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„Schrittgeschwindigkeit“ – was ist das?, oder: Nicht mehr als 10 km/h

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Jetzt bin ich mit den Hinweisen auf die Änderungen in der StVO den Tag mit  einem OWi-Posting angefangen – an sich hatte ich etwas anderes geplant – dann will ich ihn auch mit zwei Entscheidungen aus dem Bereich fortsetzen, und zwar mit zwei Beschlüssen des OLG Naumburg. Beide sind schon etwas älter sind, mir aber erst vor kurzem bekannt geworden.

Zunächst will ich auf den OLG Naumburg, Beschl. v. 21.03.2017 – 2 Ws 45/17 – hinweisen. Er legt noch einmal fest, was unter dem Begriff der „Schrittgeschwindigkeit“ i.S. v. § 42 Abs. 2 StVO i. V. m. Nr. 12 Anlage 3 zu verstehen ist. Das OLG sieht eine Geschwindigkeit von höchstens 10 km/h als solche an, das AG hatte seiner Entscheidung beim Rechtsfolgenausspruch – Höhe der Geldbuße, kein Fahrverbot – 15 km/h zugrunde gelegt. Dazu das OLG:

„Der Senat teilt die Auffassung des Amtsgerichts, Schrittgeschwindigkeit sei angesichts der örtlichen Gegebenheiten hier eine solche von bis zu 15 km/h, nicht. Eine Geschwindigkeit von mehr als 10 km/h kann nach dem Wortsinn nicht mehr als Schrittgeschwindigkeit angesehen werden. Der Begriff „Schrittgeschwindigkeit“ kann auch nicht je nach den örtlichen Gegebenheiten oder dem Grad der Gefährdung unterschiedliche Geschwindigkeiten bezeichnen. Wäre solches vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen, hätte er nicht den Begriff Schrittgeschwindigkeit gewählt, sondern etwa die „den Umständen entsprechend ungefährliche Geschwindigkeit“ angeordnet.

Nach der Rechtsprechung gilt teilweise eine Geschwindigkeit von 4 bis zu 7 km/h als Schrittgeschwindigkeit (Brandenburgisches OLG, DAR 2005, 570; OLG Düsseldorf NZV 1993, 158; OLG Köln VRS 68, 382), das OLG Hamm nennt eine Spanne von 4 bis 10 km/h (VRS 6, 222). Das Amtsgericht Leipzig (DAR 2005, 703) hält eine Geschwindigkeit von 15 km/h noch für Schrittgeschwindigkeit. Zur Begründung führt es im Anschluss an Hentschel u. a. (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, RdNr. 181 zu § 42 StVO) aus, dass eine bestimmte Geschwindigkeit zwischen 4 und 10 km/h nicht als Grenzwert in Betracht komme, denn eine solche wäre mittels Tacho nicht zuverlässig messbar, außerdem würden Radfahrer, die Fußgängergeschwindigkeit fahren, unsicher werden und zu schwanken beginnen. Der Senat ist der Auffassung, dass das höchste vom Oberlandesgericht Hamm als Schrittgeschwindigkeit bezeichnete Tempo von 10 km/h gerade noch als solche angesehen werden kann. Wer sich noch schneller fortbewegt, geht bzw. schreitet nicht, sondern läuft. Mit dem vom Amtsgericht zu Grunde gelegten Tempo von 15 km/h wäre etwa ein Teilnehmer des Berlin Marathon 2016 mit einer Zeit von ca. 2 Stunden und 50 Minuten unter den besten 4% der 35.999 Läufer, die das Ziel erreicht haben, gelandet. Eine solche Geschwindigkeit lässt sich nicht mehr als Schrittgeschwindigkeit definieren.

Mit einer Höchstgrenze von 10 km/h ist auch den Hinweisen von Hentschel u. a. hinreichend Rechnung getragen. Eine Überschreitung von 10 km/h lässt sich am Autotacho feststellen, auch kann jeder Autofahrer dieses Tempo problemlos einhalten, wenn das Standgas nicht zu hoch eingestellt ist. Soweit Radfahrer bei einer Geschwindigkeit von 10 km/h unsicher werden und zu schwanken beginnen, sind sie volltrunken und müssen ihr Fahrrad deshalb schon zur Vermeidung einer Strafbarkeit nach § 316 StGB schieben.“

Auf ein Neues beim AG. Dort wird jetzt um ein Fahrverbot gekämpft.

