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JGG III: Die Verurteilung im Jugendstrafverfahren, oder: Die Kostenentscheidung muss schon begründet werden

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Und die dritte Entscheidung des Tages hat dann noch einmal mit dem Urteil in einer Jugendsache zu tun, und zwar mit der Begründung der Kostenentscheidung im Hinblick auf § 74 GG.

Dazu sagt der LG Potsdam, Beschl. v. 14.07.2021 – 22 Qs 14/21:

„Die Kostenentscheidung im Urteil des Amtsgerichts, wonach dem Angeklagten gemäß § 465 StPO die Kosten des Verfahrens auferlegt wurden, unterliegt der Aufhebung.

Der bloße Hinweis in dem Urteil, „die Kostenentscheidung folgt aus § 465 I StPO“ (vgl. UA S. 4) genügt wegen der jugendstrafrechtlichen Sonderregelung des § 74 JGG nicht (vgl. Eisenberg/ Kölbel, 63. Auflage 2020, § 54 Rn.41 m.w.N). Insoweit unterliegt die Kostenentscheidung bei Anwendung von Jugendstrafrecht, wie im vorliegenden Fall, einer zumindest kurzen und nachvollziehbaren Begründungspflicht.

Dem Tatrichter ist bei seiner Entscheidung, dem Angeklagten die Kosten aufzuerlegen und von der Vorschrift des § 74 JGG keinen Gebrauch zu machen, ein weiter Ermessensspielraum zuzubilligen. Die Prüfung des Beschwerdegerichts ist darauf beschränkt, ob das erkennende Gericht das ihm eingeräumte Ermessen frei von Rechtsfehlern ausgeübt hat. Fehlt es vollständig an einer solchen Begründung, wird das Beschwerdegericht nicht in die Lage versetzt, die Entscheidung des Tatgerichts zu überprüfen. Insoweit ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht die Vorschrift in § 74 JGG übersehen hat.

Die Auferlegung der Kosten gemäß § 465 StPO kommt in geeigneten Fällen durchaus infrage. Das Amtsgericht wird bei der Entscheidung jedenfalls im Blick haben müssen, dass die Kostenentscheidung nicht zu einer der Geldstrafe ähnlichen Sanktion führen darf (vgl. BGH BeckRS 2016, 5080).“

Klageerzwingung II: Die Begründung der OLG-Entscheidung, oder: Muss man alles tun, was erlaubt ist?

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„Klageerzwingungsverfahren“ stecken häufig voller Emotionen der Antragsteller, die sich oder ihre Anträge nicht selten durch die Staatsanwaltschaft(en) nicht Ernst genommen fühlen. Das zeigt m.E. das dem VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 30. 06. 2015 – VGH B 15/15 VGH A 16/15 – zugrunde liegenden Verfahren, das dann beim VerfGH Rheinland-Pfalz sein Ende gefunden hat. Ob ein glückliches, wage ich zu bezweifeln.

Der Antragsteller hatte einen Antrag auf Erhebung der öffentlichen Klage – hilfsweise auf Einleitung eines Ermittlungsverfahrens – gegen eine Richterin wegen des Vorwurfs der Rechtsbeugung gestellt. Der ist im Verfahren nach den § 172 ff. StPO als unbegründet zurückgewiesen worden. Das OLG hatte in seiner Entscheidung den Klageerzwingungsantrag ohne weitere eigene Sachausführungen „aus den zutreffenden Gründen der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft“ zurückgewiesen. U.a. das hatte der Antragsteller mit der Verfassungsbeschwerde beanstandet. Der VerfGH „deckt“ das OLG und meint dazu in seinen Leitsätzen u.a.:

„Stützt die Generalstaatsanwaltschaft in einem Klageerzwingungsverfahren wegen Rechtsbeugung ihren Gegenantrag unter Wiedergabe der Entscheidung BGH 2 StR 479/13 auf die ohne konkreten Fallbezug verlautbarte These, ein Zusammentreffen mehrerer gravierender Rechtsfehler sei „hier nicht ersichtlich“, ist es weder verfas­sungsrechtlich noch einfachgesetzlich zu beanstanden, wenn das Oberlandesgericht anschließend den Klageerzwingungsantrag ohne weitere eigene Sachausführungen „aus den zutreffenden Gründen der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft“ zurückweist, sofern die nachfolgend auf die Verfassungsbeschwerde vorgenommene materiell – rechtliche Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof ergibt, dass ein die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigender Anfangsverdacht in den Aus­gangsbescheiden der Strafverfolgungsbehörden zu Recht verneint wurde.“

Nun, zur Befriedung trägt das besteimmt nicht bei. In meinen Augen auch wenig egschickt, wenn das OLG in seiner Entscheidung auf die „zutreffende Gründen der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft“ Bezug nimmt. Dass das nach der obergerichtlichen Rechtsprechung zulässig ist – ebenso wie im Revisionsverfahren bei der OU-Verwerfung nach § 349 Abs. 2 StPO – ok, aber man muss ja nicht alles tun, was erlaubt ist.

