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OWi II: Atypischer Rotlichtverstoß an der Baustelle, oder: Nicht immer gibt es ein Fahrverbot

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Und dann als dritte Entscheidung der BayObLG, Beschl. v. 13.12.2021 – 201 ObOWi 1543/21. Gegenstand der Entscheidung: Fahrverbot beim Roltichtverstoß.

Das AG hat den Betroffenen wegen Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage, wobei die Rotphase bereits länger als eine Sekunde andauerte, zu einer Geldbuße vrurteitl und verhängte gegen ihn ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats. Tatörtlichkeit war nach den Feststellungen des AG eine Straße, welche aufgrund von Bauarbeiten nur auf einem Fahrstreifen für beide Richtungen befahrbar war. Der Verkehr wurde mit einer Baustellenampelanlage geregelt. Bei der Lichtzeichenanlage handelte es sich um eine Baustellenampel mit dazugehöriger „Countdown-Uhr“. Der Betroffene hielt zunächst auf Höhe der Hausnummer 26 als erstes Fahrzeug in der Warteschlange an der rot zeigenden Ampel an. Sodann fuhr der Betroffene über die Ampel, obwohl die Rotphase (Gesamtdauer 2-10 Minuten) noch 6 Sekunden Rotlicht anzeigte.

Dagegen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die im Rechtsfolgenausspruch Erfolg hatte:

„2. Indes begegnet der Rechtsfolgenausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken, soweit das Amtsgericht für die festgestellte Missachtung des Rotlichts einer Baustellenampel bei einer schon länger als eine Sekunde andauernden Rotlichtphase die nach §§ 25 Abs. 1 Satz 1 1. Alt., 26a Abs. 1 Nr  3, Abs. 2 StVG i.V.m. §§ 1,3,4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV (2013) i.V.m. lfd.Nr. 132.3 BKat vorgesehene Regelahndung einer Geldbuße von 200 Euro sowie eines einmonatigen Fahrverbotes zur Anwendung gebracht hat. Jedenfalls die bisher getroffenen Feststellungen sind lückenhaft und rechtfertigen nicht die Annahme eines Regelfalles nach lfd.Nr.132.3 BKat.

a) Der Verordnungsgeber hat eine schärfere Ahndung der Missachtung eines Wechsellichtzeichens trotz bereits länger als eine Sekunde andauernder Rotphase im Hinblick darauf für geboten erachtet, dass dieses Verhalten als besonders gefährlich anzusehen ist, weil sich der Querverkehr nach dieser Zeit bereits in dem Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden kann (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 08.03.2018 – 1 OWi 2 Ss Bs 107/18 = ZfSch 2018, 290; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.09.1994 – 5 Ss (OWi) 299/94 = NZV 1995, 35; vgl. auch BGHSt 45, 134). Indes beschränkt sich der Anwendungsbereich der Bestimmung nicht auf den Schutz des Querverkehrs; auch wenn das Wechsellichtzeichen allein dem Schutz des Gegen- oder Diagonalverkehrs dient, sind Verkehrssituationen denkbar, in denen es durch die Missachtung des Rotlichts zur zumindest abstrakten Gefährdung bevorrechtigter Verkehrsteilnehmer kommen kann, die auf das eigene Grünlicht vertrauen (BayObLG, Beschl. v. 16.10.1996 – 1 ObOWi 611/96 = NZV 1997, 2423; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.07.1999 — 2a Ss (OWi) 197/99 = NStZ-RR 1999, 376 = NZV 2000, 89 = VRS 98, 47 = VerkMitt 2000, Nr. 30; OLG Zweibrücken a.a.O.). Ein Regelfall ist danach nur bei Vorliegen gewöhnlicher Tatumstände (§ 1 Abs. 2 Satz 2 BKatV) und nur dann gegeben, wenn die Tatausführung allgemein üblicher Begehungsweise entspricht und weder subjektiv noch objektiv Besonderheiten aufweist. Daher sind jeweils im tatrichterlichen Urteil – wie auch sonst – Feststellungen zu treffen, die die Beurteilung ermöglichen, ob das Gewicht des Rotlichtverstoßes durch die von dem Verordnungsgeber gesehenen gewöhnlichen Tatumstände bestimmt wird, er also dem Typus des Regelfalles entspricht, was etwa dann nicht der Fall wäre, wenn aufgrund konkreter Gegebenheiten eine auch nur abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen werden kann (BayObLG a.a.O. unter Hinweis auf BayObLG, Beschl. v. 20.10.1995 – 2 ObOWi 672/95 = DAR 1996, 31). In einem solchen Fall kann, wenn nicht andere gewichtige Aspekte vorliegen, die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräftet sein. Sind mithin im Einzelfall Umstände ersichtlich, die einer auch nur abstrakten Gefährdung anderer Verkehrssteilnehmer entgegenstehen können, hat der Tatrichter nähere Feststellungen zu treffen, die dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung ermöglichen, ob die Annahme eines typischen qualifizierten Rotlichtverstoßes dennoch gerechtfertigt erscheint (OLG Saarbrücken a.a.O. mit Hinweis auf BayObLG, Beschl. v. 16.10.1996 a.a.O. sowie OLG Dresden, Beschl. v. 02.08.2002 – Ss [OWi] 361/02 bei juris). Ein solcher Umstand, der nähere Feststellungen zu den konkreten örtlichen Gegebenheiten sowie zu sonstigen verkehrsrelevanten Umständen gebietet, ist nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung das Vorliegen einer – wie hier – einspurigen Verkehrsführung an einer Baustellenampel (vgl. nur OLG Zweibrücken a.a.O.; OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.06.2003 – 1 Ss [OWi] 97 B/03 = ZfSch 2003, 471; OLG Dresden a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.07.1999 a.a.O.; BayObLG, Beschl. v. 30.12.1996 – 2 ObOWi 940/96 = VersR 1997, 1546; OLG Schleswig, Beschl. v. 22.08.1996 – 1 Ss OWi 262/96 = SchlHA 1997, 176; OLG Celle, Beschl. v. 26.01.1996 – 1 Ss (OWi) 312/95 = VerkMitt 1996, Nr. 94 = VRS 91, 306; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.09.1994 a.a.O.; OLG Hamm, Beschl. v. 24.05.1994 – 2 Ss OWi 524/94 = NZV 1994, 369; zum atypischen Rotlichtverstoß vgl. auch König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. § 37 StVO Rn. 54 m.w.N. sowie Hühnermann in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. § 37 StVO Rn. 30h, 30l).

