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OWi II: Unzuständige Behörde erlässt Bußgeldbescheid, oder: Einstellung wegen Verfahrenshindernisses

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Und dann als zweite Entscheidung ein AG-Beschluss, und zwar der AG Büdingen, Beschl. v. 11.04.2025 – 60 OWi (9/25). Das AG hat mit dem Beschluss ein Bußgeldverfahren wegen einer innerorts begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung eingestellt.

Der Betroffene ist Geschäftsführer einer GmbH. Mit einem Fahrzeug dieser GmbH soll eine Ordnungswidrigkeit begangen worden sein. Der Vorwurf lautete, dass mit dem Pkw der GmbH am 18.04.2024 um 7:31 Uhr in pp.  die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 7 km/h überschritten worden sein soll.

Am 19.04.2024 wurde die GmbH als Zeuge angeschrieben und um Mitteilung der Personalien des Fahrers gebeten. Mangels Reaktion wurde die GmbH mit Schreiben des Magistrats der Stadt pp., Ordnungsamt (im Folgenden: Verwaltungsbehörde) vom 10.06.2024 erneut an die Beantwortung erinnert und darauf hingewiesen, dass dieser anderenfalls als Fahrzeughalterin gemäß § 130 Abs. 1, § 9 OWiG eine Ordnungsmäßigkeit von mindestens 250 EUR auferlegt werden könne. Auch hierauf erfolgte keine Reaktion.

Mit Schreiben der Verwaltungsbehörde vom 26.06.2024 wurde der Betroffene, als Geschäftsführer der GmbH, im Bußgeldverfahren angehört. Er habe als Inhaber eines Unternehmens vorsätzlich die Aufsichtsmaßnahmen unterlassen, die erforderlich seien, um in dem Betrieb Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber als solchen treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. Er habe ordnungswidrig gehandelt, da eine Zuwiderhandlung begangen worden sei, die durch gehörige Aufsicht hätte verhindert oder wesentlich erschwert werden können (§ 130 OWiG). Auch hierauf erfolgte keine Reaktion des Betroffenen.

Mit Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde vom 05.08.2024 ist dann gegen den Betroffenen eine Geldbuße i.H.v. 250 EUR festgesetzt worden. Darin wird dem Betroffenen vorgeworfen, seit dem 29.04.2024 als Inhaber eines Betriebs oder Unternehmens vorsätzlich die Aufsichtsmaßnahmen unterlassen zu haben, die erforderlich seien, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber als solchen treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. Er habe ordnungswidrig gehandelt, da eine Zuwiderhandlung begangen worden sei, die durch gehörige Aufsicht hätte verhindert oder wesentlich erschwert werden können. Der Betroffene habe trotz mehrfacher Aufforderung den für die Verkehrsordnungswidrigkeit tatsächlich Verantwortlichen nicht benannt.

Gegen diesen Bußgeldbescheid hat der Betroffene Einspruch eingelegt. Das AG hat durch den Beschluss vom 11.04.2025 das Verfahren ist wegen eines Verfahrenshindernisses gemäß § 206a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG eingestellt. Es legt zunächst dass, dann nicht die Verwaltungsbehörde für den Erlass des Bußgeldbescheides zuständig war, sondern das Regierungspräsidium Kassel als Bezirksordnungsbehörde (§ 131 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Hessischen VRZustVO) – insoweit verweise ich auf denVolltext. Und weiter heißt es:

„Nimmt eine Behörde fälschlicherweise ihre Zuständigkeit an und erlässt einen Bußgeldbescheid, führt dies nicht automatisch zu dessen Nichtigkeit. Nur wenn die Annahme der Zuständigkeit auf einem schwerwiegenden und offenkundigen Mangel beruht oder die Verwaltungsbehörde in Kenntnis ihrer Unzuständigkeit einen Bußgeldbescheid erlässt, ist dieser nichtig. Nur dann kann er auch nicht Grundlage des gerichtlichen Verfahrens nach Einlegung eines Einspruchs sein, was zur Einstellung des Verfahrens wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung gem. §§ 46 OWiG iVm §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO führen würde (Inhofer, in BeckOK OWiG, Graf, 45. Edition, Stand: 01.01.2025 § 36 Rn. 9 m.w.N.).

