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Strafe III: Aufrechnung der JVA gegen Eigengeld, oder: Wirtschaftlich geringe Bedeutung des Anspruchs

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Und im dritten Posting mit dem OLG Celle, Beschl. v. 29.05.2024 – 1 Ws 128/24 (StrVollz) – etwas aus dem Strafvollzug, nämlich: Aufrechnung der JVA gegen das Eigengeld des Gefangenen.

Der Antragsteller befindet sich im Vollzug einer Freiheitsstrafe. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung wendet er sich gegen eine Entscheidung der Antragsgegnerin, mit einer Schadensersatzforderung von 265 EUR gegen sein Eigengeld aufzurechnen. Die Antragsgegnerin begründete diese Forderung damit, dass der Antragsteller einen Schrank in seinem Haftraum zur Anbringung von Regalbrettern angebohrt und dadurch das Anstaltseigentum beschädigt habe.

Die StVK hat den Antrag zurückgewiesen. Dagegen die Rechtsbeschwerde des Gefangenen, die Erfolg hatte:

„2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Die Strafvollstreckungskammer ist zu Recht davon ausgegangen, dass zur Überprüfung der Aufrechnung im gerichtlichen Verfahren gemäß § 109 ff. StVollzG im vorliegenden Fall zunächst das Bestehen des zivilrechtlichen Anspruchs der Antragsgegnerin zu prüfen ist.

Der Senat schließt sich insoweit der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur an, wonach die Strafvollstreckungskammer gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i. V. m. § 262 StPO die Möglichkeit hat, entweder über die zivilrechtliche Forderung mitzuentscheiden oder das Verfahren bis zur Entscheidung durch ein Zivilgericht auszusetzen (OLG Naumburg, Beschluss vom 8. September 2015 – 1 Ws (RB) 91/15 –, juris; OLG München, Beschluss vom 17.03.1986 – 1 Ws 1026/85, beck-online; Schmidt-Clarner in: Burhoff/Kotz, Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, Teil C, Rn. 207; Arloth in: Arloth/Krä, 5. Aufl., StVollzG § 93 Rn. 5; Baier/Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl., 4. Kapitel, Abschnitt I, Rn. 115). Der Gegenansicht, wonach das Verfahren zwingend ausgesetzt und der Anstalt eine Frist zur Geltendmachung der Forderung vor dem Zivilgericht gesetzt werden muss (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22. Mai 2014 – 1 Ws 83/14 –, juris;   KG, Beschluss vom 9. Mai 2003 – 5 Ws 135/03 Vollz –, juris; Bachmann in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl., Kapitel P, Rn. 24), vermag der Senat bereits aufgrund des Wortlautes von § 262 Abs. 1 und 2 StPO nicht zu folgen. Auch dem Normzweck des § 262 Abs. 2 StPO, der gerade in der Verfahrensökonomie liegt (MüKoStPO/Bartel, 2. Aufl. 2024, StPO § 262 Rn. 2), würde eine Pflicht zur Aussetzung nicht gerecht werden, weil diese zu einer Aufspaltung und Verzögerung des Verfahrens führen würde. Demgegenüber ermöglicht die vom Senat im Einklang mit der vorherrschenden Ansicht vertretene Auffassung eine dem Normzweck entsprechende Ermessensausübung der Strafvollstreckungskammer, bei der die Verfahrensökonomie neben anderen möglicherweise berührten Interessen Berücksichtigung findet.

Einer ausdrücklichen Ausübung des Ermessens der Strafvollstreckungskammer über die Frage der Aussetzung entsprechend § 262 Abs. 2 StPO bedurfte es im vorliegenden Fall nicht. Ihr Ermessen war auf Null reduziert, weil eine Aussetzung zur Klärung des Falles durch ein Zivilgericht hier nicht in Betracht kam. Ist – wie im vorliegenden Fall – die wirtschaftliche Bedeutung des Anspruchs gering und der Sachverhalt einfach gelagert, bedürfte es besonderer Umstände, um das Interesse an einer konzentrierten Bearbeitung des Verfahrens durch die Strafvollstreckungskammer zurücktreten zu lassen. Solche liegen nicht vor.

b) Die Prüfung der zivilrechtlichen Forderung durch die Strafvollstreckungskammer hält rechtlicher Nachprüfung indes nicht stand, weil die Strafvollstreckungskammer keine eigenen Feststellungen zur Schadenshöhe getroffen hat.