Kostenansatz von rund 174.000 € nach Geldstrafe von 80 TS zu je 15 €: So nicht

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Der Verurteilte ist vom AG zusammen mit einem Mitangeklagten wegen wegen vorsätzlichen Handelns ohne Erlaubnis nach dem KG zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 15 € verurteilt worden. Außerdem sind ihm auch die Kosten des Verfahrens auferlegt worden. Es kommt dann der Kostenansatz der Gerichtskasse. Der enthält auch eine Position von rund 174.000 € für Telekommunikationsüberwachungskosten. Die waren in einem Ermittlungsverfahren angefallen, dem der Verdacht einer gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Schleusung von Ausländern gemäß §§ 92 a Abs. 1, Abs. 2 Ziff. 1 AuslG zu Grunde lag. Der Tatverdacht konnte jedoch nicht erhärtet werden, sodass die Staatsanwaltschaft schließlich nur wegen vor-sätzlichen Handelns ohne Erlaubnis nach dem KWG angeklagt hatte.

Der Verurteilte hat gegen den Kostenansatz nach § 66 GKG Beschwerde eingelegt, die beim OLG München im OLG München, Beschl. v. 17.10.2013 – 4 Ws 135/13 – vorläufig Erfolg hatte. Das OLG hat die landgerichtliche Beschwerdeentscheidung aufgehoben. Es rügt insbesondere, dass sich das LG angesichts der Höhe der geltend gemachten Summe nicht ausreichend mit der Zahlungspflicht des Verurteilten auseinander setzt.

Und dann gibt es noch Segelanweisungen, nämlich:

1. Die Höhe und die Zusammensetzung der dem Beschwerdeführer auferlegten Kosten sind zu erläutern. Ein bloßer allgemeiner Verweis auf die Kostenakten reicht angesichts der großen Rechnungssumme und des Umstands, dass die Anordnung der Überwachung der Telekommunikation in keinem direkten Zu-sammenhang mit der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tat steht, nicht aus.

2. Das Landgericht hat (s. dort II. 1. Absatz) zu Unrecht § 66 Abs. 4 Satz 2 GKG angewendet, denn diese Vorschrift gilt nur für das vor dem Oberlandesgericht geführte Verfahren der weiteren Beschwerde. Das Landgericht wird sich daher mit der Kostenrechnung im Ganzen zu befassen und im Detail zu prüfen ha-ben, welche aus den Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen resultie-renden Kosten in Vorbereitung der gegen den Beschwerdeführer geführten Klage entstanden sind.

3. Gemäß § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO dürfen aus einer Überwachung der Tele-kommunikation erlangte Zufallserkenntnisse zu Beweiszwecken in anderen Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu de-ren Aufklärung eine solche Maßnahme nach § 100a StPO hätte angeordnet werden dürfen.

Wegen des Verdachts einer Straftat nach dem KWG wäre eine Anordnung ge-mäß § 100a StPO unzulässig gewesen. Erkenntnisse aus der Überwachung der Telekommunikation des Mitangeklagten I. A. B. durften daher gemäß § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO bei der Beweisführung gegen die beiden Angeklagten nicht verwendet werden (Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. § 100a Rdn. 34, § 477 Rdn. 5). Es ist dem Senat jedenfalls bislang nicht möglich zu erkennen, warum angesichts dieser Rechtslage die durch die Überwachung der Telekommunika-tion verursachten Kosten Teil der von § 464 a StPO erfassten Verfahrenskos-ten sein sollen. Ist die Verwendung gemäß § 100a StPO erlangter, personenbezogener Daten in anderen Strafverfahren unmittelbar zu Beweiszwecken nicht zulässig, so können auch die dadurch verursachten Kosten nicht zum Gegenstand der Verfahrenskosten des allenfalls mittelbar (s. Meyer-Goßner aaO § 477 Rdn. 15) von Erkenntnissen aus der Anordnung nach § 100a StPO berührten anderen Strafverfahrens wegen einer Nichtkatalogtat gemacht werden.“

Die Entscheidung zeigt deutlich, dass im Strafverfahren nicht unbedingt die verhängte Strafe das eigentliche „Übel“ sein kann, sondern dass im Kostenansatz, mit dem gegen den Verurteilte die im Verfahren entstandenen Verfahrenskosten eine viel stärkere Belastung liegen kann. Hier war der Verurteilte nämlich nur zu einer (kleinen) Gesamtgeldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt worden. Dem stand eine Forderung der Staatskasse von rund 174.000 € gegenüber, die vornehmlich auf die Telekommunikationsüberwachungskosten zurückgingen. Diese bezogen sich allerdings auf einen Vorwurf, der dann nicht Gegenstand der Anklage geworden ist. Insoweit weit das OLG – verhältnismäßig versteckt – auf § 465 Abs. 2 StPO hin. Danach können besondere Auslagen, die durch Untersuchungen entstanden sind, die zugunsten des Angeklagten ausgegangen sind, ganz oder teilweise der Staatskasse auferlegt werden, wenn es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten. Eine Vorschrift, die leider häufig übersehen wird und hier auch übersehen worden ist. Den Weg über § 465 Abs. 2 StPO hätte der Verteidiger des Verurteilten hier auf jeden Fall gehen müssen und auch können, indem nach § 464 Abs. 3 StPO sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des amtsgerichtlichen Urteils eingelegt worden wäre. Die Chance ist leider verpasst, so dass das OLG von der (nicht angegriffenen) Kostenentscheidung des amtsgerichtlichen Urteils ausgehen musste.

Insbesondere die Punkte 1 und 3 der Segelanweisung dürften aber den Verurteilten hoffnungsfroh stimmen.