Wenn allerdings anstatt der zuständigen höheren eine niedrigere Behörde gehandelt hat, führt dies im Allgemeinen zur Nichtigkeit. Denn ist die Kompetenz einer höheren Verwaltungsbehörde vorbehalten, die eine höhere Gewähr für die Richtigkeit bietet und eine einheitliche Handhabung sicherstellen soll, so darf diese Absicht des Gesetzgebers nicht durch untergeordnete Instanzen vereitelt werden (Lampe, in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage 2018, § 36 Rn. 33 m.w.N.).

Bereits deshalb ist vorliegend von der Nichtigkeit des Bußgeldbescheides auszugehen. Es hat eine niedrigere Behörde gehandelt. Zuständig wäre das Regierungspräsidium als Bezirksordnungsbehörde und nicht der Landrat als Kreisordnungsbehörde und erst recht nicht der Bürgermeister als örtliche Ordnungsbehörde. Damit hat die Stadt pp. eine Zuständigkeit angenommen, die tatsächlich gemäß der einschlägigen Verordnung zwei Ebenen höher angesiedelt ist. Hinzu kommt, dass vorliegend nicht einmal der Bürgermeister als örtliche Ordnungsbehörde (in Verkennung der in § 3 der Hessischen VRZustVO geregelten Zuständigkeit), sondern vielmehr der Magistrat den Bußgeldbescheid erlassen hat. Darüber hinaus ist sogar die Zuständigkeit der örtlichen Ordnungsbehörde für Kostenentscheidungen nach § 25a Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes ausgeschlossen, wenn sich der Betroffene (wie hier der Fall ist) nicht zur Sache geäußert hat. Auch deshalb hätte die Verwaltungsbehörde ihre (angenommene) Zuständigkeit kritisch prüfen müssen.

Damit beruht die Annahme der Zuständigkeit auch auf einem schwerwiegenden und offenkundigen Mangel.“

Und das AG fügt an:

„Auch wenn es für die hiesige Entscheidung nicht von Relevanz ist, weist das Gericht auf folgende Aspekte hin:

Nach Aktenlage wäre fraglich, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt. Zum einen ist nicht ersichtlich, welche Maßnahmen ein Geschäftsführer unternehmen kann, um zu verhindern, dass seine Mitarbeiter keine geringfügigen Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr begehen. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 7 km/h ist eine geringfügige Ordnungswidrigkeit die auch besonnenen Verkehrsteilnehmern sowie Arbeitnehmern, die durch Ihren Vorgesetzten eindringlich zur Einhaltung der Straßenverkehrsvorschriften mit Dienstfahrzeugen angehalten werden, passieren kann. Mangels Ermittlungen der Verwaltungsbehörde (jedenfalls ist der Akte hierzu nichts zu entnehmen und solche sind auch in Anbetracht der Tatsache, dass der Sitz des Unternehmens in pp. und mithin weit außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Stadt pp. liegt) ist vorliegend weder ersichtlich, dass der Geschäftsführer keine Maßnahmen ergriffen hat bzw. dass und welche Maßnahmen dafür sorgen könnten, auch solche geringfügigen Ordnungswidrigkeiten vollständig auszuschließen.

Falls die Verwaltungsbehörde die Aufsichtspflichtverletzung daran anknüpft, dass der Geschäftsführer, trotz mehrfacher Aufforderung, den Fahrzeugführer zur Tatzeit nicht benannt hat, vermag dies den Tatbestand des § 130 OWiG nicht zu erfüllen. Vorausgesetzt werden Aufsichtsmaßnahmen, die erforderlich sind, um Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern.

