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OWi III: Prozessverschleppungsabsicht und Kostenrisiko, oder: Das OLG Hamm hält, was kaum zu halten ist

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Als dritte Entscheidung dann der OLG Hamm, Beschl. v. 28.05.2024 – III-4 ORbs 94/24. Das OLG nimmt zu Verfahrensrügen des Verteidigers Stellung, na ja, wenn man die weitgehende Bezugnahme auf die Stellungnahme der GStA so sehen will. Ich habe mit der Entscheidung erhebliche Probleme.

Folgender Sachverhalt: Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 320,- EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Die Messung erfolgte durch Nachfahren mittels ProVida 2000 Modular.

Im Verfahren ist unstreitig geblieben, dass das Inaugenschein genommene Messvideo ein „Ruckeln“ beim Abspielen aufwies. Gestritten hat man darüber, ob aufgrund des Abspielfehlers die unzulässige Annäherung an das gemessene Fahrzeug nicht nachprüfbar ist und ggf. durch Bedienungsfehler kein standardisiertes Messverfahren mehr gegeben ist oder ob das „Ruckeln“ den Nachweis der ordnungsgemäßen Messung nicht beeinträchtigt habe. Einen Beweisantrag auf Vernehmung eines technischen Sachverständigen hat das AG  gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurück. Dies ist nur damit begründet worden, dass die Einholung des Sachverständigengutachten „zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich“ sei.

Der Betroffene beantragte darauf hin, Aussetzung der Hauptverhandlung, um einen Privatsachverständigen zu beauftragen. Den Aussetzungsantrag hat er insbesondere mit der kostenrechtlichen Rechtsprechung zur Erstattung von Privatsachverständigenkosten begründet, die eine vorherige Ausschöpfung des Prozessrechts verlange. Das AG hat die Aussetzung ebenfalls nur damit abgelehnt, dass die „zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich“ sei.

Der Betroffene hat den Amtsrichter daraufhin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Auch die zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufene Richterin ist wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden, nachdem sie angekündigt hatte, sie werde über das Ablehnungsgesuch binnen 20 Minuten entscheiden. Das Ablehnungsgesuch gegen sich selbst verwarf die Richterin als unzulässig wegen beabsichtigter Prozessverschleppung.

Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Ich will hier nur auf die Ausführungen des OLG zu den Verfahrensrüge eingehen, die Ausführungen zur Sachrüge kann man sich schenken. Das ist das Übliche, was OLgs so schreiben. Das OLG führt aus:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 25. April 2024 zu der Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 11. Januar 2024 Folgendes ausgeführt:

….

„(1) Es liegt nicht der Revisionsgrund des § 338 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO durch die Mitwirkung der Richterin am Amtsgericht R 1 an der Entscheidung. über das Ablehnungsgesuch gegen Richter R 2 vor. Soweit Richterin am Amtsgericht R 1 das gegen sie gerichtete Ablehnungsgesuch gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig jedenfalls nicht auf einer willkürlichen oder die Anforderung des Artikel 101 Abs. 1 S. 2 / GG grundlegend verkennenden Rechtsanwendung beruht (zu vgl. BGH St 50, 216). Mit Blick auf das vorangegangene prozessuale Verhalten des Betroffenen, der erklärterweise eine Aussetzung des Verfahrens erstrebte, erscheint die durch die abgelehnte Richterin angenommene Verschleppungsabsicht jedenfalls nicht fernliegend. Darüber ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass das von dem Betroffenen angestrebte Privafsachverständigengutachten bereits mit Schriftsatz vom 23.02.2023 (BI. 48 d. A.), mithin ein Jahr zuvor, angekündigt wurde.

Auch hinsichtlich des abgelehnten Richters R 2 erfolgte die Zurückweisung des Ablehnungsgesuches des Betroffenen zu Recht. Ein Ablehnungsgrund kommt dem Betracht, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind, in den Augen eines vernünftigen Angeklagten Misstrauen in die Unparteilichkeit bestimmter Richter zu rechtfertigen (zu vgl BGH St 4, 264). Vor diesem Hintergrund war allein die aus Sicht des Betroffenen zu kurze Bedenkzeit des erkennenden Richters über seinem Beweisantrag nicht der Fall. Die kurze Bedenkzeit über einen regelmäßig in Hauptverhandlungen gestellten Beweisantrag ist ohne weiteres auf eine entsprechende Sitzungsvorbereitung zurückzuführen und nicht auf eine eventuelle Unparteilichkeit. Entsprechendes gilt auch für die behauptete kurze Bedenkzeit hinsichtlich des gestellten Aussetzungsantrages, zumal den Akten zu entnehmen ist, dass das angestrebte Privatgutachten bereits ein Jahr vor der Hauptverhandlung dem Betroffenen in Erwägung gezogen worden ist.