 

Sex III: Das kurze Berühren der bekleideten Scheide, oder: Keine sexuelle Handlung

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Auch die dritte Entscheidung, auf die ich heute hinweise, befasst sich mit dem Begriff der „sexuellen Handlung“. Es ist das BGH, Urt. v.  04.05.2017 3 StR 87/17. Der Angeklagate ist vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs eines Kindes freigesprochen worden. Dagegen die Revision der Nebenklägerin. Die hatte keinen Erfolg. Denn:

„Die Strafkammer hat zu Recht angenommen, dass die Feststellungen eine Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 Abs. 1 StGB) nicht tragen. Denn das jeweilige kurze Berühren der bekleideten Scheide der Nebenklägerin ist nicht als sexuelle Handlung im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB – zur Tatzeit noch § 184g Nr. 1 StGB – anzusehen. Zwar hatten die Handlungen des Angeklagten nach ihrem äußeren Erscheinungsbild den danach erforderlichen sexuellen Bezug (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 24. September 1980 – 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338). Sie waren insoweit aber nicht erheblich.

Als erheblich im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB sind solche sexualbezo-genen Handlungen zu werten, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts besorgen lassen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 24. September 1980 – 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338; vom 24. September 1991 – 5 StR 364/91, NJW 1992, 324; vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 417/11, NStZ 2012, 269, 270; vom 10. März 2016 – 3 StR 437/15, NJW 2016, 2049). Dazu bedarf es einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus (BGH, Urteile vom 3. April 1991 – 2 StR 582/90, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 4; vom 24. September 1991 – 5 StR 364/91, NJW 1992, 324; vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 417/11, NStZ 2012, 269, 270; vom 21. September 2016 – 2 StR 558/15, NStZ-RR 2017, 43, 44).

Bei Tatbeständen, die – wie § 176 Abs. 1 StGB – dem Schutz von Kindern oder Jugendlichen dienen, sind an das Merkmal der Erheblichkeit geringe-re Anforderungen zu stellen als bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Erwachsener (BGH, Beschluss vom 13. Juli 1983 – 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553; Urteil vom 21. September 2016 – 2 StR 558/15, NStZ-RR 2017, 43, 44). Deshalb kann – worauf die Revision unter Hinweis auf die entsprechenden Entscheidungen zutreffend hinweist – die Erheblichkeitsschwelle unter Umständen schon überschritten sein, wenn der Täter das Opfer unter der Bekleidung abtastet und unter Anwendung von Gewalt dessen „unbekleidetes“ Geschlechtsteil berührt (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1987 – 4 StR 420/87, BGHSt 35, 76, 77 f.), wenn er ein sich wehrendes 8-jähriges Mädchen mit der linken Hand festhält, mit der rechten Hand zwischen die Beine des Kindes fasst und dessen bekleidetes Geschlechtsteil „einige Male streichelt“ (BGH, Urteil vom 27. Februar 1992 – 4 StR 23/92, BGHSt 38, 212, 213), wenn er einem 9-jährigen Mädchen „mit festem Griff“ an das bekleidete Geschlechtsteil fasst (BGH, Urteil vom 6. Mai 1992 – 2 StR 490/91, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheb-lichkeit 6) oder wenn er einen 13-jährigen Jungen in ein Gebüsch zerrt und ihn, während er ihn fest umklammert, „an das bekleidete Geschlechtsteil fasst“ sowie dabei teilweise „fest drückt“ (BGH, Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, NStZ-RR 2000, 299). Gleiches gilt, falls der Täter während eines gemeinsamen Schwimmbadbesuchs von hinten in die Badehose eines Mädchens greift und „ihr nacktes Gesäß“ berührt oder wenn er seine Hand in die Schlafanzughose des schlafenden Mädchens einführt und dessen „nacktes“ Gesäß „nicht nur kurzzeitig“ streichelt (BGH, Urteil vom 21. September 2016 – 2 StR 558/15, NStZ-RR 2017, 43, 44).

