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U-Haft I: Planung eines „Amoklaufs“ in der Schule, oder: Fluchtgefahr bei einem 17-Jährigen

entnommen der Homepage der Kanzlei Hoenig, Berlin

Heute findet hier dann – seit längerem mal wieder – ein U-Haft-Tag statt.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 25.08.2022 – StB 37/22. Der BGH nimmt in dem Beschluss zur Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) Stellung. Das Verfahren richtet sich gegen ein 17-jährigen Beschuldigten, dem Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und hiermit zusammenhängender weiterer Delikte vorgeworfen werden. Der 17-jährige Beschuldigte wurde am 12.05.2022 vorläufig festgenommen. Am Folgetag erließ und verkündete das AG einen Haftbefehl. Seither war der Beschuldigte in Wuppertal inhaftiert. Nach Übernahme des Verfahrens durch den GBA erging am 14.06.2022 ein neuer Haftbefehl durch den Ermittlungsrichter des BGH (3 BGs 448/22). Gegenstand war der Vorwurf, der Beschuldigte habe einen rechtsextremistisch motivierten Anschlag auf das von ihm besuchte Gymnasium in E. geplant; er sei fest entschlossen gewesen, am 13.05. 2022 in das Schulgebäude einzudringen und mittels selbstgebauter Sprengsätze sowie verschiedener Waffen möglichst viele Lehrer und Schüler – aus seiner Sicht „anti-weiße“ und „linke Untermenschen“ – zu töten, um damit Vorarbeit für den von ihm erwarteten „Rassenkrieg“ zu leisten und Gleichgesinnte zur Nachahmung zu bewegen. Zu diesem Zweck habe er sich die zum Bau der Sprengsätze erforderlichen Bestandteile dergestalt beschafft, dass er aus ihnen binnen weniger Stunden einsatzfähige Rohrbomben hätte herstellen können, und sich Armbrüste, Messer, Macheten, PTB-Waffen, Luftdruckpistolen und Schlagringe besorgt. Überdies habe er Munition besessen. Der Beschuldigte habe sich auf diese Weise nach § 89a Abs. 1 und 2 Nr. 3, § 52 Abs. 1 StGB, § 40 Abs. 1 Nr. 3, § 27 Abs. 1 SprengG, § 52 Abs. 3 Nr. 1 und 2 Buchst. b WaffG strafbar gemacht. Sein Vorhaben sei allein an der Festnahme gescheitert.

Der Ermittlungsrichter beim BGH hat dann später den Haftbefehl aufgehoben. Dagegen die Beschwerde des GBA, die Erfolg hatte. Der BGH führt zu Fluchtgefahr aus:

„3. Es besteht Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Bei Würdigung der konkreten Einzelfallumstände ist es wahrscheinlicher, dass sich der Beschuldigte dem weiteren Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten wird.

a) Der Beschuldigte ist einem hohen Fluchtanreiz ausgesetzt. Er hat angesichts des Gewichts der ihm vorgeworfenen Tat mit einer empfindlichen Jugendstrafe zu rechnen. Das Tatbild ist davon geprägt, dass allein wegen des besonnenen Verhaltens eines Mitschülers im letzten Moment ein rechtsextremistisch motivierter Amoklauf mit vielen Toten verhindert wurde. Die gefestigte rassistische Gesinnung des Beschuldigten, seine massive Gewaltbereitschaft und der von ihm über mehrere Jahre für die Tat betriebene Aufwand sprechen in hohem Maße für seine schädlichen Neigungen und die Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG). Im Erwachsenenstrafrecht ist das dem Beschuldigten vorgeworfene Verhalten mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren belegt (§ 89a Abs. 1 Satz 1 StGB). Entgegen der Auffassung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs sind das Tatunrecht, die Schuld und der Erziehungsbedarf nicht maßgeblich dadurch vermindert, dass – wie ausgeführt – einige der dem Beschuldigten zugeordneten Waffen im Elternschlaf- und nicht im Kinderzimmer aufgefunden worden sind.