(2) In der Zurückweisung der Befangenheitsanträge liegt keine Verletzung des verfassungsrechtlich verwirkten Anspruchs auf rechtliches Gehör. Einer Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nur dann gegeben, wenn die erlassene Entscheidung des Tatrichters auf einem Verfahrensmangel beruht, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigen des Sachvortrages der Partei hat (zu vgl. BVerfG NJW 1992, 2811; OLG Hamm, NZV 2008, 417). Der Betroffene hat in einem gerichtlichen Bußgeldverfahren ein Anspruch darauf, Befangenheitsanträge gegen die amtierenden Richter anbringen zu können, sowie darauf, dass diese zur Kenntnis genommen, in Erwägung gezogen und nach Recht und Gesetz beschieden werden. Das rechtliche Gehör ist verletzt, wenn die erlassene Entscheidung auf einem Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und der Nichtberücksichtigen solcher- Ausführungen des Betroffenen hat. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Zwar ist das Amtsgericht Paderborn der grundsätzlich bestehenden Verpflichtung, die gemäß § 26 Abs. 3 StPO abgegebene dienstliche Äußerung der abgelehnten Richterin R 1 vor Zurückweisung des Ablehnungsgesuches dem Betroffenen zur Kenntnis zu geben und ihm nach § 33 Abs. 2 und 3 StPO Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (zu vgl. BVerfG 24, 56, 62; BGH St 21, 85, 87), nicht nachgekommen. Das Urteil beruht jedoch auf diesem Fehler nicht. Die dienstliche Äußerung der abgelehnten Richterin war hier entbehrlich, da die dem Ablehnungsgesuch zugrundeliegenden Tatsachen eindeutig feststanden (zu vgl. BGH, NStZ 2008, 117 m. w. N.). Da die dienstliche Äußerung gemäß § 26 Abs. 3 StPO allein der weiteren Sachaufklärung dient, ist sie verzichtbar, wenn der Sachverhalt bereits geklärt ist.

(3) Soweit der Betroffene in seiner Beschwerdeschrift die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Ablehnung eines Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung erhoben hat, liegt eine solche ebenfalls nicht vor.

In der Ablehnung des Beweisantrages liegt keine Verletzung des verfassungsrechtlich verwirkten Anspruchs auf rechtliches Gehör. Zwar kann in der vorliegend als rechtfehlerhaft gerügten Ablehnung eines Beweisantrages durch das Amtsgericht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegen. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn ein Beweisantrag durch das Tatgericht ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Begründung zurückgewiesen wird und die Entscheidung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und als willkürlich angesehen werden muss (zu vgl. BVerfG, NJB, 1992, 2811). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Das Amtsgericht Paderborn hat den in Rede stehenden Beweisantrag der Verteidigung zur Kenntnis genommen und mit nachvollziehbaren Erwägungen im Rahmen seiner bestehenden, gemäß § 77 OWiG modifizierten Aufklärungspflicht beschieden. Das Amtsgehöht Paderborn hat nach der durchgeführten Beweisaufnahme den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Ordnungsgemäßheit der Anwendung des verwendeten standardisierten Messverfahrens rechtsfehlerfrei gemäß § 77 Abs. 2 OWiG i. V. m. § 244 Abs. 3 S. 2 StPO abgelehnt. Das Amtsgericht hat zu den Umständen und zur Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung bereits die Zeugen PHK L. und PHK K. vernommen und die wesentlichen Inhalte des Eichscheins, des Auswertefeldes und der Schulungsnachweise bekannt gegeben und das Messvideo in Augenschein genommen, ohne das sich – auch unter Berücksichtigung der in den Urteilgründen dargestellten „ruckeln“ des Messvideos – durchgreifende Anhaltpunkte für eine fehlerhafte Eichung, fehlerhafte Bedienung oder sonstige Fehlerhaftigkeit des eingesetzten standardisierten Messverfahrens ergeben hätten. Für die Frage, ob eine weitere Beweiserhebung erforderlich war, ist es nicht zu entscheiden, welche Vorstellung der Betroffene vom bisherigen Beweisergebnis hat, sondern wie sich dieses den Tatrichter darstellen musste (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 13.09.2012, III- 1 Ss OWi 112/12, BeckRS 2012, 20462).“

Der Rechtsbeschwerde ist daher der Erfolg zu versagen.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung. Die Gegenerklärung des Betroffenen vom 13. Mai 2024 gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.

