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Bewährung I: Verstoß gegen Auflagen und Weisungen, oder: Bewährungwiderruf beim Suchtkranken

Heute stelle ich dann drei Entscheidungen aus dem Bereich des Bewährungswiderrufs vor.

Ich beginne mit dem OLG Bamberg, Beschl. v. 03.05.2021 – 1 Ws 83/21 – betreffend einen Bewährungswiderruf. Der Widerruf erfolgte, weil der Verurteilte eine Arbeitsauflage nicht erfüllte, Termine bei der Bewährungshilfe nicht wahrnahm und auch Gespräche bei der Suchtberatung nicht durchführte. Das OLG hat aufgehoben und den Widerrufsantrag zurückgewiesen:

„Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet. Gröbliche oder beharrliche Verstöße gegen Weisungen oder Auflagen (§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 StGB) setzen weiter voraus, dass diese Verstöße dem Verurteilten vorwerfbar sind. Verstöße gegen Weisungen, die im Zusammenhang mit einer Suchterkrankung stehen, müssen für den Verurteilten vermeidbar sein (Fischer, StGB, 68. Aufl. § 56f, Rn. 10a m. w. N.). Gröblich ist ein Auflagenverstoß, wenn er objektiv und subjektiv schwer wiegt (Fischer, a.a.O. Rn. 12 m. w. N.).

Nach der im Gutachten des Sachverständigen Dr. pp. vom 16.01.2021 dargestellten Krankengeschichte des Verurteilten befand sich dieser in den Jahren 2019 und 2020 mehrfach in stationärer Behandlung (30.05. bis 04.06.2019, 11.07 bis 19.07.2019, 22.07. bis 26.07.2019, 05.08 bis 16.08.2019, 20.11. bis 02.12.2019, 03.12 bis 04.12.2019, 22.02. bis 11.03.2020, 20.03. bis 28.03.2020, 03.04. bis 06.04.2020, 19.04. bis 20.05.2020, 07.07. bis 08.07.2020, 08.07. bis 27.07.2020, 01.08. bis 11.08.2020, 13.08. bis 19.08.2020, 13.10. bis 15.10.2020 sowie 16.10.2020 bis ins Jahr 2021) vornehmlich im Bezirksklinikum Regensburg jeweils zur akuten Alkoholentgiftung. Der Sachverständige ging im Rahmen des Betreuungsverfahrens davon aus, dass es dem Verurteilten krankheitsbedingt nicht möglich war und ist, eine langfristige Therapie durchzuhalten. Vielmehr würde er diese aufgrund des erheblichen Suchtdrucks rasch abbrechen, sodass der Sachverständige eine geschlossene Unterbringung für unabdingbar hielt. Außerdem hielt es der Sachverständige aus denselben Gründen nicht für möglich, dass der Verurteilte einer Vorladung des Betreuungsgerichts zur Anhörung Folge leisten könne.

Unter diesen Umständen vermag auch der Senat nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass dem Verurteilten die Nichteinhaltung der Weisungen und (teilweise) Nichterfüllung der Auflage als schuldhaft vorwerfbar sind. Sofern sich der Verurteilte im fraglichen Zeitraum nicht ohnehin in stationärer Behandlung befand, fehlte es nach der Lebenserfahrung krankheitsbedingt höchstwahrscheinlich und somit nicht ausschließbar jedenfalls an der dazu nötigen Willenskraft und Durchhaltefähigkeit.

Der Widerrufsgrund des § 56f Abs.1 S.1 Nr.1 StGB kommt ebenfalls nicht in Betracht. Zwar hat der Verurteilte i.d. Bewährungszeit einen Diebstahl begangen, der Gegenstand des Verfahrens vor dem Amtsgericht Amberg (11 Ds 115 Js 8750/20) gewesen ist; das Verfahren wurde mit Beschluss vom 24.03.2021 gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Insoweit verbleiben zumindest erhebliche Zweifel hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Verurteilten. Nach dem Inhalt der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Amberg vom 14.09.2020 war der Verurteilte bei Tatbegehung erheblich alkoholisiert und entwendete vornehmlich Alkoholika…..“

 

Bewährung III: Widerrufsklassiker, oder: Erneute Straffälligkeit und/oder Auflagenverstoß

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Die dritte Entscheidung ist dann eine LG-Entscheidung betreffend den Widerruf (§ 56f StGB). Sie stammt vom LG Berlin. Geschickt hat mir den LG Berlin, Beschl. v. 02.12.2020 – 510 Qs 90/20 der Kollege F. Glaser aus Berlin. Er geht um den Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung in den Fällen erneuter Straffälligkeit und/oder eines Auflagenverstoßes. Also ein Klassiker 🙂 .

Das AG hatte widerrufen. Das LG hat den Widerruf gehalten:

„Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung sind in zweifacher Hinsicht erfüllt.

