Corona I: Fälschung von Impf- und Genesenenausweis, oder: Genug Feststellungen zur Beweiserheblichkeit?

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Und dann seit längerem mal wieder etwas zu Corona, und zwar „Aufarbeitungsentscheidungen“. An der „Front“ ist es ja – zum Glück – ruhiger geworden. Aber die ein oder andere Entscheidung gibt es dann doch noch.

Ich stelle zu der Thematik dann heute zunächst den OLG Celle, Eeschl. v. 18.07.2024 – 1 ORs 18/24 – vor. Geht noch einmal um Urkundenfälschung in Zusammenhang mit Impfausweisen u..a.

Folgender Sachverhalt: Das AG hatte den Angeklagten vom Vorwurf der Anstiftung zur Urkundenfälschung und zur Fälschung beweiserheblicher Daten freigesprochen. Auf die dagegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG Stade den Angeklagten wegen Anstiftung zur Urkundenfälschung in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen sowie Anstiftung zur Fälschung beweiserheblicher Daten verurteilt.

Nach den Feststellungen des LG forderte der Angeklagte am 10.05.2021 seine Schwester per Chat-Nachricht dazu auf, drei Impfaufweise für sich, seinen Vater und seine Ehefrau zu bestellen, die Eintragungen über in Wahrheit nicht erfolgte Impfungen gegen Covid-19 enthielten, und überwies ihr dafür insgesamt 450 Euro. Die Schwester des Angeklagten entschloss sich deshalb, die Impfpässe bei der gesondert verfolgten S. O. zu bestellen. Diese beschaffte deshalb die Impfaufweise aus einer unbekannten Quelle.

Außerdem bat im November 2021 seine Schwester darum, ihm einen gefälschten Genesenen-Ausweis zu beschaffen. Diese übersandte ihm daraufhin am 11.11.2021 per E-Mail einen gefälschten Befund eines Labors, der dem Angeklagten einen positiven PCR-Test auf Antikörper für SARS-CoV-2 bescheinigte. Diese Dokumente hatte sie selbst auf ihrem PC erstellt und dafür als Vorlage den Befund einer dritten Person verwendet.

Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg:

„Die Feststellungen des Landgerichts tragen weder den Schuldspruch wegen Anstiftung zur Urkundenfälschung gemäß §§ 267 Abs. 1, 26 StGB noch den Schuldspruch wegen Anstiftung zur Fälschung beweiserheblicher Daten gemäß §§ 269 Abs. 1, 26 StGB. Es fehlt jeweils an vollständigen Feststellungen zu einer entsprechenden Haupttat, die gemäß § 26 StGB Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Anstiftung ist.

1. Hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB erweisen sich die Urteilsfeststellungen in mehrfacher Hinsicht als lückenhaft. Sie belegen weder das Vorliegen einer Urkunde noch ein Auseinanderfallen zwischen dem scheinbaren und dem tatsächlichen Aussteller.

a) Eine Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB ist eine verkörperte Gedankenerklärung, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt war, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und den Aussteller erkennen ließ (st. Rspr.; statt aller BGH, Beschluss vom 14. März 2024 – 2 StR 192/23 –, Rn. 35, juris, m. w. N.).

Ein vollständig ausgefüllter Impfausweis erfüllt diese Voraussetzungen; die vollständigen Angaben ergeben die Erklärung des im Impfausweis aufgeführten Impfarztes, der genannten Person die bezeichnete Impfung an einem bestimmten Tag unter Verwendung eines Vakzins einer bestimmten Charge verabreicht zu haben (BGH, Urteil vom 10. November 2022 – 5 StR 283/22 –, Rn. 36, juris; OLG Celle, Urteil vom 31. Mai 2022 – 1 Ss 6/22 –, Rn. 15, juris).

Ob sich einem Impfausweis eine solche Erklärung entnehmen lässt, muss im Urteil in Bezug auf den jeweiligen Einzelfall festgestellt werden. Es reicht nicht aus, den Inhalt mit reinen Rechtsbegriffen zu umschreiben; erforderlich ist vielmehr eine Beschreibung der jeweiligen Eintragungen, namentlich ob der Impfausweis für eine bestimmte Person ausgestellt wurde und ggf. für welche, ob etwa ein Aufkleber mit einer Chargen-Nummer in dem Impfausweis eingeklebt war und welchen Inhalt dieser gegebenenfalls hatte, ob ein und ggf. welcher Zeitpunkt der angeblich erfolgten Impfung eingetragen wurde, ob ein und ggf. welcher Aussteller der Impfbescheinigung ersichtlich wird (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 22. Juli 2022 – 202 StRR 71/22 –, juris).

