Archiv der Kategorie: Beweiswürdigung

Drogenkurier, oder: Grundkurs zum Vorsatz und zur Einlassung

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Urheber H. Zell

Die zweite Entscheidung des heutigen Tages stammt dann auch aus dem Bereich der BtM-Verfahren. Und zwar geht es im BGH, Urt. v.05.07.2017 – 2 StR 110/17 – auch um unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln u.a. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Nach den Feststellungen transportierte der Angeklagte am 17.02.2016 im Auftrag unbekannt gebliebener Dritter für einen Kurierlohn von 1.000 € insgesamt 62,5 Kilogramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 15,5 Prozent aus den Niederlanden nach Deutschland. Er wusste, dass das Rauschgift gewinnbringend weiterveräußert werden sollte. Der Angeklagte stellte sein Fahrzeug auftragsgemäß in einem Industriegebiet ab und ging spazieren. Während seiner Abwesenheit wurde das Rauschgift von Dritten in seinem Fahrzeug deponiert. Bei einer Polizeikontrolle in Deutschland wurde das Rauschgift entdeckt und sichergestellt. Der Angeklagte hatte sich über Verteidigererklärungen in der Hauptverhandlung dahin eingelassen, dass er „nur“ vom Transport von 10 Kilogramm Haschisch ausgegangen sei; ihm sei von seinen Auftraggebern gesagt worden, dass er sein Fahrzeug in einem Industriegebiet abstellen und spazieren gehen solle; während seiner Abwesenheit würden 10 Kilogramm Haschisch in dem Fahrzeug deponiert. Das Landgericht vermochte sich ungeachtet einer auf einem der Rauschgiftpakete gesicherten daktyloskopischen Spur des rechten Daumens des Angeklagten nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte hinsichtlich der Gesamtmenge mit jedenfalls bedingtem Vorsatz handelte.Die Revision der StA hatte Erfolg.

Der BGH beanstandet die Beweiswürdigung des LG als lückenhaft. Sie lasse besorgen, dass das LG überspannte Anforderungen an die Annahme bedingten Vorsatzes bezogen auf die Menge des transportierten Rauschgifts gestellt habe. Insoweit gilt:

„a) Die tatrichterlichen Beweiserwägungen sind lückenhaft, weil der Tatrichter die allein über Verteidigererklärungen erfolgte Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht auf ihre Plausibilität überprüft und in Bezug zu seinen früheren Bekundungen gesetzt hat. Das Landgericht ist insoweit davon ausgegangen, dass „die Einlassung des Angeklagten unterstellt“ werden müsse und nur dann widerlegt werden könne, wenn gegenteilige Anhaltspunkte vorliegen. Dies greift zu kurz. An die Bewertung der Einlassung des Angeklagten sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel (vgl. Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184). Der Tatrichter hat sich aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung zu bilden (BGH, Urteil vom 6. November 2003 – 4 StR 270/03, NStZ-RR 2004, 88; Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 34). Dabei kann ein Wechsel der Angaben im Verlaufe des Verfahrens ein Indiz für die Unrichtigkeit der Einlassung in der Hauptverhandlung sein und ihre Bedeutung für die Beweiswürdigung verringern oder unter Umständen ganz entfallen lassen (Senat, Urteil vom 16. August 1995 – 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6). Im Hinblick auf die Möglichkeit einer Anpassung der Einlassung an die Ergebnisse der Beweisaufnahme kann auch der Zeitpunkt, zu dem sich ein Angeklagter zur Sache einlässt, ein Umstand sein, der im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung sprechen kann (Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184).

