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Das „wunderbare Inzuchtsprodukt“ als Innenminister in Bayern

entnommen wikimedia.org Author User: Jarlhelm

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Der LG Karlsruhe, Beschl. v. 20.07.2016 – 4 Qs 25/16 – ist ja schon in einigen anderen Blogs und auch sonst über die Ticker gelaufen. ich greife ihn dann heute noch einmal auf. Es ist die Geschichte, deren Ausgang bei „Hart aber fair“ liegt. Da hatte der bayerische Innenminister Herrmann hatte 2015 über den Sänger Roberto Blanco gesagt, er sei ein „wunderbarer Neger“. Darüber ärgerte sich ein Karlsruher Anwalt deutsch-ghanaischer Abstammung. Er schrieb Herrmann einen Brief mit der – dann später – umstrittenen Formulierung. Das Schreiben lautete:

„Ihre rassistische Gesinnung
Hallo, Herr H…,
Sie sind ein ganz wunderbares Inzuchtsprodukt!
Mit freundlichen Grüßen
Dr. S…“

Herrmann hat dann Strafanzeige wegen Beleidigung gestellt. Die Staatsanwaltschaft hat einen Strafbefehl beantragt, das AG hat dessen Erlass abgelehnt und das LG Karlsruhe die dagegen gerichtete Beschwerde verworfen.

„Zwar erfüllt die vom Beschuldigten getätigte Bezeichnung des Geschädigten als „ganz wunderbares Inzuchtsprodukt“ den Tatbestand der Beleidigung gemäß § 185 StGB (1.). Sie unterfällt jedoch der durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG grundrechtlich garantierten Meinungsfreiheit, weshalb der Beschuldigte nach § 193 StGB gerechtfertigt ist (2.).

1. Die Bezeichnung des Geschädigten als „Inzuchtsprodukt“ durch den Beschuldigten erfüllt den Tatbestand der Beleidigung gemäß § 185 StGB.

a) Der Begriff „Inzucht“ bezeichnet die Fortpflanzung naher Blutsverwandter miteinander. Diese ist in vielen Kulturen – abhängig von Grad und Linie der Verwandtschaft – tabuisiert. In Deutschland wird in § 173 StGB – verfassungsrechtlich unbedenklich (siehe BVerfG, NJW 2008, 1137ff.) – der Beischlaf zwischen Verwandten in bestimmten Fällen sogar unter Strafe gestellt. Die Bezeichnung des Geschädigten als „Inzuchtsprodukt“ lässt sich zwar nicht konkret über den Grad der Verwandtschaft dessen Eltern aus. Ihr kommt gleichwohl die negative Konnotation zu, der Adressat verdanke seine Existenz einem kulturell tabuisierten, rechtlich verbotenen Zeugungsakt und ist deshalb ehrverletzender Natur.

b) Zu einer anderen Beurteilung veranlasst nicht, dass nach dem ausdrücklich erklärten Verständnis des Beschuldigten jeder „ethnisch nicht gemischte“ Mensch ein „Inzuchtsprodukt“ sei. Für die Frage, welchen Sinngehalt eine Äußerung hat, ist weder die subjektive Absicht des Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern allein der objektive Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat, maßgeblich (BVerfG, NJW 1995, 3303 [3305]). Zwar hat sich das Gericht im Fall mehrerer Deutungsmöglichkeiten einer Äußerung mit allen diesen auseinanderzusetzen. Indes braucht es nicht auf entfernte, weder durch den Wortlaut noch die Umstände der Äußerung gestützte Alternativen einzugehen oder gar abstrakte Deutungsmöglichkeiten zu entwickeln, die in den konkreten Umständen keinerlei Anhaltspunkte finden (BVerfG a.a.O.). So liegt es hier. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird unter Inzucht eine Fortpflanzung verstanden, bei der die Verwandtschaft der Eltern nur durch eine oder wenige vermittelnde Geburten begründet ist. Auch die übrigen Umstände und der Zusammenhang, in dem die Bezeichnung als „Inzuchtsprodukt“ gefallen ist, nämlich der Vorwurf der „rassistischen Gesinnung“ des Geschädigten lassen keine Deutung der Äußerung im Sinne des Beschuldigten zu.