Da stets nur erhebliche geschlechtsbezogene Handlungen sexuelle im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB sind, gilt indes auch im Hinblick auf § 176 Abs. 1 StGB, dass nicht alle mit einem Körperkontakt verbundenen sexualbezogenen Handlungen tatbestandsmäßig sind. Kurze, flüchtige oder aus anderen Grün-den unbedeutende Berührungen, insbesondere des bekleideten Geschlechtsteils, reichen dafür nicht aus (BGH, Beschluss vom 13. Juli 1983 – 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553; Urteile vom 8. Februar 1989 – 3 StR 546/88, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 3; vom 3. April 1991 – 2 StR 582/90, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 4; Beschlüsse vom 10. September 1998 – 1 StR 476/98, NStZ 1999, 45; vom 8. September 1999 – 3 StR 357/99, juris Rn. 4; vom 21. September 2005 – 2 StR 311/05, juris Rn. 8; Urteil vom 21. September 2016 – 2 StR 558/15, NStZ-RR 2017, 43, 44; vgl. auch zu dem durch den Begriff der sexuellen Handlung ersetzten Merkmal der „Unzucht“ nach früherem Recht: BGH, Urteil vom 13. Juli 1951 – 2 StR 275/51, BGHSt 1, 293, 296).

Daran gemessen ist die Annahme des Landgerichts, dass die „kurzen Berührungen“ der „bekleideten Scheide“ der Nebenklägerin in den Fällen 1 und 4 der Anklageschrift keine erheblichen sexuellen Handlungen im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB darstellten, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Strafkammer hat bei ihrer Bewertung zwar allein auf die Handlungen als solche abgestellt und keine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorgenommen. Das gefährdet den Bestand des Urteils aber nicht. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich entnehmen, dass sie die insoweit bedeutsamen Gesichtspunkte, namentlich die Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin sowie die Begleitumstände, unter denen es zu den sexualbezogenen Handlungen gekommen ist, nicht außer Acht gelassen hat. Deren näherer Erörterung bedurfte es indes nicht, weil sich daraus nichts ergibt, was zu einer anderen Beurteilung Anlass geben könnte.

Sex II: Mit einer Hand kurz unter den BH, oder: Sexuelle Handlung

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, befasst sich ebenfalls mit dem Begriff der sexuellen Handlung. Es handelt sich um das BGH, Urt. v.  26.04.2017 – 2 StR 580/16. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen sexueller Nötigung verurteilt.

Grundlage waren folgende Feststellungen:

„Im September 2016 (richtig: 2015) hielten sich der Angeklagte, die Zeugin N. und die Geschädigte gemeinsam in der Wohnung der Zeugin N. auf. Als der Angeklagte – wie bereits bei früheren Gelegenheiten – ankündigte, sie „packen“ zu wollen, scherzte die Nebenklägerin entgegen früheren Gelegenheiten nicht zurück, sondern erklärte dem Angeklagten, als dieser auf sie zuging, dass er sie nicht anfassen solle. Obwohl er den entgegenstehenden Willen der Geschädigten erkannte, fasste der Angeklagte sie an den Hüften, woraufhin die Geschädigte ihn nochmals aufforderte, sie loszulassen und gleichzeitig versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. Um dies zu verhindern, packte er noch fester zu, wobei die Geschädigte nicht unerhebliche Schmerzen im Hüftbereich erlitt und zu weinen begann. Der Angeklagte ließ dennoch nicht los. Schließlich geriet die Geschädigte in dem Bemühen, in eine Schutzhaltung zu kommen, unter dem Druck des Angeklagten zu Boden. Auch auf die Intervention der Zeugin N. , ihr Kind loszulassen, ließ der Angeklagte nicht ab. Er führte vielmehr in sexuell motivierter Absicht seine Hände Richtung Oberkörper der Geschädigten, wobei er mit einer Hand ihr T-Shirt von unten unter ihren Büstenhalter schob, so dass sich dieses nunmehr zwischen ihrer linken Brust und seiner Hand, welche unter den Büstenhalter geglitten war und auf ihrer linken Brust lag, befand. In dieser Position hielt der Angeklagte die linke Brust der Geschädigten für einige Augenblicke fest. Erst auf Drohung der Geschädigten, Anzeige zu erstatten, ließ er von dieser ab.“

Der BGH sagt – in Übereinstimmung mit dem LG :

„a) Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht das Verhalten des Angeklagten als sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB gewertet hat, ohne dies näher in der rechtlichen Würdigung zu erörtern. Die im Rahmen der Rangelei mit der Nebenklägerin erfolgte Berührung ihrer Brust ist ohne Zweifel eine sexuelle Handlung, die auch die Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB überschritten hat.

