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Auslieferung in die Türkei, oder: Nicht wegen einer politischen Straftat

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Author David Benbennick

Die zweite Entscheidung, der KG, Beschl. v. 29.08.2018 – (4) 151 AuslA 59/17 (40/18), betrifft eine Auslieferung an die Türkei, und zwar wegen einer politischen Straftat. DasKG hat die Auslieferung als unzulässig angesehen:

„1. Das auf diplomatischem Weg mit Verbalnote der Botschaft der Republik Türkei vom 11. Mai 2017 – 2017/36481099-Berlin BE/12386453 – übermittelte Auslieferungsersuchen der Staatsanwaltschaft in E. vom 20. Oktober 2016 entspricht zwar hinsichtlich des Übermittlungsweges sowie in seiner Form und seinem Inhalt den Anforderungen des Art. 12 EuAlÜbk. Es beinhaltet unter anderem eine Abschrift der anwendbaren Bestimmungen des türkischen Strafgesetzbuches und beglaubigte Abschriften des Urteils des 4. Kriminalgerichts in E. vom 31. Oktober 2012 (Aktenzeichen 2012/19, Urteilsnummer 2012/9) und des – dieses bestätigenden – Beschlusses des Berufungsgerichts vom 23. Dezember 2013 (Aktenzeichen 2013/16659, Urteilsnummer 2013/16700) nebst Rechtskraftbescheinigungen, wonach der Verfolgte – neben bedingten Freiheitsstrafen, hinsichtlich derer die Auslieferung nicht begehrt wird – zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, einem Monat und 15 Tagen verurteilt wurde, die noch in voller Höhe zu vollstrecken ist. Es wird weiter mitgeteilt, dass gegen den Verfolgten ein Vollstreckungshaftbefehl der Staatsanwaltschaft in E. vom 6. März 2014 – 2014/1-969 – besteht, der dem Ersuchen gleichfalls in beglaubigter Abschrift beigefügt ist. Nach den in einer qualitativ minderwertigen, teilweise unverständlichen Übersetzung mitgeteilten und deshalb auf Veranlassung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin zum Teil neu übersetzten Urteilsfeststellungen hatte der Verfolgte, der selbst nicht der PKK angehörte, am 20. März 2012 im Zentrum von E. an einer nicht genehmigten Newroz-Feier teilgenommen, zu der in der PKK nahestehenden Medien aufgerufen worden war und in deren Verlauf Propaganda für die PKK gemacht wurde. Mehrfachen Aufforderungen zur Auflösung der Versammlung soll er keine Folge geleistet und sich einer Gruppe angeschlossen haben, die die Sicherheitskräfte mit Steinen bewarf (an anderer Stelle des Urteils heißt es, der Verfolgte habe eine Getränkekiste aus Kunststoff geworfen). Der Verfolgte soll hierdurch die Terrororganisation PKK unterstützt haben. Dass die Steinwürfe bzw. das Werfen der Getränkekiste zu Verletzungen geführt hätten, ist nicht festgestellt.

2. Die Auslieferung des Verfolgten ist unzulässig. Ihr steht das Verbot der Auslieferung wegen einer politischen Straftat (Art. 3 Abs. 1 EuAlÜbk; § 6 Abs. 1 IRG) entgegen.

Politische Taten sind (jedenfalls) solche, die dem Staatsschutzstrafrecht unterfallen. Sie sind Ausdruck einer Opposition gegen die Regierung, häufig vor dem Hintergrund außen- oder innenpolitischer Auseinandersetzungen (vgl. Vogel in Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen 3. Aufl., § 6 IRG Rn. 38 mwN). Die der Verurteilung – soweit die Auslieferung begehrt wird – zugrundeliegende Norm des Art. 314 des türkischen Strafgesetzbuches (Gesetz Nr. 5237) findet sich im Vierten Teil „Straftaten gegen Nation und Staat“ des Zweiten Buches des türkischen Strafgesetzbuches im Fünften Abschnitt „Straftaten gegen die Verfassungsordnung und ihr Funktionieren“ und gehört damit als Staatsschutzdelikt zu den politischen Straftaten (ebenso OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. Juni 2017 – Ausl 301 AR 101/17 – [juris]). Auch das konkret vorgeworfene Tatgeschehen – die Teilnahme an einer Propagandaveranstaltung der in Opposition zur türkischen Regierung stehenden PKK und am Widerstand gegen die Auflösung der Versammlung – stellt sich unabhängig von der auch deutschem Recht entsprechenden Einordnung der PKK als Terrororganisation als ein politisches Handeln des Verfolgten dar.