b) Gemessen hieran erweisen sich die knappen Feststellungen des Amtsgerichts, die sich auf den Umstand der einspurigen Verkehrsführung an einer Baustellenampel beschränken, als unzureichend, denn sie ermöglichen dem Senat nicht die Nachprüfung, ob das Amtsgericht ohne Rechtsfehler vom Vorliegen eines Regelfalles ausgegangen ist. Um das Gewicht des Rotlichtverstoßes zu verdeutlichen, hätte es vielmehr Feststellungen zur Tatörtlichkeit sowie zur konkreten Verkehrssituation bedurft, etwa zur Länge und Übersichtlichkeit der Baustelle, zur Breite der befahrbaren Spur, zu Ausweichmöglichkeiten, zu einer etwaigen Geschwindigkeitsbeschränkung (BayObLG, Beschl. v. 16.10.1996 a.a.O.), aber auch zur Frage, ob Querverkehr in die Baustelle einfahren konnte, ob sich Gegenverkehr in der Baustelle befand oder vor dieser gewartet hat (OLD Dresden a.a.O.; OLG Hamm, Beschl. v. 24.05.1994 a.a.O.). An derartigen Feststellungen fehlt es vorliegend, sodass die Annahme des Amtsgerichts, hier handele es sich um einen besonders schwerwiegenden Rotlichtverstoß im Sinne einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers (§ 25 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StVG), welcher einen Regelfall i.S.d. Lfd.Nr. 132.3 BKat begründet, einer tragfähigen Grundlage entbehrt und damit rechtsfehlerhaft ist.

……“

Geht doch 🙂 .

OWi III: Rotlichtverstoß/Frühstarterfall, oder: „von dem Arsch der Radfahrerin abgelenkt“.

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Lupus in Saxonia, +Fahrradspur in Dresden – mit Radfahrerin auf Rennrad – Bild 001, CC BY-SA 4.0

Mit einer sicherlich nicht so häufigen Einlassung musste sich KG im KG, Beschl. v. 25.07.2019 – 3 Ws (B) 228/19, den ich heute als dritte Entscheidung vorstelle, auseinandersetzen.

Dem Betroffenen war ein sog. atypischer Rotlichtverstoß zur Last gelegt worden. In den Fällen muss ich das AG in der Regel mit der Einlassung des Betroffenen, warum es z.B. zu einem Frühstart gekommen ist, auseinander setzen. Nur in Ausnahmefällen kann davon abgesehen werden. Und einen solchen Ausnahmefall hat das AG angenommen. Denn der Betroffene, ein Taxifahrer, hatte geltend gemacht, er sei „von dem Arsch der Radfahrerin abgelenkt“ worden. Das hat ihm beim KG nicht geholfen:

„2. An der Rechtsfolgenentscheidung ist im Ergebnis nichts zu erinnern.