b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es beschränkt sich insoweit auf die Feststellungen, dass der Angeklagte „drei Impfausweise“ bei seiner Schwester bestellt habe, diese daraufhin „die gefälschten Impfpässe“ habe beschaffen wollen und die gesondert Verfolgte O. schließlich „die Impfausweise mit den gefälschten Einträgen zu in Wahrheit nicht erfolgten COVID-19 Impfungen“ beschafft habe. Den zur Konkretisierung des Urkundenbegriffs des § 267 Abs. 1 StGB erforderlichen genauen Inhalt dieser Eintragungen hat die Strafkammer hingegen nicht festgestellt.

c) Das Fehlen ausreichender Feststellungen zur Urkundenqualität entzieht auch der weiteren rechtlichen Bewertung der Strafkammer die Grundlage. Da es sowohl an Feststellungen zur Person des Haupttäters als auch zu einem etwaigen scheinbaren Aussteller fehlt, steht namentlich auch die Unechtheit einer eventuellen Urkunde in Frage; nach den Feststellungen ist nicht ausgeschlossen ist, dass es sich zwar um unrichtige, nicht aber um unechte Impfbescheinigungen handelte.

2. Das angefochtene Urteil belegt auch nicht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Fälschung beweiserheblicher Daten gemäß § 269 Abs. 1 StGB bei der Tat aus November 2021erfüllt sind.

Den Feststellungen des Landgerichts lässt sich noch ausreichend entnehmen, dass die gesondert Verfolgte F. als Haupttäterin echte Daten verändert oder falsche Daten gespeichert hat. Denn sie hat entweder die vom Labor Dr. F. erstellte Datei durch Einfügen des Namens des Angeklagten verändert oder anhand dieser Vorlage eine eigene Datei mit dem Namen des Angeklagten erstellt, deren scheinbarer Aussteller das Labor Dr. F. war.

Die Urteilsfeststellungen belegen aber nicht, dass diese Daten auch beweiserheblich waren. Dieses Tatbestandsmerkmal verlangt, dass die Daten geeignet und bestimmt sind, bei einer Verarbeitung im Rechtsverkehr als Beweisdaten für rechtlich erhebliche Tatsachen benutzt zu werden (Zieschang in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 269 StGB, Rn. 11 m. w. N.). Es ist deckungsgleich mit der für den Urkundenbegriff gemäß § 267 StGB erforderlichen Beweisfunktion und ergibt sich deshalb zugleich aus der weiteren Tatbestandsvoraussetzung des § 269 Abs. 1 StGB, dass im hypothetisch gedachten Fall der Wahrnehmung der Daten eine Urkunde vorliegen muss (Zieschang a. a. O.; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, 30. Aufl. 2019, StGB § 269 Rn. 9).

Ebenso wie für Urkunden gilt deshalb, dass einer Datei keine Beweisfunktion zukommt, wenn sie erkennbar als Kopie einer Urkunde erscheint. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die entsprechenden Erklärungen üblicherweise als Original-Papierdokumente ausgegeben werden; ein entsprechendes PDF-Dokument ruft dann im Rechtsverkehr nicht den Eindruck eines Originals hervor, sondern wird lediglich als Reproduktion angesehen (OLG Celle, Urteil vom 15. Dezember 2023 – 1 ORs 2/23 –, Rn. 42, juris, m. w. N.).

Eine revisionsrechtliche Überprüfung, ob der Datei, die von der gesondert Verfolgten F. erstellt wurde, die erforderliche Beweisfunktion zukam, ist dem Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landgerichts nicht möglich. Denkbar ist sowohl, dass im Rechtsverkehr bereits dieser Dateiinhalt – etwa beim Vorzeigen mittels eines Mobiltelefons – als ein vom Institut Dr. F. erstellter Genesenenachweis angesehen worden wäre. Nicht ausgeschlossen ist aber auch, dass die Datei selbst lediglich als – beispielsweise eingescannte – Reproduktion eines vermeintlich in Papierform vorliegenden Originals erschien und nicht die Datei selbst, sondern erst ein Ausdruck im Rechtsverkehr als eine vom Institut Dr. F. erstellte Erklärung angesehen worden wäre. Im zuletzt genannten Fall würde das Erstellen der Datei lediglich eine – straflose – Vorbereitungshandlung zu einer möglichen späteren Herstellung einer unechten Urkunde darstellen.

Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.“

Und dann noch der BayObLG, Beschl. v. 10.07.2024 – 203 StRR 231/24. Von der Entscheidung gibt es aber nur den Leitsatz, der lautet:

Der Gebrauch einer unechten Impfbescheinigung nach dem 24. November 2021 kann eine Urkundenfälschung nach § 267 Abs.1 3. Al. StGB darstellen. Dies gilt auch nach dem Auslaufen des digitalen COVID-Zertifikats. 

Sonntagswitz, heute dann zu den Olympischen Spielen

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Seit Freitagabend laufen die Olympischen Spiele in Paris. Sport ist ja nun nicht unbedingt meins, aber man kommt an dem „Ereignis“ nicht vorbei. Daher sollen sie dann dann auch hier Thema des Sonntagswitzes sein.

Hier kommen dann:

Warum schaut sich Donald Trump die Olympischen Spiele an?

Weil er wissen will, wie hoch die Mexicaner springen.


Kommt Häschen in ein Teppichgeschäft: „Haddu Läufer?“

Antwortet der Verkäufer: „Ja, die haben wir.“

„Muddu zu Olympiade schicken!“


„Nachdem im Olympischen Dorf eingebrochen wurde, fragt der Polizeibeamte vorwurfsvoll einen 100-Meter-Läufer:

„Sie sind doch so ein ausgezeichneter Läufer! Konnten Sie den Einbrecher denn nicht aufhalten?“ 

„Klar“, erwidert der, „ich hab ihn sogar überholt und die Führung behalten. Aber als ich mich dann umdrehte, war er verschwunden!“


Der Präsident liest bei der Eröffnungsrede vom Blatt ab:

„Hiermit erkläre ich die Olympischen Spiele für eröffnet, Null, Null, Null, Null, Null.“

Sein Berater zischt ihm zu: „Das sollten Sie doch nicht mitlesen, das sind die Olympischen Ringe …“

Wochenspiegel für die 30. KW., das war KI, COVIDIOT, LTI 20/20 TruSpeed, Wordle und Freisler

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Und dann wieder vom heimatlichen Herd, der Wochenspiegel, und zwar von der ablaufenden 30. KW. Das waren folgende Beiträge/Hinweise:

  1. KI-Verordnung: sollen die Datenschutzbehörden zuständig sein?
  2. KI im Betrieb – Zwischen Arbeitsrecht und KI-VO

  3. EUIPO: Wort „COVIDIOT“ nicht als Marke eintragungsfähig, da Verstoß gegen die guten Sitten
  4. LG München: Leerverkäufe durch Ticketzweitmarktplattform Viagogo auch unter Hinweis auf beschränkte Verfügbarkeit wettbewerbswidrig
  5. BGH: Bei Werbung mit Sternebewertungsdurchschnitt unter Angabe von Gesamtzahl und Zeitraum ist keine Aufgliederung nach den einzelnen Sterneklassen erforderlich
  6. Arbeitskraft zurückhalten und dennoch Anspruch auf Gehalt haben?

  7. Messabweichungen nachgewiesen: LTI 20/20 TruSpeed vorerst aus dem Verkehr gezogen
  8. OLG Köln zu Google-Streit Auch Google Ireland muss rechtswidrige Suchergebnisse löschen
  9. New York Times vor LG Hamburg Wer darf in Deutschland das Wortspiel “Wordle” vertreiben?
  10. und aus meinem Blog:  StGB III: Richterbeleidigung durch Freislervergleich?, oder: LG Köln eröffnet – nicht nur Meinungsfreiheit?

Fahrtenbuch II: Verkehrsverstoß mit Firmenfahrzeug, oder: Verantwortlichkeit/Dokumentationspficht

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Und dann hier im zweiten Posting zwei weitere Entscheidungen zum Fahrtenbuch, und zwar zum Fahrtenbuch beim Firmenfahrzeug. Dazu gibt es aber nur die Leitsätze. Die Begründungen dann bitte in den verlinkten Volltexten selbst lesen:

Nach ständiger Rechtsprechung obliegt es dem kaufmännischen Halter eines Firmenfahrzeugs, Geschäftsfahrten insoweit längerfristig zu dokumentieren, dass solche Fahrten grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Erinnerung einzelner Personen rekonstruierbar sind und der jeweilige Fahrzeugführer im Einzelfall festgestellt werden kann. Unterbleiben dahingehende Angaben, trägt der betroffene Betrieb das Risiko, dass die fehlende Feststellbarkeit des Fahrers zu seinen Lasten geht und eine Fahrtenbuchauflage erlassen wird.