1. Durch seine erneute Straffälligkeit hat der Beschwerdeführer gezeigt, dass sich die der Straf-aussetzung zugrunde liegende Erwartung, er werde keine Straftaten mehr begehen, als unzutreffend erwiesen hat (§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB).

Grundlage der zu treffenden Widerrufsentscheidung bilden nicht nur die zuletzt geahndeten Ver-gehen, sondern darüber hinaus das gesamte Verhalten des Beschwerdeführers während der Bewährungszeit. Hierbei fällt insbesondere ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer bereits am 15. November 2017 und damit nur zwei Monate, nachdem das Urteil im Ausgangsverfahren, durch das ihm eine Strafaussetzung zur Bewährung gewährt worden war, Rechtskraft erlangt hatte, erneut straffällig wurde. Dieser frühe Bewährungsbruch stellt eine besonders gravierende Missachtung der mit der Verurteilung verbundenen Warnung dar. Dass er bereits Anlass für eine Verlängerung der Bewährungszeit gewesen ist, steht seiner Berücksichtigung im hiesigen Widerrufsverfahren nicht entgegen (vgl. KG, Beschluss vom 23. Oktober 2009 – 2 Ws 376-378/09). Am 11. April 2020 und damit ebenfalls innerhalb der Bewährungszeit hat er zwei weitere Straftaten begangen. Damit aber hat er gezeigt, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zur Bewährung zugrunde lag, nicht erfüllt hat.

Bereits für sich genommen ist jede der neuerlichen Taten als Widerrufsgrund geeignet, wofür nach ständiger Rechtsprechung des Kammergerichts jede in der Bewährungszeit begangene Straftat von einigem Gewicht reicht (vgl. jüngst KG, Beschluss vom 2. November 2020 – 2 Ws 79/19 m.w.N.). Die neuerlichen Straftaten, die Geldstrafen in Höhe von 60 bzw. 50 Tagessätzen nach sich zogen und keinesfalls Bagatelldelikte darstellen, erreichen das erforderliche Gewicht jeweils. Dies gilt auch, wenn man im Hinblick auf die ausgeurteilte Bedrohung der Darstellung des Beschwerdeführers folgen wollte, er hätte nicht mit einem Messer in der Hand vor der Tür des Zeugen pp. gestanden. Dass sich der Beschwerdeführer im Zuge der Auseinandersetzung vom 11: April 2020 selbst Verletzungen zugezogen hat, ist ein Umstand, der im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung zu finden hat, nicht jedoch im Rahmen einer Widerrufsentscheidung.

Im vorliegenden Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass sich das Gewicht einer Tat auch nach der bisherigen Delinquenz eines Verurteilten bemisst. Straftaten, die mit geringeren Geldstrafen geahndet wurden und sogar Bagatelldelikte können einen Widerruf begründen, wenn in ihnen „eine die Rechtsordnung negierende Einstellung zum Ausdruck kommt“ (vgl. KG, Beschluss vom 9. August 2010, 2 Ws 323/10 m.w.N.). Dies aber trifft auf den Beschwerdeführer zu, der vor der Verurteilung im hiesigen Ausgangsverfahren bereits zweimal in kurzen Abständen zu Geldstrafen wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt werden musste. Weder die Verhängung von Geldstrafen noch die Verhängung von Bewährungsstrafen nebst Unterstellung unter die Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin vermochten den Beschwerdeführer aber von neuerlicher Delinquenz abzuhalten.

Erst recht sind die neuerlichen Taten in ihrer Gesamtheit geeignet, den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zu rechtfertigen, wobei die Kammer gesehen hat, dass beide Taten am selben Tag begangen wurden und angesichts des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen ihnen im Rahmen einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung ein straffer Zusammenzug der Strafen geboten erscheint.

2. Daneben hat der Beschwerdeführer den Widerrufsgrund des § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB erfüllt. Er hat beharrlich gegen die ihm gemäß § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StGB erteilte Arbeitsauflage verstoßen. Dies hat grundsätzlich den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zur Folge, ohne dass es — anders als im Fall des § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB — noch zusätzlich der Fest-stellung einer ungünstigen Legalprognose bedürft.

Der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen beharrlichen Verstoßes gegen eine Auflage setzt in objektiver Hinsicht ein wiederholtes, andauerndes Verhalten voraus, das auf einer ablehnenden Haltung oder fehlendem Genugtuungswillen beruht. In subjektiver Hinsicht ist Ver-schulden erforderlich (vgl. KG, Beschluss vom 17. August 2012 – 2 Ws 339/12). Dieses scheidet aus, wenn der Verurteilte aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen außerstande war, die verlangten Leistungen zu erbringen.