Zwar ist richtig, dass von verschiedenen Oberlandesgerichten und auch vom Kammergericht (vgl. VRS 140, 60; Beschluss vom 3. Februar 2014 – 3 Ws (B) 15/14) in sog. „Frühstarterfällen“ unter bestimmten Voraussetzungen ein atypischer Rotlichtverstoß gesehen wurde, der es dem Tatgericht erlaubt, vom Fahrverbot abzusehen. Üblicherweise gehen solche Verstöße entweder mit der direkten Verwechslung einer Lichtzeichenanlage einher (vgl. OLG Bamberg OLGSt StVG § 25 Nr. 64; OLG Düsseldorf NZV 1993, 320; OLG Karlsruhe NJW 2003, 372). Oder die Kraftfahrer unterliegen einem Mitzieheffekt, weil andere auch anfahren (vgl. Senat NZV 2002, 50). Insgesamt ist die Behandlung dieser Fälle uneinheitlich (so König in Hentschel/König/Dauer, StVR 45. Aufl., § 37 StVO Rn. 55). So hat das OLG Karlsruhe jüngst ausdrücklich von seiner zuvor eher großzügigen Behandlung der Frühstarter Abstand genommen (vgl. DAR 2019, 215). Grundsätzlich und auch unter dem Regime der BKatV gilt, dass der Tatrichter bei der Verhängung des Fahrverbots ein Ermessen hat, das durch das Rechtsbeschwerde nur eingeschränkt überprüfbar ist. Namentlich wenn er von der Regelwirkung des Bußgeldkatalogs abweicht, muss er seine Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht – ggf. sehr ausführlich – begründen. Erhöhte Begründungsanforderungen können sich allerdings auch dann ergeben, wenn zwar – wie hier – ein Regelfall vorliegt, dieser aber vom Üblichen signifikant abweicht und auf merklich verringertes Handlungsunrecht (Fahrlässigkeit) oder Erfolgsunrecht (Gefährdung) schließen lässt.

Die Urteilsfeststellungen legen hier zunächst nahe, dass es sich in der Grundkonstellation um einen solchen (Frühstarter-) Fall handelt, denn sie weisen aus, dass der betroffene Taxifahrer an der roten Ampel des Nachts um 1.21 Uhr zunächst anhielt und sodann bei noch rotem Ampellicht in den Kreuzungsbereich einfuhr. Nach dem zuvor Ausgeführten sind bei einer solchen Sachlage trotz der Indizwirkung des Bußgeldkatalogs im Hinblick auf das gegenüber dem Regelfall gegebenenfalls verringerte Handlungsunrecht vom Tatrichter grundsätzlich Ausführungen dazu zu erwarten, warum es der Verhängung des Fahrverbots auch in diesem Fall bedurfte. Denn dass der Betroffene bei rotem Ampellicht zunächst anhielt, kann unter Umständen nahelegen, dass er sich jedenfalls rechtstreu verhalten wollte.

Solcher Ausführungen bedurfte es hier aber ausnahmsweise nicht, weil die Urteilsgründe ohne weiteres erkennen lassen, dass dem Betroffenen neben dem groben Verkehrsverstoß auch ein grober Verstoß gegen seine Sorgfaltspflichten zur Last fällt. Denn seine Unachtsamkeit beruhte hier nicht auf einer einfachen Verwechslung der Ampelregister oder einem Mitzieheffekt, sondern schlicht darauf, dass er, wie er gegenüber den Polizeibeamten vor Ort erklärte, „von dem Arsch der Radfahrerin abgelenkt“ war (UA S. 4). Erweiterte Darlegungsanforderungen bestanden bei dieser Sachlage nicht.“

Atypischer Rotlichtverstoß, oder: Fahrverbot, weil Fußgänger behindert

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Und dann noch einmal ein Rotlichtverstoß, und zwar im AG Dortmund, Urt. v. 22.08.2017 –  729 OWi-261 Js 1418/17-225/17. In diesem Posting geht es aber nicht um den „Schuldspruch“, sondern um die Rechtsfolge „Fahrverbot“. Der Betroffene hatte einen sog. atypischen Verstoß geltend gemacht und war deshlab der Auffassung, dass vom an sich verwirkten Regelfahrverbot – länger als eine Sekunde Rolticht – abgesehen werden muss. Das AG hat das anders gesehen. Dazu der Leitsatz der AG-Entscheidung:

„Ein atypischer Rotlichtverstoß, der einen Wegfall der groben Pflichtwidrigkeit bedingen könnte, liegt bei einem qualifizierten 1-Sekunden-Rotlichtverstoß aufgrund des Nichteinfahrens in den von anderen Fahrzeugführern genutzten Kreuzungsbereich nicht vor, wenn der Betroffene aufgrund seines Verstoßes tatsächlich andere Verkehrsteilnehmer, nämlich Fußgänger, beim Passieren der Kreuzung durch sein Verhalten behindert hat und gerade auch Fußgänger von einer rotlichtzeigenden Lichtzeichenanlage geschützt werden sollen.“

Und <<Werbemodus an>>: Zum Fahrverbot bei/nach einem qualifizierten Rotlichtverstoß eingehend(er) Deutscher in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., 2018, die im November 2017 erscheint. Vorbestellen kann man hier.