Der von der zu erwartenden Jugendstrafe ausgehende hohe Fluchtanreiz wird daraus ersichtlich, dass der Beschuldigte ihrem Vollzug nach den bislang gewonnenen Erkenntnissen mit großer Sorge entgegensieht. Er hat vielfach geäußert, sich davor zu fürchten, auf gewaltbereite Mitinsassen zu treffen. In der Haftanstalt hat er sich angesichts seiner Einzelverwahrung beruhigt gezeigt, diese böte ihm Schutz vor den Mithäftlingen. Eine einstweilige Unterbringung in einem geeigneten Heim der Jugendhilfe nach § 71 Abs. 2 JGG lehnt er entschieden ab, weil er dort mit anderen (kriminellen) jungen Männern zusammenträfe (s. insgesamt Bd. Aktenvorlage Haftbeschwerde, S. 26, 28, 31, 52, 67, 72). Der Umstand, dass auf seinem Rechner umfangreiches kinderpornografisches Material gefunden worden ist und ihm auch insoweit eine Anklage droht, ist geeignet, seine Angst vor anderen Jugendlichen im Strafvollzug noch zu steigern.

b) Der Beschuldigte verfügt trotz seines jungen Alters zudem über die tatsächlichen Möglich- und Fähigkeiten zur Flucht. Zwar wohnte er bis zu seiner Inhaftierung bei seinen Eltern. Wie der Tatvorwurf zeigt, hat der Beschuldigte es jedoch über Jahre verstanden, sich vollständig zu verstellen und von allen unbemerkt ein ausgeklügeltes Anschlagsszenario zu planen. In seinen Aufzeichnungen hat er ausgeführt, dass er nur von außen normal wirke, jedoch sein wahres Gesicht noch nie jemandem offenbart habe (Bd. XII, S. 441). Das deckt sich mit den Berichten der Justizvollzugsbediensteten, die ihn als affektiv verflacht und nicht authentisch erlebt haben (Bd. Aktenvorlage Haftbeschwerde, S. 9 ff.).

Die Umsetzung seiner rassistischen Gewaltphantasien ist für den Beschuldigten handlungsleitend. Er ist von der Überzeugung durchdrungen, um jeden Preis gemeinsam mit seinen „Kameraden und Mitstreitern“ für die „Freiheit der weißen Rasse“ kämpfen zu müssen (s. Bd. XII, etwa S. 430). Von dieser Gesinnung getrieben, war er in rechtsnationalen Chatgruppen und Foren aktiv, wie die Auswertung seiner Computer und Mobiltelefone ergeben (Bd. IV, S. 110 ff.) und wie er freimütig in der Justizvollzugsanstalt berichtet hat (Bd. Aktenvorlage Haftbeschwerde, S. 24). Der Beschuldigte war – auch finanziell – in der Lage, sich heimlich ein umfangreiches Waffenarsenal zuzulegen (zu seinen vierstelligen Ersparnissen s. Bd. Aktenvorlage Haftbeschwerde, S. 61), wobei er sich Bauanleitungen für Sprengkörper aus dem Darknet herunterlud (Bd. IV, S. 97 ff.). Aus alledem ist zu schließen, dass er sein Umfeld weiterhin zu täuschen vermag und ein jedenfalls zeitweiliges Untertauchen organisieren kann.