c) Der ehrverletzende Charakter der Bezeichnung als „Inzuchtsprodukt“ wird schließlich auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Beschuldigte ihm die Wörter „ganz wunderbares“ vorangestellt hat. Zwar erhält die Äußerung hierdurch eine ironische Komponente. Die Bezeichnung als „ganz wunderbares Inzuchtsprodukt“ orientiert sich jedoch offensichtlich an der vom Geschädigten gebrauchten gleichsam ehrverletzenden Bezeichnung „wunderbarer Neger“. Demnach stellt sich die Reaktion des Beschuldigten hierauf als bewusst ehrverletzende Äußerung dar.

2. Die Äußerung ist jedoch von der durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG grundrechtlich gewährleisteten Meinungsfreiheit des Beschuldigten gedeckt und deshalb nach § 193 StGB gerechtfertigt.

a) Die Bezeichnung des Geschädigten als „Inzuchtsprodukt“ stellt keine Schmähung, welche die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Schutz der persönlichen Ehre zurücktreten lässt (BVerfG, NJW 2009, 3016 [3017] m.w.N.), dar. Der wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng auszulegende Begriff der Schmähung erfasst nicht schon jede überzogene oder gar ausfällige Kritik. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch von polemischer und überspitzer Kritik in der Herabsetzung der Person bestehen (BVerfG, NJW 1995, 3303 [3304] m.w.N.). Wesentliches Merkmal der Schmähung ist mithin eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung (BVerfG, NJW 2014, 3357 [3358]). Das ist vorliegend nicht der Fall. Als Betreff hat der Beschuldigte in seinem an den Geschädigten gerichteten Schreiben dessen „rassistische Gesinnung“ benannt. Demnach steht das Schreiben und die darin enthaltene ehrverletzende Äußerung erkennbar in sachlichem und auch in zeitlichem Zusammenhang mit der nur etwa eine Woche zuvor im Fernsehen ausgestrahlten Äußerung des Geschädigten, R. sei immer ein „wunderbarer Neger“ gewesen.

b) Bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen der persönlichen Ehre des Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Beschuldigten überwiegt letztere.

Der Geschädigte hat im Rahmen einer im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlten und somit einer breiten Masse zugänglichen Talksendung, welche die steigende Zahl von Flüchtlingen und die damit einhergehende Frage, ob und wie deren Integration zu bewältigen ist, zum Thema hatte, R. als „wunderbaren Neger“ bezeichnet. Der Begriff „Neger“ ist nach inzwischen gefestigtem allgemeinem Sprachverständnis diskriminierender Natur (vgl. OLG Köln, NJW 2010, 1676 [1676]). Wer sich an einer öffentlichen Auseinandersetzung über gesellschaftlich oder politisch relevante Fragen beteiligt und hierbei – wie der Geschädigte mit der Verwendung des diskriminierendes Begriffs „Neger“ – zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben hat, muss eine scharfe Reaktion grundsätzlich auch dann hinnehmen, wenn sie sein Ansehen mindert (vgl. BVerfG, NJW 1980, 2069 [2069f.]).

Ohne Bedeutung ist, dass R. sich durch die Äußerung des Geschädigten nicht – so jedenfalls die Berichterstattung in den Medien – beleidigt fühlte. Ob eine Äußerung einen ehrverletzenden Inhalt hat, bestimmt sich nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums.

Ebenso wenig ist ausschlaggebend, dass der Geschädigte den Begriff „Neger“ in konkretem Bezug auf R. verwendet hat. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG räumt dem Beschuldigten – wie auch jedem anderen Menschen – das Recht ein, sich an dieser öffentlichen Auseinandersetzung zu beteiligen.

