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Woher kommen die Feststellungen? – die Inbegriffsrüge

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Als Verteidiger muss man sich, wenn man ggf. ein Urteil mit der Revision oder der Rechtsbeschwerde angreifen will, immer fragen: Woher kommen die tatrichterlichen Feststellungen im Urteil? Stammen Sie aus dem sog. Inbegriff der Hauptverhandlung, waren sie also Gegenstand der Hauptverhandlung (§ 261 StPO)? Ist das nicht der Fall, dann kann eine Inbegriffsrüge erfolgreich sein.

Das war eine solche Rüge im KG, Beschl. v. 18.04.2012 – (4) 121 Ss 53/12 (91/12). Da hatte das LG als Berufungskammer nämlich einen Teil seiner Feststellungen aus dem gem. § 324 StPO verlesenen Urteil des Amtsgerichts gewonnen.Das ist aber nicht Teil der Beweiserhebung. Dazu das Leitsatz des KG:

Zur Urteilsgrundlage dürfen nur Beweiserhebungen einschließlich der Einlassung des Angeklagten gemacht werden, die in einer vom Gesetz vorgeschriebenen Form in das Verfahren eingeführt worden sind. Die Verlesung des mit der Berufung angefochtenen Urteils (§ 324 Abs. 1 Satz 2 StPO) ist Bestandteil des Vortrags über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens. Sie ist nicht Teil der Beweiserhebung und nicht als (Urkunds-)Beweis verwertbar.

Wird die Inbergiffsrüge erhoben, dann muss man darauf achten, dass es sich um eine Verfahrensrüge handelt. Es gelten also die strengen Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Beim KG hatte der Verteidiger ausreichend begründet. Worauf es ankommt, zeigt dann auch der KG, Beschl.:

aa) Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO ist zulässig erhoben. Dies setzt voraus, dass mit den Mitteln des Revisionsrechts ohne Rekonstruktion der Beweisaufnahme der Nachweis geführt werden kann, dass eine im Urteil getroffene Feststellung nicht durch die in der Hauptverhandlung verwendeten Beweismittel und auch sonst nicht aus zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehörenden Vorgängen gewonnen worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 1997 – 3 StR 520/96 – = NStZ-RR 1998, 17; OLG Koblenz, Beschluss vom 24. März 2011 – 2 SsBs 154/10 – = NStZ-RR 2011, 352; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 261 Rdn. 38a; Schoreit in Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl., § 261 Rdn. 8).

 Die Revision hat unter Mitteilung der maßgeblichen Urteilsgründe und der notwendigen Aktenteile ausreichend dargelegt  (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), dass sich der Angeklagte zum Tatgeschehen im Einzelnen nicht geäußert habe und das Tatgeschehen auch nicht in sonst zulässiger Weise zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sei. Der fehlende Vortrag zu dem Inhalt der Sitzungsniederschrift der Berufungsverhandlung ist unschädlich, denn der Verstoß gegen § 261 StPO kann sich dem Revisionsgericht – wie hier – auch aus den Urteilsgründen erschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 2008 – 2 StR 485/07 – = NStZ 2008, 705; Kammergericht, Urteil vom 14. April 2011 – (2) 1 Ss 496/10 (43/10) – ).

Ohne die Ausführungen geht es nicht (weiter).

 

Muss der Verteidiger ohne Gebühren arbeiten? – offenbar in dem ein oder anderen Fall wohl: Ja

Es gibt gebühren- bzw. kostenrechtliche Dauerbrenner. Einer davon ist die in Rechtsprechung und Literatur heftig umstrittene Frage, ob dem Rechtsanwalt Tätigkeiten, die er im Berufung- oder Revisionsverfahren erbracht hat, zu erstatten sind, wenn die Staatsanwaltschaft ihr zu Ungunsten des Angeklagten eingelegtes Rechtsmittel noch vor dessen Begründung zurücknimmt, der Verteidiger aber eben schon für den Angeklagten tätig geworden ist.

Dazu hat das KG vor kurzem erst für das Revisionsverfahren Stellung genommen (RVGreport 2010, 351 = JurBüro 2010, 599 = VRR 2010, 479). Seine dort geäußerte ablehnende Auffassung überträgt es im KG, Beschl. v.  19.05.2011 – 1 Ws 168/10 nun auf das Berufungsverfahren mit den im Wesentlichen gleichen Argumenten. Dazu will ich hier aber gar nicht näher Stellung nehmen, sondern verweise insoweit einfach auf meine Ausführungen in RVGreport 2010, 351 = VRR 20101, 479).

Erwähnens-/Berichtenswert ist der Beschluss des KG m.E. aus folgendem Grund: Das KG führt u.a. auch noch aus:

Ein verständiger und erfahrener Verteidiger, der mit der Rechtslage vertraut ist, wird daher vor dem Eingang der Berufungsrechtfertigung auf voreilige Überlegungen, spekulative Beratungen sowie auf Mutmaßungen über Umfang und Erfolgsaussichten des Rechtsmittels verzichten. Das wird er ohne nennenswerten Zeitaufwand auch dem Angeklagten begreiflich machen können, dem es trotz eines verständlichen Beratungsinteresses zuzumuten ist, vor einer Inanspruchnahme des durch die Allgemeinheit (vor-) finanzierten Verteidigers die Rechtsmittelbegründung abzuwarten.

Wenn man das liest, fragt man sich: Was denn nun? Ist eine Tätigkeit des Rechtsanwalt/Verteidigers erforderlich oder nicht? Die angeführte Passage spricht eher gegen den grundsätzlichen Ansatz des KG, anders ist „wird er ohne nennenswerten Zeitaufwand auch dem Angeklagten begreiflich machen können“ nicht zu verstehen. Muss aber der Verteidiger dem Angeklagten – wenn auch „ohne nennenswerten Zeitaufwand“ – in dem Verfahrensstadium etwas „begreiflich machen“, dann wird der Verteidiger wohl auch nach Auffassung des KG doch für den Angeklagten tätig. Diese Tätigkeit führt aber zum Entstehen der Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG, die dann aber auch, weil notwendig, zu erstatten bzw. festzusetzen ist. Kosten-/Gebührenfreies Arbeiten des Verteidigers sehen StPO und RVG nicht vor.

Auf den Zeitaufwand kommt es im Übrigen beim Pflichtverteidiger wegen des Pauschalcharakters der Gebühr nicht an. Beim Wahlanwalt wird sich der nicht „nennenswerte Zeitaufwand“ in der Gebührenhöhe wiederspiegeln. Alles in allem: Nicht ganz ohne Unebenheiten der Beschluss.