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(Neue) Pausenregelung für den Pflichtverteidiger, oder: Wie berechne ich die Hauptverhandlungsdauer?

Durch das KostRÄndG 2021 ist die Vorbem. 4.1 Abs. 3 VV RVG in das RVG eingefügt worden. Die regelt die Berechnung der in den Fällen des Längenzuschlags für den Pflichtverteidiger maßgeblichen Hauptverhandlungsdauer. Zu der Neuregelung liegt nun die erste Entscheidung vor, und zwar der LG Mannheim, Beschl. v. 11.05.2022 – 4 KLs 300 Js 40140/20.

In dem Verfahren geht es um drei Hauptverhandlungstermine am 5.11., 19.11. und 30.11.2021, für die der Pflichtverteidiger Längenzuschläge geltend gemacht hatte, die aber nicht festgesetzt worden sind. Das LG Mannheim sagt: Zutreffend:

„1. Entgegen des Vorbringens des Rechtsanwalts K ist die Mittagspause bei der Berechnung der Gesamtdauer der Hauptverhandlung für die oben genannten drei Termine abzuziehen. Die in der Erinnerungsbegründung zitierte Rechtsprechung erging vor dem Erlass des Art. 7 Abs. 1 Ziffer 42 des Kostenrechtsänderungsgesetzes vom 21.12.2020 (BGBl. I S. 3229 (Nr. 66)) und damit vor Einführung des Absatzes 3 der Vorbemerkung 4.1 in Anlage 1 Teil 4 RVG. Letztgenannte Vorschrift findet hier nach der Maßgabe von § 60 Abs.1 RVG Anwendung, da sowohl die Auftragserteilung als auch die Beiordnung des Rechtsanwalts K nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung erfolgt sind.

Nach Absatz 3 der Vorbemerkung 4.1 in Anlage 1 Teil 4 RVG sind zwar auch Wartezeiten und Unterbrechungen an einem Hauptverhandlungstag als Teilnahme zu berücksichtigen, wenn es für eine Gebühr auf die Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung ankommt. Dies gilt jedoch nicht für Unterbrechungen von jeweils mindestens einer Stunde, soweit diese unter Angabe einer konkreten Dauer der Unterbrechung oder eines Zeitpunkts der Fortsetzung der Hauptverhandlung angeordnet wurden.

Wird die Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden für unbestimmte Zeit unterbrochen, ist die Dauer der Unterbrechung als Teilnahme an der Hauptverhandlung zu rechnen (vergleiche Toussaint, Kostenrecht, 51. Auflage 2021, RVG VV Vorbemerkung 4.1: Rn. 35; BR-Drs. 565/20, 98). Ordnet der Vorsitzende unter Nennung des Zeitraums eine Unterbrechung an und wird die Hauptverhandlung aus von dem Rechtsanwalt nicht zu vertretenen Gründen erst nach dem genannten Zeitraum fortgesetzt, ist nur der durch den Vorsitzenden angeordnete Zeitraum zu berücksichtigen und nicht die Dauer der tatsächlichen Unterbrechung (Toussaint, ebenda).

2. Diesen gesetzlichen Vorgaben entsprechend ist der Längenzuschlag gemäß Nr. 4116 VV RVG, der entsteht, wenn der gerichtlich bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt mehr als 5 und bis 8 Stunden an der Hauptverhandlung teilnimmt, an keinem der durch den Rechtanwalt K genannten Termine entstanden:

a) Am 05.11.2021 begann die auf 09:00 Uhr terminierte Sitzung um 09:13 Uhr und endete um 14:54 Uhr. Mit Verfügung der Vorsitzenden wurde die Sitzung zur Mittagspause von 12:04 Uhr bis 13:30 Uhr unterbrochen und um 13:36 Uhr fortgesetzt. Mithin ist von dem Zeitraum von 09:00 Uhr bis 14:54 Uhr – 5 Stunden und 54 Minuten – die anberaumte Mittagspause von 12:04 Uhr bis 13:30 Uhr – 1 Stunde und 36 Minuten – abzuziehen, was eine zu berücksichtigende Verhandlungsdauer von 4 Stunden und 28 Minuten ergibt.

