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Und schon wieder: Rückwirkende Beiordnung des Pflichtverteidigers

Ich hatte ja vor einigen Tagen bereits über die Frage der rückwirkenden Beiordnung des Pflichtverteidigers berichtet (vgl. hier). In dem Zusammenhang hat mich ein Kommentator auf den Beschl. des LG Kassel. v. 21.12.2010 – 3 Qs 311/10 aufmerksam gemacht, der diese Problematik auch behandelt; und zwar Einstellung des Verfahrens nach Einstellung nach § 154 StPO. Weise ich hier doch gerne drauf hin :-).

Pflichtverteidiger die 3: Zeitnahe Beiordnung erforderlich – neues zur rückwirkenden Beiordnung

Das LG Dresden hat sich jetzt in seinem Beschl. v. 06.01.2011 – 3 Qs 174/10 dem OLG Stuttgart (vgl. hier) angeschlossen und geht ebenfalls davon aus, dass der verfassungsrechtlich garantierte Grundsatz des fairen Verfahrens (Artikel 20 Absatz 3 GG) es gebietet, dass über einen Antrag des Verteidigers auf Beiordnung zeitnah entschie­den wird. Geschieht das nicht, führt das zur rückwirkenden Beiordnung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger. Es bewegt sich also was an der „Front“.

Pflichtverteidigerbestellung bei Untersuchungshaft – verfahrensbezogen Ja oder Nein?

Ein Streitpunkt (vgl. hier und hier) bei der Auslegung der neuen Vorschrift des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ist die Frage, ob der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger auch dann zu bestellen ist, wenn die Untersuchungshaft  nicht in demjenigen Verfahren vollzogen wird, für welches sich der Verteidiger bestellt hat.

Das OLG Frankfurt sagt in seinem Beschl. v. 22.04.2010 – 3 Ws 351/10, auf den ich erst jetzt gestoßen bin: Dem Beschuldigten ist der Rechtsanwalt gleichwohl zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der gesetzlichen Neuregelung. Es werde dort ausschließlich die Vollstreckung von Untersuchungshaft als Anknüpfungspunkt für die Erforderlichkeit der Pflichtverteidigung genannt. Auch historische Argumente sprechen nach Auffassung des OLG für diese Sichtweise, da bereits zur alten Rechtslage anerkannt war, dass eine Beiordnung verfahrensunabhängig zu erfolgen hatte.

M.E. nach Sinn und Zweck der Neuregelung zutreffend.

Immer wieder: Der Kampf um die nachträgliche Pflichtverteidigerbestellung

Die h.M. der Obergerichte lehnt die nachträgliche Pflichtverteidigerbestellung ab. So auch das OLG Köln im Beschl. v. 27.07.2010 – 2 Ws 456/10 mit der aus der Diskussion dieser Frage sattsam bekannten Argument, die Beiordnung eines Pflichtverteidiger erfolge nicht im Kosteninteresse des Rechtsanwalts. So weit, so gut, oder auch nicht :-(.

Was äußerst misslich ist: Wenn man das kombiniert mit der noch h.M., die für die Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren einen Antrag der StA verlangt, dann öffnet das Manipulationsmöglichkeiten Tür und Tor, und zwar in der Form, dass ein Antrag vor Einstellung des Ermittlungsverfahrens von der StA nicht gestellt wird. Verteidigern kann man nur raten, selbst einen Antrag zu stellen und ggf. ins Rechtsmittel zu gehen. Denn zumindest in der Literatur bewegt sich was in der Frage, ob auch der Verteidiger den Antrag stellen kann.

Der Igel und die Waffengleichheit im Strafverfahren

Der Kollege Siebers berichtet unter der Überschrift „Igelplage“ mal wieder über einen „Igel“ 🙂 = eine nicht erfolgte Pflichtverteidigerbestellung, obwohl beim Vorwurf der gefährlichen, weil gemeinschaftlichen, Körperverletzung mehrere der mitangeklagten Heranwachsenden verteidigt sind.

Wenn man das liest, fragt man sich, wenn nicht jetzt, wann dann? Das ist doch wohl inzwischen einer der klassischen Fällen, in denen beizuordnen ist. Verwiesen sei dazu auf:  LG Kassel, Beschl. v. 11. 2. 2010 – 3 Qs 27/10; LG Kiel StV 2009, 236 und LG StV 2001, 107; Beck-OK-Wessing § 140 StPO, Rdn. 17). Von Bedeutung sind in dem Zusammenhang aber auch noch OLG Celle StV 2006, 686; OLG Hamm StRR 2008, 346 = StV 2009, 85; LG Freiburg vom 12.03.2008 – 6 Qs 12/08 E. Hw.; LG Köln, Beschl. v. 24.06.2009, 111 Qs 312/09) Abgestellt wird in diesen Entscheidungen i.d.R. auf das Prinzip der Waffengleichheit. Ein Teil diser Entscheidungen ist auch gerade im JGG-Verfahren ergangen (so z.B. OLG Hamm, a.a.O.). Man fragt sich: Wird das alles nicht gelesen?.

Und einer der Kommentatoren bei dem Kollegen meint:

Der Igel gehört da auch hin. Großzügigkeit nach dem Motto „Ist doch nicht mein Geld“ ist jedenfalls fehl am Platze.“

Die Frage der Beiordnung hat doch nichts mit Großzügigkeit zu tun, sondern damit, ob der Pflichtverteidiger notwendig ist. Im Übrigen. Hier kehrt sich die „Sparsamkeit“ um. Denn das nun anstehende Beschwerdeverfahren kostet Geld, das man sich gut und gerne sparen könnte.

Ach so: Wahrscheinlich kommen jetzt wieder Kommentare, dass Amtsrichter das nicht alles lesen können. Die kann man sich sparen. Ich meine, sie müssen ( (ich verweise ja gar nicht auf mein Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 5. Aufl., 2010, Rn. 1248 m.w.N.). 🙂