Die Pflichtverletzung, an die die Verwaltungsbehörde anknüpft, ist die Höchstgeschwindigkeitsüberschreitung um 7 km/h am 18.04.2024. Naturgemäß kann das Tun oder Unterlassen des Geschäftsführers ab dem 29.04.2024 keinen Einfluss auf die bereits begangene Zuwiderhandlung haben. Die Akte enthält auch keine Feststellungen dahin, dass das ein Handeln des Geschäftsführers nach dieser Pflichtverletzung geeignet gewesen wäre, weitere Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter (für die sich bislang kein Beleg findet) zu vermeiden. Das Unterlassen der Nennung des Fahrers führt lediglich dazu, dass dessen Ordnungswidrigkeit (Zuwiderhandlung) nicht geahndet werden konnte. Wenn es zukünftig zu weiteren Ordnungswidrigkeiten von Mitarbeitern des Geschäftsführers kommt, mag sich dies anders darstellen. Wenn diese nämlich darauf vertrauen, dass der Geschäftsführer der Verwaltungsbehörde den jeweiligen Fahrzeugführer zur Tatzeit erneut nicht mitteilt, dann könnte ggfs. von einem Unterlassen von erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen ausgegangen werden, die erforderlich sind, um Zuwiderhandlungen zu verhindern.

Im Übrigen würden auch Bedenken hinsichtlich der Höhe des festgesetzten Bußgeldes bestehen. Denn die Höhe der Geldbuße wegen einer Aufsichtspflichtverletzung richtet sich wesentlich nach der Bedeutung und Schwere der im Betrieb begangenen Zuwiderhandlung (vgl. Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 130 Rn 28a). Soweit die Bußgeldkatalogverordnung ein Regelsatz für einen Verstoß vorsieht, ist dieser grundsätzlich auch im Rahmen der Ahndung der Aufsichtspflichtverletzung heranzuziehen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 28.02.2007 – 322 Ss 39/07 -, NStZ-RR 2007, 215).

Der ursprünglich Verkehrsverstoß, um den es vorliegend geht, wird regelmäßig mit einer Geldbuße i.H.v. 30 € geahndet, wie sich aus Nr. 11.3.1 des Bußgeldkataloges ergibt (vgl. Bl. 9 d.A.). Die Erhebung eines Bußgeldes i.H.v. 250 € erscheint deshalb unangemessen. Dass der Geschäftsführer mehrfach aufgefordert wurde, den Fahrer zu benennen, rechtfertigt jedenfalls keine höhere Geldbuße.“

Einstellung des Bußgeldverfahrens wegen Verjährung, oder: „Danke“ für die Auslagenerstattung

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Zum (Fast)Wochenschluss dann noch Gebührenentscheidungen bzw. heute zwei Entscheidungen zur Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren. Beide sind m.E. „interessant“, beide stammen vom Kollegen Gratz aus Bous.

Ich beginne mit AG Büdingen, Beschl. v. 30.05.2023 – 60 OWi 48/23. Der Betroffenen wurde in dem Verfahren eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt. Im Laufe des Verfahrens beantragte der Verteidiger gerichtliche Entscheidung bezüglich verschiedener, ihm seitens der Verwaltungsbehörde nicht zur Verfügung gestellter, Beweismittel. Mit Beschluss des AG wurde dem Antrag teilweise stattgegeben. Zu diesem Zeitpunkt war dem AG nicht bekannt, dass die Verwaltungsbehörde das Verfahren gegen die Betroffene bereits gemäß § 46 OWiG i.V.m. § 170 StPO eingestellt und den erlassenen Bußgeldbescheid zurückgenommen hatte.