Die abgeurteilte Tat unterfällt auch nicht einer der Ausnahmen des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Januar 1977. Weder handelt es sich um eine Katalogtat nach Art. 1 EuTerrÜbk – auch nicht in der Fassung des Art. 1 ZP-EuTerrÜbk – noch um eine schwere Gewalttat im Sinne des Art. 2 Abs. 1 EuTerrÜbk oder eine gegen Sachen gerichtete schwere und gemeingefährliche Tat im Sinne des Art. 2 Abs. 2 EuTerrÜbk. Eine schwere Tat im Sinne von Art. 2 Abs. 1 und 2 EuTerrÜbk liegt nach Art. 2 des Gesetzes zum EuTerrÜbk vom 28. März 1978 (BGBl. II S. 321) nur vor, wenn die Tat bei Abwägung aller Umstände, insbesondere der Beweggründe des Täters sowie der Art ihrer Ausführung und ihrer verschuldeten Auswirkungen, kein angemessenes Mittel zur Erreichung des erstrebten Ziels ist, wobei als Regelbeispiele die Verursachung des Todes oder einer schweren Körperverletzung, die Gefährdung von Leben oder Gesundheit einer großen Zahl von Menschen oder die Tatbegehung auf grausame Weise oder mit gemeingefährlichen Mitteln genannt werden. Dies ist bei der – wovon nach den insoweit schweigenden Urteilsgründen auszugehen ist – folgenlosen Tat des Verfolgten ersichtlich nicht der Fall.

Die Verneinung eines sich aus Art. 3 Abs. 1 EuAlÜbk, § 6 Abs. 1 IRG ergebenden Auslieferungshindernisses käme im Übrigen nur in Betracht, wenn der allgemein-kriminelle Charakter der Tat deren politische Zielrichtung deutlich in den Hintergrund treten ließe (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 16. Februar 2018 – 20 OLGAusl 37/17 – [juris Rn. 16 mwN]). Auch dies ist vorliegend nicht der Fall, sodass es keiner Erörterung bedarf, ob für diesen Grundsatz über die Regelung des Art. 2 des Gesetzes zum EuTerrÜbk hinaus noch ein Anwendungsbereich besteht.“

Auslieferung nach Russland, oder: Drohende lebenslange Freiheitsstrafe steht nicht entgegen

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Heute dann – nach längerer Zeit – mal wieder Entscheidungen zum Auslieferungsverfahren. Alle drei Entscheidungen kommen vom KG. Bei der ersten handelt es sich um den KG, Beschl. v. 03.07.2018 – (4) 151 AuslA 44/18 (41/18). Er betrifft einen russischen Staatsangehörigen, dem in Russland eine lebenslange Freiheitsstrafe droht. Das KG sagt: Das ist grundsätzlich kein Auslieferungshindernis:

„c) Ebenso wenig steht die Möglichkeit der Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe der Auslieferung entgegen.

aa) Zweifelhaft ist insoweit bereits, ob die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe in Betracht kommt. Ausweislich des Auslieferungsersuchens werten die russischen Behörden die – nach deutschem Recht als vollendetes Handeltreiben nach § 30a Abs. 1 BtMG strafbare – Tat als versuchtes Delikt (§ 30 Abs. 3 des russischen Strafgesetzbuches). Entgegen der Behauptung in dem Schriftsatz des Beistands vom 3. Mai 2018 enthält die „Verfügung über die Ausschreibung zur internationalen Fahndung“ vom 28. Dezember 2017 keine abweichende Wertung; auch in ihr wird Art. 30 Abs. 3 des russischen Strafgesetzbuches zitiert. Von einem Versuch geht auch der Haftbefehl vom 17. Januar 2018 aus. Nach Art. 66 Abs. 4 des russischen Strafgesetzbuches scheidet bei Versuchsdelikten die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe aus.

bb) Dies kann jedoch dahinstehen, da auch im Falle der Möglichkeit einer lebenslangen Freiheitsstrafe, die Art. 228.1 Abs. 5 und Art. 229.1 Abs. 4 des russischen Strafgesetzbuches neben zeitiger Freiheitsstrafe androhen, hieraus kein Auslieferungshindernis erwachsen würde.