Wenn die Strafvollstreckungskammer gemäß § 120 StVollzG i. V. m. § 262 Abs. 1 StPO über die zivilrechtliche Forderung mitentscheidet, muss sich ihre Prüfung sowohl auf den Grund als auch auf die Höhe der Forderung erstrecken (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 8. September 2015 – 1 Ws (RB) 91/15 –, juris; OLG München, Beschluss vom 17.03.1986 – 1 Ws 1026/85, beck-online; OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Februar 2018 – V 4 Ws 424/17 –, juris). Wie stets im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG gilt dabei der Untersuchungsgrundsatz. Das Gericht darf seiner Entscheidung nicht den Sachvortrag einer Seite ungeprüft zugrunde legen. Wenn die Vollzugsbehörde Tatsachen vorgetragen hat, die ihre Maßnahme gegenüber dem Gefangenen begründen sollen, muss das Gericht aufklären bzw. erwägen, ob sie zutreffen oder nicht, ehe es sie übernimmt (st. Rspr.; OLG Celle, Beschluss vom 8. September 2020 – 3 Ws 210/20 (MVollz) –, Rn. 19, juris, m. w. N.).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss nicht gerecht. Die Strafvollstreckungskammer hat darin zur Schadenshöhe lediglich mitgeteilt, dass der Fachbereich Finanzen und Versorgung eine Schadenshöhe von 265 Euro festgesetzt habe. Eine eigene Prüfung, ob diese Schadensbezifferung zutreffend ist, hat sie aber nicht erkennbar vorgenommen.

c) Angesichts des aufgezeigten Rechtsfehlers, der im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht geheilt werden kann, kann der Senat keine eigene Sachentscheidung treffen und hat die Sache zur neuen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen (§ 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG).

Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es daneben nicht mehr an. Deren Zulässigkeit begegnet erheblichen Zweifeln, weil sie sich im Wesentlichen auf ungeordnet in den Schriftsatz hineinkopierte Aktenbestandteile stützt und es nicht Aufgabe des Rechtsbeschwerdegerichtes ist, sich aus einem solchen ungeordneten Vortrag diejenigen Verfahrenstatsachen herauszusuchen, die zu der jeweiligen Rüge passen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2023 – 5 StR 257/23 –, juris).

Die Strafvollstreckungskammer wird bei ihrer neuen Entscheidung im Übirgen erneut Gelegenheit haben, die Vernehmung der vom Antragsteller benannten Zeugen zu erwägen. Der Senat weist insofern darauf hin, dass die im angefochtenen Beschluss dargelegte Begründung, mit der die Vernehmung der Zeugen abgelehnt wurde, lückenhaft erscheint. Denn die Beschädigung soll nach den Ausführungen der Strafvollstreckungskammer nicht sogleich nach Übergabe des Haftraumes, sondern erst nach mehreren Haftraumkontrollen vor dem 8. Mai 2023 erfolgt sein. Zu diesem Zeitpunkt könnten die Zeugen bereits auf demselben Flur untergebracht gewesen sein.“

Entschädigungsanspruch wegen Verfahrensverzögerung, oder: Aufrechnung mit Kostenerstattung zulässig?

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Die zweite Entscheidung im „Kessel Buntes“ kommt heute auch vom BGH. Im BGH, Urt. v. 07.11.2019 – III ZR 17/19 – hat der BGH über eine Vollstreckungsabwehrklage im Nachgang zu einem Verfahren wegen einer Entschädigung gem. § 198 GVG entschieden.

