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OWi I: Standard Abstands-/Geschwindigkeitsmessung, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

Und heute dann OWi-Entscheidungen! Ja, richtig. Man glaubt es kaum, aber es haben sich tatsächlich ein paar Entscheidungen angesammelt, über die man berichten kann. Allerdings: Alles nichts Besonders, aber immerhin. Ich hoffe, die (Sommer)Flaute ist bald beendet.

Zunächst hier zwei OLG-Entscheidungen, die noch einmal zu den Anforderungen an die Urteilsgründe bei einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung bzw. einer Abstandsmessung Stellung genommen haben.

In dem vom BayObLG im BayObLG, Beschl. v. 31.07.2024 – 202 ObOWi 742/24 – war mit dem Abstandssystem VKS 4.5 gemessen worden. Dazu das BayObLG:

„Bei dem verwendeten Abstandssystem VKS 3.0 (für die jetzige Softwareversion 4.5 kann nichts anders gelten) handelt es sich allerdings um ein standardisiertes Messverfahren, wovon auch die Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Stellungnahme vom 09.07.2024 ausgeht. Von der Zuverlässigkeit der Messung muss sich das Gericht nur überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind. Solche Anhaltspunkte bestanden für das Gericht nach den Urteilsfeststellungen nicht. Die Angaben zum Messverfahren und zum Toleranzwert würden in diesem Fall die Grundlage einer ausreichenden, nachvollziehbaren Beweiswürdigung (vgl. BGHSt 39, 291; speziell zum Abstandsmessverfahren VKS zuletzt: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.09.2019 – 1 Rb 10 Ss 618/19, bei juris Rn. 12) bilden. Auf die Angaben kann nur im Falle eines glaubhaften Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden, von dem hier nach den Urteilsgründen nicht ausgegangen werden kann.

Das OLG Bamberg (Beschl. v. 19.07.2017 – 3 Ss OWiG 836/17, bei juris; vgl. auch Gieg/Krenberger in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl., Rn. 130) hat – noch weitergehend – ausgeführt, dass bei einer im standardisierten Messverfahren erfolgten Abstandsmessung wenn sich aus den Urteilsgründen zweifelsfrei ergibt, dass ein Toleranzabzug vorgenommen wurde, es der Mitteilung des konkreten Toleranzwertes nicht mehr bedarf, da ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, dass die nach der Gebrauchsanweisung des Herstellers vorgesehenen systemimmanenten Verkehrsfehlergrenzen bereits vom Rechenprogramm abgezogen und damit im Ergebnis berücksichtigt wurden.

Den vorgenannten Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Den Urteilsgründen lässt sich nicht zweifelsfrei entnehmen, dass es sich bei dem zugrunde gelegten Geschwindigkeitswert von 139 km/h um den nach Abzug der (systemimmanent ermittelten) Toleranzen ermittelten Wert handelt und der Toleranzabzug dem Grunde nach auch berücksichtigt wurde.“

Die zweite Entscheidudng stammt vom OLG Brandenburg. Das AG hatte festgestellt, dass die Geschwindigkeitsmessungen durch Nachfahren mit einem Messfahrzeug unter Verwendung der Video-Verkehrsüberwachungsanlage ProVida2000/ViDista vorgenommen worden war. dazu dann das OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.07.2024 – 1 ORbs 144/24:

„Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Geschwindigkeitsmessungen durch Nachfahren mit einem Messfahrzeug unter Verwendung der Video-Verkehrsüberwachungsanlage ProVida2000/ViDista vorgenommen worden sind. Diese Messmethode ist als standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. hierzu BGHSt 39, 291 = NZV 1993, 485) anerkannt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15. November 2000 – 2 Ss OWi 1057/2000, 2 Ss OWi 1057/00; Rz. 9; OLG Köln, Beschluss vom 30. Juli 1999 – Ss 343/99 B – Rz. 17 m. w. N.; OLG Hamm, Beschluss vom 04. Dezember 2008 – 3 Ss OWi 871/08 – Rz. 19; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juni 2000 – 2b Ss (OWi) 125/00 – (OWi) 52/00 I – Rz. 20 m. w. N.; sämtlich zitiert nach juris).

Das Urteil muss deshalb feststellen, auf welcher tatsächlichen Grundlage die Geschwindigkeitsmessung beruht. Dazu gehören insbesondere Angaben darüber, ob die Messung durch elektronische Aufzeichnungen oder durch Ablesen, durch stationäre Geräte oder aus einem fahrenden Fahrzeug heraus erfolgte, wie lang ggf. die Verfolgungsstrecke und der Abstand des Polizeifahrzeugs zu dem verfolgten Fahrzeug des Betroffenen waren und welcher Toleranzabzug bei der Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung vorgenommen worden ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. November 2019 – 2 Rb 35 Ss 795/19 –, Rz. 10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juni 2000 – 2b Ss (OWi) 125/00 – (OWi) 52/00 I –, Rz. 18; OLG Hamm, Beschluss vom 04. Dezember 2008 – 3 Ss OWi 871/08 –, Rz. 19; OLG Köln, Beschluss vom 30. Juli 1999 – Ss 343/99 B –, Rz. 17; sämtlich zitiert nach juris).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es enthält weder Feststellungen zum Abstand des Polizeifahrzeugs zu dem verfolgten Auto des Betroffenen noch einen bei der Geschwindigkeitsmessung berücksichtigten Toleranzabzug.“