b) Das Landgericht hat zwar erkannt, dass die über Verteidigererklärungen erfolgte Einlassung des Angeklagten in einem zentralen Punkt mit den übrigen Beweisergebnissen nicht oder jedenfalls nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen war; seine Erklärung, während des Verladens des Rauschgifts in sein Fahrzeug spazieren gegangen zu sein, lässt sich jedenfalls nicht ohne Weiteres damit in Einklang bringen, dass auf dem Verpackungsmaterial eines der Betäubungsmittelpakete unterhalb des Klebebands eine Fingerspur – der Abdruck des rechten Daumens – des Angeklagten gesichert worden ist. Soweit die Strafkammer die Beweisbedeutung dieses Indizes mit der Begründung rela-tivierte, die festgestellte einzelne Fingerspur deute nicht darauf hin, dass der Angeklagte die – sehr große, aus 56 Blöcken und 208 Platten bestehende – Rauschgiftmenge selbst in das Fahrzeug gelegt oder sonst „bei einem Verbringen der Betäubungsmittel in das Fahrzeug in irgendeiner Weise mitgewirkt“ habe, da anderenfalls mehr als nur eine einzelne Fingerabdruckspur hätte aufgefunden werden müssen, sind diese Erwägungen lückenhaft. Das Landgericht hat die Lage der Fingerspur unterhalb der Verpackung nicht erkennbar in den Blick genommen. Darüber hinaus hat es sich nicht mit der nahe liegenden Geschehensvariante auseinander gesetzt, dass der Angeklagte bei der Verbringung der Betäubungsmittel in das professionelle Schmuggelversteck seines Fahrzeuges anwesend gewesen sein könnte und dabei eines der Pakete berührt hat. Eine solche Geschehensvariante wäre zwanglos mit der Spurenlage vereinbar und könnte zugleich dafür sprechen, dass der Angeklagte Kenntnis von der ungefähren Gesamtmenge der von ihm tatsächlich transportierten Betäubungsmittel hatte.

c) Schließlich fehlt es an der erforderlichen Gesamtwürdigung aller für und gegen die Annahme eines auf die tatsächlich transportierte Gesamtmenge bezogenen bedingten Vorsatzes des Angeklagten. In diesem Zusammenhang wäre auch in die Erwägungen einzustellen gewesen, dass der Angeklagte „das Versteck und vor allem dessen Größe kannte“ (vgl. UA S. 11).“

Schöne Anleitung zur Gesamtwürdigung der Einlassung des Angeklagten…………

Lücke in der Beweiswürdigung, oder: Wenn die Strafkammer die Einlassung des Angeklagten übersieht

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Und zum Abschluss des Tages dann noch der Hinweis auf den BGH, Beschl. v. 22.06.2017 – 1 StR 242/17 -, mit dem eine Verfahrensrüge Erfolg hatte. Gerügt worden ist eine Verletzung des § 261 StPO – nämlich m.E. eine Lücke in der Beweiswürdigung betreffend die Einlassung des Angeklagten. Es handelt sich aber nicht etwa um den „alten Hut“/Klassiker, dass die Strafkammer nicht mitgeteilt hat, dass der Angeklagte sich eingelassen und sie (auch) zum Inhalt der Einlassung des Angeklagten nicht Stellung genommen hat, sondern um eine Abwandlung:

„Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Das Landgericht hat zum Einlassungsverhalten des Angeklagten ausgeführt, dass er sich lediglich bei der Eröffnung des Haftbefehls nach seiner Festnahme „nicht geständig“ eingelassen habe, ohne den Inhalt seiner Erklärung darzulegen. Ausdrücklich wird festgestellt, dass er sich in der Hauptverhandlung zur Sache nicht eingelassen habe (UA S. 24).

Demgegenüber macht die Revision – bestätigt durch das Hauptverhandlungsprotokoll vom 19. Januar 2017 – geltend, dass der Verteidiger am vierten Hauptverhandlungstag eine schriftlich vorbereitete Erklärung abgegeben habe, wobei sich der Angeklagte diese Erklärung ausdrücklich zu Eigen gemacht habe.

Mit dieser Sachdarstellung hat die Verfahrensrüge Erfolg. Dem Senat ist es verwehrt, Überlegungen darüber anzustellen, ob der Inhalt der als Anlage zum Protokoll genommenen und von der Revision mitgeteilten Erklärung des Angeklagten sich auf die Feststellungen des Urteils ausgewirkt hätte, wenn diese von der Strafkammer in ihre Erwägungen einbezogen worden wäre, weil die Beweiswürdigung allein dem Tatgericht obliegt.“

Also: Zweiter Durchgang.