Der Verteidiger hat der Verwaltungsbehörde seine Kostenrechnung übermittelt. Mit selbständigen Kostenbescheid vom 7.3.2023 hat die Verwaltungsbehörde entschieden, dass „nach Rücknahme des Bußgeldbescheides … und nach Einstellung des Verfahrens auf Antrag des Betroffenen die ihm entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt“ werden. In der Begründung wird darauf abgestellt, dass das Verfahren eingestellt worden sei, weil nach Erlass des Bußgeldbescheides Verfolgungsverjährung eingetreten und gleichzeitig der Bußgeldbescheid zurückgenommen worden sei. Nach Aktenlage bestehe, wenn man die Verjährung außer Betracht lässt, ein dringender Tatverdacht dahingehend, dass die Betroffene die vorgeworfene Ordnungswidrigkeit begangen habe. Die Geschwindigkeitsmessung sei ordnungsgemäß erfolgt, das Gerät sei geeicht gewesen, die mit der Messung beauftragten Personen seien entsprechend geschult und in staatlicher Anstellung. Die Messunterlagen seien vollständig gewesen. Das Fahrerfoto entspreche dem Lichtbild des Betroffenen bei der Personalausweisbehörde. Und weiter: „Da der Betroffene folglich nur nicht belangt wurde, weil ein Verfahrenshindernis bestand, konnte die Verwaltungsbehörde gemäß § 105 Abs. 1 OWiG, §§ 467a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. AG FFM, 981 OWi 75/21, AG Lampertheim 53 AR 70/22).“

Hierauf hat der Verteidiger „sich für die Auslagenerstattung bedankt und den Bescheid vom 07.03.2023 „insoweit angenommen“. Weiterhin hat er endgültige Festsetzung und Ausgleichung der Kosten beantragt.

Mit erneuten selbständigen Kostenbescheid vom 6.4.2023 hat die Verwaltungsbehörde den Antrag, die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, zurückgewiesen und den selbstständigen Kostenbescheid vom 7.3.2023 für nichtig erklärt. Dieser Bescheid enthält dieselbe Begründung wie der Kostenbescheid vom 7.3.2023.

Hiergegen hat der Verteidiger Rechtsmittel eingelegt. Die Verwaltungsbehörde hat eine Nichtabhilfeentscheidung getroffen und das wie folgt begründet: „In analoger Anwendung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätze ist mein Bescheid vom 07.03.2023 als nichtig anzusehen. Nichtigkeit eines Bescheides liegt bei besonders schwerwiegenden und offenkundigen Fehlern vor. Mein o.g. Bescheid enthält keine inhaltlich konsistente Kostenentscheidung, hier in der Form einer Auslagenentscheidung. Zwar erlegt der Tenor des Bescheids der Staatskasse die Auslagen auf, die Gründe tragen jedoch diese Entscheidung nicht, da sie in sich widersprüchlich sind. So wird an einer Stelle zur Auferlegung an die Staatskasse verwiesen, an anderer Stelle wiederum an die Betroffene. Der Verweis auf § 467 Abs. 3 S.1 StPO schon nicht zum Sachverhalt des vorliegenden Ordnungswidrigkeitsverfahrens. Die damit vorliegenden Fehler sind schwerwiegend und offensichtlich und ohne weiteres erkennbar. Es entspricht zudem der ständigen Veraltungspraxis, in vergleichbaren Verfahrenskonstellationen von der Auferlegung der Kosten/Auslagen zum Nachteil der Staatskasse abzusehen, wenn lediglich die Zustellurkunde zum Bußgeldbescheid nicht in Rücklauf kommt und damit ein Fall des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO vorliegt.“

Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung hatte Erfolg. Das AG hat den selbstständige Kostenbescheid vom 6.4.2023 aufgehoben und festgestellt, dass die Staatskasse die der Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat:

„Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auch begründet.