Ein kleiner Hinweis, aber vorab lieber <<Werbemodus an>>: Das BayObLG nimmt Bezug auf Burhoff (Hrsg), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. Das Zitat ist allerdings nicht ganz richtig. Denn die Ausführungen zur Abstandsmessung werden ab der im Mai 2024 erschienenen 7. Auflage vom Kollegen Krenberger allein bearbeitet. Das Zitat befindet sich zudem auch nicht bei der Rn 130, sondern bei der Rn 131. Wer das prüfen will, kann das Buch gern hier bestellen 🙂 . <<Werbemodus aus>>.

KCanG II: Besitz von Kleinmengen und § 51 BZRG?, oder: Amnestie auch für Besitz von Cannabis in einer JVA?

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Und im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen aus der Instanz, nun ja fast 🙂 .

Die erste Entscheidung stammt vom BayObLG. Das hat sich im BayObLG, Beschl. v. 17.07.2024 – 204 StRR 215/24 – noch einmal mit verfahrensrechtlichen Fragen befasst und mit dem „richtigen“ Strafausspruch. Ich stelle hier, da die Begründung des BayObLG – wie immer – recht umfangreich ist, im Wesentlichen nur die Leitsätze ein, die lauten:

    1. Der Schuldspruch eines hinsichtlich Betäubungsmittelstraftaten rechtskräftigen Urteils muss im Revisionsverfahren an die Vorschriften des seit 1.4.2024 geltenden KCanG angepasst werden (§ 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO).
    2. Bei der Beurteilung, welches das mildere von zwei Gesetzen ist, ist zu prüfen, welches anhand des konkreten Falls nach einem Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts das dem Angeklagten günstigere Ergebnis zulässt, wobei es in erster Linie auf die konkret in Frage kommenden Hauptstrafen ankommt.
    3. Beim Strafausspruch ist zu beachten, dass der Gesetzgeber durch die Schaffung eines eigenen, grundsätzlich milderen Strafrahmenregimes in Bezug auf den Umgang mit Cannabis im Vergleich zu den dem Betäubungsmittelgesetz unterstellten Suchtstoffen deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass Taten, wenn sich diese auf Cannabis beziehen, mit einem geringeren Unwerturteil einhergehen.
    4. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Tatrichter auch in einem Fall, in dem sich die Tat nur teilweise auf Cannabis bezieht, trotz des tateinheitlich hinzutretenden Schuldspruchs wegen eines Vergehens gegen das Konsumcannabisgesetz und der Anwendung desselben Strafrahmens zu einer milderen Strafe gelangt.
    5. Vorstrafen, die den Besitz und Erwerb von Kleinmengen von Cannabis betreffen, der zwischenzeitlich straffrei gestellt ist, unterliegen derzeit nicht dem Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG, da sie erst ab dem 1.1.2025 tilgungsfähig sein werden; ihnen kommt nach wie vor eine Warnfunktion zu.

Zwei Anmerkungen: Wer die Entscheidung liest, wird feststellen, dass das BayObLG auf die auch von ihm angesprochene Frage der „nicht geringen Menge“ kein Wort der eigenen Begründung mehr verwendet, sondern nur feststellt: Die liegt bei 7,5 G und dazu dann nur einige BGH-Entscheidungen anführt. Der „Zug ist als abgefahren“ bzw. davon wird kein Gericht mehr abweichen.

Und: Besonders hinweisen möchte ich auf die o.a. Nr. 5 der Leitsätze. Das muss man derzeit noch im Auge haben.

Und dann als zweite Entscheidung der LG Stralsund, Beschl. v. 29.05.2024 – 23 StVK 114/24 – zur Anwendung der sog. Amnestieregelung auf eine Verurteilung wegen Besitzes von Cannabis in einer JVA während des Vollzugs einer Freiheitsstrafe. Der Angeklagte war am 23.05.2023 durch das AG wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt word. Hintergrund des Urteils war, dass sich am 15.12.2022, nachdem eine Haftraumkontrolle in der JVA. durchgeführt wurde, in der Kaffeedose des Angeklagten 21,7 g Cannabis in einer Plastikfolie aufgefunden wurden. Der Angeklagte hatte die Drogen in der Haftanstalt erworben. Die Vollstreckung der Strafen ist nach Verbüßung von 2/3 bzw. mehr als 2/3 ausgesetzt worden. Die Staatsanwaltschaft hat nun aufgrund der Amnestieregelung des Artikel 313 EGStGB zu Cannabisaltfällen den Antrag auf Einstellung der Vollstreckung gestellt.