Dem Beklagten war durch ein Urteil des OLG Karlsruhe vom 12.01.2018 (16 EK 1/18) eine Entschädigung gegen den Kläger in Höhe von 4.800 zugesprochen worden. Der Kläger (Landeskasse?) hatte gegen den Beklagten aus dem vorangegangenen Strafprozess, aufgrund dessen der Kläger eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt (hat), eine festgesetzte Kostenerstattungsforderung in Höhe von 27.739,52 EUR. Auf eine außergerichtliche Aufforderung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zur Zahlung der Forderung aus dem Entschädigungsprozess auf sein Anderkonto hat der Kläger mit Schreiben der Landesoberkasse vom 09.04.2018 die Aufrechnung mit seinem Kostenerstattungsanspruch aus dem Strafverfahren erklärt. Die Aufrechnungserklärung wurden durch die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 30.04.2018 und 15.05.2018 wiederholt. Mit dem Schreiben vom 14.03.2018 hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zugleich eine Abtretungserklärung des Beklagten vorgelegt. Danach hat dieser die Klagforderung zur Sicherung offener Ansprüche aus drei in Karlsruhe und Frankfurt von seinem Prozessbevollmächtigten für ihn geführten Verfahren abgetreten.

Der Kläger hat im Wege der Vollstreckungsabwehrklage ua. beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des OLG v. 12.01.2018 für unzulässig zu erklären, da die titulierte Forderung durch Aufrechnung erloschen sei. Der Beklagte hält die Aufrechnung für unzulässig und hat seinerseits hilfsweise gegen die Kostenerstattungsforderung des Klägers mit behaupteten Amtshaftungsansprüchen aus dem strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren aufgerechnet. Zudem hat er die Einrede der Verjährung gegen die Forderung des Klägers erhoben.

Das OLG hatte die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat die Aufrechnung als treuwidirg angesehen. Anders der BGH. Er hat aufgehoben und zurückverwiesen. Hier die Leitsätze:

  1. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG normiert einen staatshaftungsrechtlichen, verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch sui generis, der Verfahrensbeteiligten das Recht auf eine angemessene Entschädigung für Nachteile gewährt, die infolge einer unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens eingetreten sind. Anders als bei einem Amtshaftungsanspruch wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen soll durch die Gewährung einer Entschädigung kein schuldhaftes Fehlverhalten staatlicher Stellen mit spürbaren Auswirkungen für den ersatzpflichtigen Staat sanktioniert („bestraft“) werden (Abgrenzung zu dem Senatsurteil vom 1. Oktober 2009 – III ZR 18/09, BGHZ 182, 301).

  2. Die Aufrechnung gegenüber einem Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens mit einer Kostenforderung des Staates aus einem früheren Strafverfahren ist – nach rechtskräftiger Entscheidung über die Entschädigungsklage – grundsätzlich zulässig. Weder stellt sie eine unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) dar noch folgt ein Aufrechnungsverbot aus § 394 Satz 1 BGB, § 851 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 399 Alt. 1 BGB beziehungsweise § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG (Fortführung des Senatsurteils vom 12. November 2015 – III ZR 204/15, BGHZ 207, 365).

Den Rest der sehr umfangreichen Begründung der Entscheidung bitte selbst lesen. Augehoben hat der BGH wegen der vom Beklagten erhobenen Verjährungseinrede. Dazu hat das Oberlandesgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – bisher keine Feststellungen getroffen. Dazu der BGH:

„Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 GKG verjähren Ansprüche auf Zahlung von Kosten in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Verfahren durch rechtskräftige Entscheidung über die Kosten – hier durch Rechtskraft des Strafurteils am 10. Januar 2013 – beendet ist. Danach wäre im vorliegenden Fall Verjährung mit Ablauf des 31. Dezember 2017 und damit zu einem Zeitpunkt eingetreten, zu dem noch keine Aufrechnungslage bestanden hat, da das aus § 394 Satz 1 BGB, § 851 Abs. 1 ZPO, § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG folgende Aufrechnungsverbot erst mit Rechtskraft des Urteils vom 12. Januar 2018 über die Entschädigungsklage weggefallen ist. Nach § 215 BGB kann jedoch mit einer verjährten Gegenforderung nur aufgerechnet werden, soweit diese bei Eintritt der Aufrechnungslage noch unverjährt war. Allerdings könnte die Verjährung durch die Zahlungsaufforderung der Landesoberkasse mit Kostenrechnung vom 24. August 2016 neu begonnen haben (§ 5 Abs. 3 Satz 2 GKG). Hierzu muss die Kostenrechnung dem Beklagten zugegangen sein (vgl. OLG Koblenz, NStZ-RR 2005, 254, 255 und BeckRS 2011, 6657; BeckOK KostR/Dörndorfer, § 5 GKG Rn. 8 [Stand: 1. September 2019]; Toussaint in Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 49. Aufl., GKG, § 5 Rn. 8), was dieser bestritten hat und deshalb noch aufgeklärt werden muss…..“

