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Aufstehen, wenn das Gericht den Saal betritt, oder: Wenn es der Wahrheitsfindung dient

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Als zweite Entscheidung im „Kessel Buntes“ dann der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 14.05.2018 – 1 Ws 88/17. Er stammt zwar aus einem Strafverfahren, die vom OLG entschiedene Problematik ist aber keine rein straf(verfahrens)rechtliche. Vielmeher kann sich die Frage ggf. auch in jedem Verfahren stellen. Es geht (mal wieder) um Ungebühr vor Gericht (§ 178 Abs. 1 Satz 1 GVG), wenn man sich – im entschiedenen Fall ein Zeuge – bei Eintreten des Gerichts nicht von seinem Sitzplatz erhebt. Also: Ungebühr im Sinne von § 178 Abs. 1 Satz 1 GVG, ja oder nein. Das OLG Zweibrücken hat die Frage bejaht:

„Der angefochtene Ordnungsmittelbeschluss beruht auf einem in förmlicher Hinsicht ordnungsgemäßen Verfahren (§§ 178 Abs. 2, 182 GVG). Er ist auch in sachlicher Hinsicht nicht zu beanstanden, da die Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsmittels gemäß § 178 Abs. 1 GVG erfüllt sind. Dadurch, dass der Beschwerdeführer beim Eintreten des Gerichts sitzenblieb und trotz der Aufforderung aufzustehen sich nicht von seinem Platz erhoben hat, hat er sich einer Ungebühr im Sinne des § 178 Abs. 1 GVG schuldig gemacht.

Der Zweck dieser Vorschrift, in dessen Licht der in ihr enthaltene Begriff der Ungebühr auszulegen ist, geht dahin, die Würde des Gerichts zu wahren und Störungen abzuwehren, die den gesetzmäßigen Ablauf der Verhandlung und die geordnete Wahrheitsfindung in ihr beeinträchtigen (Schäfer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., § 178 GVG Rdnrn. 1 – 3; Mayr in: KK, § 178 GVG Rdnr. 2). Indessen ist beides, die Würde des Gerichts und die geordnete Wahrheitsfindung, nicht im Sinne eines unverbundenen Nebeneinander zu verstehen, die Würde des Gerichts daher nicht als ein von der Wahrheitsfindung abgehobener Achtungsanspruch aufzufassen. Worum es im Kern geht, ist vielmehr die Gewährleistung einer dem Ernst der Strafrechtspflege angemessenen, persönliche Distanz schaffenden, emotionsfreien, Unparteilichkeit und Verantwortungsbereitschaft fördernden und damit letztlich dem Ziel der Wahrheitsfindung dienenden Atmosphäre. Diese Atmosphäre herzustellen, sind die in der Hauptverhandlung gebräuchlichen äußeren Formen bestimmt (OLG Hamm, NJW 1975, 943; Schäfer, aaO, Rdnr. 4). Zu ihnen gehört das Aufstehen aller im Gerichtssaal anwesenden Personen beim Eintreten des Gerichts. Das Aufstehen versinnbildlicht die Haltung gesteigerter Verantwortung und den Ernst, die einer strafgerichtlichen Verhandlung mit ihrer oft schicksalhaften Bedeutung für den Angeklagten eigen sein muss (Eb. Schmidt, ZRP 1969, 256). Indem das Aufstehen diese Verantwortungsbereitschaft und diesen Ernst symbolhaft für alle Beteiligten darstellt, trägt es zu deren Verwirklichung und damit zur Wahrheitsfindung auch selbst bei. Mithin ist das Aufstehen vor Gericht weder Selbstzweck noch Befolgung einer bloßen Tradition, und ebensowenig ist es eine außerhalb rechtlicher Erzwingbarkeit liegende Höflichkeitsbekundung (OLG Hamm, aaO; Schäfer, aaO, Rdnrn. 4, 12). Es handelt sich auch nicht um eine den Richtern persönlich erwiesene Reverenz (Eh. Schmidt, aaO). Soweit dem Sicherheben vor dem Gericht ein Element der Achtung innewohnt, ist es die Achtung vor der besonderen Bedeutung des richterlichen Auftrags, losgelöst von der Person dessen, der jeweils diesen Auftrag erfüllt (OLG Hamm, aaO). Nicht der Person des Richters gebührt das Sicherheben bei Eintritt in die Verhandlung, sondern seinem Richteramt (OLG Hamm, aaO), und noch allgemeiner: dem gemeinsam von allen Verfahrensbeteiligten angestrebten Ziel der Verwirklichung von Wahrheit und Gerechtigkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ausgeführt: “Den Richtern, die nach der Verfassung im Namen des Volkes die rechtsprechende Gewalt ausüben (Art. 92 GG), ist von jedermann die schuldige Achtung zu erweisen” (Beschl. v. 3. 8. 1966 – 1 BvR 441/66, DRiZ 1966, 356; vgl. für das gesamte Vorstehende OLG Koblenz, Beschluss vom 2.12.1983, NStZ 1984, 234, beck-online).“