Die StVK hat abgelehnt: Nach ihrer Auffassung der Kammer ist der Besitz von Cannabis in einer Justizvollzugsanstalt während des Vollzuges einer Freiheitsstrafe nicht von der Amnestieregelung umfasst, so dass ein Erlass dieser Strafe nicht geboten ist. Einzelheiten bitte im verlinkten Volltext nachlesen.

KCanG II: Strafe unter Berücksichtigung des KCanG, oder: Berücksichtigung von jetzt straflosen Taten

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Als zweite Entscheidung dann der BayObLG, Beschl. v. 27.06.2024 – 4 StRR 205/24 – zur Verwertbarkeit von im BZR eingetragenen Verurteilungen bei der Strafzumessung, die ab 01.04.2024 nach § 3 Abs. 1, § 34 Abs. 1 Nr. 1 und 12 KCanG straflose und auch nicht nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 KCanG bußgeldbewehrte Handlungen betreffen und die weder getilgt noch tilgungsfähig sind.

„2. Auch die vom Berufungsgericht vorgenommene Strafzumessung ist – wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat – frei von Rechtsfehlern.

Dies betrifft auch den Umstand, dass das Berufungsgericht seine Strafzumessung maßgeblich auf die beiden zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen gestützt hat, die den unerlaubten Besitz von Marihuana betreffen, und hinsichtlich der letzten dieser einschlägigen Verurteilungen die Rückfallgeschwindigkeit strafschärfend herausgestellt hat.

a) In beiden Fällen wurden lediglich solche Mengen von Marihuana besessen, die ab 1. April 2024 weder den Straftatbeständen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 und 12 KCanG noch dem Bußgeldtatbestand des § 36 Abs. 1 Nr. 1 KCanG unterfallen. Dies führt zwar dazu, dass diese Strafen gemäß Art. 316p EGStGB i.V.m. Art. 313 Abs. 1 EGStGB mit Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes am 1. April 2024 erlassen wurden, da gemäß § 3 Abs. 1 KCanG für Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, der Besitz von – wie hier – bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum erlaubt ist, und die Strafen noch nicht vollstreckt waren. Die Verwertbarkeit der genannten Vorstrafen ist dadurch aber nicht entfallen, so dass sich aus § 354a StPO i.V.m. § 2 Abs. 3 StGB kein Hindernis für die Berücksichtigung der genannten Vorahndungen ergibt.

aa) Allerdings handelt es sich bei der Frage der Verwertbarkeit von Vorstrafen um eine Frage des sachlichen Rechts, so dass § 2 Abs. 3 StGB gilt und bei einer Gesetzesänderung zwischen Tat und Verurteilung das mildeste Gesetz Vorrang hat. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bayerischen Obersten Landesgerichts zu einer dem vorliegenden Verfahren vergleichbaren Fallkonstellation, als mit § 49 BZRG i.d.F. vom 18. März 1971 (BGBl. I, S. 243) am 1. Januar 1972 ein allgemeines Verwertungsverbot für im Strafregister eingetragene und inzwischen getilgte oder tilgungsreif gewordene Vorstrafen in Kraft getreten ist. Danach handelt es sich bei dieser nunmehr in § 51 Abs. 1 BZRG enthaltenen Regelung, soweit bei getilgter oder tilgungsreifer Verurteilung die Tat und die Verurteilung in einem neuen Strafverfahren nicht mehr strafschärfend verwertet werden dürfen, um eine solche des sachlichen Rechts, die als milderes Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 2 StGB a.F. (jetzt § 2 Abs. 3 StGB) auch im Revisionsverfahren zu berücksichtigen ist, § 354a StPO (so BGH, Urteil vom 19. Juli 1972 – 3 StR 66/72 –, BGHSt 24, 378, juris Rn. 9; BayObLG, Beschluss vom 22. März 1972 – RReg 1 St 19/72 -, BayObLGSt 3, 75, 77). Der Grundsatz, dass eine für den Angeklagten günstige Gesetzesänderung vom Revisionsgericht auch dann berücksichtigt werden muss, wenn sie erst nach Erlass des tatrichterlichen Urteils eingetreten ist (vgl. BGH, Urteile vom 27. Oktober 1964 – 1 StR 358/64 –, BGHSt 20, 77, juris Rn. 3; vom 19. Juli 1972 – 3 StR 66/72 -, BGHSt 24, 378, juris Rn. 9; BayObLG, Beschlüsse vom 20. Januar 1972 – RReg 2. St 171/71 –, BayObLGSt 1972, 3, 4; vom 22. März 1972 – RReg 1 St 19/72 -, BayObLGSt 3, 75, 77 f.; Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 2 Rn. 6 aE), muss seinem dem Grundgedanken des § 2 Abs. 3 StGB entsprechenden Sinn und Zweck, dem Angeklagten Milderungen des Gesetzes so weit wie möglich zukommen zu lassen, auch dann gelten, wenn es sich nicht um eine Änderung des Strafgesetzes im engeren Sinne handelt, sondern wenn die Änderung eines anderen Gesetzes ein Strafverfahren zugunsten des Angeklagten beeinflusst (so – jeweils zu § 2 Abs. 2 Satz 2 StGB a.F. – BayObLG, Beschlüsse vom 20. Januar 1972 – RReg 2. St 171/71 –, BayObLGSt 1972, 3, 4; vom 22. März 1972 – RReg 1 St 19/72 -, BayObLGSt 3, 75, 78). Dies wird für den Fall des Inkrafttretens des § 49 BZRG a.F. angenommen. Dieses Verwertungsverbot muss somit vom Revisionsgericht beachtet und auf solche Fälle angewendet werden, die beim Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht rechtskräftig abgeschlossen waren (vgl. BayObLG, Beschluss vom 28. April 1972 – RReg 6 St 523/72 OWi –, BayObLGSt 1972, 112, juris Rn. 9), also das tatrichterliche Urteil vor dem Inkrafttreten des Bundeszentralregistergesetzes ergangen ist (BayObLG, Beschlüsse vom 20. Januar 1972 – RReg 2. St 171/71 –, BayObLGSt 1972, 3, 4; vom 22. März 1972 – RReg 1 St 19/72 -, BayObLGSt 3, 75, 77 f.). Ein solcher Fall lag auch der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 19. Juli 1972 – 3 StR 66/72 –, BGHSt 24, 378) zugrunde.

