung:

  1. Die aktive Nutzungspflicht der elektronischen Form (§ 55d Satz 1 VwGO) ist nicht von einem weiteren Umsetzungsakt abhängig und gilt ab dem 01.01.2022 für sämtliche Verfahren einschließlich solcher, die bereits zuvor anhängig gemachten wurden.
  2. Die (rechtzeitige) Einhaltung der in § 55d Satz 1 VwGO vorgeschriebenen Form ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten; sie steht nicht zur Disposition der Beteiligten.
  3. § 55d Satz 3 VwGO enthält eine einheitliche Heilungsregelung. Unerheblich ist, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Einreichung in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist. Die Möglichkeit der Ersatzeinreichung ist verschuldensunabhängig ausgestaltet.
  4. Die vorübergehende technische Unmöglichkeit ist vorrangig zugleich mit der Ersatzeinreichung glaubhaft zu machen. Lediglich dann, wenn der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen, genügt eine unverzügliche Glaubhaftmachung (§ 55d Satz 4 VwGO).

Also: Augen auf und „aktiv das beA nutzen“.