Lediglich ergänzend ist Folgendes anzumerken:

(1) Es verbleibt auch unter Berücksichtigung der neuerlichen Ausführungen des Betroffenen dabei, dass der Revisionsgrund des § 338 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO durch die Mitwirkung der Richterin am Amtsgericht R 1 an der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gegen Richter R 2 nicht vorliegt. Auch bei strenger Beachtung der tatbestandlichen Voraussetzungen hat die abgelehnte Richterin am Amtsgericht R 1 die Grenzen des § 26a StPO (i.V.m. § 46 OWiG) nicht überschritten. Diese hat ihre Überzeugung von der dem weiteren Befangenheitsantrag zugrundeliegenden Verschleppungsabsicht rechtsfehlerfrei aus dem Befangenheitsantrag selbst sowie der Verfahrenssituation gewonnen. Zur Richterin „in eigener Sache“ ist sie dadurch nicht geworden. Dabei kam sie zur Begründung der Prozessverschleppungsabsicht nicht umhin, das dem Befangenheitsantrag vorausgegangene Geschehen und damit auch eigenes Verhalten seit ihrer Befassung mit dem ersten Ablehnungsgesuch gegen Richter R 2 zu schildern. Selbst wenn man dies anders bewerten wollte, wäre jedenfalls der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO nicht gegeben, weil jedenfalls —wie bereits die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend angeführt hat — eine willkürliche oder offensichtlich unhaltbare Anwendung des § 26a StPO nicht gegeben ist (vgl. dazu BGH, Beschluss v. 08.07.2009 – 1 StR 289/09 -, juris). Auch nach den dann anzuwendenden Beschwerdegrundsätzen ist die Entscheidung sodann rechtlich nicht zu beanstanden, weil angesichts des Prozessgeschehens und der Verfahrenssituation offensichtlich ist, dass durch das weitere Ablehnungsgesuch gegen die zur Entscheidung über das erste Ablehnungsgesuch gegen Richter R 2 berufene Richterin am Amtsgericht R 1 das Verfahren nur verschleppt werden sollte. Dabei war für den Verteidiger klar erkennbar, dass sich die Richterin den gesetzlichen Vorgaben entsprechend mit dem Ablehnungsgesuch gegen Richter R 2, dessen dienstlicher Stellungnahme sowie der Gegenerklärung auseinandergesetzt hat und ihm lediglich einen möglichen Entscheidungszeitpunkt in Aussicht gestellt hat. Angesichts dessen ist auch vor dem Hintergrund des gesamten Prozessverhaltens offensichtlich, dass durch das maßgeblich auf den kurzfristig angekündigten möglichen Entscheidungszeitpunkt gestützte Ablehnungsgesuch nur das Verfahren verschleppt werden sollte.

(2) In der Ablehnung des Beweisantrags des Betroffenen auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Ordnungsmäßigkeit der Geschwindigkeitsmessung liegt keine Verletzung des verfassungsrechtlich verwirkten Anspruchs auf rechtliches Gehör und keine Aufklärungspflichtverletzung des Amtsgerichts. Insoweit wird vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat in der Folge auch den Aussetzungsantrag des Betroffenen zum Zwecke der Einholung eines Privatgutachtens rechtsfehlerfrei zurückgewiesen. Dabei ist in den Urteilsgründen ausführlich dargelegt, dass sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch unter Berücksichtigung des kurzzeitigen „ruckelns“ des in Augenschein genommenen Messvideos keinerlei konkrete Anhaltspunkte für Messfehler im Rahmen des standardisierten Messverfahrens ergeben haben. Soweit der Betroffene hinsichtlich des Aussetzungsantrags darauf verweist, ihm bliebe bei Einhaltung entsprechender Vorgaben des Kostenrechts, wonach er zuerst einen Beweisantrag bei Gericht zu stellen habe, der Weg ins Privatgutachten prozessual verwehrt, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Es ist Sache des verteidigungswilligen Betroffenen, die bereitstehenden Daten vor der Hauptverhandlung sachverständig überprüfen zu lassen. Das Kostenrisiko in Bezug auf das Privatgutachten trägt der Betroffene dabei selbst. Nur im Fall des Freispruchs kann etwas Anderes gelten, soweit etwa die Beauftragung eines Privatsachverständigen bereits mit Zustellung des Bußgeldbescheides zur Begründung konkreter Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit einer Messanlage notwendig erscheinen durfte (vgl. KG Berlin, Beschluss v. 12.11.2020 – 3VVs 275/20 – juris; LG Wuppertal, Beschluss v 06 11 2018 – 26 Qs 210/18 juris).“

Das ist in meinen Augen mal wieder eine dieser Entscheidungen, bei denen man den Eindruck hat, dass „gehalten“ werden soll, was an sich nicht zu halten ist. Die „Prozessverschleppungsabsicht ist nicht fernliegend“. Ach so. Das ist mir allerdings neu, dass die bloße Vermutung – „nicht fernliegend“ – reicht. Bisher bin ich davon ausgegangen, dass diese Absicht sicher vorliegen muss, Denn immerhin macht man den Verteidiger ja den Vorwurf der „Prozesssabotage“. Und dann eine ganz hurtige Richterin, die in 20 Minuten entscheidet, aber natürlich „vergisst“ man, die dienstlichen Äußerungen zur Kenntnis zu geben. Alles nicht so schlimm.