In Übereinstimmung hiermit geht auch das Oberlandesgericht München davon aus, dass es sich bei der Frage der Verwertbarkeit von Vorstrafen nicht um Verfahrensrecht, sondern um eine Regelung des materiellen Rechts handelt, so dass bei einer Gesetzesänderung zwischen Tat und Verurteilung das mildere Gesetz Vorrang hat (Beschluss vom 14. Dezember 2009 – 4St RR 183/09 –, NStZ-RR 2010, 105, juris Rn. 7; so auch BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg/Kudlich, 61. Ed. 1.5.2024, StGB § 2 Rn. 5).

bb) Ein solches auf die Sachrüge zu berücksichtigendes Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2022 – 2 StR 61/22 –, NStZ-RR 2023, 87, juris Rn. 5 m.w.N.; so bereits BayObLG, Beschluss vom 22. März 1972 – RReg 1 St 19/72 -, BayObLGSt 3, 75, 77) besteht aber gegenwärtig nicht. Denn die einschlägigen Vorahndungen sind noch nicht tilgungsfähig. Die entsprechenden Eintragungen im Bundeszentralregister werden erst nach den am 1. Januar 2025 in Kraft tretenden Vorschriften der §§ 40 bis 42 KCanG (vgl. Art. 15 Abs. 2 CanG) tilgungsfähig (§ 40 Abs. 1 KCanG) und dann nach Feststellung der Tilgungsfähigkeit durch die Staatsanwaltschaft auf Antrag des Angeklagten (§ 41 i.V.m. § 42 Abs. 1 KCanG) und Mitteilung an das Bundeszentralregister zu tilgen sein (§ 42 Abs. 2 KCanG i.V.m. § 48 Satz 3 BZRG), mit der Folge, dass erst ab diesem Zeitpunkt das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG eingreift.

cc) Offenbleiben kann damit, ob die in der Literatur vertretene Auffassung, dass eine nach dem tatrichterlichen Urteil eintretende Tilgungsreife für das Revisionsgericht ohne Bedeutung ist (vgl. Fischer, StGB, a.a.O., § 2 Rn. 6 unter Hinweis auf BGH mit unzutreffender Fundstelle), auf die vorliegende Fallgestaltung anwendbar ist. Dem liegt offenbar die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde, dass ein Verwertungsverbot dann besteht, wenn die Tilgungsfrist zwar zum Zeitpunkt der neuen Tat noch nicht verstrichen, aber vor Ende der Hauptverhandlung in der Tatsacheninstanz bereits abgelaufen ist (vgl. nur BGH, Beschluss vom 22. Dezember 2015 – 2 StR 207/15 –, NStZ-RR 2016, 120, juris Rn. 5 m.w.N.; noch offen gelassen vom BayObLG, Beschluss vom 22. März 1972 – RReg 1 St 19/72 -, BayObLGSt 3, 75, 78). Die Frage des durch Gesetzesänderung eintretenden, vom Revisionsgericht zu beachtenden Verwertungsverbots ist aber unabhängig vom zeitlichen Ablauf der Tilgungsfrist (in diesem Sinne auch BayObLG, Beschluss vom 22. März 1972 – RReg 1 St 19/72 -, BayObLGSt 3, 75, 78).

dd) Der strafschärfenden Berücksichtigung der beiden Vorverurteilungen steht auch sonst nichts entgegen.