Zunächst bedarf es keiner ausdrücklichen Entscheidung, ob die Rechtsauffassung des Regierungspräsidiums zutreffend ist, wonach der Kostenbescheid vom 07.03.2023 nichtig ist. Dagegen würde jedenfalls sprechen, dass der Tenor der Entscheidung eindeutig formuliert ist, auch wenn die Gründe hierzu und auch in sich zum Teil widersprüchlich sind. Darüber hinaus korrespondiert der Tenor im selbständigen Kostenbescheid mit der grundlegenden Entscheidung des Gesetzgebers, wonach regelmäßig bei Rücknahme des Bußgeldbescheides und Einstellung des Verfahrens die Staatskasse die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen hat (vgl. § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467a StPO und § 467 Abs. 2 bis 5 StPO). Deshalb dürfte auch eine Berichtigung wegen offensichtlicher Unrichtigkeit ausscheiden.

Ebenfalls offenbleiben kann, ob die Verwaltungsbehörde, unabhängig davon, zur Abänderung dieser, die Betroffene begünstigten, Entscheidung (analog §§ 48, 49 VwVfG) befugt war.

Denn auch wenn man von der Befugnis der Behörde, erneut über die Frage der Auslagenerstattung zu entscheiden, ausgeht, erweist sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung als begründet. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen sind zu erstatten.

Zutreffend ist die Verwaltungsbehörde davon ausgegangen, dass sie, nachdem sie das Verfahren eingestellt hat, über die Auslagen der Betroffenen zu entscheiden hat. Denn eine Auslagenentscheidung der Verwaltungsbehörde ist nach § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467a StPO erforderlich, wenn das Verfahren nach Rücknahme eines Bußgeldbescheids eingestellt wird. § 467a Abs. 1 StPO regelt sinngemäß, dass die dem Betroffenen erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen sind, wobei § 467 Abs. 2 bis 5 StPO ebenfalls sinngemäß gilt (Grommes, in: BeckOK OWiG, Graf, 38. Edition, Stand: 01.04.2023 Rn. 8 ff.).

Daraus ergibt sich die grundlegende Entscheidung des Gesetzgebers, dass regelmäßig bei Rücknahme des Bußgeldbescheides und Einstellung des Verfahrens die Staatskasse auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen hat. Die im vorliegenden Fall einzig in Betracht kommende Ausnahme hiervon regelt § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO, wonach von der Auslagenerstattung abgesehen werden kann, wenn es nur deshalb nicht zu einer Verurteilung kommt, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

Diese Ausnahmevoraussetzung liegt im Ergebnis nicht vor, so dass die entstandenen notwendigen Auslagen der Betroffenen zu erstatten sind.

Zum Zeitpunkt der Rücknahme des Bußgeldbescheides lag zwar Verfolgungsverjährung vor (§ 31 OWiG). Gemäß § 26 Abs. 3 S. 1 StVG beträgt die Frist der Verfolgungsverjährung bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Abs. 1 drei Monate, solange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid ergangen ist noch öffentliche Klage erhoben worden ist, danach sechs Monate. Zunächst wurde die Verfolgungsverjährung durch die am 17.08.2022 seitens der Verwaltungsbehörde verfügte Anhörung der Betroffenen unterbrochen. Zwar wurde vor Ablauf der Dreimonatsfrist am 10.11.2022 der Bußgeldbescheid erlassen. Allerdings gelangte die Zustellungsurkunde nicht in Rücklauf, so dass die Verjährung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG nicht unterbrochen wurde.

Allerdings fehlt es an der weiteren Voraussetzung, dass es nur wegen des Verfahrenshindernisses nicht zu einer Verurteilung gekommen ist. Hierbei ist nämlich stets dem Ausnahmecharakter der Bestimmung Rechnung zu tragen. Bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses muss deshalb mit Sicherheit von einer Verurteilung auszugehen sein. Ist diese zweifelhaft, sind auch die notwendigen Auslagen des Beschuldigten bzw. Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen (Gieg, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Auflage 2023, § 467 Rn. 10 f. m.w.N.).