Der vom Beschuldigten in seinem Schreiben gewählte Betreff der „rassistischen Gesinnung“, der enge zeitliche Zusammenhang – acht Tage nach Ausstrahlung der Sendung im Fernsehen – und die erneute Verwendung des Adjektivs „wunderbar“ stellen einen eindeutigen Bezug zur Äußerung des Geschädigten her. Das Schreiben des Beschuldigten stellt sich demnach als Beitrag zur Auseinandersetzung in einer die Öffentlichkeit zu dieser Zeit aktuell wesentlich berührenden Frage, mithin zur öffentlichen Meinungsbildung dar. Derartige Beiträge genießen im Vergleich zu solchen Beiträgen, die lediglich der Verfolgung privater Interessen dienen, einen stärkeren Schutz; für sie spricht eine Vermutung zugunsten der freien Rede (vgl. BVerfG, NJW 1958, 257 [258f.]).

Dass der Beschuldigte seine Äußerung nicht öffentlich getätigt hat ändert nichts daran, dass Anlass hierfür eine die Öffentlichkeit bewegende Frage war, sie sich mithin gleichwohl als Beitrag zum öffentlichen Meinungskampf darstellt. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte durch die Wahl eines an den Geschädigten persönlich gerichteten Schreibens den Kreis derjenigen, welche von der ehrverletzenden Bezeichnung hätten Kenntnis erlangen können, seinerseits klein gehalten hat. Wenn der Beschuldigte die Äußerung aber sogar in der Öffentlichkeit und somit gegenüber einem nicht überschaubaren Empfängerkreis hätte tätigen dürfen, muss dies erst recht gelten, wenn er dies in einem nichtöffentlichen Schreiben an den Geschädigten tut.2

Nun ja, wer „austeilt“ muss auch „einstecken“ können. Die Entscheidung passt dann ganz gut zu den BVerfG-Entscheidungen der letzten Wochen betreffend Beleidigung, Schmähkritik und freie Meinungsäußerung….

Die „dahergelaufene, durchgeknallte, widerwärtige, boshafte, dümmliche, geisteskranke Staatsanwältin“, oder: Was bringt es?

© ernsthermann - Fotolia.com

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Der BVerfG, Beschl. v. 29.06.2016 – 1 BvR 2646/15 – ist ja schon in anderen Blogs gelaufen. Er ist aber – auf den ersten Blick – auch „zu schön“, den muss man einfach bringen. Es geht mal wieder um die Schmähkritik. In Berlin ist ein Verteidiger wegen Beleidigung einer Staatsanwältin verurteilt worden. Es ist ein bisschen hin und her gegangen – ganz einig war man sich nicht. Das AG hatte zunächst einen Strafbefehl erlassen, das LG hat den Verteidiger auf sein Berufung hin dann frei gesprochen, das KG hat diesen Freispruch aufgehoben. Das LG hat dann im zweiten Durchlauf den Verteidiger verurteilt. Die dagegen eingelegte Revision hat das KG verworfen. Das BVerfG hat nun ein vorletztes (?) Wort gesprochen und die verurteilenden Urteile von LG und KG aufgehoben.

Grundlage des Hin und Her und der Entscheidung aus Karlsruhe ist folgender Sachverhalt:

„1. Der Beschwerdeführer arbeitet als Rechtsanwalt. Seit Dezember 2009 vertrat er als Strafverteidiger den ersten Vorsitzenden eines gemeinnützigen Vereins, der Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen Veruntreuung von Spendengeldern war. Dieses Ermittlungsverfahren erregte großes Medieninteresse.

„A.C.A.B.“ – das ist nicht automatisch eine Beleidigung

entnommen wikimedia.org Autor: MZaplotnik

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Das zweite Posting, das sich mit Beleidigungsfragen befasst, betrifft zwei Entscheidungen von „ganz oben“. Es sind die BVerfG, Beschl. v.  17.05.2016- 1 BvR 257/14  und 1 BvR 2150/14, die sich mit der Frage der Beleidigung befassen, wenn der Schriftzugs „A.C.A.B.“ – „All Cops Are Bastards“ – auf der Kleidung getragen wird. Die Rechtsprechung hat ja seit einiger Zeit mit dieser Frage zu tun. Dazu gibt es Entscheidungen des OLG Nürnberg und des OLG Karlsruhe und auch den OLG München, Beschl. v. 18.12.2013 – 4 OLG 13 Ss 571/13, und nun eben die BVerfG-Entscheidungen, eine davon betrifft den OLG-München, Beschluss. Und ich mache es mir damit einfach – sind beide doch recht umfangreich – und nehme dann heute mal die PM des BVerfG zu den Entscheidungen, in der es dann u.a. heißt:

