Schlagwort-Archive: Beiordnung

Pflichtverteidiger im Bußgeldverfahren – einfach macht man es sich in Lübeck

Ich hatte ja vor einigen Tagen über die vom Kollegen Bella „erstrittene“ Entscheidung des AG Ahrensburg berichtet (vgl. hier), in der die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Bußgeldverfahren abgelehnt worden war. Der Kollege hatte Beschwerde eingelegt. Er hat jetzt Nachricht aus Lübeck und hat mir die Beschwerdeentscheidung zur Verfügung gestellt (vgl. auch hier beim Kollegen). Das LG Lübeck, Beschl. v. 10.01.2012 – 4 Qs 7/12 macht es sich m.E. (zu) einfach, wenn es dort nur heißt:

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Bußgeldverfahren abgelehnt. Die Voraussetzungen der §§ 46, 60 OWiG, 140 Abs. 2 S. 1 StPO sind nicht erfüllt. Die dem Betroffenen unmittelbar drohenden Rechtsfolgen begründen ebenso wenig die Schwere der Tat wie die ihm mittelbar drohende Folge der Entziehung der Fahrerlaubnis. Auch eine die notwendige Mitwirkung eines Verteidigers gebietende schwierige Sach-und Rechtslage liegt nicht vor. Diese ergibt sich auch nicht aus der zwischen Gericht und Verteidigung geführten Auseinandersetzung um die Beiziehung und Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung des Messgeräts.“

Eine Auseinandersetzung mit den Argumenten und eine Begründung der Ablehnung ist das in meinen Augen nicht.

Die Summe macht es (auf jeden Fall) – Pflichtverteidigung beim betreuten Beschuldigten

Das LG Braunschweig, Beschl. v. 12. 12. 2011 – 5 Qs 301/11 setzt sich mit der Frage der Beiordnung eines Pflichtverteidigers bei einem unter Betreuung stehenden Beschuldigten auseinander. Er kommt zum Ergebnis: Die Summe machte es, nämlich die Kumulation eines drohenden mittelbaren Nachteils sowie die Besorgnis der Unfähigkeit der Selbstverteidigung des Angeklagten. Die können dazu führen, dass die Verteidigung des Angeklagten notwendig i. S. d. § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO ist.

Leider teilt der Beschluss nicht mit, ob nicht ggf. schon allein der drohene Widerruf wegen der Höhe der Gesamtstrafewartung ausgereicht hätte, zur notwendigen Verteidigung zu kommen. M.E. reicht aber auch schon allein der Umstand aus, dass der Angeklagte unter Betreuung stand. Beides zusammen reicht auf jeden Fall.

Zeugenbeistand: Du hat ja einen Wahlbeistand

Eine in der Rechtsprechung bisher nicht behandelte Frage spricht der LG Dortmund, Beschl. v.14.11.2011 an, der in laufenden Hauptverhandlung zur Beiordnung eines Zeugenbeistandes ergangen ist. Der Rechtsanwalt ist Wahlanwalt des Zeugen und beantragt seine Beiordnung als Pflichtbeistand. Das LG lehnt ab:

Der Antrag von Rechtsanwalt Bleicher, dem Zeugen Y. als Zeugenbeistand für die Dauer der Vernehmung nach § 68 b StPO beigeordnet zu werden, wird abgelehnt, weil Rechtsanwalt B. den Zeugen als Beistand vertreten hat und der Gesetzgeber für diesen Fall die gerichtliche Beiordnung als Zeugenbeistand ausschließen will. Die Rechtsprechung für die Beiordnung als Pflichtverteidiger bei der Niederlegung des Wahlmandates durch den Anwalt hält die Kammer nicht für entsprechend anwendbar.

Im Übrigen sind vorliegend auch keine besonderen Umstände ersichtlich, aus denen sich ergibt, dass der Zeuge seine Befugnisse bei der Vernehmung nicht selbst wahrnehmen kann.

Frage: Woraus ergibt sich, dass die Regeln über die Niederlegung des Wahlmandats durch Rechtsanwalt bei der Pflichtverteidigung nicht auch beim Zeugenbeistand gelten. Und warum sollen die nicht gelten? Leuchtet mit nicht ein. Denn, wenn der Rechtsanwalt niedergelegt hat, hat der Zeuge keinen Beistand mehr.

Hier kam es nicht darauf an, das wohl die Voraussetzungen für die Beiordnung (§ 68 Ab StPO) nicht vorgelegen haben. Da fragt man sich dann auch noch, warum das LG eigentlich dann das Faß aufmacht, wenn es auf die Frage gar nicht ankommt. Und: Wenn schon, denn schon. Dann bitte auch eine Begründung.

 

Tat unter Alkohol – deshalb Pflichtverteidiger?

Den Automatismus: Tat unter Alkohol,  deshalb Beiordnung eines Pflichtverteidigers, gibt es nicht. Darauf weist ein schon etwas älterer KG-Beschluss hin, auf den ich erst jetzt gestoßen bin (vgl. KG, Beschl. v.22.09.2009 – (3) 1 Ss 350/09 [130/09]). Wenn es diesen Automatismus gäbe, würde das sicherlich auch zu einer wahren Inflation von Beiordnungen führen. Deshalb (?) schränkt das KG ein und führt aus:

Allein der Umstand, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Taten unter Alkoholeinfluss stehend begangen haben soll, begründet für sich genommen noch keinen notwendigen Fall der Verteidigung. Etwas anderes gilt aber, wenn der bei dem zum Tatzeitpunkt erheblich alkoholisierten Angeklagten langjährige Alkoholabhängigkeit und ggf. eine Epilepsieerkrankung zusammentreffen. Dann ist der Angeklagte nach Auffassung des KG wohl unfähig, sich selbst zu verteidigen, und es liegt ein Beiordnungsgrund nach § 140 Abs. 2 StPO vor.

Pflichtverteidiger für den inhaftierten Mandanten – allmählich haben wir eine h.M.

Schon etwas älter, der Beschl. des LG Köln v. 28.12.2010 – 105 Qs 342/10, den der Kollege, der ihn erstritten hat, mir heute hat zukommen lassen; darum will ich ihn mal lieber gleich veröffentlichen.

Der Beschluss behandelt u.a. die Problematik der Beiordnung des Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO, wenn gegen den Beschuldigten in einem anderen Verfahren U-Haft vollstreckt wird. Das LG hat sich der inzwischen wohl überwiegenden Auffassung angeschlossen, wonach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO sich auf alle gegen einen Beschuldigten geführten Verfahren bezieht, ohne dass es darauf ankommt, in welchem der Verfahren U-Haft vollstreckt wird. Das wird inzwischen auch von Schmitt in Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., 2011, § 140 Rn. 14 vertreten. Damit dürfte das Problem in der Praxis – hoffentlich – durch sein.

Der Beschluss des LG Köln ist auch noch aus einem weiteren Punkt von Interesse. Das LG hat keine Bedenken, den Kollegen nachträglich beizuordnen. Dazu nur kurz:

Zunächst geht die Kammer davon aus, dass in Ausnahmefällen wie diesem nachträglich eine Verteidiger-Bestellung gemäß § 140 Abs. 1. Nr. 4 StPO erfolgen kann, wenn der Antrag rechtzeitig gestellt worden ist.

Es geht also auch anders als in Leipzig – wenn man will.