Mit Ausnahme der Frage einer Tilgungsreife und der danach nicht mehr möglichen Verwertbarkeit von Vorstrafen ist der Umstand einer Vorverurteilung als solcher eine Strafzumessungserwägung, die § 2 Abs. 3 StGB auch dann nicht unterfällt, wenn diese Verurteilung auf einem Gesetz beruht, das mittlerweile abgemildert wurde oder nicht mehr gilt. Denn der nunmehr erkennende Richter wendet nicht dieses Gesetz an, sondern berücksichtigt nur den Umstand der Vorverurteilung als solchen.

Für die Frage nach dem mildesten Gesetz im Sinn von § 2 Abs. 3 StGB kommt es auf den gesamten Rechtszustand an, von dem die Strafe abhängt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. August 1994 – 2 BvR 1884/93 –, NJW 1995, 316, juris Rn. 9; BGH, Urteil vom 8. Januar 1965 – 2 StR 49/64 –, BGHSt 20, 177, juris Rn. 11), also auf das gesamte sachliche Recht, das über das „Ob“ und das „Wie“ der Strafbarkeit entscheidet (Schönke/Schröder/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 2 Rn. 18; NK-StGB/Kargl, 6. Aufl. 2023, StGB § 2 Rn. 23b; vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 24. Juli 2014 – 3 StR 314/13 –, BGHSt 59, 271, juris Rn. 9). Hierzu zählt § 46 Abs. 2 StGB, wonach das Vorleben des Täters zu berücksichtigen ist, wozu grundsätzlich auch abgeurteilte Vorstrafen gehören (vgl. nur Fischer, StGB, a.a.O., § 46 Rn. 38), soweit die Zulässigkeit der Berücksichtigung nicht durch Gesetze eingeschränkt wird, zu denen etwa – wie aufgezeigt – die Tilgungsvorschriften zählen (vgl. hierzu Fischer, StGB, a.a.O., § 46 Rn. 39).

Der Angeklagte stand zur Tatzeit unter zweifach offener Bewährung, so dass zum Tatzeitpunkt diesen Vorahndungen eine Warnfunktion (vgl. hierzu Fischer, StGB, a.a.O., § 46 Rn. 38c) zukam.

Diese ist nicht dadurch in Wegfall geraten, dass der Besitz entsprechender Mengen Marihuana ab 1. April 2024 – also nach dem Tatzeitpunkt – nicht mehr strafbar war.

Die Zulässigkeit der Berücksichtigung der einschlägigen Vorahndungen steht insoweit im Einklang mit dem Regelungskonzept des Cannabisgesetzes in Bezug auf rechtskräftige Vorahndungen. Diese werden durch das Gesetz nicht aufgehoben. Gemäß Art. 316p EGStGB ist im Hinblick auf vor dem 1. April 2024 verhängte Strafen nach dem Betäubungsmittelgesetz, die nach dem Konsumcannabisgesetz oder dem Medizinal-Cannabisgesetz nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, Art. 313 EGStGB entsprechend anzuwenden. Danach werden rechtskräftig verhängte Strafen wegen solcher Taten, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, mit Inkrafttreten des neuen Rechts erlassen, soweit sie noch nicht vollstreckt sind (Art. 313 Abs. 1 EGStGB). Diese Rechtswirkungen treten unmittelbar kraft Gesetzes ein, ohne dass es einer Entscheidung der Vollstreckungsbehörde bedarf (OLG Stuttgart, Beschluss vom 28. Mai 2024 – 1 ORs 24 SRs 167/24 –, juris Rn. 7).

Der Straferlass bei noch nicht vollstreckten Strafen ändert aber nichts daran, dass der Schuldspruch hiervon unberührt bleibt und somit auch aus jetziger Sicht eine Warnfunktion für den Verurteilten ausgeübt hat.“

Corona I: Fälschung von Impf- und Genesenenausweis, oder: Genug Feststellungen zur Beweiserheblichkeit?

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Und dann seit längerem mal wieder etwas zu Corona, und zwar „Aufarbeitungsentscheidungen“. An der „Front“ ist es ja – zum Glück – ruhiger geworden. Aber die ein oder andere Entscheidung gibt es dann doch noch.

Ich stelle zu der Thematik dann heute zunächst den OLG Celle, Eeschl. v. 18.07.2024 – 1 ORs 18/24 – vor. Geht noch einmal um Urkundenfälschung in Zusammenhang mit Impfausweisen u..a.

Folgender Sachverhalt: Das AG hatte den Angeklagten vom Vorwurf der Anstiftung zur Urkundenfälschung und zur Fälschung beweiserheblicher Daten freigesprochen. Auf die dagegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG Stade den Angeklagten wegen Anstiftung zur Urkundenfälschung in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen sowie Anstiftung zur Fälschung beweiserheblicher Daten verurteilt.