„Die Kundgabe der Buchstabenkombination „ACAB“ im öffentlichen Raum ist vor dem Hintergrund der Freiheit der Meinungsäußerung nicht ohne weiteres strafbar. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats in zwei heute veröffentlichten Beschlüssen entschieden. Die Verurteilung wegen Beleidigung gemäß § 185 Strafgesetzbuch (StGB) setzt voraus, dass sich die Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht; ansonsten ist der Eingriff in die Meinungsfreiheit nicht gerechtfertigt.

Sachverhalt:

Beim Besuch eines Fußballspiels trug der Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 257/14 eine schwarze Hose, die im Gesäßbereich großflächig mit dem gut sicht- und lesbaren Schriftzug „ACAB“ bedruckt war. Nach dem Spiel verließ er das Stadion auf einem Weg, der an einigen dort eingesetzten Bereitschaftspolizisten vorbeiführte. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB. Die Berufung zum Landgericht und die Revision zum Oberlandesgericht blieben erfolglos.

Der Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 2150/14 hielt während eines Fußballspiels gemeinsam mit anderen Personen verschiedene großflächige Banner hoch. Ein Transparent trug die Aufschrift „Stuttgart 21 – Polizeigewalt kann jeden treffen“, ein weiteres war mit der Aufschrift „BFE ABSCHAFFEN“ versehen, wobei „BFE“ für die Beweis- und Festnahmeeinheiten der Polizei steht. Der Beschwerdeführer und vier weitere Personen trennten vier Buchstaben aus diesem Transparent heraus und hielten diese dann in der Formation „A C A B !“ hoch. Das Landgericht sprach den Beschwerdeführer der Beleidigung schuldig und verwarnte ihn, nachdem ein den Beschwerdeführer freisprechendes Urteil durch das Oberlandesgericht aufgehoben worden war. Die erneute Revision des Beschwerdeführers blieb erfolglos.

Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sich die Beschwerdeführer gegen die Verurteilungen und rügen die Verletzung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

Die Parole „ACAB“ ist nicht von vornherein offensichtlich inhaltlos, sondern bringt eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck. Es handelt sich um eine Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die strafrechtlichen Verurteilungen der Beschwerdeführer greifen in dieses Grundrecht ein.

Die Auslegung und Anwendung der Strafgesetze ist grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte. Die angegriffenen Entscheidungen sind vorliegend jedoch nicht mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anwendung und Auslegung des § 185 StGB als Schranke der freien Meinungsäußerung vereinbar. Sie tragen die Annahme einer hinreichenden Individualisierung des negativen Werturteils nicht.

a) Eine herabsetzende Äußerung, die weder bestimmte Personen benennt noch erkennbar auf bestimmte Personen bezogen ist, sondern ohne individuelle Aufschlüsselung ein Kollektiv erfasst, kann zwar unter bestimmten Umständen ein Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs sein. Je größer das Kollektiv ist, auf das sich die herabsetzende Äußerung bezieht, desto schwächer kann auch die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden, weil es bei den Vorwürfen an große Kollektive meist nicht um das individuelle Fehlverhalten oder individuelle Merkmale der Mitglieder, sondern um den aus der Sicht des Sprechers bestehenden Unwert des Kollektivs und seiner sozialen Funktion sowie der damit verbundenen Verhaltensanforderungen an die Mitglieder geht. Dabei ist es verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen zu behandeln, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet.

b) Diesen Vorgaben werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Es fehlt an hinreichenden Feststellungen zu den Umständen, die die Beurteilung tragen könnten, dass sich die Äußerungen jeweils auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe beziehen. Nach den dargelegten Maßstäben reicht es nicht aus, dass die Polizeikräfte, die die Parole „ACAB“ wahrnehmen, eine Teilgruppe aller Polizistinnen und Polizisten bilden. Vielmehr bedarf es einer personalisierenden Adressierung dieser Parole, für die hier nichts ersichtlich ist. Das Wissen der Beschwerdeführer, dass Polizei im Stadion ist und die Parole wahrnehmen würde, reicht hierfür nach verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht.