Nun ja, wenn es der Wahrheitsfindung dient…..

Wenn es der Wahrheitsfindung dient: Das Aufstehen bei der Urteilsverkündung?

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Wer kennt ihn nicht, den Satz von Fritz Teufel aus dem Jahr 1967 zum Vorsitzende in seinem Verfahren, der ihn aufgefordert hatte, aufzustehen, nämlich: „Wenn es der Wahrheitsfindung dient“. Und es das (inzwischen) geflügelte Wort gilt auch heute noch. Ob nun das Nichtaufstehen in der Hauptverhandlung eine Ungebühr i.S. von § 178 Abs. 1 GVG darstellt oder nicht, damit hat sich vor einiger Zeit der OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.06.2013 – 2 Ws 12/13 – befasst (vgl. auch schon aus dem Jahr 2012 der OLG Celle, Beschl. v. 17.01.2012 – 1 Ws 504/11  und dazu Nichtaufstehen in der Hauptverhandlung – 5 Tage Ordnungshaft?). Auch das OLG Brandenburg bleibt allerdings – wie übrigens auch das OLG Celle – eine Begründung für seine Auffassung, nämlich, dass es sich um Ungebühr handelt, schuldig.

„2. Das Amtsgericht hat zu Recht eine Ungebühr in der Sitzung darin gesehen, dass sich der Angeklagte trotz Aufforderung geweigert hat, sich zur Urteilsverkündung zu erheben. Eine Ungebühr im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung und deren justizgemäßen Ablauf. Hierzu gehört auch das Beachten eines Mindestmaßes von äußeren Formen, wobei Ordnungsmittel insbesondere als Antwort auf grobe Verletzungen oder bewusste Provokationen verhängt werden dürfen (Karlsruher Kommentar-Diehmer, StPO 6. Aufl. § 178 GVG Rdnr. 1). Auch wenn das Erheben sämtlicher in der Hauptverhandlung anwesender Personen bei Eintritt des Gerichts zu Beginn der Sitzung und zur Urteilsverkündung gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, gehört dies zur äußeren Form in der Hauptverhandlung (vgl. Nr. 124 Abs. 2 Satz 2 RiStBV), deren Nichtbeachtung eine Ungebühr im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG darstellt (OLG Celle NStZ NStZ-RR 2012, 119). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Betroffene – wie hier der Angeklagte – zuvor entsprechend ermahnt worden ist (OLG Celle, a. a. O.). Angesichts der Art der Ungebühr ist auch die Bemessung des Ordnungsmittels nicht zu beanstanden, sondern angemessen.“

 

Nichtaufstehen in der Hauptverhandlung – 5 Tage Ordnungshaft?

Muss man als Angeklagter in der Hauptverhandlung eigentlich aufstehen, wenn das Gericht den Sitzungssaal betritt? Das ist zwar wohl Usus, gesetzlich geregelt ist die Frage allerdings nicht. Die Nr. 124 Abs. 2 RiStBV enthält insoweit nur eine Beschreibung der üblichen Form in der Hauptverhandlung. Deren Nichtbeachtung stellt aber nach allgemeiner Meinung gleichwohl eine Ungebühr in der Hauptverhandlung im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG dar. Davon geht jetzt auch (noch einmal das OLG Celle, Beschl. v. 17.01.2012 – 1 Ws 504/11 aus, ohne das allerdings näher – mit Ausnahme des Hinweises auf eine Kommentarstelle – näher zu begründen.