Der Beschwerdeführer hat die — hinreichend bestimmte (vgl. hierzu KG, Beschluss vom 4. April 2014 — 3 Ws 165/14 — Rdnr. 6 m.w.N.) — Arbeitsauflage innerhalb der ihm vom Amtsgericht Tier-garten gesetzten und mittlerweile verstrichenen Fristen nicht erfüllt. Trotz regelmäßiger Intervention seiner Bewährungshelferin hat er noch nicht einmal eine einzige der ihm auferlegten 250 Arbeitsstunden erbracht. Auch nach Mahnung durch das Amtsgericht Tiergarten, die weit nach Ablauf der ihm zur Ableistung der Arbeitsauflage gesetzten Frist erfolgte, unternahm der Beschwerdeführer keinerlei Anstrengungen; ein Vorstellungsgespräch im Mai 2020, das dazu diente, ihn in Arbeit zu vermitteln, versäumte er. Vor diesem Hintergrund, der einen Zeitraum von über zweieinhalb Jahren betrifft, muss davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt gewillt war, die ihm auferlegten Stunden gemeinnütziger Arbeit zu erbringen.

Entgegen dem Vortrag des Verteidigers ist dem Beschwerdeführer die Nichterbringung der ihm auferlegten Arbeitsstunden auch vorzuwerfen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Beschwerdeführer zumindest teilweise leistungsfähig gewesen ist (vgl. Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage 2019, § 56f Rdnr. 16 a.E.). Hiervon ist im vorliegenden Fall unzweifelhaft auszugehen. Dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 27. Juni 2018 (241 Ds 38/18) sowie den Berichten der Bewährungshelferin ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer zumindest innerhalb des Zeitraums von Dezember 2017 bis Anfang Juli 2018 „Minijobs“ bei zwei Umzugsfirmen wahrgenommen hat. Dies aber bezeugt, dass der Beschwerdeführer in jenem Zeitraum durchaus zur Ableistung von Arbeitsstunden imstande war. Gleichwohl hatte er noch nicht einmal damit begonnen, auch nur eine der ihm auferlegten Arbeitsstunden abzuleisten. Dafür, dass der Beschwerdeführer tatsächlich nicht gewillt war, die Arbeitsstunden abzuleisten, spricht auch der Bericht der Bewährungshelferin vom 21. Juni 2018. Die Bewährungshelferin begründete darin den Umstand, dass der Beschwerdeführer zum Berichtszeitpunkt noch nicht mit dem Ableisten der Arbeitsstunden begonnen hatte, damit, dass er hierzu zunächst habe motiviert werden müssen und schließlich eine Entzündung im Schultergelenk geltend gemacht habe…….“

 

Weisung „an einer stationären Suchttherapie teilzunehmen…“ zu unbestimmt – kein Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung

Auflagen und Weisungen (§§ 56b, 56c StGB) müssen bestimmt genug sein. Ist das nicht der Fall, rechtfertigt der Verstoß gegen eine solche Weisung nicht den Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung.

So das OLG Rostock, Beschl. v. 06.12.2011, I Ws 373/11, in dem es um die Weisung an den Verurteilten ging, „an einer stationären Suchttherapie teilzunehmen, solange dies von Seiten der behandelnden Therapeuten für erforderlich gehalten wird.“ Dazu das OLG:

„Die mit Beschluss vom 19.05.2011 unter Ziffer 4. a) getroffene Weisung genügt diesen Anforderungen nicht. Dort wurde dem Verurteilten aufgegeben, an einer stationären Suchttherapie teilzunehmen, solange dies von Seiten der behandelnden Therapeuten für erforderlich gehalten wird. Die Weisung, sich einer stationären Heilbehandlung zu unterziehen, ist mit Einwilligung des Verurteilten, welche hier zum Zeitpunkt der Anordnung vorlag, nach § 56c Abs. 3 StGB grundsätzlich zulässig. Aus den oben genannten grundsätzlichen Erwägungen zum Bestimmtheitsgrundsatz und weil es sich hier um eine Weisung handelt, die besonders schwerwiegend in die Lebensführung des Verurteilten eingreift, sind an die Bestimmtheit der Fassung der Weisung hohe Anforderungen zu stellen. Der Richter hat möglichst präzise zu bestimmen, welche Art von Heilbehandlung durchgeführt werden soll, in welcher Einrichtung sie zu erfolgen hat und innerhalb welchen Zeitraums die Behandlung zu erfolgen hat (vgl. zu ambulanten Maßnahmen: OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 07.05.2003 – 3 Ws 528/03, NStZ-RR 2003, 199). Die Bestimmung des Zeitraums der Heilbehandlung kann keinesfalls den behandelnden Ärzten bzw. Therapeuten überlassen werden. Soweit eine Höchstdauer der Behandlung zum Zeitpunkt der Anordnung der Weisung noch nicht bestimmt werden kann, ist unter Angabe des klar zu bestimmenden Behandlungsziels die Weisung zunächst auf unbestimmte Zeit auszusprechen und ein Prüfungstermin festzulegen, an welchem der Richter nach § 56e StGB über den Fortbestand der Weisung zu entscheiden hat.

Interessant auch die weiteren Ausführungen des OLG: Weiterlesen