aa) Im Verfahren 1 BvR 257/14 fehlen insbesondere Feststellungen dazu, dass sich der Beschwerdeführer bewusst in die Nähe der Einsatzkräfte der Polizei begeben hat, um diese mit seiner Parole zu konfrontieren.

bb) Im Verfahren 1 BvR 2150/14 setzen sich die Fachgerichte darüber hinaus nicht sachhaltig damit auseinander, dass unmittelbar vor der Verwendung des Akronyms „ACAB“ Kritik an den Beweis- und Festnahmeeinheiten „(BFE)“ sowie an den Polizeieinsätzen im Rahmen des Projekts „Stuttgart 21“ geäußert und damit eine in der Öffentlichkeit viel diskutierte Frage aufgenommen worden war. Insoweit kann die strafgerichtliche Entscheidung nicht darauf gestützt werden, dass es sich bei der Aktion des Beschwerdeführers um eine unzulässige Schmähung gehandelt habe. Zum einen setzt auch die Annahme einer Schmähung eine personalisierte Zuordnung der Äußerungen voraus. Zum anderen ist der Begriff der Schmähung, der keine Abwägung mehr mit der Meinungsfreiheit verlangt, von Verfassungs wegen eng zu definieren und erfasst nur Fälle, in denen es nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Aus den Feststellungen des Gerichts ist nicht ersichtlich, dass die Äußerung sich individualisiert gegen bestimmte Beamte richtete.

c) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen werden.“

Die Beschlüsse machen es das Umgehen mit „ACAB“ in der Praxis sicherlich nicht einfacher.

Du „Zigeuner“ – Beleidigung ja oder nein?

entnommen wikimedia.org Herkunft/Fotograf Palais Dorotheum, 11. Dezember 2013, Lot Nr. 232

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Herkunft/Fotograf Palais Dorotheum, 11. Dezember 2013, Lot Nr. 232

Heute soll es dann mal zwei Entscheidungen zur  Beleidigung geben, und zwar zunächst den OLG Hamm, Beschl. v. 28.04.2016 – 3 RVs 37/16. In ihm geht es um die Frage, ob (allein) die Bezeichnung einer anderen Person als „Zigeuner“ eine Beleidigung i.S. des § 185 StGB darstellt. Das hatt das AG Detmold angenommen, das OLG sieht es aber anders. Nach seiner Auffassung stellt der Begriff „Zigeuner“ im deutschsprachigen Raum grundsätzlich eine Fremdbezeichnung für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe dar; es handelt sich nicht um einen Begriff, der allein die Bedeutung eines Schimpfwortes hat.

Nach Auffassung des OLG müssen weitere Umstände hinzukommen, nämlich „zur Feststellung, ob die Verwendung dieser Bezeichnung auch den Tatbestand des § 185 StGB erfüllen kann, u.a. Feststellungen dazu, in welchem Zusammenhang die Äußerung gefallen ist, welcher Abstammung der Geschädigte ist und weiterer Feststellungen zum Kulturkreis des Angeklagten.“

Und dazu war das AG-Urteil dem OLG „zu dünn“:

„Die seitens des Amtsgerichts vorgenommene Beweiswürdigung ist vor den oben genannten Anforderungen derart lückenhaft, dass eine dementsprechende Nachprüfung seitens des Revisionsgerichts nicht erfolgen kann.
Um eine etwaige Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beleidigung prüfen zu können, bedürfte es u. a. Feststellungen zu folgenden Fragen:
Welche Bedeutung hat der Begriff „Zigeuner“ im Kulturkreis des Angeklagten?
War sich der Angeklagte der Bedeutung des Begriffes, insbesondere ob seiner Alkoholisierung, im hiesigen Kulturkreis hinreichend bewusst?
Welchen Gegenstand hatten die dem Ausruf vorhergehenden Streitigkeiten?
Welchem Kulturkreis entstammt der Zeuge H ursprünglich?
All diese Fragen bleiben im angefochtenen Urteil offen und ungeklärt.“

Die „Checkliste“ kann das AG dann jetzt im zweiten Durchlauf abarbeiten.