Nun ja, da fällt einem gleich der Satz, „wenn es der Rechtsfindung dient“ ein. Allerdings: Bei dem Angeklagten in dem Verfahren scheint es sich um einen „Krawallangeklagten“ gehandelt zu haben (dazu unten).

Festgesetzt worden sind für das Nichtaufstehen (?)  5 Tage Ordnungshaft. Dazu das OLG:

„Nach § 178 Abs. 1 GVG kann im Falle der Ungebühr ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 1.000 Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt werden. Die Dauer der vorliegend verhängten Ordnungshaft von 5 Tagen lag demnach im oberen Bereich der möglichen Ordnungsmittel. Dies erscheint allein vor dem Hintergrund der im angefochtenen Beschluss festgestellten Ungebühr (Weigerung, sich zu erheben) und in Anbetracht des gegenständlichen Vorwurfs des Hausfriedensbruchs sowie der schließlich verhängten Rechtsfolge von 40 Tagessätzen Geldstrafe zunächst nicht frei von Bedenken. Indessen ist die Prüfung eines Ordnungsmittels nicht allein auf die im zugrunde liegenden Beschluss festgestellten Tatsachen beschränkt. Vielmehr können auch solche Umstände in die Prüfung einbezogen werden, die sich zwar nicht aus den Beschlussgründen, die sich aber aus dem Protokoll auch für den Betroffenen ohne weiteres ergeben (OLG Hamm, NStZ-RR 2009, 183), diesem dem Protokoll zufolge also hinlänglich bekannt sind.“

Dazu führt das OLG zusätzlich aus:

Hierzu ist dem – dem Angeklagten auch im Beschwerdeverfahren bekannt gemachten – Protokoll u.a. zu entnehmen, dass der Angeklagte wie auch in vorigen Sitzungen vom Vorsitzenden aufgefordert werden musste, seine Mütze und die von ihm in der Hauptverhandlung getragene Schwimmbrille abzunehmen. Angaben auch zu seiner Person hat er trotz wiederholten Nachfragens abgelehnt. Der Angeklagte hat ausweislich des Protokolls nachfolgend eine Reihe von Anträgen gestellt, die erkennbar in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Sache standen und letztlich auf eine gezielte Provokation des Gerichts im Sinne eines inszenierten Happenings abzielten. Das Verfahren wurde von zahlreichen Sympathisanten des Angeklagten und von einem erheblichen Medieninteresse begleitet. Einem als Zeugen gehörten Polizeibeamten wurde vom Angeklagten eine zu Protokoll genommene Zeichnung vorgehalten, die bei vernünftiger Betrachtung nur als sinnentleertes Rätsel über überforderte Polizeibeamte gewertet werden kann. In einem gegen den Vorsitzenden gerichteten Ablehnungsantrag führte der Angeklagte aus, dieser habe ´seinen Unverschämtheiten freien Lauf gelassen´ und habe sich in seiner ´provokativen Prozessführung gebadet´. der Vorsitzende habe vergessen, dass er ´aufgrund mangelnder Zauber und Durchsetzungskräfte´ nicht im Stande sei, jemandem das Wort zu entziehen. der Vorsitzende habe ´bezüglich der Überschätzung seiner Fähigkeiten´ sich ´nicht anders zu helfen gewusst´, als Ordnungshaft anzudrohen. Im Saal zur Sicherung anwesende Polizeibeamte wurden als ´uniformierte Spielfiguren des vorsitzenden Richters´ bezeichnet. Auf die Ankündigung des Vorsitzenden, er werde Ordnungshaft von fünf Tagen Dauer festsetzen, wenn der Angeklagte sich trotz dreifacher Aufforderung zur Urteilsverkündung nicht erhebe, hat dieser erklärt, das sei unverhältnismäßig, er werde sich aber ´auch für zehn Tage Ordnungshaft nicht für die Erhabenheit des Richters erheben´. Dieses gesamte und dem Angeklagten auch in der Hauptverhandlung vor Verhängen des Ordnungsgeldes bekannte Geschehen zeigt, dass es diesem während der gesamten, von einem erheblichen Interesse der Medien und der Öffentlichkeit gezeichneten Hauptverhandlung auf eine gezielte Provokation des Gerichts und den Versuch ankam, den Vorsitzenden bloßzustellen. All dies rechtfertigt im Ergebnis das Festsetzen der Ordnungshaft auch der Höhe nach.

Nette Hauptverhandlung.