b) Am 19.11.2021 begann die auf 09:00 Uhr anberaumte Sitzung um 09:18 Uhr und endete um 14:15 Uhr. Mit Verfügung der Vorsitzenden wurde die Sitzung von 11:36 Uhr bis 13:30 Uhr zur Mittagspause unterbrochen und um 13:30 Uhr fortgesetzt. Mithin ist von dem Zeitraum von 09:00 Uhr bis 14:15 Uhr – 5 Stunden und 15 Minuten – die anberaumte Mittagspause von 11:36 Uhr bis 13:30 Uhr – 1 Stunde 54 Minuten – abzuziehen, was eine zu berücksichtigende Verhandlungsdauer von 3 Stunden und 21 Minuten ergibt.

c) Am 30.11.2021 begann die auf 09:00 Uhr anberaumte Sitzung um 09:15 Uhr und endete um 15:05 Uhr. Mit Verfügung der Vorsitzenden wurde die Sitzung zur Mittagspause von 11:57 Uhr bis 14:00 Uhr unterbrochen und um 14:05 Uhr fortgesetzt. Mithin ist von dem Zeitraum von 09:00 Uhr bis 15:05 Uhr – 6 Stunden und 5 Minuten – die anberaumte Mittagspause von 11:57 Uhr bis 14:00 Uhr – 2 Stunden und 3 Minuten – abzuziehen, was eine zu berücksichtigende Verhandlungsdauer von 4 Stunden und 2 Minuten ergibt.“

M.E. ist die Entscheidung zutreffend. Denn sie entspricht der (neuen) vereinfachten Systematik der Vorbem. 4.1 Abs. 3 VV RVG (dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4.1 Rn 48 ff. und hier mein Beitrag aus StraFo 2021, 8 – Änderungen bei der Vergütung der Verteidiger/Rechtsanwälte in Straf- und Bußgeldsachen durch das KostRÄG 2021.

Danach werden Wartezeiten und Unterbrechungen während eines Verhandlungstags als Teilnahme an der Hauptverhandlung berücksichtigt. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Pflichtverteidiger die Wartezeit oder die Unterbrechung zu vertreten hat oder die Unterbrechung länger als eine Stunde

Hinsichtlich der Unterbrechungen/Pausen am Hauptverhandlungstag sind Unterbrechungen und Pausen bis zu einer Stunde immer als Hauptverhandlungszeit zu berücksichtigen. Auf den Grund der Unterbrechung, also z.B. für eine Mittagspause, kommt es nicht (mehr) an vgl. BT-Drucks 19/23484, S. 85). Längere Pausen werden nicht berücksichtigt, wenn der Rechtsanwalt bei der Anordnung der Unterbrechung deren Zeitraum kennt. Dabei ist es ebenfalls unerheblich, aus welchem Grund die Pause gemacht wird, ob als Mittagspause oder aus einem sonstigen Grund.

Das bedeutet hier, dass die angeordneten Pausen von mehr als Stunde bei der Berechnung der Hauptverhandlungszeit nicht zu berücksichtigen waren und zutreffend nicht berücksichtigt worden sind. Soweit die Pausen am 5.11. und am 30.11.2021 länger gedauert haben, als sie angeordnet worden waren, ist das auf jeden Fall ohne Belang für die zu berücksichtigende Hauptverhandlungsdauer, Der Beschluss teilt nicht mit, worauf hier der verzögerte Beginn am 5.11. und am 30.11.2021 zurückzuführen ist, obwohl der Leitsatz 2) dafür sprechen könnte, dass der Verteidiger die Verzögerung zu vertreten hat. Ist das Fall, ist also die längere Dauer auf vom Pflichtverteidiger zu vertretende Umstände zurückzuführen, greift Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV RVG. Anderenfalls wären die Verzögerungszeiten zwar zu berücksichtigen (vgl. BT-Drucks. 19723484, S. 84 f.), was aber hier nichts an der Entscheidung geändert hätte. Denn selbst wenn die Verzögerungen auch als Hauptverhandlungsdauer anzusehen (gewesen) wären, würde das aber immer noch nicht gereicht haben, um die „5-Stunden-Marke“ zu überschreiten.