c) Es sind schließlich keine fluchthemmenden Umstände erkennbar, die den Beschuldigten zu einer freiwilligen Kooperation mit den Organen der Strafverfolgung bewegen könnten. Soweit der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs in diesem Zusammenhang die Eltern des Beschuldigten als stabilisierenden Faktor eingestuft hat, hat er nicht bedacht, dass sie nach ihren Bekundungen von den über Jahre entwickelten Anschlagsplänen ihres Sohnes nichts bemerkten, wenngleich sie nach dessen Darstellung von seiner radikalen politischen Einstellung wussten (s. Bd. XII, S. 310). Der Vater hortete Schlagringe, Macheten sowie Pistolen und bewahrte eine NSDAP-Mitgliedsnadel des Großvaters unter dem Bett auf. Im Keller lagerte er einen Stromgenerator, ein Gerät zur Trinkwasseraufbereitung und einen Gaskocher (s. insgesamt Bd. Aktenvorlage Haftbeschwerde, S. 55 f.). Ein Zeuge hat ihn als rechtsradikal beschrieben (Akten Beantragung neuer HB, Bd. I, Unterband 1, S. 6). Die Mutter soll Sorge davor geäußert haben, dass der Beschuldigte immer mehr so werde wie sein Vater (Akten Beantragung neuer HB, Bd. I, Unterband 1, S. 15).

Sein ehemaliges schulisches Umfeld ist dem Beschuldigten ausweislich seiner Aufzeichnungen (s. etwa den “ „, Bd. XII, S. 234 ff.) verhasst. Engere Freundschaft pflegte er zu niemandem. Emotional verbunden fühlte er sich nur seinen imaginären rechtsextremistischen „Kameraden“ und der virtuellen Figur Morityu, die einem Computerspiel entstammt, in dem der Spieler in Gestalt eines Mädchens einen Amoklauf an einer Schule begeht (s. die umfangreiche Schrift „Ich liebe nur Dich Morityu“, Bd. XII, S. 434 ff.). Damit fehlt es an jeglichen außerfamiliären Bezugspersonen.

Zukunftspläne oder Bildungswünsche hat der Beschuldigte bisher nicht geäußert. Nach seiner Vorstellung sollte sein Leben am 13. Mai 2022 durch einen sogenannten suicide by cop enden.

Ein fluchthemmender Umstand, die ursprünglich nach § 34c PolG NRW angeordnete elektronische Fußfessel, ist nach dem erfolgreichen Rechtsmittel des Verteidigers ebenfalls nicht mehr gegeben.

4. Eine einstweilige Unterbringung in einem geeigneten Heim der Jugendhilfe nach § 71 Abs. 2 JGG zur Untersuchungshaftvermeidung kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Jugendgerichtshilfe keinen freien Platz in einer entsprechenden Einrichtung anbieten kann. Die Mitarbeiter der derzeit einzigen zur Verfügung stehenden Institution “ “ haben die Aufnahme des Beschuldigten nach einem Gespräch mit ihm abgelehnt, weil er wenig Reue zeige, gefühllos und nicht authentisch sei (Bd. Aktenvorlage Haftbeschwerde, S. 72).“

„…dann laufe ich Amok…“ – Störung des öffentlichen Friedens?

Ein 15-jähriger stellt bei Facebook die Formulierung ein: „…. dann laufe ich Amok…“. Daraus wird eine Anklage beim Jugendrichter wegen Verstoßes gegen § 126 StGB – Störung des öffentlichen Friedens wegen Androhung von Straftaten. Von dem Voruwrf ist der Angeklagte aber durch LG Aachen, Urt. v. 05.09.2012, 94 Ns 27/12 (liegt also schon etwas zurück) frei gesprochen worden. Der Jugendrichter beim AG Aachen hatte den Angeklagten noch wegen der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung einer Straftat schuldig gesprochen und ihm als Zuchtmittel 20 Stunden gemeinnützige Arbeit auferlegt. Das LG führt aus:

„Der Angeklagte hat den objektiven Tatbestand des § 126 StGB verwirklicht. Die Ankündigung eines auch nur unbestimmt beschriebenen „Amoklaufs“ ist geeignet, den öffentlichen Frieden im Sinne der vorgenannten Norm zu stören. Allerdings konnte dem Angeklagten ein entsprechender Tatvorsatz nicht nachgewiesen werden. Ein solcher hätte vorausgesetzt, dass der Angeklagte, als er die Formulierung „dann laufe ich Amok“ bei „Facebook“ einstellte, es beabsichtigt oder zumindest billigend in Kauf genommen hätte, dass dieser Eintrag einer nicht unerheblichen Personenzahl bekannt wird. Denn es liegt nur dann eine Störung des öffentlichen Friedens i. S. v. § 126 StGB vor, wenn eine allgemeine Beunruhigung der Bevölkerung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, mindestens aber innerhalb einer nicht unerheblichen Personenzahl, eintritt (vgl. zuletzt BGH NStZ-RR 2011, 109). Der Angeklagte hat sich aber unwiderlegt dahin eingelassen, dass er davon ausgegangen ist, der fragliche Facebook-Eintrag werde nur von maximal 40 Personen gelesen, nämlich denjenigen, welche unbeschränkten Zutritt zu seiner Facebook-Seite hätten. Des Weiteren sei er davon ausgegangen, dass sein Eintrag von diesen Personen in dem von ihm tatsächlich beabsichtigten Sinn, nämlich der Aufforderung, ihn mit weiteren Freundschaftsanfragen in Ruhe zu lassen, verstanden und keineswegs an dritte Personen weitergegeben werde. Damit fehlt es aber dem Angeklagten an dem notwendigen Tatvorsatz bezüglich des Tatbestandsmerkmals „Störung des öffentlichen Friedens“.

Also: Antwort ja aber, oder zusammengefasst:

  • Die Ankündigung eines auch nur unbestimmt beschriebenen Amoklaufs in „Facebook“ ist grundsätzlich geeignet, i. S. v. § 126 StGB den öffentlichen Frieden zu stören.
  • Eine Störung des öffentlichen Friedens i. S. v. § 126 StGB liegt nur vor, wenn eine allgemeine Beunruhigung der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland, mindestens aber innerhalb einer nicht unerheblichen Personenzahl, eintritt (Anschluss BGH NStZ-RR 2011, 109).
  • An dem entsprechenden Tatvorsatz fehlt es daher, wenn der Angeklagte davon ausgeht, nur maximal 40 Personen würden seinen Facebook-Eintrag lesen.

 

Amoklauf Winninden: Anklage gegen den Vater

Heute war in der Presse an vielen Stellen zu lesen, dass gegen den Vater des „Amokläufers“ von Winnenden nicht nur, wie die Staatsanwaltschaft beabsichtigt hatte, Strafbefehl erlassen werden soll (Höchststrafe 1 Jahr auf Bewährung), sondern nunmehr Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben werden soll. So die Anweisung der Generalsstaatsanwaltschaft an die örtliche StA. Das wird sicherlich ein interessantes Verfahren werden, was im Zweifel erst beim BGH oder beim OLG enden wird. Denn es stellen sich doch recht interessante Rechtsfragen in Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit des Vaters und auch zum Schutzzweck der mit dem Waffenbesitz einhergehenden Sorgfaltsanforderungen. Fragen der Nebentäterschaft sind nicht einfach. Das Verfahren wird sicherlich erhebliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.

Ermittlungen im Amoklauf Winneden

Die „Westfälischen Nachrichten“ – gestern ist es ja auch schon über andere Ticker gelaufen – melden heute, dass die StA in Baden-Württemberg gegen den Vater des 17-jährigen Amokläufers aus Winneden ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet hat. Begründet wird dies damit, dass der Vater die Tatwaffe nicht in einem Waffentresor sondern frei zugänglich im Schlafzimmer aufbewahrt haben soll. Das wäre eine OWi nach dem WaffenG. Auch die entsprechende Munition soll frei zugänglich gewesen sein. Eine Sorgfaltspflichtverletztung wird man darin ja ggf. sehen können. Aber: Was ist mit der Vorhersehbarkeit? Wusste der Vater, dass der Sohn – wie es heißt – depressiv gewesen ist? Wenn das der Fall ist und nachgewiesen werden kann, würd man damit wahrscheinlich die Vorhersehbarkeit begründen können.