Von einer sicheren Verurteilung kann bereits deshalb nicht ausgegangen werden, da eine Identifizierung der Betroffenen als Fahrerin durch den Tatrichter nicht stattgefunden hat. Zwar legt ein Abgleich der Messbilder mit den in der Akte befindlichen Lichtbildern der Betroffenen nahe, dass diese das Fahrzeug zur Tatzeit geführt hat. Die Fahrereigenschaft wurde allerdings nicht eingeräumt und es kann nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass nicht ein ähnlich aussehender Familienangehöriger das Fahrzeug gesteuert hat. Jedenfalls wäre das Gericht im Rahmen einer Hauptverhandlung gehalten gewesen, einem solchen – möglichen – Einwand nachzugehen.

Darüber hinaus kann auch nicht mit hinreichender Sicherheit von dem vorgeworfenen Höchstgeschwindigkeitsverstoß ausgegangen werden. Mit Beschluss des Amtsgerichts Büdingen vom 12.04.2023 wurde die Verwaltungsbehörde dazu verpflichtet, dem Verteidiger verschiedene Beweismittel zur Verfügung zu stellen und darüber hinaus wurde in diesem Beschluss ausdrücklich darauf hingewiesen, dass weitere Fragen des Verteidigers im Rahmen einer Hauptverhandlung durch Zeugenvernehmung geklärt werden können. Auch wenn bislang nach Aktenlage von einer ordnungsgemäßen Messung auszugehen ist, ist es, wie sich gelegentlich zeigt, gerade nicht auszuschließen, dass sich dies u.a. durch Vernehmung des Messbeamten in der Hauptverhandlung ausnahmsweise anders darstellt.

Im Übrigen wäre es inkonsequent, wenn nun von einer zu erwartenden sicheren Verurteilung ausgegangen würde, wenngleich mit Beschluss vom 12.04.2023 dem Antrag des Verteidigers auf Überlassung von Beweismitteln teilweise stattgegeben und darüber hinaus ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass weitere, vom Verteidiger aufgeworfene Fragen, in der Hauptverhandlung zu klären seien. Zu diesem Beschluss mit dieser Begründung wäre es allerdings nicht gekommen, wenn die Verwaltungsbehörde dem Gericht mitgeteilt hätte, dass der Bußgeldbescheid aufgehoben und das Verfahren eingestellt worden ist. Deshalb wird dringend angeraten, dem Gericht zukünftig zeitnah eine erfolgte Verfahrenseinstellung  mitzuteilen, wenn dort (lediglich) ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung in derselben Sache anhängig ist.

Auf die Frage, ob die Verwaltungsbehörde ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat, kommt es mangels Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nicht an.“

Eine schöne Entscheidung, die hinsichtlich der Auslagenerstattung in diesen Fällen noch einmal ins Gedächtnis ruft, dass es sich die Verwaltungsbehörde manchmal doch recht einfach machen, wenn es um die Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen auf die Staatskasse nach einer Einstellung geht. „Übersehen“ wird nämlich häufig, dass in der Regel die Staatskasse diese zu tragen hat und sie nur in Ausnahmefällen dem Betroffenen selbst auferlegt werden können. Dieses „Regel-Ausnahme-Verhältnis“ wird von den Verwaltungsbehörden „gern“ umgekehrt. Treffend ist in dem Zusammenhang der Hinweis des Gerichts auf eine potentielle Widersprüchlichkeit, wenn man im Rahmen der Auslagenerstattung von einer sicheren Verurteilung des Betroffenen ausgeht, dem aber im Vorverfahren die Einsicht und das Zurverfügungstellen weiterer Unterlagen zur Überprüfung der Messung zugebilligt hat. So sicher war die Verurteilung dann wohl doch nicht.

Treffend übrigens auch das „Dankeschön“ des betroffenen Kollegen 🙂

Ob die Frage der Zulässigkeit der Rücknahme dahinstehen konnte, ist letztlich egal, da es am Ergebnis nichts ändert.