1. Der Halter bleibt im Zusammenhang mit der Nutzung von Geschäftsfahrzeugen unabhängig von vertraglichen Vereinbarungen im Innenverhältnis nach außen gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern und den Behörden verantwortlich, so dass er sich das Verhalten eines Mitarbeiters zurechnen lassen muss.

2. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage setzt nicht voraus, dass der Halter seine Mitwirkungsobliegenheiten schuldhaft nicht erfüllt hat oder die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers sonst zu vertreten hat.

3. Die Zwei-Wochen-Frist gilt nicht bei Verkehrsverstößen, die – mit einem Firmenfahrzeug eines Kaufmannes im geschäftlichen Zusammenhang begangen worden sind.

4. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage schon bei erstmaliger Begehung eines mit einem Punkt bewerteten Verkehrsverstoßes gerechtfertigt, ohne dass es auf besondere Umstände des Einzelfalles, namentlich die Gefährlichkeit des Verkehrsverstoßes, ankommt.

Fahrtenbuch I: Unmöglichkeit der Feststellung, oder: Brauchbares Frontfoto/Abgleich mit Google-Bildsuche

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Und im „Kessel Buntes“ heute dann zwei Entscheidungen zum Fahrtenbuch (§  31a StVZO).

Zunächst stelle ich hier das VG Berlin, Urt. v. 26.06.2024 – 37 K 11/23 – vor. Gestritten wird um eine Fahrtenbuchauflage. Zugrunde liegt eine mit einem Firmenfahrzeug begangene Geschwindigkeitsüberschreitung – zulässige Geschwindigkeit 50 km/h, gemessen 80 km/h (nach Toleranzabzug). Am Tatort ist eine Geschwindigkeit von 50 km/h zulässig. Auf das Anhörungsschreiben der Polizei im Ordnungswidrigkeitenverfahren teilte  die Klägerin online  mit, dass der Verkehrsverstoß nicht zugegeben werde. Es müsse sich um eine Verwechselung handeln, da sich das Fahrzeug im Zeitpunkt der Messfotoaufnahme 350 m entfernt befunden habe. Angaben zu dem Fahrzeugführer wurden nicht gemacht.

Ein Ermittlungsgesuch, den Geschäftsführer und Kommanditisten der Klägerin vorzuladen und anzuhören, verlief ergebnislos. Eine Mitarbeiterin der Klägerin konnte  keine Hinweise zu dem Führer des Fahrzeugs geben. Das Ordnungswidrigkeitenverfahren wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Dann kommt die Fahrtenbuchauflage, gegen die Widerspruch eingelegt wird. Begründet wird der damit, dass keine rechtsstaatlich verwertbaren Belege und Messergebnisse mit dem Messgerät Vitronic Poliscan FM 1 und der Software 4.4.5 vorlägen. Der wird zurückgewiesen. Dagegen die Klage, die beim VG Berlin Erfolg hatte:

„Die Feststellung des Fahrzeugführers war nämlich im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO nicht unmöglich. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Behörde des Ordnungswidrigkeitenverfahrens nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter des Verkehrsverstoßes zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Die Angemessenheit der Aufklärung richtet sich danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Zu den gebotenen Ermittlungsmaßnahmen gehört regelmäßig in erster Linie die kurzfristig, d.h. möglichst innerhalb von zwei Wochen, erfolgende Benachrichtigung des Halters des mit dem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes, damit der Betreffende die Frage, wer zur Tatzeit das Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten und – bei eigener Täterschaft – gegebenenfalls Entlastungsgründe vorbringen kann (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urteile vom 13. Oktober 1978 – BVerwG VII C 77.74 und 49.77 –, juris Rn. 15 und 18 bzw. 12 und 15; Beschluss vom 25. Juni 1987 – BVerwG 7 B 139.87 –, juris Rn. 2). Art und Umfang ihrer Ermittlungstätigkeit darf die Behörde an den Erklärungen des Halters ausrichten, denn es ist ihr nicht zuzumuten, von sich aus wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. April 1971 – BVerwG VII C 66.70 –, juris Rn. 20, und vom 17. Dezember 1982 – BVerwG 7 C 3.80 –, juris Rn. 7).