Und über die Ausführungen des OLG zum Kostenrisiko beim Privatsachverständigen decken wir mal das „Mäntelchen des Schweigens“. Ob das alles so richtig ist, wage ich zu bezweifeln. Zumal das OLG auch keine Lösung anbietet, wie der Verteidiger das Dilemma lösen soll, dass ihm doch in den Fällen später gern entgegen gehalten wird, dass er ja zunächst mal entsprechenden Anträge bei Gericht hätte stellen können/müssen. Jetzt tut er es und dann setzt man aber nicht aus, sondern verhandelt und sagt dann: Alles viel zu spät, du hättest das Gutachten längst selbst einholen können.

Und was das AG sonst alles noch falsch gemacht hat: Nicht schlimm. Darauf beruht das Urteil nicht. Man kann  nur den Kopf schütteln, wenn man das alles liest, zum Teil nur in der in Bezug genommenen Stellungnahme der GStA.

StPO I: Befangenheitsantrag, oder: „Unverzüglich“ heißt nicht „sofort“

entnommen wikimedia.org
Urheber Ulfbastel

Als erste Entscheidung des Tages, der heute StPO-Entscheidungen des BGH „gewidmet“ ist, stelle ich den BGH, Beschl. v. 21.07.2020 – 5 StR 236/20 – vor.

Ergangen ist er nach einem Ablehnungsverfahren. Das LG hate einen „Befangenheitsantrag“ des Verteidigers als unzulässig, weil nicht „unverzüglich“ gestellt, zurückgewiesen (§ 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO). Der BGH sieht das anders:

„2. Die Revision rügt aber in zulässiger Weise zu Recht, dass der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO vorliegt. Bei dem angegriffenen Urteil hat ein Richter mitgewirkt, nachdem ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch unter Verletzung von § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO in unvertretbarer Weise verworfen worden ist.

a) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:

Die Hauptverhandlung war auf drei Verhandlungstage angesetzt, zu denen alle Verfahrensbeteiligten und die psychiatrische Sachverständige geladen wurden. Bereits Monate vorher hatte die Sachverständige zwei vorbereitende schriftliche Gutachten erstellt (Umfang 23 und 29 Seiten). Am ersten Hauptverhandlungstag wurde der Angeklagte vernommen, anschließend wurden bis in den Nachmittag sechs Zeugen gehört. Für den zweiten Hauptverhandlungstag waren ursprünglich wiederum sechs Zeugen geladen. Wie sich aus einer Mitteilung von diesem Tag ergab, konnte eine für mittags geladene Zeugin den Termin nicht wahrnehmen. Die psychiatrische Sachverständige erstattete zunächst bis 12.55 Uhr ihr Gutachten. Anschließend wurden weitere Zeugen und danach wieder die Sachverständige gehört. Sie wurde um 15.17 Uhr entlassen. Nunmehr verlas der Vorsitzende den Bundeszentralregisterauszug, die Beweisaufnahme wurde geschlossen.

Der Vorsitzende teilte mit, dass noch am selben Hauptverhandlungstag plädiert werden solle. Es folgte zwischen Gericht und Verteidigung ein Disput darüber, ob noch an diesem Tag plädiert werden könne und wieviel Zeit für die Vorbereitung des Plädoyers notwendig sei. Gemäß dem Antrag der Staatsanwaltschaft wollte der Vorsitzende eine Unterbrechung von 30 Minuten zur Vorbereitung der Plädoyers gewähren. Damit war der Verteidiger des Angeklagten nicht einverstanden und erhob Gegenvorstellung. Er erklärte, dass er für seine Vorbereitung aufgrund des Umfangs der Hauptverhandlung und insbesondere des psychiatrischen Gutachtens deutlich mehr Zeit benötige.

Anschließend wurde um 15.20 Uhr die Hauptverhandlung für 30 Minuten unterbrochen. Unmittelbar nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung stellte der Verteidiger für den Angeklagten ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden und begründete dies sinngemäß damit, dass der Verteidigung angesichts des Umfangs der Beweisaufnahme und der Bedeutung der Sache mit 30 Minuten ein zu kurzer Zeitraum für die Vorbereitung ihres Plädoyers eingeräumt worden sei. Die Gewährung von mehr Vorbereitungszeit würde nicht zu Verzögerungen führen, weil noch ein weiterer Hauptverhandlungstermin anberaumt sei. Zudem habe das Gericht mit dieser Planung gezeigt, dass es an einer Vernehmung der nicht erschienenen Zeugin nicht interessiert sei, obgleich diese für die Feststellung eines bestimmten verfahrensrelevanten Geschehens unverzichtbar sei.

