Die zweite Entscheidung kommt heute vom OLG Bremen. Es ist der OLG Bremen, Beschl. v. 13.04.2018 – 1 Ss 49/17, den mir die Kollegin M.Pfeiffer aus Bremen allerdings erst jetzt geschickt hat. Es behandelt mal wieder die Frage der Beleidigung von Polizeibeamten. Und zwar hatte der Angeklagte bei einer Verkehrskontrolle gegenüber den kontrollierenden Beamten geäußert: „Ihr habt doch nur Langeweile. Ihr seid doch nur Wichtigtuer!“. Frage: Beleidigung (§ 185 StGB) ja oder nein. AG und LG hatten die Frage bejaht, das OLG hat sie – m.E. zutreffend – – verneint und den Angeklagten frei gesprochen:
„…. b) Gemessen hieran begegnet bereits die Deutung des Landgerichts, mit der festgestellten Äußerung habe der Angeklagte den Beamten unterstellt, die Maßnahme ihm gegenüber nur deshalb durchzuführen, um das eigene Machtstreben oder ihren Geltungsdrang zu befriedigen und diesen Geltungsdrang über das Recht zu stellen, zumindest Bedenken. Dem Wortlaut nach besagt die Bezeichnung als „Wichtigtuer“, dass der Betreffende sich durch sein Auftreten größere Wichtigkeit zumesse als ihm in den Augen des Äußernden tatsächlich zukommt. Die Deutung des Landgerichts, dass der Angeklagte dadurch auch zum Ausdruck gebracht habe, die Beamten handelten, um ihre eigene Person in ihrer Bedeutung zu überhöhen, ist für sich genommen nicht zu beanstanden. Aus dem Kontext ergibt sich, dass der Angeklagte zum Ausdruck bringen wollte, dass die Beamten ihr Ermessen einseitig und schikanös ausübten. Der weitergehende Schluss aber, der Angeklagte habe damit auch erklärt, dass die Beamten ihren Geltungsdrang über das Recht stellten, wodurch ihr Handeln in die Nähe zum Amtsmissbrauch gerückt werde, findet keinen Anhalt im Wortlaut und den Umständen. Weder der sprachliche Kontext — der weitere Vorwurf, die Beamten handelten aus Langeweile — noch die objektiven Umstände — der Angeklagte sah sich einer Verkehrskontrolle ausgesetzt, gegen die er vehement protestierte — bieten eine Grundlage für diese Annahme, mit der Bezeichnung als Wichtigtuer werde eine bewusste Missachtung rechtlicher Bindungen zum Ausdruck gebracht.
c) Aber auch wenn man die Deutung durch das Landgericht zu Grunde legt, trägt dies eine Verurteilung wegen Beleidigung nicht, da die Äußerung als Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne von § 193 StGB nicht strafbar ist…..
…..
bb) Gemessen hieran überwiegt der Schutz der Meinungsfreiheit im vorliegenden Fall. ….