Nach den Feststellungen des LG forderte der Angeklagte am 10.05.2021 seine Schwester per Chat-Nachricht dazu auf, drei Impfaufweise für sich, seinen Vater und seine Ehefrau zu bestellen, die Eintragungen über in Wahrheit nicht erfolgte Impfungen gegen Covid-19 enthielten, und überwies ihr dafür insgesamt 450 Euro. Die Schwester des Angeklagten entschloss sich deshalb, die Impfpässe bei der gesondert verfolgten S. O. zu bestellen. Diese beschaffte deshalb die Impfaufweise aus einer unbekannten Quelle.

Außerdem bat im November 2021 seine Schwester darum, ihm einen gefälschten Genesenen-Ausweis zu beschaffen. Diese übersandte ihm daraufhin am 11.11.2021 per E-Mail einen gefälschten Befund eines Labors, der dem Angeklagten einen positiven PCR-Test auf Antikörper für SARS-CoV-2 bescheinigte. Diese Dokumente hatte sie selbst auf ihrem PC erstellt und dafür als Vorlage den Befund einer dritten Person verwendet.

Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg:

„Die Feststellungen des Landgerichts tragen weder den Schuldspruch wegen Anstiftung zur Urkundenfälschung gemäß §§ 267 Abs. 1, 26 StGB noch den Schuldspruch wegen Anstiftung zur Fälschung beweiserheblicher Daten gemäß §§ 269 Abs. 1, 26 StGB. Es fehlt jeweils an vollständigen Feststellungen zu einer entsprechenden Haupttat, die gemäß § 26 StGB Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Anstiftung ist.

1. Hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB erweisen sich die Urteilsfeststellungen in mehrfacher Hinsicht als lückenhaft. Sie belegen weder das Vorliegen einer Urkunde noch ein Auseinanderfallen zwischen dem scheinbaren und dem tatsächlichen Aussteller.

a) Eine Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB ist eine verkörperte Gedankenerklärung, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt war, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und den Aussteller erkennen ließ (st. Rspr.; statt aller BGH, Beschluss vom 14. März 2024 – 2 StR 192/23 –, Rn. 35, juris, m. w. N.).

Ein vollständig ausgefüllter Impfausweis erfüllt diese Voraussetzungen; die vollständigen Angaben ergeben die Erklärung des im Impfausweis aufgeführten Impfarztes, der genannten Person die bezeichnete Impfung an einem bestimmten Tag unter Verwendung eines Vakzins einer bestimmten Charge verabreicht zu haben (BGH, Urteil vom 10. November 2022 – 5 StR 283/22 –, Rn. 36, juris; OLG Celle, Urteil vom 31. Mai 2022 – 1 Ss 6/22 –, Rn. 15, juris).

Ob sich einem Impfausweis eine solche Erklärung entnehmen lässt, muss im Urteil in Bezug auf den jeweiligen Einzelfall festgestellt werden. Es reicht nicht aus, den Inhalt mit reinen Rechtsbegriffen zu umschreiben; erforderlich ist vielmehr eine Beschreibung der jeweiligen Eintragungen, namentlich ob der Impfausweis für eine bestimmte Person ausgestellt wurde und ggf. für welche, ob etwa ein Aufkleber mit einer Chargen-Nummer in dem Impfausweis eingeklebt war und welchen Inhalt dieser gegebenenfalls hatte, ob ein und ggf. welcher Zeitpunkt der angeblich erfolgten Impfung eingetragen wurde, ob ein und ggf. welcher Aussteller der Impfbescheinigung ersichtlich wird (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 22. Juli 2022 – 202 StRR 71/22 –, juris).

b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es beschränkt sich insoweit auf die Feststellungen, dass der Angeklagte „drei Impfausweise“ bei seiner Schwester bestellt habe, diese daraufhin „die gefälschten Impfpässe“ habe beschaffen wollen und die gesondert Verfolgte O. schließlich „die Impfausweise mit den gefälschten Einträgen zu in Wahrheit nicht erfolgten COVID-19 Impfungen“ beschafft habe. Den zur Konkretisierung des Urkundenbegriffs des § 267 Abs. 1 StGB erforderlichen genauen Inhalt dieser Eintragungen hat die Strafkammer hingegen nicht festgestellt.

c) Das Fehlen ausreichender Feststellungen zur Urkundenqualität entzieht auch der weiteren rechtlichen Bewertung der Strafkammer die Grundlage. Da es sowohl an Feststellungen zur Person des Haupttäters als auch zu einem etwaigen scheinbaren Aussteller fehlt, steht namentlich auch die Unechtheit einer eventuellen Urkunde in Frage; nach den Feststellungen ist nicht ausgeschlossen ist, dass es sich zwar um unrichtige, nicht aber um unechte Impfbescheinigungen handelte.

2. Das angefochtene Urteil belegt auch nicht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Fälschung beweiserheblicher Daten gemäß § 269 Abs. 1 StGB bei der Tat aus November 2021erfüllt sind.