Das Gericht lehnte den Befangenheitsantrag unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO mit der Begründung ab, der Ablehnungsantrag sei verspätet. Er sei nicht unverzüglich gestellt oder angekündigt worden, nachdem der Vorsitzende mitgeteilt habe, dass am selben Tag plädiert werden solle. Auch eine Frist zur Beratung mit dem Angeklagten oder zur Überlegung sei nicht eingefordert worden. Stattdessen sei der Befangenheitsantrag erst nach der Unterbrechung der Hauptverhandlung gestellt worden. Anschließend erhielten Staatsanwaltschaft, Verteidiger und Angeklagter Gelegenheit zu Ausführungen. Das Gericht sprach sodann noch an diesem Hauptverhandlungstag das Urteil, ohne dass der Verteidiger plädiert hatte.

b) Der Beschwerdeführer rügt nach § 338 Nr. 3 StPO zu Recht, dass ein Ablehnungsgesuch gegen den am Urteil mitwirkenden Vorsitzenden Richter mit Unrecht verworfen worden ist.

aa) Die Rüge einer Verletzung von § 338 Nr. 3 StPO ist zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Der Angeklagte hat nicht nur den Ablehnungsantrag und den darauf folgenden Beschluss der Strafkammer mitgeteilt, sondern aus seinem Vortrag ergibt sich auch, dass der abgelehnte Richter an dem Beschluss nach § 26a Abs. 1 StPO sowie am Urteil mitgewirkt hat (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 – 4 StR 461/08). Die Rüge, sein Ablehnungsgesuch sei im Sinne von § 338 Nr. 3 StPO zu Unrecht als unzulässig verworfen worden, beinhaltet vorliegend auch die Beanstandung, dass das Gericht im falschen Verfahren (§ 26a StPO statt § 27 StPO), mithin durch den abgelehnten Richter (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 – 4 StR 461/08) entschieden hat.

bb) Die Rüge ist begründet.

(1) Ein Ablehnungsgesuch ist auch dann im Sinne von § 338 Nr. 3 StPO „mit Unrecht verworfen“, wenn die unter Mitwirkung des abgelehnten Richters beschlossene Verwerfung gemäß § 26a StPO als unzulässig auf einer willkürlichen oder die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennenden Rechtsanwendung beruht; auf die sachliche Berechtigung der Ablehnungsgründe kommt es in diesem Fall nicht an (grundlegend BGH, Beschluss vom 10. August 2005 – 5 StR 180/05, BGHSt 50, 216 im Anschluss an BVerfG, NJW 2005, 3410 unter Aufgabe früherer Rechtsprechung). Ist ein Ablehnungsgesuch unter Mitwirkung des abgelehnten Richters (§ 26a Abs. 2 Satz 1 StPO) als unzulässig verworfen worden, darf das Revisionsgericht sich demnach nicht darauf beschränken, die Begründetheit des Ablehnungsgesuchs nach Beschwerdegrundsätzen (§ 28 Abs. 2 StPO) zu prüfen; vielmehr muss das Revisionsgericht zunächst darüber entscheiden, ob die Grenzen der Vorschrift des § 26a StPO, die den gesetzlichen Richter gewährleistet, eingehalten wurden (vgl. BGH, aaO, S. 219, und BVerfG aaO). Jedenfalls bei einer willkürlichen oder die Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erheblich missachtenden Überschreitung des durch § 26a StPO abgesteckten Rahmens hat das Revisionsgericht – eine ordnungsgemäße Rüge des Verfahrensfehlers gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 vorausgesetzt – das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Tatgericht zurückzuverweisen (vgl. BGH und BVerfG aaO).

Willkür in diesem Sinne liegt vor, wenn die Entscheidung des Gerichts auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts beruht und daher in der Sache offensichtlich unhaltbar ist. Ebenso zu behandeln ist der Fall, dass das Gericht bei der Rechtsanwendung Bedeutung und Tragweite des von der Verfassung garantierten Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) grundlegend verkennt. Ob ein solcher Fall vorliegt, kann nur anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (BGH, aaO, S. 219 f.).

Dieser Maßstab gilt nicht nur für die Anwendung von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO, sondern auch für die Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs als unzulässig wegen Verspätung nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO (BGH, Beschluss vom 27. August 2008 – 2 StR 261/08, NStZ 2009, 223) und Verschleppungsabsicht nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 2019 – 5 StR 143/18, NStZ-RR 2019, 120, sowie bereits BGH, Beschluss vom 10. August 2005 – 5 StR 180/05, aaO).