Als erheblich in diesem Sinne sind solche sexualbezogenen Handlungen zu werten, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts besorgen lassen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 24. September 1980 – 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338; vom 24. September 1991 – 5 StR 364/91, NJW 1992, 324 f., insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 38, 68; vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 417/11, NStZ 2012, 269, 270; Senat, Urteil vom 21. September 2016 – 2 StR 558/15, NStZ-RR 2017, 43, 44). Dazu bedarf es einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus (BGH, Urteile vom 24. September 1980 – 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338; Senat, Urteil vom 3. April 1991 – 2 StR 582/90, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 4; BGH, Urteil vom 24. September 1991 – 5 StR 364/91, NJW 1992, 324, 325; Senat, Urteil vom 6. Mai 1992 – 2 StR 490/91, BGHR § 184c Nr. 1 StGB; Erheblichkeit 6; BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 417/11, NStZ 2012, 269, 270; Senat, Ur-teil vom 21. September 2016 – 2 StR 558/15, NStZ-RR 2017, 43, 44; Lack-ner/Kühl/Heger, 28. Aufl., § 184g Rn. 5; Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, § 184g Rn. 7; differenzierend SSW-StGB/Wolters, 2. Aufl., § 184g Rn. 9 f.).

Aus den Feststellungen des Landgerichts ergibt sich, dass die an der Geschädigten vorgenommene Handlung nicht nur in einer flüchtigen oder „zufälligen“ Berührung bekleideter Körperregionen, sondern in einem sexuell motivierten Übergriff bestand, bei dem der Angeklagte eine Hand mit dem T-Shirt unter ihren Büstenhalter schob und ihre Brust für einige Augenblicke festhielt.

Einer Erörterung der Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle durch die Strafkammer bedurfte es bei dieser Sachlage nicht.“

Und: Kein Anlass zu einer günstigeren Bewertung wegen der Gesetzesänderungen durch das 50. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestim-mung – vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460) geben keinen Anlass zu einer für den Angeklagten günstigeren Bewertung als milderes Recht im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB. Das hatte der BGH bereits im BGH, Urt. 26.04. 2017 – 2 StR 574/16 – ausgeführt (vgl. dazu: „das Streicheln der Tochter im Genitalbereich über der Hose“, oder: Erhebliche sexuelle Handlung?).

Sex I: „Klamotten runterreißen“ ist nicht in jedem Fall eine „sexuelle Handlung“

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Heute werde ich drei BGH-Entscheidungen vorstellen, die sich mit Fragen der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung u.a. befassen. Zunächst verweise ich auf den BGH, Beschl. v. 06.06.2017 –  2 StR 452/16 – Das LG hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 177 Abs. 1 Nr. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ) verurteilt.

Es ist dabei von folgenden Feststellungen ausgegangen: Der Angeklagte hatte in einer Gaststätte die spätere Geschädigte kennen gelernt. Zwischen beiden kam es zum Austausch von Zärtlichkeiten. Die Geschädigte wurde schließlich ihres „anzüglichen Verhaltens“ wegen der Gaststätte verwiesen und verließ diese gemeinsam mit dem Angeklagten. Am frühen Morgen des folgenden Tages bat die ortsunkundige Geschädigte, die nicht mehr über die für ein Taxi erforderlichen Geldmittel verfügte und den rund vier Kilometer langen Weg zu ihrer Wohnung zu Fuß zurücklegen wollte, den Angeklagten, sie durch die Innenstadt von B. zu begleiten. Sie bereute inzwischen ihr früheres anzügliches Verhalten und wies die wiederholten Versuche des Angeklagten, sie erneut zu küssen, zurück. Der Angeklagte führte die Angeklagte schließlich mit der wahrheitswidrigen Behauptung, seinen Hausschlüssel verloren zu haben und deshalb Verwandte aufsuchen zu müssen, in den Innenhof des Frauenmuseums und stieg eine metallene Außentreppe an dem Gebäude hoch. Die Geschädigte folgte ihm zunächst, wurde jedoch misstrauisch, kehrte schließlich um und erklärte dem Angeklagten erneut, dass sie nach Hause wolle. Auf seine weiteren Ver-suche, sie zu küssen, reagierte sie abweisend.