Daran gemessen hat der Beklagte nicht die ihr zumutbaren Ermittlungen vorgenommen. Angesichts des Fahrzeugtyps und der Haltereigenschaft der Klägerin als juristische Person des Zivilrechts sowie des guten Frontfotos wäre eine Google-Recherche zu erwarten gewesen. Dem erkennenden Einzelrichter ist es nämlich ohne großen Aufwand, insbesondere ohne Anlegung gesonderter Accounts in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder Xing, möglich gewesen, den Geschäftsführer der Klägerin als Fahrzeugführer zu identifizieren. Es ist schlechterdings nicht vermittelbar, dass die Berliner Polizei bei Ermittlung von Personen nicht diese naheliegende Erkenntnisquelle nutzt, zumal die Verwertbarkeit der Information als allgemein zugängliche Quelle, deren Inhalte regelmäßig konform zur Datenschutzgrundverordnung verfügbar sind, unproblematisch ist. Im vorliegenden Fall konnte schon allein anhand des Firmennamens und des Namens des Geschäftsführers über die Google-Bildsuche der Fahrer identifiziert werden. So wurde beim ersten Zugriff ein Foto aus dem Xing-Konto des Besagten bereits in der Google-Trefferliste sowie Bilder der Website des Unternehmens eingeblendet, aus denen sich diese Erkenntnis ergab.

Soweit sich der Behördenvertreter in der mündlichen Verhandlung in der Weise einließ, dass es gerade bei Firmenfahrzeugen und angesichts der fehlenden Bereitschaft der Halterin an der Aufklärung mitzuwirken, uferlos sei, weitere Recherchen anzustellen, geht dies fehl. Gerade, weil diese Recherche nach dem Stand der Technik so gut wie keinen Aufwand und keine besonderen Kenntnisse erfordert und vorliegend aufgrund des Fahrzeugtyps Audi Quattro insbesondere der Geschäftsführer als Fahrer in Betracht zu ziehen war, drängte sich diese Aufklärungsmaßnahme auf.

Würde hingegen die Überlegung des Beklagten zutreffen, dass allein die fehlende Mitwirkung zu einer Einstellung der weiteren Ermittlungstätigkeiten im Ordnungswidrigkeitenverfahrens berechtigte, würde dies den vorgeschriebene Untersuchungsgrundsatz nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 160 Abs. 1 und 2 StPO unterlaufen und wird der geschriebenen tatbestandlichen Voraussetzung der Ermächtigungsnorm des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO für eine Fahrtenbuchauflage nicht mehr gerecht (Unmöglichkeit der Ermittlung des Fahrzeugführers). Aus rechtsmethodischer Sicht ist nämlich schon die oben referierte weitgehende traditionelle Auslegung dieser Norm, die sich kaum mehr an der Wortlautgrenze orientiert, um so Verkehrssünder, deren Sanktionierung im Bußgeldverfahren misslingt, „zumindest“ mit einem Fahrtenbuch beauflagen zu können, nicht unproblematisch.

Hierbei ist auch in Erinnerung zu rufen, dass der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO eine präventive und keine strafende Funktion zukommt. Sie setzt tatbestandlich nicht voraus, dass der Halter seine Mitwirkungsobliegenheiten schuldhaft nicht erfüllt hat oder die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers sonst zu vertreten hat (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 7. Juni 2023 – 1 B 51/23 –, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 30. Mai 2023 – 8 A 464/23 –, juris Rn. 7; OVG des Landes Schleswig-Holstein, Urteil vom 8. Dezember 2022 – 5 LB 17/22 –, juris Rn. 28). Die oben erwähnte Praxis steht im Widerspruch hierzu, da sie die Fahrtenbuchauflage – infolge fehlender Mitwirkung des Halters – als sanktionierendes Korrektiv zum ergebnislosen Ausgang des Ordnungswidrigkeitenverfahrens versteht.

Dabei ist zu betonen, dass die grundsätzliche Überlegung, dass sich Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit an den Erklärungen des Halters ausrichten darf, durch die vorliegende gegebene Pflicht zur Internetrecherche nicht in Frage gestellt wird. Vielmehr stellt sie ein nach dem Stand der Technik und Ausrüstung der Polizeidienststellen in Berlin naheliegendes Aufklärungsmittel dar, dessen Einsatz sich bei vorliegenden Halterdaten und einem brauchbaren Frontfoto aufdrängt.“

So weit so gut. Das hätte ja nun als Begründung gereicht. Warum das VG Berlin nun noch meint, „nur der Vollständigkeit halber“ darauf hinweisen zu müssen, dass der Beklagte im Übrigen zurecht von einem erheblichen Verkehrsverstoß mit dem  Fahrzeug ausgegangen ist, erschließt sich mir nicht. Das, was dazu ausgeführt wird, mag ja alles richtig sein, nur: Es ist überflüssig. Man fragt sich, ob man beim VG Berlin zu viel Zeit hat. Wahrscheinlich würde man das abstreiten 🙂 .