(2) Die Ablehnung des Befangenheitsantrags des Angeklagten als verspätet im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO war in diesem Sinne willkürlich.

Gemäß § 25 Abs. 2 Nr. 2 StPO sind während laufender Hauptverhandlung eintretende Befangenheitsgründe unverzüglich geltend zu machen. Dies bedeutet nicht „sofort“, sondern „ohne schuldhaftes Zögern“ (BGH, Beschluss vom 6. März 2018 – 3 StR 559/17, NStZ 2018, 610 mwN). Trotz des dabei anzulegenden strengen Maßstabes (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. April 2006 – 3 StR 429/05, NStZ 2006, 644; vom 6. Mai 2014 – 5 StR 99/14, NStZ 2015, 175; Urteil vom 10. November 2015 – 5 StR 303/15) ist dem ablehnungsbefugten Angeklagten Zeit zur Überlegung, zur Besprechung mit seinem Verteidiger und zur Abfassung des Gesuchs einzuräumen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 29. März 2012 – 3 StR 455/11, NStZ-RR 2012, 211; Beschlüsse vom 6. Mai 2014 – 5 StR 99/14, aaO; vom 8. Juni 2016 – 5 StR 48/16; vom 6. März 2018 – 3 StR 559/17, aaO, S. 611). Welche Zeitspanne dafür zuzubilligen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BGH, Beschluss vom 6. März 2018 – 3 StR 559/17, aaO mwN). Diese Frist ist dem Angeklagten von Gesetzes wegen eingeräumt; eines diesbezüglichen Antrags bedarf es nicht.

Diese Maßstäbe hat die Strafkammer bei ihrer Entscheidung verfehlt. Der Verteidiger des Angeklagten war erst unmittelbar vor der Unterbrechung der Hauptverhandlung mit seiner Gegenvorstellung erfolglos geblieben. Dies war für den Angeklagten der wesentliche Grund für den Befangenheitsantrag. Die 30-minütige Unterbrechungspause durfte der Angeklagte zur Überlegung, Besprechung mit seinem Verteidiger und Formulierung des Antrags nutzen. Das Befangenheitsgesuch wurde unmittelbar nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung und demnach offensichtlich unverzüglich angebracht.

Im vorliegenden Fall war die Auslegung des gesetzlichen Begriffs „unverzüglich“ unhaltbar. Schon nach der gesetzlichen Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB bedeutet er „ohne schuldhaftes Zögern“, aber nicht „sofort“. Dass dem Angeklagten nach dem die Besorgnis der Befangenheit aus seiner Sicht begründenden Ereignis eine zumindest kurze Zeit für die Überlegung, Besprechung mit seinem Verteidiger und Abfassung des Antrags einzuräumen ist, ist seit vielen Jahren in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt. Indem dem Angeklagten unter Mitwirkung des wegen zu zügiger Verhandlungsführung abgelehnten Vorsitzenden jede Überlegungs-, Besprechungs- und Abfassungszeit in unvertretbarer Weise abgesprochen wurde, wurde § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO letztlich willkürlich angewendet.

cc) Auch wenn es demnach auf die inhaltliche Prüfung des Ablehnungsgesuchs nicht ankommt, sieht der Senat Anlass für den Hinweis, dass bei einem Verfahren wie dem vorliegenden angesichts des Gewichts der drohenden Rechtsfolge (unbefristete Unterbringung nach § 63 StGB) die Zeit für die Vorbereitung der Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung nicht zu knapp bemessen werden darf, gerade wenn der Sachverständige erst kurz zuvor die Erstattung des entscheidenden Gutachtens beendet hat und angesichts vorausschauender Terminierung keine Zeitnot besteht. Ein „kurzer Prozess“ wäre bei einer solchen Sachlage verfehlt.

dd) Ein sonstiger Ablehnungsgrund nach § 26a Abs. 1 StPO liegt nicht auf der Hand, insbesondere nicht derjenige nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO (vgl. zum Austausch der Ablehnungsgründe innerhalb des § 26a Abs. 1 StPO BGH, Beschlüsse vom 25. April 2006 – 3 StR 429/05, NStZ 2006, 644; vom 10. Juni 2008 – 5 StR 24/08, NStZ 2008, 578; vom 2. Juli 2013 – 2 StR 631/12, NStZ-RR 2013, 314 [Ls.]). Einer Glaubhaftmachung der Ablehnungsgründe und der Voraussetzungen rechtzeitigen Vorbringens nach § 26 Abs. 2 Satz 1 StPO bedurfte es entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts vorliegend nicht, weil diese dem Gericht ohnehin bekannt waren (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl., § 26 Rn. 6 mwN).“

 

Fazit: Es muss zwar schnell gehen, aber so schnell, wie das LG gemeint hat, dann eben doch nicht. Eine angemessene /kurze Zeit zum Überlegen hat der Angeklagte. Wobei: Der begriff ist so schwammig, dass man nur raten kann: So schnell wie möglich.