Der über diese Zurückweisung erboste Angeklagte folgte der Geschädigten und schlug ihr mehrfach mit der Hand ins Gesicht, um „das nachfolgende Herunterreißen ihrer Kleidungsstücke gegen ihren Willen zu ermöglichen“. Die Geschädigte stürzte infolge dieser Schläge zu Boden und blieb auf dem Rücken liegen. Der Angeklagte schlug weiter auf die am Boden liegende Geschädigte ein und „zerrte ihr gegen ihren Willen die Schuhe, die Jeans sowie den Slip vom Körper, um sich hieran sexuell zu erregen“. Die verängstigte Geschädigte gab jegliche Gegenwehr auf. Nunmehr entblößte der Angeklagte seinen Penis, „hockte sich in unmittelbarer Nähe zu der Zeugin auf den Boden und begann an seinem Glied zu manipulieren, um sich selbst zu befriedigen“. Dass der Angeklagte „in sie eindrang oder dies auch nur vorhatte“, vermochte die Kammer nicht festzustellen. Anschließend trat der Angeklagte mit dem beschuhten Fuß mehrfach heftig und in Verletzungsabsicht in das Gesicht und gegen den Oberkörper der Geschädigten, die zahlreiche blutende Verletzungen und großflächig über den gesamten Körper verteilte Hämatome erlitt, und ging davon.“

Das LG hat in dem „Herunterreißen der Kleidungsstücke von dem Körper der Zeugin“ eine sexuelle Handlung an der Geschädigten gesehen. Der BGH sieht das – hier – anders. Nach seiner  Auffassung belegen die Feststellungen und die sie tragenden Beweiserwägungen nicht, dass der Angeklagte durch das gewaltsame Entkleiden eine sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit im Sinne des § 184h StGB „an“ der Geschädigten vorgenommen hat. Zwar kann – so der BGH – „das gewaltsame Entkleiden eines Tatopfers als eine „sexuelle Handlung“ von einiger Erheblichkeit in diesem Sinne angesehen werde“.

Aber:

„b) Das gewaltsame Entkleiden des Tatopfers ist jedoch nur dann als eine sexuelle Handlung anzusehen, wenn der Täter „sich schon durch diese Handlung geschlechtliche Erregung oder Befriedigung verschaffen“ will (Senat, Urteile vom 31. Oktober 1984 – 2 StR 392/84 und vom 17. August 1988 – 2 StR 346/88, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 2; BGH, Beschluss vom 17. September 1992 – 2 StR 416/92, NStZ 1993, 78, 79). Die Feststellung des Landgerichts, dass der Angeklagte sich schon durch das gewaltsame Entkleiden der Geschädigten sexuell habe erregen wollen, ist nicht tragfähig belegt.

aa) Zwar muss das Revisionsgericht die Überzeugung des Tatgerichts vom Vorliegen eines Sachverhalts grundsätzlich hinnehmen. Ebenso ist es ihm verwehrt, seine eigene Überzeugung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen. Zu prüfen ist aber, ob die tatrichterliche Überzeugung in den Feststel-lungen und den sie tragenden Beweiserwägungen eine ausreichende Grundlage findet. Feststellungen und Beweiserwägungen müssen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen nicht nur eine Vermutung darstellen (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 StR 29/15, StV 2015, 740; BGH, Beschluss vom 22. August 2013 – 1 StR 378/13, StV 2014, 610).

bb) Gemessen hieran sind die Wertungen des Landgerichts nicht tragfähig begründet.

(1) Das Landgericht hat seine Überzeugung, dass der Angeklagte die Geschädigte gewaltsam entkleidete, um sich „hieran sexuell zu erregen“, nicht näher begründet. Eine solche Motivation versteht sich – ungeachtet der spezifi-schen Tatvorgeschichte und des Umstands, dass der Angeklagte sich ausweis-lich der Feststellungen „in unmittelbarer Nähe der Zeugin auf den Boden hockte“ und damit begann, an seinem Glied zu manipulieren – nicht von selbst. Näherer Erörterung hätte dies schon deshalb bedurft, weil das Landgericht sich nicht davon zu überzeugen vermochte, dass das Handeln des Angeklagten nicht auf die Erzwingung des vaginalen Geschlechtsverkehrs abzielte. Auch diese Überzeugung ist nicht näher begründet.