Gemessen hieran fällt die Abwägung zugunsten der freien Rede aus. Richtig ist zwar, dass der Angeklagte seine Kritik personalisiert und in durch Verwendung der familiären Anrede in zusätzlich unhöflicher und distanzloser Form formulierte. Aber allein der Umstand, dass eine gegen einen Amtsträger gerichtete Kritik anklagend und personalisiert ausfällt, führt noch nicht zu ihrer Unzulässigkeit (BVerfG, Beschluss der 1. Kämmer des 1. Senats vom 12.05.2009 — 1 Eh« 2272/04, juris Rn. 38, NJW 2009, 3016). Die personalisierte Form, der Angesprochene sei ein Wichtigtuer, fällt allerdings schärfer aus als die auf ein konkretes Verhalten bezogene Formulierung, weil sie dem Betreffenden eine nachteilige Charaktereigenschaft zuschreibt. Die zugeschriebene Charaktereigenschaft des Wichtigtuers aber wiegt für sich genommen nicht so schwer, als dass mit ihr dem Betroffenen der soziale Geltungswert so sehr abgesprochen wird, dass es gerechtfertigt wäre, die Äußerung zu bestrafen. Hinzu kommt, dass die Äußerung entgegen der Ansicht des Landgerichts angesichts des Kontextes, in dem sie fiel, auf ein konkretes polizeiliches Handeln bezogen ist. Die Äußerung fiel, weil der Ange-klagte meinte, dass die Verkehrskontrolle und die dabei angewendeten Maßnahmen überzogen seien. Es bleibt damit eine Äußerung, mit der sich der Angeklagte gegen eine staatliche Maßnahme zur Wehr setzte, die er jedenfalls in ihrer tatsächlichen Aus-führung als unrechtmäßig ansah. In einer solchen Situation werden dem Betroffenen auch scharfe und anklagende Formulierungen zugebilligt (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20.10.2004 — 1St RR 153/04, juris Rn. 29, NJW 2005, 1291; OLG Brandenburg, Beschluss vom 17.11.2016 — (2) 53 Ss 64/16, juris Rn. 18; OLG München, Beschluss vom 06.11.2014 — 5 OLG 13 Ss 535/14, juris Rn. 12, StraFo 2015, 3’0). Zumindest in Ansehung der konkreten Umstände in‘ Form der beginnenden Durchsuchung des Kofferraums des Fahrzeug des Angeklagten, die sowohl vom Landgericht als auch von der Generalstaatsanwaltschaft als unrechtmäßig eingeschätzt wird, war die Kritik auch nicht völlig ohne jeden Anlass.
Auch dass der Angeklagte nach der Deutung des Landgerichts mit seiner spekulativen Bemerkung den Beamten sachwidrige Motive unterstellte, ist für sich genommen nicht so schwer wiegend, als dass dies in der konkreten Situation eine Bestrafung wegen Beleidigung rechtfertigte. Denn letztlich schwingt beinahe in jeder Kritik an einer konkreten Maßnahme eines einzelnen Beamten der Vorwurf der sachwidrigen Ermessensbetätigung mit. Auch wenn man der Auffassung sein wollte, dass damit verbunden sei, dass die handelnden Beamten „in die Nähe des Amtsmissbrauchs“ gerückt wurden, ist dies typische Konsequenz der personalisierten Kritik an einer Diensthandlung.
Die spekulative Unterstellung des Motivs der Wichtigtuerei ist auch nicht etwa gleichzusetzen mit dem Vorwurf der Rechtsbeugung, den sich, wenn er ohne jeden tatsächlichen Anhalt geäußert wird, ein Beamter nicht ohne Weiteres gefallen lassen muss (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 31.01.2017 — 1 BvR 2454/16, juris Rn. 4).
Die Anrede mit dem informellen „Du“, wie sie der Angeklagte hier gegenüber den Beamten verwendete, ist für sich genommen zwar unhöflich und respektlos, jedoch wird eine solche Anrede erst dann zur Beleidigung, wenn darin im Einzelfall eine soziale Herabwürdigung zum Ausdruck kommt, die über die bewusst missachtende Anredekonvention hinausgeht (vgl. Fischer, 65. Aufl., § 185 StGB Rn. 8a; LK-Hilgendorf, 12. Aufl., § 185 StGB Rn. 27; MK-Rogge/Pegel, 3. Auf., § 185 StGB Rn. 10). Umstände, die einen solchen herabwürdigenden Äußerungsgehalt begründeten, sind aber nicht feststellbar.“
Habe nur ich den Eindruck, dass die Verfahren zunehmen, in denen es um Beleidigung von Polizeibeamten geht? Dann stellt sich die Frage: Warum? Sind die Polizeibeamten dünnhäutiger geworden oder gibt es allgemeine Anweisungen, dass „so etwas“ verfolgt werden soll/muss. Falls ja: Für mich gilt der Spruch: Was stört es die Eiche, wenn sich das Schwein daran reibt. Oder: Umdrehen und den „Beleidiger“ toben lassen. Zumindest bei solchen Äußerungen in solchen Situationen. Erspart allen viel Ärger und Zeit….