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StPO I: Absprache – Mitteilungspflicht verletzt, oder: „vage erinnerte und nur mögliche Verfahrensabläufe“

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Und heute dann noch einmal ein paar StPO-Entscheidungen. Heute habe alle drei mit Rechtsmitteln zu tun.

Hier zunächst der BGH, Beschl. v. 18.04.2023 – 6 StR 124/23 -, der sich noch einmal zum erforderlichen Umfang/Vortrag für eine ausreichende Begründung der Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) äußert, wenn ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO – Stichwort: Verständigung – geltend gemacht wird.

Das LG hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen dann u.a. die Rüge der Verletzung formellen Rechts. Die hate keinen Erfolg:

„1. Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe seine Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO verletzt, greift nicht durch.

a) Der Beschwerdeführer trägt folgendes Verfahrensgeschehen vor:

Am ersten Sitzungstag regte der Strafkammervorsitzende ein „Rechtsgespräch“ an und unterbrach zu diesem Zweck die Hauptverhandlung. Bei dem sodann zwischen den Berufsrichtern, den Schöffen, der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger geführten „Rechtsgespräch“ wurde die „Frage des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erörtert“, wobei die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft darauf hinwies, dass aus ihrer Sicht kein minder schwerer Fall vorliege. Über dieses Gespräch berichtete der Vorsitzende nach Fortsetzung der Hauptverhandlung nicht; die Sitzungsniederschrift enthält für den Zeitpunkt der Fortsetzung nach dem „Rechtsgespräch“ den Hinweis, dass „eine Verständigung jedoch nicht erzielt wurde“. Der Angeklagte machte keine Angaben zur Sache; zu einer Verfahrensabsprache kam es auch später nicht.

Der Beschwerdeführer macht geltend, Inhalt und Ablauf der Gespräche nicht näher vortragen zu können. Sein Verteidiger habe ihm im Anschluss an das „Rechtsgespräch“ lediglich mitgeteilt, dass es für ihn „nicht gut aussehe“ und die Staatsanwaltschaft nicht unter fünf Jahren Freiheitsstrafe beantragen werde. Deshalb habe er ihm geraten zu schweigen. Im Revisionsverfahren erbat der Beschwerdeführer Auskunft von der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft über Inhalt und Ablauf des „Rechtsgesprächs“. Diese erklärte hierauf in einer E-Mail: „Da (…) aus meiner Sicht ein minder schwerer Fall nicht vorlag, vertrat ich die Auffassung, dass von einer Mindeststrafe von fünf Jahren auszugehen sei. Ich meine auch zu erinnern, dass das Gericht die Auffassung äußerte, dass sich nach derzeitiger Lage ein minder schwerer Fall zumindest nicht aufdrängen würde“.

Aus dem Verfahrensablauf und den Angaben der Sitzungsvertreterin folgert der Beschwerdeführer, dass das „Rechtsgespräch“ verständigungsbezogene Erörterungen zum Gegenstand hatte und der Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 StPO unterstand.

b) Die Verfahrensrüge ist schon unzulässig, weil das Revisionsvorbringen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind für eine zulässige Verfahrensrüge die den Mangel begründenden Tatsachen so vollständig und genau anzugeben, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Revisionsbegründung prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2007 – 1 StR 273/07, BGHSt 52, 38, 40). Für die Rüge einer Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO ist danach erforderlich, dass Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, dass ein nach dieser Vorschrift mitteilungspflichtiges Gespräch stattgefunden hat und dessen wesentlicher Inhalt in der Hauptverhandlung nicht oder nicht ausreichend mitgeteilt und protokolliert wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2022 – 2 StR 269/21). Notwendig ist deshalb die bestimmte Behauptung von Tatsachen, die eine Überprüfung dahin gestatten, ob dabei ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum standen, was jedenfalls dann der Fall ist, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in einen Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht wurden, damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahelag und somit die Mitteilungspflicht ausgelöst wurde (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. September 2015 – 3 StR 310/15, NStZ 2016, 362; vom 7. März 2017 – 5 StR 493/16, NStZ 2017, 424).

bb) Diesen Anforderungen genügt die Revision nicht.

(1) Es fehlt bereits an einem konkret behaupteten vollständigen Verfahrensgeschehen. Die bloße Wiedergabe vage erinnerter und nur möglicher Verfahrensabläufe (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 1964 – 3 StR 60/63, BGHSt 19, 273, 275) ersetzt den notwendigen bestimmten Tatsachenvortrag nicht (vgl. im Einzelnen KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 33 mwN).