(2) Darüber hinaus hätte auch das weitere Verhalten des Angeklagten in die Beweiswürdigung einbezogen werden müssen. Nach den Feststellungen sprang der Angeklagte nach der Tat plötzlich auf und trat mehrfach auf die am Boden liegende Geschädigte ein. Dieses Nachtatverhalten deutet auf eine Verärgerung des Angeklagten hin, die sich jedenfalls ohne eine nähere Erläuterung nicht mit der Annahme des Landgerichts vereinbaren lässt, dass die Durchführung der Tat den Plänen und Zielen des Angeklagten entsprach.“

 

„Wildes Rennen“, oder: Verbotenes Rennen durch (bloßen) Beschleunigungstest zweier Fahrzeuge?

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Die mit einem verbotenen Rennen im Straßenverkehr (§ 29 StVO) zusammenhängenden Fragen spielen in der verkehrsrechtlichen Praxis eine nicht unerhebliche Rolle. Das vor allem, mal abgesehen von den sich aus diesen „Verkehrsvorgängen“ ggf. entwickelnden schweren Folgen (Stichwort: Berliner-Raser-Fall und/oder Kölner-Raser-Fall), auch deshalb, weil die Verhängung eines Fahrverbotes vorgesehen ist. Das KG hat dann jetzt im KG, Beschl. v. 07.06.2017 – 3 Ws (B) 117/17 u. 3 Ws (B) 118/17 – (noch einmal) zu der Frage Stellung genommen, ob der Begriff des Rennens das Erreichen einer „absoluten“ Höchstgeschwindigkeit voraussetzt.  Das KG hat diese Frage verneint:

„Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen in Bezug auf beide Betroffenen ohne weiteres den objektiven Tatbestand eines „Rennens mit Kraftfahrzeugen“ (§ 29 Abs. 1 StVO), das hier nicht organisiert, sondern „wild“ stattgefunden hat und der Ermittlung desjenigen Fahrzeugs diente, das schneller beschleunigt. Ein Rennen mit Kraftfahrzeugen erfordert nicht die Erzielung von „absoluten“ Höchstgeschwindigkeiten. Es reicht vielmehr aus, dass die betroffenen Kraftfahrzeugführer das Beschleunigungspotential ihrer Gefährte vergleichen. Das Urteil schildert, die Betroffenen hätten sich – nach bereits vorangegangener undisziplinierter, aggressiver und in vielerlei Hinsicht verkehrsrechtswidriger Fahrweise durch Charlottenburg – mit ihren Fahrzeugen (beide: Audi A8) an einer Ampel auf der Straße des 17. Juni in einer „Startaufstellung“ nebeneinander aufgereiht und seien „gleichzeitig mit aufheulendem Motor und durchdrehenden Reifen losgefahren“ (UA S. 6), wobei sich der Betroffene X mit dem neueren Modell abgesetzt habe (UA S. 3). Nachdem auf diese Weise das schneller beschleunigende Fahrzeug ermittelt war, nahmen die Betroffenen „Gas weg“ (UA S. 3), um, nachdem sie sich erneut – allerdings nun fahrend – auf einer Linie befanden, „wiederum hörbar Vollgas“ zu geben und ihre Fahrzeuge auf ein Tempo zu beschleunigen, bei dem der Fahrer des verfolgenden Polizeifahrzeugs eine Tachogeschwindigkeit von 90 km/h ablas und sich der Abstand zu den Betroffenen noch erhöhte. Auch die Feststellungen zur inneren Tatseite tragen die Bewertung, die Betroffenen hätten kompetitiv gehandelt (zB UA S. 6: die „Reaktion der Fahrzeuge“ sollte „gegeneinander gemessen“ werden).“

Die mit verbotenen Rennen zusammenhängenden Fragen werden in Zukunft an Bedeutung zunehmen. Denn durch das „Gesetz zur Ahndung illegaler Straßenrennen“, das der Bundestag Ende Juni verabschiedet hat, gelten die Rennen nach dem neuen § 315d StGB künftig als Straftat und nicht mehr nur als Ordnungswidrigkeit. Die neue Vorschrift sieht Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe vor (vgl. BR-Drucks. 362/16 und BT-Drucks. 18/12936 und 18/12964). Die alte Rechtsprechung zu § 29 StVO wird dann bei der Auslegung des § 315d StGB von Bedeutung sein.