Den Feststellungen des Landgerichts lässt sich noch ausreichend entnehmen, dass die gesondert Verfolgte F. als Haupttäterin echte Daten verändert oder falsche Daten gespeichert hat. Denn sie hat entweder die vom Labor Dr. F. erstellte Datei durch Einfügen des Namens des Angeklagten verändert oder anhand dieser Vorlage eine eigene Datei mit dem Namen des Angeklagten erstellt, deren scheinbarer Aussteller das Labor Dr. F. war.

Die Urteilsfeststellungen belegen aber nicht, dass diese Daten auch beweiserheblich waren. Dieses Tatbestandsmerkmal verlangt, dass die Daten geeignet und bestimmt sind, bei einer Verarbeitung im Rechtsverkehr als Beweisdaten für rechtlich erhebliche Tatsachen benutzt zu werden (Zieschang in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 269 StGB, Rn. 11 m. w. N.). Es ist deckungsgleich mit der für den Urkundenbegriff gemäß § 267 StGB erforderlichen Beweisfunktion und ergibt sich deshalb zugleich aus der weiteren Tatbestandsvoraussetzung des § 269 Abs. 1 StGB, dass im hypothetisch gedachten Fall der Wahrnehmung der Daten eine Urkunde vorliegen muss (Zieschang a. a. O.; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, 30. Aufl. 2019, StGB § 269 Rn. 9).

Ebenso wie für Urkunden gilt deshalb, dass einer Datei keine Beweisfunktion zukommt, wenn sie erkennbar als Kopie einer Urkunde erscheint. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die entsprechenden Erklärungen üblicherweise als Original-Papierdokumente ausgegeben werden; ein entsprechendes PDF-Dokument ruft dann im Rechtsverkehr nicht den Eindruck eines Originals hervor, sondern wird lediglich als Reproduktion angesehen (OLG Celle, Urteil vom 15. Dezember 2023 – 1 ORs 2/23 –, Rn. 42, juris, m. w. N.).

Eine revisionsrechtliche Überprüfung, ob der Datei, die von der gesondert Verfolgten F. erstellt wurde, die erforderliche Beweisfunktion zukam, ist dem Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landgerichts nicht möglich. Denkbar ist sowohl, dass im Rechtsverkehr bereits dieser Dateiinhalt – etwa beim Vorzeigen mittels eines Mobiltelefons – als ein vom Institut Dr. F. erstellter Genesenenachweis angesehen worden wäre. Nicht ausgeschlossen ist aber auch, dass die Datei selbst lediglich als – beispielsweise eingescannte – Reproduktion eines vermeintlich in Papierform vorliegenden Originals erschien und nicht die Datei selbst, sondern erst ein Ausdruck im Rechtsverkehr als eine vom Institut Dr. F. erstellte Erklärung angesehen worden wäre. Im zuletzt genannten Fall würde das Erstellen der Datei lediglich eine – straflose – Vorbereitungshandlung zu einer möglichen späteren Herstellung einer unechten Urkunde darstellen.

Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.“

Und dann noch der BayObLG, Beschl. v. 10.07.2024 – 203 StRR 231/24. Von der Entscheidung gibt es aber nur den Leitsatz, der lautet:

Der Gebrauch einer unechten Impfbescheinigung nach dem 24. November 2021 kann eine Urkundenfälschung nach § 267 Abs.1 3. Al. StGB darstellen. Dies gilt auch nach dem Auslaufen des digitalen COVID-Zertifikats. 

StPO II: Wenn das Berufungsurteil „viele Fehler“ hat, oder: Man mag es nicht glauben

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Als zweites dann der BayObLG, Beschl. v. 04.06.2024 – 203 StRR 184/24. Das ist mal wieder so eine Entscheidung, bei der man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und rufen möchte: „Das kann doch nicht wahr sein.“ Das bezieht sich allerdings nicht aus den BayObLG-Beschluss, sondern aus das landgerichtliche Berufungsurteil, das grob fehlerhaft ist/war. Daher was bei mir die Entscheidung des BayObLg auch mit dem Zusatz „viele Fehler“ gespeichert.

In der Sache geht es um eine Verurteilung wegen eines Ladendiebstahls. Die beanstandet das BayObLG. Ich stelle hier, weil es sonst zu viel wird, nur die Ausführungen des BayObLG zu den insoweit tatsächlichen Feststellungen vor – und verweise noch einmal darauf: Es handelte sich um ein Urteil einer Berufungskammer:

„1. Die Feststellungen des Landgerichts genügen nicht, um eine Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten Diebstahls zu tragen. Das Landgericht hat außer Acht gelassen, dass die in den Urteilsgründen gewählte Formulierung „entwendete“ ohne nähere Darlegung der Vorgehensweise des Täters nicht den Anforderungen der Rechtsprechung an die Darstellung eines vollendeten Diebstahls in einem Ladengeschäft genügt.