(1) Die Möglichkeit der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe begründet kein Auslieferungshindernis. Ein innerstaatliches Auslieferungsverbot nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. § 73 IRG ist (nur) bei einer unerträglich schweren Strafe gegeben, da es zu dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört, dass die Schwere einer Straftat und das Verschulden des Täters zu der gesetzlich angedrohten oder der verhängten Strafe in einem gerechten Verhältnis stehen müssen. Eine Strafandrohung oder Verurteilung darf nach Art und Maß dem unter Strafe stehenden Verhalten nicht schlechthin unangemessen sein. Tatbestand und Rechtsfolge müssen sachgerecht aufeinander abgestimmt sein. Der Kernbereich dieser Anforderungen zählt zu den unabdingbaren Grundsätzen der verfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland und ist auch im Auslieferungsverkehr zu beachten. Den zuständigen Organen der Bundesrepublik Deutschland ist es verwehrt, einen Verfolgten auszuliefern, wenn die Strafe, die gegen ihn im ersuchenden Staat verhängt werden kann, unerträglich hart, mithin unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen erscheint. Anderes gilt hingegen dann, wenn die drohende Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer strengen Beurteilung anhand deutschen Verfassungsrechts bereits nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte. Das Grundgesetz geht von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus (Präambel, Art. 24 bis 26 GG). Es gebietet damit zugleich, fremde Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten. Das bedeutet, dass die Auffassung der deutschen Rechtsordnung von maß- und sinnvollem Strafen im Auslieferungsverkehr nur insoweit zur Geltung zu bringen ist, als sie Bestandteil zwingender, unabdingbarer verfassungsrechtlicher Grundsätze der Bundesrepublik Deutschland ist (vgl. BVerfG WM 2015, 65 = wistra 2015, 96 = InfAuslR 2015, 129 [juris Rn. 25 f.]; OLG Hamm NStZ-RR 2014, 156; jeweils mwN).

Nach diesen Maßstäben ist ein Auslieferungshindernis vorliegend zu verneinen. Angesichts der großen Menge des gefährlichen Rauschgifts Kokain, an dessen Schmuggel der Verfolgte mitgewirkt haben soll, kann eine lebenslange Freiheitsstrafe – auch wenn sie hart ist – nicht als schlechthin unangemessen bewertet werden.

(2) Die Regelungen zur Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafen nach russischem Recht stehen der Auslieferung gleichfalls nicht entgegen……………“

Auslieferung III: In die Türkei soll es gehen, oder: Nicht grundsätzlich unzulässig

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Author David Benbennick

Und zum Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen, die sich mit der Auslieferung an die Türkei befassen. Es handelt sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 11.12.2017 – 2 Ausl. 147/17 – Auslieferung aus Deutschland in die Türkei zur Strafverfolgung – und um den KG, Beschl. v. 21.12.2017 – (4) 151 AuslA 77/16 (107/16) – Auslieferung an die Türkei zur Strafvollstreckung.

Beider Gerichte sagen: Die Auslieferung in die Türkei ist nicht grundsätzlich unzulässig.

Dazu aus dem Beschluss des OLG Hamm:

Der Senat ist – in Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Köln (vgl. Beschluss vom 01.02.2017, Az. 6 Ausl A 70/16 – 58), dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (vgl. Beschluss vom 12.05.2017, Az. 2 Ausl A 76/15), dem Kammergericht Berlin (vgl. Beschluss vom 17.01.2017, Az. (4) 151 AuslA 11/16 (10/17)) und dem Oberlandesgericht München (vgl. Beschluss vom 16.08.2016, Az. 1 AR 252/16) – auch nicht der Auffassung, dass die Auslieferung eines Verfolgten aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung derzeit generell unzulässig ist (Beschlüsse des Senats vom 12.06.2017, Az. Az. III – 2 Ausl. 94/17, und vom 08.06.2017, Az. III – 2 Ausl. 133/16).

Die aktuellen politischen und sozialen Umstände und Entwicklungen in der Türkei seit der Verhängung des Ausnahmezustandes im Juli 2016 und deren Auswirkungen auf die Rechtsstaatlichkeit und die Haftbedingungen dort können zwar insbesondere im Hinblick auf die Haftbedingungen ein Auslieferungshindernis im Sinne des § 73 IRG begründen, ein diesbezügliches mögliches Auslieferungshindernis kann jedoch aus Sicht des Senats dadurch ausgeräumt werden, dass die türkischen Behörden eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung in Bezug auf das in Rede stehende Auslieferungshindernis abgeben. Im Auslieferungsverkehr zwischen Deutschland und anderen Staaten ist dem ersuchenden Staat im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen (BVerfG, Beschluss vom 09.03.2016, Az. 2 BvR 348/16; Beschluss vom 15.12.2015, Az. 2 BvR 2735/14; Beschluss vom 05.11.2003, Az. 2 BvR 1243/03), wobei die von einem ersuchenden Staat im Auslieferungsverkehr abgegebenen völkerrechtlich verbindlichen Zusicherungen aufgrund des gegenseitigen Vertrauens grundsätzlich auch geeignet sind, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.03.2016, Az. 2 BvR 348/16; Beschluss vom 09.04.2015, Az. 2 BvR 221/15; Beschluss vom 01.12.2003, Az. 2 BvR 879/03; Beschluss vom 23.02.1983, Az. 1 BvR 1019/82).