Abtretung in der Vollmacht, oder: Dann aber aufgepasst bei der Gestaltung der Vollmacht

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Ich hoffe die Vatertagsgänger sind alle wieder zu Hause :-), so dass ich mit den freitäglichen Gebührenpostings starten kann.  Zunächst der OLG Rostock, Beschl. v. 30.04.2018 – 20 Ws 78/18.  Ein „zweigeteilter Beschluss“ = mit zwei Problembereichen, von denen ich hier nur eins darstellen will. Das andere ist ein wenig kompliziert und daher gut fürs Selbststudium geeignet.

Das Problem, das ich aus dem Beschluss hier aufgreifen will, hängt mit § 43 RVG zusammen, und zwar geht es um die Frage: Wirksamkeit der Abtretung der Kostenerstattungsansprüche in der Vollmacht.  Da geht es ja in der Rechtsprechung immer noch ein wenig hin und her. Ich erinnere da an den OLG Nürnberg, Beschl. v. 25.03.2015 – 2 Ws 426/14 -, über den ich hier ja auch berichtet habe: Verteidiger aufgepasst: Keine Abtretung in der Vollmacht.

Das OLG Rostock grenzt sich von dem Beschluss ab. Es sieht in dem von ihm entschiedenen Fall die Abtretung als wirksam an, und zwar:

Weder dem Kostenfestsetzungsantrag vom 28.08.2015 noch dem Rechtsmittel steht entgegen, dass sie nicht im Namen des früheren Angeklagten Te. als Kostengläubiger angebracht wurden, sondern von Rechtsanwalt J. im eigenen Namen. Denn der Angeklagte hat seine zukünftigen Kostenerstattungsansprüche gegen die Staatskasse bereits mit der Rechtsanwalt J. am 13.11.2013 erteilten und von diesem zu den Akten gereichten Vollmacht wirksam und unwiderruflich zur Abgeltung von dessen Honoraransprüchen (= Kosten und Auslagen) an diesen abgetreten (vgl. zur Wirksamkeit einer in die Vollmachtsurkunde aufgenommenen Abtretungserklärung Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl., § 43 Rdz. 12; OLG Nürnberg, Beschluss vom 25.03.2015 – 2 Ws 426/14 – jeweils m.w.N.). Diese Abtretungserklärung scheitert auch nicht an der Vorschrift des § 305c BGB, denn die betreffende Textpassage war in der Vollmachtsurkunde gegenüber den übrigen darin enthaltenen Regelungen eigens durch Fettdruck besonders hervorgehoben worden, weshalb der Senat davon ausgehen kann, dass sie für den Mandanten nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages klar erkennbar und deshalb nicht überraschend war.

Die Wirksamkeit dieser Abtretung wurde durch die spätere Kündigung des anwaltlichen Geschäftsbesorgungsvertrags und den Widerruf der Vollmacht nicht berührt. Insoweit ist zwischen der vertraglich vereinbarten Forderungsabtretung einerseits (§ 398 BGB) und der einseitig erteilten Verteidigervollmacht andererseits zu unterscheiden (§ 168 Satz 2 BGB). Während die Vollmacht auch durch einseitige Erklärung des Angeklagten gegenüber dem Gericht wirksam widerrufen werden konnte (§ 167 Abs. 1, § 168 Satz 3 BGB), gilt dies für die Abtretungsvereinbarung nicht.

Auch die nochmalige Abtretung seiner gegen die Staatskasse bestehenden Ansprüche auf Ersatz seiner notwendigen Auslagen durch den vormals Angeklagten vom 16.04.2015 an seinen Pflichtverteidiger Rechtsanwalt T. lässt die Wirksamkeit der früheren Abtretung an Rechtsanwalt J. unberührt (vgl. Burhoff a.a.O. Rdz. 11).“

Also: Abtretung in der Vollmacht ist möglich, wenn man die zivilrechtlichen Vorgaben beachtet. Das war hier der Fall.