Katar, das „Krebsgeschwür“ des Weltfußballs….zulässig?

FootballDer Ball rollt – zur großen Freude all derer, die Fußball mögen, mein Ding ist es nicht unbedingt. Ich – und auch all die anderen, die Fußball nicht mögen – dürfen sich dann auf eine wunderbare Serie „oller Kamellen“ im Fernsehen freuen – ich weiß gar nicht, woher die alten Schätzchen alle kommen. Aber was soll es, meine Mitleidensgenossen und ich werden es überstehen (müssen). Ab 10.07.2016 läuft der Ball dann wieder „normal“.

Zu dem gestrigen Auftakt der Fußball-EM passt dann ganz gut das LG Düsseldorf, Urt. v. 19.04.2016 – 6 O 226/15, über das ja auch schon an anderer Stelle berichtet worden ist. Es geht um den Unterlassungsanspruch der Qatar Football Association gegen Dr. Theo Zwanziger, der früher Mitglied des Exekutivkomitees der FIFA gewesen ist. Der hatte in einem Interview mit dem Hessischen Rundfunk am 02.06.2005 geäußert:„Ich habe immer klar gesagt, dass Katar ein Krebsgeschwür des Weltfußballs ist.“

Die Qatar Football Association hat Unterlassung verlangen. Das LG hat das abgelehnt. Begründung: Die Aussage sei durch die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährte allgemeine Meinungsfreiheit gerechtfertigt. Die Gründe der umfangreichen Entscheidung sind in der PM des LG ganz schön zusammen gefasst. Da heißt es:

Die 6. Zivilkammer des Landgerichts urteilte, dass die Bezeichnung „Krebsgeschwür“ eine Beleidigung im Sinne von § 185 StGB sei. Die Aussage „Krebsgeschwür“ sei ein Werturteil, das der Qatar Football Association Eigenschaften zuspreche, die in höchstem Maße negativ und schädlich seien. Es sei massiv herabwürdigend, weil die Qatar Football Association damit den Status einer tödlichen Krankheit erhalte, die mit aller Macht zu bekämpfen sei. „Krebsgeschwür“ stehe für einen bösartigen Tumor, der sich im menschlichen Körper ausbreite und schlimmstenfalls zum Tode führe.

Die Qatar Football Association kann jedoch nicht Unterlassung der beleidigenden Äußerung, Katar sei ein „Krebsgeschwür des Weltfußballs“ verlangen. Denn die Aussage sei, so das Gericht, durch die grundrechtlich geschützte Freiheit der Meinungsäußerung in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz gerechtfertigt. Dr. Theo Zwanziger habe die Aussage in Wahrnehmung des berechtigten Interesses getätigt, die öffentliche Debatte über die Vergabe der Fußball-WM nach Katar anzuregen und die Vergabeentscheidung zu kritisieren. Entgegen der Auffassung der Klägerin spreche nichts dafür, dass Dr. Theo Zwanziger das Interview inszeniert habe, um von eigenem Fehlverhalten abzulenken. Der Vergleich der Klägerin mit einem Krebsgeschwür übersteige (noch) nicht die Grenze der Erforderlichkeit und Angemessenheit und sei keine Schmähkritik. Es habe nicht die öffentliche Diffamierung der Qatar Football Association, sondern die Rechtmäßigkeit und Überprüfung der Vergabeentscheidung für die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar im Vordergrund gestanden. Wer Kritik an öffentlichen Missständen übe, sei nicht auf das mildeste Mittel zur Verdeutlichung seines Standpunktes beschränkt. Im Hinblick auf die sportliche, wirtschaftliche und politische Bedeutung des Austragungsorts einer Fußballweltmeisterschaft sei der Zweck der Äußerung, die Augen der Öffentlichkeit kritisch auf die Arbeitsweise und Entscheidungsfindung der FIFA zu lenken, höher anzusetzen, als der Ehrenschutz der Qatar Football Association.“

Die Sache wird dann wahrscheinlich in Karlsruhe entschieden werden.