StPO I: Unzulässiger Ablehnungsantrag, oder: Wenn der Angeklagte keinen Bock auf die Hauptverhandlung hat

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Am Montag hatte ich einen „Ablehnungstag“, heute gibt es einen „StPO-Tag“, den ich im Nachgang zum „Ablehnungstag“ mit einer weiteren „Ablehnungsentscheidung“ des BGH eröffnen, und zwar mit dem BGH, Beschl. v.  28.04.2020 – 5 StR 504/19.

Es geht um das Ablehnungsverfahren. Die Strafkammer hatte den Ablehnungsantrag des Angeklagten als unzulässig zurückgewiesen. Begründung: Das Ablehnungsgesuch des Angeklagten sei wegen Verschleppungsabsicht nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO unzulässig.

Der BGH hält diese Begründung:

„a) Ein Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen der §§ 26a, 27 StPO führt nämlich nicht stets, sondern nur dann zu einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn die Vorschriften willkürlich angewendet werden, weil der abgelehnte Richter sein eigenes Verhalten wertend beurteilt, sich also gleichsam zum „Richter in eigener Sache“ macht, oder die richterliche Entscheidung die Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie verkennt (vgl. BVerfG [Kammer], NJW 2005, 3410, 3412; BGH, Beschluss vom 10. August 2005 – 5 StR 180/05, BGHSt 50, 216, 219 f.; Urteil vom 23. Januar 2019 – 5 StR 143/18). Dagegen liegt bei einer „nur“ schlicht fehlerhaften Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften kein Verfassungsverstoß vor (BVerfG, aaO).

b) Der Senat vermag keine willkürliche oder gleichgewichtig grob fehlerhafte Annahme der Voraussetzungen des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO zu erkennen. Vor dem Hintergrund der von der Strafkammer eingeholten Stellungnahmen, wonach zwei Ärzte den Angeklagten trotz eines grippalen Infekts für verhandlungsfähig hielten, der weiteren Untersuchung in der Mittagspause, die einen klinisch unauffälligen Befund ergab (kein Fieber, kein Husten, von einem angeblichen Durchfall habe der Angeklagte nichts berichtet, die JVA habe den Eindruck gewonnen, der Angeklagte habe lediglich keine Lust auf die Verhandlung), des darauf fußenden Eindrucks der Richter, der Angeklagte A.  simuliere in der Hauptverhandlung nur Symptome einer schwereren Erkrankung, des Umstands, dass er mehrere Zeugenvernehmungen durch laute Hustenanfälle gestört und wiederholt mit der Behauptung von Durchfall ihm gewährte Toilettenpausen beantragt sowie Unterbrechungsanträge gestellt hatte, konnte das Gericht vertretbar davon ausgehen, der Befangenheitsantrag solle lediglich der Verzögerung des Verfahrens dienen.“

StPO II: Ablehnungsantrag gegen alle Mitglieder der StK, oder: Nur ausnahmsweise zulässig….

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Die zweite Entscheidung, der BGH, Beschl. v. 19.02.2019 – 3 StR 522/19 -, kommt aus dem Bereich des Ablehungsrechts. Der Angeklagte hatte in einem Verfahren mit dem Vorwurf des Mordes das Schwurgericht insgesamt abgelehnt. Der Antrag war als unzulässig (§ 26a Abs. 2 Satz 1 StPO) zurückgewiesen worden, was der Angeklagte mit der Revision beanstandet hatte. Das hatte beim BGH keinen Erfolg:

„1. Es stellt keinen Rechtsfehler dar, dass die Strafkammer den gegen alle ihre Mitglieder gestellten Ablehnungsantrag gemäß § 26a Abs. 2 Satz 1 StPO unter Beteiligung der abgelehnten Richter als unzulässig verwarf.

Der Angeklagte begründete sein Ablehnungsgesuch damit, dass der Inhalt des Beschlusses, mit dem die Strafkammer die Ablehnung eines Sachverständigen als unbegründet zurückgewiesen hatte, zur Besorgnis der Befangenheit führe. Indes rechtfertigt eine vermeintlich oder tatsächlich rechtsfehlerhafte Vorentscheidung für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit nicht, so dass ein darauf gestütztes Ablehnungsgesuch als unzulässig im Sinne des § 26a StPO verworfen werden kann. Für eine erfolgreiche Ablehnung müssen konkrete Umstände des Einzelfalls hinzutreten, welche die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermögen; diese über die Vorentscheidung hinausreichenden Umstände muss der Antragsteller in seinem Gesuch vortragen und glaubhaft machen. Anhaltspunkte für die Besorgnis der Befangenheit können in dem Verhalten des Richters oder in den Gründen der vorangegangenen Entscheidung gefunden werden (BVerfG, Beschluss vom 27. April 2007 – 2 BvR 1674/06, BVerfGK 11, 62, 74 mwN; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, NStZ 2014, 725, 726 f.; vom 19. April 2018 – 3 StR 23/18, BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 22 Rn. 4, 5; vom 23. Januar 2019 – 5 StR 143/18, NStZ-RR 2019, 120, 121).