Aufgrund des Schreibens des Bundesamtes für Justiz vom 24.02.2017 über die Auswirkungen des Ausnahmezustandes in der Türkei auf die Rechtsstaatlichkeit und die dortigen Haftbedingungen, wonach die von den türkischen Behörden abgegebenen Zusicherungen nach dem derzeitigen Kenntnisstand belastbar seien und bei Bedarf auch überprüft werden können, sieht der Senat derzeit auch weiterhin keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die von den türkischen Behörden im abgegebenen Zusicherungen auch tatsächlich beachtet und eingehalten werden sowie bei Bedarf auch überprüft werden können.

Im vorliegenden Fall stehen der Auslieferung des Verfolgten in die Türkei wegen der aktuellen politischen und sozialen Umstände und Entwicklungen in der Türkei seit der Verhängung des Ausnahmezustandes im Juli 2016 und deren Auswirkungen auf die Rechtsstaatlichkeit und die Haftbedingungen aber Auslieferungshindernisse im Sinne des § 73 IRG entgegen………..“

Und vom KG-Beschluss die Leitsätze:

  1. Die Auslieferung an die Türkei (jedenfalls) zum Zwecke der Strafvollstreckung der wegen einer Straftat der Allgemeinkriminalität verhängten Strafe ist in der Regel zulässig, wenn die Türkei völkerrechtlich verbindlich zusichert, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung während der Strafhaft in einer Haftanstalt untergebracht wird, deren Bedingungen Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen – Empfehlung des Europarates REC(2006)2 – entsprechen, dass er keiner Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK unterworfen wird und dass der zuständigen deutschen Auslandsvertretung die Möglichkeit eingeräumt wird, den Verfolgten durch einen Mitarbeiter zu besuchen und sich vor Ort über die bestehenden Verhältnisse zu informieren.
  2. An seinen weitergehenden, erstmals im Beschluss vom 17. Januar 2017 – (4) 151 AuslA 11/16 (10/17) – (juris = StraFo 2017, 70 = NJ 2017, 114 = StV 2017, 249 [LS]) formulierten Anforderungen hält der Senat für diesen Fall nicht mehr fest.

Auslieferung II: Nach Great Britain soll es gehen, oder: Potentielle lebenslange Freiheitsstrafe steht nicht entgegen

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Author: Ricardo Stuckert/PR – Agência Brasil

Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich ebenfalls um einen KG-Beschluss, und zwar um den KG, Beschl. v. 21.12.2017 – (4) 151 AuslA 191/17 (221/17). Es geht um die Zulässigkeit einer Auslieferung an das Vereinigte Königreich, alos Great Britain, bei nach schottischem Recht angedrohter lebenslanger Freiheitsstrafe. Das KG hatte keine Bedenken:

„Hindernisse, die der Auslieferung des Verfolgten entgegenstehen, sind nicht ersichtlich.

Dies gilt insbesondere für den Umstand, dass die Tat nach schottischem Recht im Höchstmaß mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe geahndet werden kann. Zwar ist die Verhängung einer Strafe in dieser Höhe nach den Mitteilungen der britischen Behörden unwahrscheinlich. Bei der Prüfung eines Auslieferungshindernisses nach § 83 Abs. 1 Nr. 4 IRG ist jedoch auf die abstrakte Strafandrohung abzustellen (vgl. Senat NStZ-RR 2014, 290).