(2) Dessen ungeachtet wäre auch anhand der mitgeteilten Stellungnahme der Staatsanwaltschaft für das Revisionsgericht nicht abschließend zu überprüfen, ob es sich um verständigungsbezogene oder lediglich um unverbindliche sonstige verfahrensfördernde Erörterungen gehandelt hat, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15, NStZ 2015, 535, 536). Denn als Gegenstände unverbindlicher Erörterungen, die das Gericht ohne Verständigungsbezug allein als Ausdruck eines transparenten kommunikativen Verhandlungsstils führen kann, sind etwa Rechtsgespräche und Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses für unbedenklich erachtet worden (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 228; BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilung 4; vom 7. März 2017 – 5 StR 493/16). Dies gilt gleichermaßen für die Klärung der – einer Verständigung entzogenen (vgl. BVerfG, aaO, S. 228; BGH, Beschluss vom 25. April 2013 – 5 StR 139/13, NStZ 2013, 540) – Vorfrage, ob überhaupt die Möglichkeit der Verständigung bei Annahme eines minder schweren Falles in Betracht kommt, ohne dass ein Prozessverhalten des Angeklagten in Rede steht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. August 2021 – 5 StR 199/21, NStZ 2022, 55, 56). Ob der Gesprächsgegenstand hier bereits über diese abstrakte Vorfrage einer möglicherweise erwogenen Verständigung hinausging, vermag der Senat ohne Vortrag näherer Inhalte nicht abschließend zu prüfen.

(3) Nichts anderes gilt vor dem Hintergrund des übrigen Revisionsvorbringens (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2014 – 1 StR 210/14, NStZ 2015, 48; vom 21. März 2017 – 1 StR 622/16, NStZ 2017, 482, 483), das sich auf die pauschale Behauptung beschränkt, auf Initiative des Gerichts sei „ein Rechtsgespräch“ (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. April 2014 – 3 StR 24/14, NStZ 2014, 529 f.; vom 23. Juni 2022 – 2 StR 269/21, NStZ-RR 2022, 355) durchgeführt, eine Verständigung „jedoch nicht erzielt“ worden (vgl. KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 243 Rn. 112 mwN).

(4) Der Beschwerdeführer behauptet schließlich auch nicht, dass es ihm oder seinem Revisionsverteidiger unmöglich gewesen wäre, nähere Informationen zum Verfahrensgeschehen bei seinem Instanzverteidiger einzuholen (vgl. hierzu BVerfG [Kammer], Beschluss vom 22. September 2005 – 2 BvR 93/05, StraFo 2005, 512, 513; BGH, Urteil vom 3. August 2022 – 5 StR 203/22; Beschluss vom 23. November 2004 – 1 StR 379/04, NStZ 2005, 283; Hamm/Pauly, Die Revision in Strafsachen, 8. Aufl. Rn. 408 mwN).“

StPO III: Revisionsbegründung nach Berufungsverwerfung, oder: Wiederaufleben der Vertretervollmacht?

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Und zum Schluss des Tages dann mal nichts zum Pflichtverteidiger, sondern zur Revisionsbegründung, und zwar der BayObLG, Beschl. v. 09.10.2020 – 202 StRR 94/20.

Er nimmt zu den Anforderungen an die Verfahrensrüge nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO bei beanstandetem Ladungsmangel eines der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten Stellung, und zwar wie folgt:

1. Die Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gelten ungeschmälert auch für die Bean-standung, die Berufung sei zu Unrecht nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen worden. Denn bei den Voraussetzungen des Verwerfungsurteils handelt es sich nicht um Verfahrensvo-raussetzungen im eigentlichen Sinne, die bereits auf die Sachrüge hin vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen sind. Von der Revision sind deshalb lückenlos all die Tatsachen vorzutragen, die das Ausbleiben des Angeklagten ausreichend entschuldigen, oder die zeigen sollen, dass die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO sonst nicht gegeben waren.

2. Beanstandet die Revision, dass dem der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten die Ladung zum Termin mit der Belehrung über die Möglichkeit der Berufungsverwerfung für den Fall seines Nichterscheinens nur in deutscher Sprache zugestellt wurde, weshalb sein dortiges Ausbleiben mangels wirksamer Ladung als entschuldigt zu werten sei, setzt die insoweit nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotene Verfahrensrüge (auch) Ausführungen dazu voraus, ob und gegebenenfalls in welcher Form der Angeklagte bei Verkündung des Urteils erster Instanz nach § 35a Satz 2 StPO belehrt worden ist

Interessant dann auch noch die Ausführungen des BayObLG zur Vertretungsvollmacht:

Die besondere Vertretungsvollmacht i.S.d. § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO des zur Berufungs-hauptverhandlung erschienenen Pflichtverteidigers ergibt sich auch dann nicht allein aus sei-ner bloßen Beiordnung, wenn es sich bei dem Verteidiger um den vormaligen Wahlverteidiger des Angeklagten mit ehemals ausdrücklich erteilter Vertretungsvollmacht handelt.