Schlagwort-Archive: Begriff

Verkehrsrecht I: Das Betriebsgelände einer Spedition ist kein öffentlicher Verkehrsraum

© fotomek – Fotolia.com

Die 48. KW. eröffne ich heute mit Verkehrsrecht. Und da bringe ich zuerst das AG Nürtingen, Urt. v. 29.10. 2018 – 11 Cs 71 Js 20096/18, ergangen in einem Verfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB). „Nach einem langen Kampf“, wie der Kollege Oliver Kranz aus Franfurt schrieb, als er mir das Urteil geschickt hat.

Das AG hat den Angeklagten freigesprochen. Ihm war zur Last gelegt worden, er habe am 16.10.2017 gegen 22.04 Uhr auf dem Gelände der Firma Kühne + Nagel in der Kohlhammerstraße 27 in 70771 Leinfelden-Echterdingen mit dem Sattelzug DAF, amtliches Kennzeichen ppp., den dort ordnungsgemäß abgestellten Sattelzug MAN, amtliches Kennzeichen ppp. gestreift und dabei Fremdschaden in Höhe von 3 862,89 € verursacht. Anschließend habe er die Unfallstelle verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen

Der Freispruch erfolgte aus Rechtsgründen…

„da es sich bei dem Firmengelände der Firma Kühne + Nagel nicht um öffentlichen Verkehrsraum handelt. Das Gelände ist – was auf den Lichtbildern der Polizei so nicht zu erkennen ist, im Bereich der Unfallstelle durch ein massives Eisengitter (und auf der Gebäuderückseite durch Schranken) abgesperrt. Der Personenkreis, der tatsächlich jederzeit Zugang zum Gelände hat (etwa 40 Fahrer der Lieferanten) ist eng begrenzt; die Fahrer verfügen über den Zugangscode, mit dem das Eisengitter geöffnet werden kann. Nachts gibt es einen Wach- und Schließdienst, der das Tor wieder schließt, falls es unbeabsichtigt offen geblieben ist.

Dass dieses massive Eisengitter, mit dem das Gelände abgeschrankt ist, tagsüber auch über einen längeren Zeitraum offen steht, um den Fahrern der LKWs eine ungehinderte An- und Abfahrt zu ermöglichen, ändert nichts daran, dass es für Außenstehende – auch wenn die Zufahrt zeitweilig möglich ist – erkennbar ist, dass das Firmengelände nicht für die Allgemeinheit zur Benutzung zugelassen ist.“

Das Inbrandsetzen einer Hütte, oder: Urteilsanforderungen

entnommen openclipart.org

Als zweite Entscheidung folgt heute der BGH, Beschl. v. 18.07.2018 – 4 StR 170/18. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung und mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Brandstiftung in zwei Fällen verurteilt. Das LG hatte u.a festgestellt, dass der Angeklagte – wohl aus Eifersucht – einen seiner Partnerin gehörenden Bauwagen, der zur Aufbewahrung von Reitutensilien diente, in Brand gesetzt hatte. Insoweit war das LG von der Erfüllung des Tatbestandes des § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB ausgegangen.

Das hat dem BGH nicht gereicht:

„a) Die Verurteilung wegen Brandstiftung an dem Bauwagen der Nebenklägerin unterliegt der Aufhebung, da sich aus den Feststellungen nicht ergibt, dass es sich bei dem in Brand gesetzten Bauwagen, wie von der Strafkammer angenommen, um eine Hütte im Sinne des § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB handelte.
Hütten sind Bauwerke, bei denen an die Größe, Festigkeit und Dauerhaftigkeit geringere Anforderungen gestellt werden als bei Gebäuden, die aber dennoch ein selbstständiges, unbewegliches Ganzes bilden, das eine nicht völlig geringfügige Bodenfläche bedeckt und ausreichend abgeschlossen ist (vgl. RGSt 17, 179, 184; RGSt 73, 204, 205 f.; BayObLG, NJW 1989, 2704; LK-StGB/Wolff, 12. Aufl., § 306 Rn. 25; MüKo-StGB/Radtke, 2. Aufl., § 306 Rn. 25; NK-StGB/Kargl, 5. Aufl., § 306 Rn. 3). Ein Bauwagen ist daher nur dann als Hütte von § 306 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB erfasst, wenn er durch sein Eigengewicht auf dem Boden ruht, nicht jedoch, wenn er mit Rädern ausgestattet und jederzeit bewegbar ist (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ 1981, 482; hierauf Bezug nehmend BGH, Beschluss vom 31. Mai 2005 – 5 StR 182/05; vgl. auch Fischer, StGB, 65. Aufl., § 306 Rn. 3a; Heine/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 306 Rn. 4; MüKo-StGB/Radtke, aaO, § 306 Rn. 25).
Da das angefochtene Urteil keine näheren Feststellungen zur Beschaffenheit des Bauwagens enthält und insbesondere unklar bleibt, ob der Bauwagen durch das Vorhandensein von Rädern mobil war, sind die Voraussetzungen einer Hütte im Sinne des § 306 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB nicht ausreichend dargetan. Da hierzu aber noch – ergänzende – Feststellungen getroffen werden können, ist die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die zu dieser Tat rechtsfehlerfrei getroffenen objektiven und subjektiven Feststellungen können bestehen bleiben.“