Und wenn die Abtretung wirksam ist, dann treten alle zivilrechtlichen Folgen ein, also z.B. wie hier, dass eine nachfolgende weitere Abtretung unwirksam ist = ins Leere geht. Und im Verfahren ist dann die Aufrechnung der Staatskasse unwirksam. Das betrifft alle Ansprüche der Staatskasse, also die betreffend bezahlte Pflichtverteidigergebühren, eine Pauschvergütung oder Gerichtskosten. Voraussetzung ist dann aber natürlich, dass die Abtretungsurkunde zur Akte gereicht worden ist.

Aufrechnung mit RVG-Forderung gegen Umsatzsteuer – geht das (noch)?

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Heute dann mal eine finanzgerichtliche Entscheidung. Ja, richtig gelesen: Finanzgericht. Die Entscheidung hat allerdings gebührenrechtlichen/RVG-Einschlag. Es handelt sich um das FG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 21.06.2016 – 1 K 1368/15, das eine Problematik behandelt, die unter Verteidigern immer wieder diskutiert wird. Nämlich die Frage: Kann der Rechtsanwalt/Verteidiger eigentlich gegen Forderungen gem. 55 RVG gegen Umsatzsteuerforderungen  aufrechnen? Das ist ja ggf. ein Mittel, um schneller an die Vergütung für Pflichtverteidigertätigkeiten zu kommen, wenn die Staatskasse mit der Festsetzung usw. mal wieder nicht „aus den Pötten“ kommt. Im Streit waren im vom FG Sachsen-Anhalt entschiedenen Fall Umsatzsteuervorauszahlung aus 2014 und 2015, mit denen der klagende Rechtsanwalt die Aufrechnung mit gegen die Landeskasse gerichteten Vergütungsforderungen als beigeordneter oder bestellter Rechtsanwalt erklärt hatte. Ds Finanzamt hatte die Aufrechnungserklärungen gestützt auf § 226 Abs. 3 AO als nicht wirksam zurückgewiesen. Der Rechtsanwalt meinte hingegen, aufrechnen zu dürfen, insbesondere könne das Finanzamt die erklärte Aufrechnung nicht durch einfaches, d.h. unsubstantiiertes Bestreiten unzulässig machen.

Das FG hat dem Finanzamt Recht gegeben und verweist dazu auf § 226 Abs. 3 AO.  Gemäß § 226 Abs. 3 AO können Steuerpflichtige gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen aufrech­nen. Dazu gibt es dann folgende Grundsätze:

§ 226 Abs. 3 der Abgabenordnung soll verhindern, dass die Geltendmachung der Ansprü­che aus dem Steuerschuldverhältnis durch Vorschützen von ungewissen oder zweifelhaf­ten, womöglich erst einer längeren Aufklärung und Feststellung bedürftigen Gegenforde­rung aufgehalten wird (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 226 AO, Rz. 39; Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 3. November 1993 IX 188/88, juris; FG Kassel, Urteil vom 2. September 2009 8 K 2080/08, EFG 2010, 296). Die Finanzbehörde ist überfordert, wenn sie entscheiden soll, ob der Steuerpflichtige einen privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Anspruch gegen den Justizfiskus (VGH München, Beschluss vom 4. Februar 2002 23 ZS 01.3171, beck-online) oder gegen den Finanzfiskus (Niedersächsisches Fi­nanzgericht, Urteil vom 3. November 1993 IX 188/88, juris) hat. Soweit es sich jedoch um Ansprüche des Steuerpflichtigen aus dem Steuerschuldverhältnis handelt, ist die Finanz­behörde dagegen von der Sache her nicht überfordert (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 226 AO, Rz. 39; Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 3. November 1993 IX 188/88, juris).

Rechtskräftig festgestellt wird die Gegenforderung durch Gerichte und Behörden (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 226 AO, Rz. 40).