Solche Gesichtspunkte waren nicht Gegenstand des Ablehnungsantrags. Dieser wendete sich vielmehr gegen die vom Angeklagten als unzutreffend bewertete Rechtsansicht der Strafkammer, dass es der durchgehenden Anwesenheit des psychiatrischen Sachverständigen in der Hauptverhandlung nicht bedürfe und diesem die relevanten Umstände von der Kammer sowie gegebenenfalls den übrigen Beteiligten mitgeteilt werden könnten. Damit ging es nicht etwa um die Frage, ob die abgelehnten Richter den Sachverständigen tatsächlich ausreichend informierten, sondern darum, ob die Begründung des vorangegangenen Beschlusses rechtsfehlerhaft war. Hierdurch standen eine Beurteilung des eigenen Verhaltens der abgelehnten Richter und mithin eine echte Entscheidung in eigener Sache nicht in Rede.“

„Theaterdonner“ – beim BGH

HammerDer BGH, Beschl. v. 06.05.2014 –   5 StR 99/14 – befasst sich mit einem Ablehnungsgesuch, das vom LG aus formellen Gründen zurückgewiesen worden ist. Zugrunde lag dem Ablehnungsgesuch folgender Sachverhalt: Der Angeklagte hatte die die Entbindung seines Pflichtverteidigers beantragt, weil dieser die Verteidigung des Angeklagten durch Einwirken auf zwei Zeuginnen gegen dessen Willen eingeschränkt und damit das Vertrauensverhältnis schwerwiegend gestört habe. Mit außerhalb der Hauptverhandlung ergangenem und dem inhaftierten Angeklagten formlos per Post übersandten Beschluss wies der Vorsitzende den Entpflichtungsantrag zurück. Die Vorwürfe des Angeklagten lägen neben der Sache, würden dem bisherigen Einsatz des Verteidigers nicht gerecht und stellten sich entsprechend einer durch den Verteidiger in anderem Zusammenhang gebrauchten Formulierung als „Theaterdonner“ dar. Im nachfolgenden Hauptverhandlungstermin lehnte der Angeklagte den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er machte unter anderem geltend, dass der Vorsitzende im Zurückweisungsbeschluss das Wort „Theaterdonner“ aufgegriffen und verwendet habe, als sei damit „glasklar erwiesen“, dass der Verteidiger fair gearbeitet und ihn nicht seiner Rechte beraubt habe.

Das Schwurgericht hat den Befangenheitsantrag unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden als unzulässig gem. § 26a Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO verworfen. Der BGH sagt: So geht es nicht. Das Befangenheitsgesuch hätte nicht nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO abgelehnt werden dürfen.

bb) Diesen Maßstäben wird der Zurückweisungsbeschluss der Schwurgerichtskammer nicht gerecht. Dem Befangenheitsgesuch ist die Besorgnis des Angeklagten zu entnehmen, dass der Vorsitzende das Vorbringen zur Beeinträchtigung seiner Verteidigungsinteressen durch den Pflichtverteidiger nicht ernst nehme („Theaterdonner“) und sich deshalb vorschnell auf die Seite des Genannten gestellt habe. Damit hat er dessen Voreingenommenheit geltend gemacht, ohne dass weitere Ausführungen notwendig gewesen wären. Das durch ein Zitat belegte Ablehnungsgesuch konnte nicht als aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung des Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet angesehen werden. Denn es erforderte eine inhaltliche und keine rein formale Prüfung, ob die Aussage in der gewählten Formulierung aus Sicht eines verständigen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermochte (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006 – 5 StR 154/06, aaO). Weil der abgelehnte Richter die Entscheidung selbst getroffen und damit eine inhalt-liche Bewertung des Ablehnungsgesuchs in Nichtausschöpfung des Gesuchs versagt hat, ist der Anwendungsbereich des § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO in einer Weise überspannt worden, die im Blick auf die Anforderungen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht mehr vertretbar war (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006 – 5 StR 154/06, aaO). Daran vermag nichts zu ändern, dass das Ablehnungs-gesuch ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters gemäß § 27 StPO wohl als unbegründet zu verwerfen gewesen wäre.

Schade, dass der BGH nicht in einem „obiter dictum“ mitteilt, was er denn nun vom Theaterdonner hält.