Die Übernachtungskosten des Verteidigers/Rechtsanwalts, oder: Mittelklasse genügt

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Den heutigen „Zahltag“ = Tag der gebührenrechtlichen Entscheidungen/Fragen eröffne ich mit dem OLG Frankfurt, Beschl. v. 01.09.2017 – 2 Ws 16/17 -, den mir der Kollege Siebers aus Braunschweig übersandt hat. Der Beschluss behandelt zwei Fragen, auf eine davon will ich hier heute eingehen. Und zwar die der Höhe der einem Verteidiger/Rechtsanwalt zustehenden Übernachtungskosten.

Darum ist im Verfahren heftig gestritten worden. Der Kollege hatte 200 €/Nacht geltend gemacht, der Rechtspfleger hat den Kollegen mit 100 €/Nacht abspeisen wollenb, die Strafkammer hat dann 150 €/Nacht festgesetzt, allerdings auch für die Nächte, in denen der Kollege weniger bezahlt hatte. Das OLG geht dann unter Zugrundelegung von § 46 Abs. 1 RVG  auch von 150 €/Nacht aus, setzt die aber nur für die Nächte fest, in denen diese Kosten auch mindestens entstanden sind.

„Der Rechtsanwalt hat bei der sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit den allgemeinen Kostengrundsatz zu berücksichtigen, dass jede Partei und daher auch jeder für sie tätige Anwalt die Kosten und damit auch die Auslagen möglichst gering halten muss. Die Übernachtung in einem Mittelklassehotel ist daher regelmäßig ausreichend.

Übernachtungen sind vorliegend — außerhalb von Messezeiten — bis zu einem Höchstbetrag von € 150 erstattungsfähig. Auf die ausführliche Begründung der Kammer, die unter Rückgriff auf Buchungsportale im Internet und einen dort verzeichneten Hotelpreisindex, bei einem Standard von mindestens drei Sternen einen Hotelpreis von bis zu € 150 als ausreichend und angemessen angesehen hat, wird Bezug genommen. Der Verteidiger ist aber trotzdem gehalten, bei der Auswahl seiner Übernachtungsmöglichkeit seiner Pflicht zur Geringhaltung von Kosten nachzukommen und möglichst günstige Hotels zu buchen. Wie sich aus den eingereichten Kostenbelegen ergibt, bestand auch im vorliegenden Fall teilweise die Möglichkeit, preisgünstige Hotels von weniger als € 150 pro Übernachtung in Frankfurt am Main auszuwählen. Soweit der Verteidiger im Einzelfall Übernachtungskosten von über € 150 für erforderlich hält, bedarf es einer konkreten Darlegung im Kostenfestsetzungsverfahren, wieso diese in dieser Höhe erforderlich waren.

Soweit der Antragsteller unter Hinweis auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, Beschluss vom 11. Februar 2008 – 6 W 207/07, meint, bereits im Jahr 2008 sei ein Hotelpreis für ein Hotelzimmer in Frankfurt am Main in Höhe von € 170 als angemessen angesehen worden. so wurde der im dortigen, zivilrechtlichen Verfahren veranschlagte Hotelpreis ohne Begründung auf € 170 geschätzt. Angesichts des realen, deutlich darunter liegenden Preisniveaus für eine angemessene Unterkunft kann dieser Schätzung für das vorliegende Verfahren keinerlei Bedeutung zugemessen werden.“

Vom Ansatz her m.E. zutreffend, über die Höhe kann man natürlich streiten. Die wird in Frabkfurt zu Messzeiten sicherlich nicht ausreichen.

Im zweiten Teil hat das OLG dann noch zum Längenzuschlag Stellung genommen und ausgeführt, dass es an seiner – in meinen Augen unzutreffenden – Rechtsprechung zur Berückischtigung von Pausen festhält. Dazu möchte ich aber nichts mehr schreiben, da alles gesagt ist.Die OLG wissen es eben besser.