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Pflichti I: Nochmals nachträgliche Beiordnung, oder: Nach neuem Recht auf jeden Fall

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So, heute dann ein Tag mit Pflichtverteidigungsentscheidungen. Da hat sich in den letzten Wochen einiges angesammelt.

Und ich eröffne mit diesem Posting zur Frage der nachträglichen Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Da „spielt derzeit die Musik“. Und ich komme in dem Zusammenhang zunächst zurück auf den AG Detmold, Beschl. v. 06.03.2020 – 2 Gs 514/20 (vgl. dazu: Pflichti I: Zeitpunkt der Bestellung, oder: Wer schweigt, braucht keinen Pflichtverteidiger). 

Der Kollege Senol, der mit den AG Detmold-Beschluss geschickt hatte, ist gegen die Entscheidung in die sofortige Beschwerde gegangen und hat nun – wie für mich nicht anders zu erwarten -Recht bekommen. Das LG Detmold hat den AG-Beschluss im LG Detmold, Beschl. v. 05.05.2020 –  23 Qs 31/20 – aufgehoben und den Kollegen beigeordnet:

Die Beschwerde ist auch begründet, da die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung vorliegen, §§ 140 Abs. 1 Nr. 1 und Nr.2, 141 Abs. 1 StPO. Nach § 141 Abs.  1 StPO ist dem Beschuldigten in den Fällen der notwendigen Verteidigung, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn der Beschuldigte dies ausdrücklich beantragt.

1. Es handelt sich gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO um einen Fall notwendiger Verteidigung. Gegen den Beschuldigten wird wegen einer sexuellen Nötigung bzw. einer Vergewaltigung, also wegen eines Verbrechens i.S.v. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO ermittelt. Hierfür wäre für den Fall der Anklageerhebung das Schöffengericht oder das Landgericht nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO zuständig.

2. Der Tatvorwurf ist dem Beschuldigten eröffnet worden. Nach den Gesetzgebungsmaterialien, die Art. 2 Abs. 1 RL 2013/48/EU über Rechtsbeistand in Strafverfahren und Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls (RL 2013/48/ElJ v. 22.10.2013, ABI. Nr. L 294 S. 1) in Bezug nehmen, ist dies der Fall, wenn der Beschuldigte von dem gegen ihn gerichteten Tatverdacht erfährt. Hier wurde der Beschuldigte von dem Vorwurf der Vergewaltigung amtlich in Kenntnis gesetzt. So sind die Geschäftsräume des Beschuldigten in der PP. aufgrund des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Detmold vom 18. Februar 2020 am selben Tage durchsucht worden. Ausweislich des Durchsuchungsberichts (BI. 54 d.A.) war der Beschuldigte bei der Durchsuchung zugegen, wurde über den Durchsuchungsbeschluss in Kenntnis gesetzt und als Beschuldigter belehrt.

3. Es liegt ein ausdrücklicher Antrag des Beschuldigten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers vor. Durch Schreiben vom 3. März 2020 hat sein Verteidiger Senol die Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt und die Niederlegung des Wahlmandats für den Fall der Beiordnung angekündigt. Dieses Schreiben ist dem Sinn und Zweck nach als eigener Antrag des Beschuldigten auf eine Pflichtverteidigerbestellung auszulegen.

4. Soweit § 141 Abs. 1 StPO des Weiteren voraussetzt, dass der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Antragstellung noch keinen Verteidiger hat, gilt — insofern gleichbleibend zu § 141 StPO a.F. — dass diesem Erfordernis Genüge getan ist, wenn der Wahlverteidiger sein Wahlmandat im Moment der Bestellung niederlegt (für § 141 StPO a.F. MüK0StPO/Thomas/Kämpfer, 1. Aufl. 2014, StPO § 141 Rn. 4; für §S 141 StPO in der Fassung vom 10. Dezember 2019 BeckOK StPO/Krawczyk, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 141 Rn. 2).

5. Ein darüber hinausgehender eigener Ermessungsspielraum hinsichtlich des Zeitpunkts der Pflichtverteidigerbestellung ist angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht gegeben. Danach ist dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger unverzüglich nach Antragstellung zu bestellen. Soweit dies gemäß § 141 Abs. 1 Satz 2 StPO spätestens vor einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung zu geschehen hat, stellt dieses nur den spätesten Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung dar, begründet aber keine weiteren materiellen Voraussetzungen. Der Vorschrift lässt sich nicht entnehmen, dass die Pflichtverteidigerbestellung unterbleiben soll oder kann, wenn eine Vernehmung oder Gegenüberstellung im Rahmen der weiteren Ermittlungen nicht erfolgt.“

Auf der Linie liegen dann auch:

Allen Einsendern herzlichen Dank – auch im Namen der Kollegen, die mit diesem Problem befasst sind.

„Gebührenrechtliches Doppelverwertungsverbot“ im Bußgeldverfahren, oder: Kommt mir bekannt vor…

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So, heute ist der erste Freitag im neuen Jahr und damit der erste Gebührentag hier im Blog. Und zum Auftakt gibt es den AG Bottrop, Beschl. v. 21.12.2017 – 29a OWi 3531/17 (b), den mir der Kollege Moussa aus Castrop-Rauxel gesandt hat. Entschieden worden ist nach Einstellung des Bußgeldverfahrens über die Auslagen des Betroffenen. Der Kollege hatte die Mittelgebühren angesetzt. Das AG folgt ihm, die Stadt Bottrop hatte das noch anders gesehen:

Die Mittelgebühren der Rahmen der Nrn. 5100. 5103 und 5115 der Anlage 1 zum RVG (Vergütungsverzeichnis) waren erstattungsfähig. Gemäß § 14 Abs. 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit. der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens-und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen.

Nach dieser Maßgabe war es nicht unbillig, die jeweilige Mittelgebühr anzusetzen.

Wegen des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit war zu berücksichtigen, dass die Akte zwar nicht umfangreich. der Verteidiger jedoch nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage die Bußgeldbehörde auf den Umstand, dass zwischenzeitlich Verfolgungsverjährung eingetreten war, hingewiesen hat. Die Schwierigkeit der Sache ist als Straßenverkehrsordnungswidrigkeit in jeder Hinsicht als durchschnittlich zu bewerten. Im Hinblick auf die Bedeutung der Angelegenheit kommt der (geringen) Höhe der im Bußgeldbescheid verhängten Geldbuße (EUR 75,00) keine eigenständige Bedeutung zu. Dies gilt sowohl bei der Bemessung der Grundgebühr (Nr. 5100 VV-RVG), deren Rahmen ausdrücklich nicht an die Höhe der Geldbuße gekoppelt ist. Gleiches gilt für die Gebühren gemäß Nr. 5103 und 5115 VV-RVG. Denn die Höhe der Geldbuße ist schon Anknüpfungspunkt für die Frage, aus welcher Stufe der Rechtsanwalt seine Gebühren berechnet („gebührenrechtliches Doppelverwertungsverbot). Die (schon) durchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit für den Betroffenen rührt insbesondere daraus. dass ihm wegen der vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit eine Eintragung von einem Punkt in das Verkehrszentralregister drohte , das mittlerweile ab einer Punkteanzahl von vier Punkten eine Ermahnung sowie den Hinweis auf die Durchführung eines Fahreignungsseminars sowie ab acht Punkten die Entziehung der Fahrerlaubnis vorsieht. Mangels näherer Angaben ist von durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Betroffenen auszugehen.“

Das mit dem „gebührenrechtlichen Doppelverwertungsverbot“ kommt mir bekannt vor 🙂 .