Unbestritten ist die Gegenforderung, wenn sie ausdrücklich anerkannt wird oder wenn keine Einwendungen gegen sie erhoben werden (Rozek in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 226 AO, Rz. 70), wobei das Gesetz kein substantiiertes Bestreiten verlangt; es genügt der Hinweis darauf, dass die Gegenforderung noch nicht rechtskräf­tig/bestandskräftig festgestellt oder aus welchen Gründen auch immer fragwürdig sei (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 226 AO, Rz. 41, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Substantiierte Einwendungen gegen das Bestehen der Gegenforderung sind aber dann erforderlich, wenn der Schuldner mit einem Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis aufrechnet, da in einem solchen Fall die Finanzbehörde selbst feststellen kann, ob die Gegenforderung besteht (Loose, a.a.O., m.w.N.).

Soweit für die Feststellung der Gegenforderung und der Hauptforderung verschiedene Behörden zuständig sind, muss der aufrechnende Steuerpflichtige darlegen, dass die Ge­genforderung entweder rechtskräftig festgestellt oder unbestritten ist (vgl. Loose, a.a.O., Rz. 42; Rozek, a.a.O.; BFH-Urteil vom 10. Juli 1979 VI R 114/75, BStBl II 1979, 690).

c) Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die angefochtenen Verwaltungsakte recht­mäßig, denn für die Feststellung der Gegenforderungen ist nicht die Finanz- sondern die Justizbehörde zuständig, so dass die Finanzbehörde darauf abstellen durfte, dass die Gegenforderungen im dafür vorgesehenen Verfahren noch nicht rechtskräftig festgestellt wurden……………

………… Daher kann eine Forderung, die in einem Vergütungsfestsetzungsverfahren geltend ge­macht wird, erst dann als unbestritten gelten, wenn zumindest das Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG durch Beschluss abgeschlossen wurde; rechtskräftig festgestellt ist sie, soweit ein Rechtsmittel nicht mehr erhoben werden kann bzw. eine rechtskräftige Ent­scheidung im Erinnerungs-/Beschwerdeverfahren gemäß § 56 RVG erfolgt ist.

Der Urkundsbeamte hat im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG nämlich das Bestehen des Vergütungsanspruches zu überprüfen, insbesondere ob die entfaltete Tä­tigkeit von zeitlichen und gegenständlichen Umfang der Beiordnung gedeckt ist, ob die Vergütung nach § 49 RVG richtig berechnet ist, ob die angefallenen Kosten notwendig waren, ob von der Staatskasse gemäß § 47 RVG gezahlte Vorschüsse zu verrechnen sind, ob Zahlungen einschließlich Vorschüssen des Mandanten oder Dritten anzurechnen sind (§ 58 RVG) oder ob ein Verzicht des Anwalts vorliegt (Gerold/Schmidt, RVG, § 55 RVG, Rz. 26; Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, § 55 RVG, Rz. 42ff.). Des Weiteren können die Ansprüche auch abgetreten, verwirkt oder verjährt sein.

Demzufolge können die geltend gemachten Vergütungsansprüche solange sie nicht über­prüft wurden, nicht als unbestritten gelten. Der Senat führt hier auch kein zusätzliches Tatbestandsmerkmal in die Regelung des § 226 Abs. 3 AO ein, sondern legt den Begriff „unbestritten“ entsprechend dem Sinn und Zweck der Vorschrift aus. Eine insoweit be­hauptete Grundrechtsverletzung (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 GG) ist nicht feststellbar.

Soweit ein Vergütungsfestsetzungsbeschluss vorliegt, wäre eine Aufrechnung nach § 226 Abs. 3 der Abgabenordnung zulässig. Gleichwohl ist fraglich, ob sie dann noch sinnvoll ist, da regelmäßig mit der Festsetzung auch die Auszahlung veranlasst wird. Das kann hier aber letztlich dahinstehen.“

Wird also schwieriger, schnell(er) an das wohl verdiente Geld zu kommen…..

Abtretungsurkunde/Abtretungsanzeige – wann ist die Aufrechnung ausgeschlossen?

So, nach dem ganzen „Weihnachtsgedöns“ machen wir mal wieder Jura. Zum (Wieder)Warmwerden etwas Gebührenrechtliches, nämlich den Hinweis auf den LG Würzburg, Beschl. v.08.11.2012 – 1 Qs 193/12. In der Entscheidung geht es um die Problematik des § 43 RVG, nämlich um die Frage, wann eine Abtretungsanzeige des Beschuldigten vorliegt, die eine Abtretung der Staatskasse mit Kostenansprüchen ausschließt.