a) Der Begriff des Entwendens lässt offen, wie sich die Tat abgespielt hat und ob die Wegnahme im Rechtssinne vollendet wurde (St. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 19. Juli 2023 – 203 StRR 255/23 -, unveröffentlicht; BayObLG, Beschluss vom 7. April 2021 — 202 StRR 33/21 —, juris; KG Berlin, Beschluss vom 23. Oktober 2019 — 3 Ss 89/19 —, juris Rn. 8 ff.; OLG Dresden, Beschluss vom 12. März 2015 — 2 OLG 22 Ss 14/15 —, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 14. November 2013 – 111-5 RVs 111/13 juris; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Mai 2013 – 111-5 RVs 38/13 juris; Quentin in MüKo-StPO, 2. Aufl., § 318 Rn. 39). Für eine vollendete Wegnahme ist erforderlich, dass der Täter hinsichtlich der zuzueignenden Sache fremden Gewahrsam gebrochen und neuen begründet hat (St. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 6. März 2019 – 5 StR 593/18-, juris m.w.N.; Schmitz in MüKo-StGB, 4. Aufl. § 242 Rn. 83 ff.; Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 242 Rn. 37 ff.; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 242 Rn. 16 ff.). Für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft bei einem Ladendiebstahl ist entscheidend, dass der Täter diese derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen (BGH, Urteil vom 6. März 2019 — 5 StR 593/18 —, juris Rn. 3). Maßgeblich sind stets die Umstände des Einzelfalls (vgl. zu den möglichen Fallkonstellationen beim Ladendiebstahl Vogel/Brodowski in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 242 Rn. 100 ff.; Bosch a.a.O. Rn. 39). Allein der Umstand, dass die Sache zurückgegeben wurde, lässt noch keinen verlässlichen Schluss auf die Begründung von Gewahrsam von Seiten des Täters zu (vgl. BayObLG, Beschluss vom 7. April 2021 a.a.O. Rn. 5). Entsprechendes gilt für die Feststellung der gewerbsmäßigen Begehungsweise. Weder der Verweis auf ein Geständnis des Angeklagten noch die Darlegung seiner Absicht kann die fehlenden Ausführungen zu den Gewahrsamsverhältnissen kompensieren (zum Geständnis vgl. Senat a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 14. November 2013 – III-5 RVs 111/13 -, juris Rn. 9; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Mai 2013 — III-5 RVs 38/13 juris).

b) Auch die in den Urteilsgründen nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO erfolgte Bezugnahme auf mehrere Lichtbilder, die die entwendeten Parfums zeigen, vermag die fehlenden Feststellungen nicht zu ersetzen. Nach § 267 Abs. 1 §. 1 und §. 3 StPO müssen die Urteilsgründe im Falle einer Verurteilung die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden; wegen der Einzelheiten kann auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, verwiesen werden. Satz 3 der Vorschrift gestattet jedoch nur die ergänzende Heranziehung von Abbildungen, nicht jedoch eine Verweisung auf ein Schriftstück, soweit es auf den Wortlaut ankommt (BGH, Urteil vom 20. Oktober 2021 — 6 StR 319/21 juris Rn. 10; BGH, Urteil vom 20. Januar 2021 —2 StR 242/20 —, juris Rn. 19, 21). Da der Tatrichter nur auf die – eine Wegnahme nicht belegenden – Lichtbilder verwiesen hat, könnte der Senat aus den Abbildungen einen Gewahrsamsbruch nicht ableiten. Dass auch ein außerhalb der Lichtbilder befindlicher Text Gegenstand der Inaugenscheinnahme gewesen wäre und vom Gericht und den Beteiligten wahrgenommen worden ist, lässt sich den Ausführungen im Urteil nicht entnehmen. Der Senat darf daher die Bildunterschrift in der Revision nicht zur Kenntnis nehmen. Auf die in der Rechtsprechung nicht endgültig geklärte Frage, inwieweit ein Text innerhalb einer Abbildung von der Regelung des § 267 Abs. 1 §. 3 StPO erfasst ist (vgl. BayObLG5 Beschluss vom 31 . Januar 2022 – 202 ObOWi 106/22 juris; KG, Beschluss vom 23. April 2021BeckRS 2021, 12952; BeckOK StPO/Peglau, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 267 Rn. 9; Bartel in KK-StPO, 9. Aufl., § 267 Rn. 43), kommt es daher nicht an.“

Den Rest dann bitte selbst lesen. Hier müssen die Leitsätze dann reichen, und twar.

    1. Die Formulierung „entwendete“ in den Urteilsgründen ohne nähere Darlegung der Vorgehensweise des Täters genügt nicht den Anforderungen der Rechtsprechung an die Darstellung eines vollendeten Diebstahls in einem Ladengeschäft.
    2. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO gestattet nur die ergänzende Heranziehung von Abbildungen, nicht jedoch eine Verweisung auf ein Schriftstück, soweit es auf den Wortlaut ankommt.
    3. Bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung hat der Tatrichter zwischen der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit zu differenzieren.
    4. In Fällen einer Kumulation von Alkohol und Betäubungsmitteln ist in der Regel die Hinzuziehung eines Sachverständigen sachdienlich.