Auf die Entscheidung komme ich wegen einer anderen Frage noch einmal zurück.

„Schrittgeschwindigkeit“, oder: In Karlsruhe geht es langsamer als in Naumburg

entnommen wikimedia.org
Own work

Und zur Mittagszeit bringe ich dann den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 08.01.2018 – 2 Rb 9 Ss 794/17 -, der zwei Fragen behandelt:

Zunächst geht es um den Abstand zwischen Verkehrszeichen und Messstelle. Dazu sagt das OLG, wie schon vor einiger Zeit das OLG Stuttgart:

Die mit der Antragsbegründung aufgeworfene Frage, welche Bedeutung der Einhaltung verwaltungsrechtlicher Vorschriften für die Durchführung von Geschwindigkeitsmessungen zukommt, gebietet die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts (§ 80 Abs. 2 OWiG) nicht, weil sie für die Entscheidung ohne Bedeutung ist. Soweit sich der Betroffene dazu auf die Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums für die Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei (VwV-VkSA) vom 19.12.2006 beruft, nach der bei Geschwindigkeitsmessungen grundsätzlich ein Abstand von 150 Metern zu dem die Geschwindigkeit beschränkenden Verkehrszeichen eingehalten werden sollte, lässt dies nämlich außer Acht, dass – worauf bereits das Amtsgericht hingewiesen hat – die VwV-VkSA mit Wirkung vom 01.07.2015 neu erlassen wurde (GABl. 2015, S. 388) und in der Neufassung die Einhaltung eines bestimmten Abstandes der Messstelle zu dem die Beschränkung anordnenden Zeichen nicht mehr vorgeschrieben ist. Ob dieser Abstand geeignet ist, die Bewertung der Tat zu beeinflussen, ist danach eine nicht verallgemeinerungsfähige Frage des Einzelfalls.

Und in einem obiter dictum sagt das OLG dann noch etwas zur Schtittgeschwindigkeit:

Ohne dass es für die Entscheidung darauf ankommt, ist abschließend darauf hinzuweisen, dass die durch Zeichen 325.1 angeordnete Schrittgeschwindigkeit nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung (OLG Köln VRS 69, 382 ;OLG Brandenburg DAR 2005, 570 ;OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.04.2004 – 1 Ss 159/03, juris) keine höhere Geschwindigkeit als 7 km/h gestattet.

Na ja, da muss aber doch ganz schön laufen, wenn man die als Fußgänger erreichen will. Aber zum Glück nicht ganz so schnell wie beim OLG Naumburg. Das ist nämlich im OLG Naumburg, Beschl. v. 21.03.2017 – 2 Ws 45/17 von 10 km/h ausgegangen (vgl. dazu “Schrittgeschwindigkeit” – was ist das?, oder: Nicht mehr als 10 km/h).

Kraftfahrzeugführer?, oder: Wenn der besoffene Fahrlehrer bremst…

entnommen wikimedia.org Urheber: Wiki-text

Die zweite LG-Entscheidung kommt vom LG Münster. Sie ist schon etwas älter, aber die behandelte Problematik ist immer wieder schön. Leider gibt es sie wohl häufiger, nämlich den besoffenen Fahrlehrer. Das LG Münster stellt und beantwortet im LG Münster, Beschl. v. 09.06.2017 – 3 Qs 34/17 die Frage: Ist/War der besoffenen Fahrlehrer anlässlich/vor einem Verkehrsunfall Führer des Kraftfahrzeuges, so dass ihm die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden konnte. Das LG sagt: Ja:

„Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss dem Beschuldigten zu Unrecht die Fahrerlaubnis nicht vorläufig entzogen. Es sind entgegen der Auffassung des Amtsgerichts dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Beschuldigten demnächst die Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB endgültig entzogen wird. Es besteht nach dem derzeitigen Ergebnis der Ermittlungen ein dringender Tatverdacht zumindest bezogen auf eine Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1, ggf. i.V.m. Abs. 2 StGB mithin eines Regelbeispiels der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 69 Abs. 2 StGB. Der Beschuldigte wies bei Entnahme der Blutprobe am Vorfallstag dem 07.02.2017 um 18:34 Uhr, mithin etwa 2,5 Stunden nach dem Unfall eine Blutalkoholkonzentration von 1,18 ‰ auf, war mithin absolut fahruntüchtig. Der Beschuldigte, der als Fahrlehrer im verunfallten Fahrzeug auf dem Beifahrersitz saß, hat auch im Sinne der Vorschrift das Fahrzeug geführt. Führer eines Kfz ist nur, wer es unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzt oder unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrtbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenkt, erforderlich ist ein Bedienen wesentlicher Einrichtungen des Fahrzeugs. Diese Voraussetzungen erfüllt ein Fahrlehrer erst mit dem Eingreifen in Lenk- oder Betriebsvorgänge vom Beifahrersitz (BGH, Beschluss vom 23.09.2014, 4 StR 92/14, Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, § 2 StVG Rn. 55 m.w.N.). Vorliegend hat der Beschuldigte nach seiner eigenen Einlassung am Unfallort kurz vor dem Zusammenstoß gebremst – wenn auch zu spät. Damit hat er nach Auffassung der Kammer eine wesentliche Einrichtung des Fahrzeuges bedient und in den Betriebsvorgang eingegriffen, so dass er als Führer des Fahrzeuges tätig wurde.“

„keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken“, oder: Glück gehabt bei der Gewerbsmäßigkeit

© M. Schuppich – Fotolia.com

Über das BGH, Urt. v. 14.06.2017 – 2 StR 14/17 – habe ich schon mal berichtet, und zwar in Zusammenhang mit dem Bandenbegriff (vgl. Bandendiebstahl, oder: Bande, ja oder nein?). Ich greife die Entscheidung dann heute noch einmal auf und stelle sie nun wegen der vom 2. Strafsenat auch noch einmal angesprochenen Frage der Gewerbsmäßigkeit vor. Dazu hat der BGH im Rahmen der Prüfung der Strafzumessungserwägungen Stellung genommen und meint: Die Frage der Gewerbsmäßigkeit musste die Strafkammer nicht als Strafzumessungsgesichtspunkt erörtern:

„2. Auch der Strafausspruch begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Allerdings hat das Landgericht die Frage nicht erörtert, ob die Angeklagten bei der Begehung der abgeurteilten Taten gewerbsmäßig gehandelt haben. § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB tritt zwar hinter § 244 StGB zurück. Gewerbsmäßigkeit der Tatbegehung kann aber gegebenenfalls als Strafzumessungsaspekt berücksichtigt werden. Das Landgericht war jedoch nach den getroffenen Feststellungen und der Ablehnung des Vorliegens einer bandenmäßigen Tatbegehung nicht zur Erörterung der Frage der Gewerbsmäßigkeit der Tatbegehung als subjektivem Moment gedrängt.

Von Gewerbsmäßigkeit ist auszugehen, wenn der Täter in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Liegt diese Absicht vor, ist bereits die erste Tat als gewerbsmäßig begangen einzustufen, auch wenn es entgegen der ursprünglichen Absicht des Täters nicht zu weiteren Taten kommt (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 – 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 181). Ob eine solche Absicht bei den Angeklagten zur Tatzeit vorhanden war, ließ sich den Feststellungen des Landgerichts aber nicht entnehmen. Es konnte die Motivlage der Angeklagten zur Zeit der beiden abgeurteilten Taten nicht klären. Zur Indiztatsache einer früheren gemeinsamen Begehung von Diebstahlstaten konnte es keine konkreten Feststellungen treffen. Der äußere Ablauf der abgeurteilten Taten allein ergibt keinen sicheren Nachweis dafür, dass die Angeklagten jeweils entschlossen waren, weitere Diebstähle zu begehen, um sich eine Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Der Diebstahlsversuch in No. war fehlgeschlagen, der vollendete Einbruchdiebstahl in Ob. ergab nur eine begrenzte Beute. Bei dieser Sachlage hat sich dem Landgericht die Erörterung der Gewerbsmäßigkeit der Diebstahlshandlungen nicht aufgedrängt.“

Keine „durchgreifenden rechtlichen Bedenken“, das ist: Glück gehabt 🙂 .