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Im entschiedenen Fall hatte der Rechtsanwalt mit dem Mandanten eine Abtretung vereinbart, darüber war auch ein Schriftstück angefertigt worden, das hatte aber nur der Mandant unterzeichnet. Der Rechtsanwalt hat das mit seiner Kostenrechnung eingereicht. Staatskasse und AG meinten, dass das nicht ausreiche, denn es handle sich nicht um eine „Abtretungsrkunde“, zudem sei die Erklärung nicht durch/über den Beschuldigten zur Akte gelangt.

Dazu das LG:

„(a)      Die Kammer teilt die rechtliche Auffassung des Amtsgerichts Kitzingen und der von der Bezirksrevisorin .vertretenen Staatskasse insoweit, dass die von Herrn Rechtsanwalt M. zur Akte gegebenen „Abtretungserklärung“  keine Urkunde über die Abtretung im Sinne des § 43 Satz 2 RVG darstellt, da sie nur die Erklärung und Unterschrift des Zedenten, nicht aber auch die des Zessionars enthält und für die Wirksamkeit erforderlich wäre, dass beide auf der Urkunde unterschreiben. Da eine wirksame Abtretung zivilrechtlich zwei Willenserklärungen voraussetzt, die von dem Zedenten abgegebene Abtretungserklärung von dem Zessionar angenommen werden muss, bedarf eine Urkunde über die erfolgte Abtretung folglich der Unterschrift beider Beteiligter.

(b)      Wenn die einseitige schriftliche „Abtretungserklärung“ des Herrn X. aus den dargestellten

Gründen auch keine Urkunde über die Abtretung ist, so erfüllt sie jedoch die Voraussetzungen einer Anzeige des Beschuldigten über die Abtretung. Dass diese als „Abtretungserklärung“, nicht „Abtretungsanzeige“ bezeichnet ist, schadet nicht,

Die Kammer vermag — anders als das Amtsgericht Kitzingen und die Bezirksrevisorin — dem Gesetzestext nicht zu entnehmen, dass die Anzeige über die Abtretung durch den Beschuldigten zur Akte gelangen muss. Vielmehr verlangt das Gesetz nur, dass die Abtretungsanzeige „des Beschuldigten“, nicht „durch den Beschuldigten“ zur Akte gelangen muss, die Abtretungsanzeige also von dem Beschuldigten stammen und sie in der Akte vorliegen muss.

Die gegenteilige Auffassung, der Beschuldigte selbst müsse die Anzeige zur Akte geben, findet weder in dem Gesetzestext noch in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 15/1971, S. 199) einen Anhaltspunkt, findet auch — soweit ersichtlich — in der einschlägigen Kommentarliteratur keinen Vertreter.

Der gesetzliche Zweck der Regelung des § 43 Satz 2 RVG ist laut Gesetzesbegründung (a.a.O.) der Ausschluss von Zweifeln an der Wirksamkeit einer Aufrechnungserklärung. Aus diesem Grunde „soll darauf abgestellt werden, ob die Abtretungsurkunde oder eine Abtretungsanzeige des Beschuldigten oder Betroffenen bei dem Gericht öder bei der Verwaltungsbehörde eingegangen ist“ (BT-Drucks, 15/1971, S. 199). Auch bei teleologischer Auslegung der Vorschrift ist es daher nicht von Bedeutung, ob die Abtretungsanzeige von dem Beschuldigten selbst bei Gericht eingereicht wird, oder von dessen anwaltlichem Vertreter.

Insoweit bedarf es auch der von dem Verteidiger angedachten rechtlichen Konstruktion, dass er die Anzeige als Vertreter oder Bote seines Mandanten bei Gericht eingereicht habe, nicht….“

Einem solchen Streit kann man als Verteidiger vorbeugen, indem man eine Abtretungsurkunde vorlegt. Aber: Die bitte nicht in die Vollmacht aufnehmen. Denn es ist streitig, ob die Abtretung bereits in der Vollmacht vereinbart werden kann.