Nach den durch die Kronanwaltschaft mit Schreiben vom 14. Dezember 2017 übermittelten ergänzenden Informationen besteht nach schottischem Recht jedoch ein Gnadenverfahren, das demjenigen nach § 30 Crime (Sentences) Act 1997 entspricht, für das der Senat bereits in seinem Beschluss vom 8. April 2014 – (4) 151 AuslA 199/13 (300/13) – festgestellt hat, dass es den Anforderungen des § 83 Abs. 1 Nr. 4 IRG genügt. Auch nach schottischem Recht  – § 3 des Prisoners and Criminal Proceeding (Scotland) Act 1993 – können die zuständigen Schottischen Minister Strafgefangene jederzeit nach Konsultation einer Bewährungskommission „aus Gründen der Barmherzigkeit“ (compassionate grounds) aus der Haft entlassen. Bei dieser Entscheidung, auf die der Strafgefangene antragen kann und die sowohl hinsichtlich des Votums der Bewährungskommission als auch hinsichtlich der ministeriellen Gnadenentscheidung gerichtlich überprüfbar ist, sind sowohl die Situation des Gefangenen und seiner Familie als auch die Entwicklung des Gefangenen im Vollzug, seine Vorstrafen und seine Zukunftsplanungen zu berücksichtigen. Auch Schottland verfügt damit über ein Gnadenverfahren, das auch schon vor Ablauf von 20 Jahren die Aussetzung der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ermöglicht und dem Verfolgten einen Anspruch auf eine sachliche Kriterien berücksichtigende Entscheidung über sein Gnadengesuch einräumt (vgl. BGHSt 57, 258, 266).

Auslieferung I: Nach Litauen soll es gehen, oder: Die Haftbedingungen stehen nicht entgegen

entnommen wikimedia.orgBy Central Intellegence Agency – The World Factbook: Lithuania,

Heute dann mal ein Tag mit Auslieferungsentscheidungen. Die Thematik kommt hier immer ein wenig kurz. Jetzt ist es aber mal wieder so weit.

Im schon etwas älteren KG, Beschl. v. 22.08.2017 –  (4) 151 AuslA 78/17 (95/17) – geht es um eine Auslieferung nach Litauen. Das KG sagt: Die Haftbedingungen in Litauen stehen einer Auslieferung nicht entgegen:

Auch aus den Haftbedingungen in der Republik Litauen erwächst kein Auslieferungshindernis. Die vom Senat im Anschluss an den Beschluss des OLG Saarbrücken vom 5. Oktober 2016 – OLG Ausl 9/16 (47/16) – und den Bericht des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) vom 4. Juni 2014 – CPT/Inf (2014) 18 – geäußerten Bedenken hält er im Hinblick auf die im hiesigen Verfahren abgegebenen Erklärungen des Justizministeriums der Republik Litauen nicht mehr aufrecht. Die in seinem Beschluss vom 3. Juli 2017 erforderten konkreteren Beschreibungen der Haftbedingungen, die bisher nicht vorliegen, erachtet der Senat nicht mehr für erforderlich.

Insoweit war zu beachten, dass der RbEuHb darauf gerichtet ist, durch die Einführung eines neuen vereinfachten und wirksameren Systems der Übergabe von Personen, die wegen einer Straftat verurteilt wurden oder einer Straftat verdächtigt werden, die justizielle Zusammenarbeit zu erleichtern und zu beschleunigen, um zur Verwirklichung des der Union gesteckten Ziels beizutragen, zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu werden, und dass er ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten voraussetzt. Denn der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, auf den sich das System des Europäischen Haftbefehls stützt, beruht seinerseits auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten darauf, dass ihre jeweiligen nationalen Rechtsordnungen in der Lage sind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der auf Unionsebene und insbesondere in der Charta anerkannten Grundrechte zu bieten.

Sowohl der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten als auch der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung haben im Unionsrecht fundamentale Bedeutung, da sie die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglichen. Konkret verlangt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, namentlich in Bezug auf den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, von jedem Mitgliedstaat, dass er, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten (vgl. zum vorstehenden insgesamt EuGH NJW 2016, 1709, 1711 mwN).

Angesichts der vom Justizministerium der Republik Litauen geschilderten Weiterentwicklung des litauischen Justizvollzugs seit dem dem Bericht des CPT vom 4. Juni 2014 zugrundeliegenden Besuch im November/Dezember 2012 sowie der einer Gesamtschau der übermittelten Schreiben zu entnehmenden ausdrücklichen Versicherung des Justizministeriums, dass die Haftbedingungen in litauischen Gefängnissen internationalen Standards entsprechen und Art. 3 EMRK nicht verletzen, sieht der Senat unter Berücksichtigung des der Republik Litauen entgegenzubringenden hohen Vertrauens keinen weiteren Ausklärungsbedarf mehr. Der mit seiner vereinfachten Auslieferung einverstandene Verfolgte hat Bedenken in Bezug auf die Haftbedingungen in Litauen nicht geäußert. Die Angaben des Justizministeriums der Republik Litauen finden zudem Bestätigung von dritter Seite (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 25. April 2017 – III – 2 Ausl. 45/17 – unter Hinweis auf den Länderreport 2016 des US Department of State zur Menschenrechtslage in Litauen).