Aussage-gegen-Aussage beim sexuellen Missbrauch, oder: Beweiswürdigung beim/mit einem SV-Gutachten

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Der BGH, Beschl. v. 13.06.2017 – 2 StR 94/16 – befasst sich (noch einmal) in einem Verfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. mit der Beweiswürdigungin den Fällen der Aussage-gegen-Aussage-Konstellation und einem eingeholten Glaubwürdigkeitsgutachten-

Angeklagt war ein Lehrer an einer Grundschule für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Er war Klassenlehrer der am 23. Juni 2002 geborenen Nebenklägerin L. . Diese litt an Entwicklungsverzögerungen und besuchte als „Integrations-kind mit besonderem Förderbedarf“ die Grundschule. Er nutzte sich bietende Gelegenheiten zu sexuellen Handlungen mit der Nebenklägerin.

Bei einem Aufenthalt der Schulklasse in einer Jugendherberge veranlasste der Angeklagte die Nebenklägerin dazu, in sein Zimmer zu kommen. Er zog Hose und Unterhose aus und legte sich auf das Bett. Er wies die Nebenklägerin an, ihren Badeanzug auszuziehen, dann fasste er sie an der Hüfte, setzte sie auf seinen Penis und hob sie auf und ab. Als ein Schüler an der Zimmertür klopfte, hob der Angeklagte sie herunter und befahl ihr schnell ins Bad zu gehen, sich dort anzuziehen und leise zu verhalten (Fall II.1. der Urteilsgründe).

Am 7. Mai 2013 sollte die Nebenklägerin eine weiterführende Schule kennen lernen. Sie fuhr mit dem Schulbus dorthin, während ihre Mutter K. L. mit dem Angeklagten in dessen Auto folgte. Nach Ende der Vorstel-lung fuhr der Angeklagte mit der Nebenklägerin und ihrer Mutter zurück, setzte die Mutter an deren Wohnung ab und nahm die Nebenklägerin mit. Weil noch Zeit bis zum Unterrichtsbeginn war, hielt der Angeklagte an seinem Haus und ging mit ihr in das Schlafzimmer. Dort entkleidete er sich und die Nebenkläge-rin, legte sich auf das Bett und hob sie auf seinen Schoß. Er setzte sie auf sei-nen Penis und hob sie hoch und herunter. Währenddessen sah er immer wie-der auf die Uhr, um rechtzeitig zum Unterricht zu kommen. Nach den sexuellen Handlungen frühstückten beide, gingen mit dem Hund des Angeklagten spazieren und fuhren dann zur Grundschule (Fall II.2. der Urteilsgründe).

An einem Tag im vierten Schuljahr der Nebenklägerin unterrichtete der Angeklagte sie im „Differenzierungsraum“, während die weitere Klassenlehrerin die anderen Schüler im Klassenraum unterrichtete. Der Angeklagte zog die Ho-se der vor ihm stehenden Nebenklägerin herunter, schob die Unterhose beisei-te und führte einen Finger in die Scheide ein. Als die Lehrerkollegin an der Tür klopfte, um zu signalisieren, dass das Ende der Schulstunde nahe, rief der An-geklagte mit Verzögerung „komm rein“. In der Zwischenzeit zog er den Finger aus der Scheide der Nebenklägerin und diese zog ihre Hose hoch. Der Ange-klagte befahl der Nebenklägerin, sich wieder an den Tisch zu setzen und ihre Stifte einzuräumen, damit die Lehrerin keinen Verdacht schöpfe (Fall II.3. der Urteilsgründe).“

Das LG hat sein Urteil, der aussagepsychologischen Sachverständigen folgend, auf die Angaben der Nebenklägerin gestützt.Dem BGh gefällt das nicht. Denn:

2. Diesen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden.

a) Die Erwägungen zur Aussageentstehung sind lückenhaft.

Die Beschuldigung des Angeklagten ist erstmals geäußert worden, nachdem die Freundin der Nebenklägerin beim Aufrufen von Sexfilmen im Internet angetroffen worden war und ihrer Mutter erklärt hatte, sie sei von der Nebenklägerin darüber instruiert worden, worauf die Nebenklägerin von beiden Müttern zur Rede gestellt wurde. Sie befand sich dabei unter dem erheblichen Druck einer nachhaltigen Befragung über ein sonst als Tabu behandeltes The-ma. Insbesondere die Mutter der Nebenklägerin habe „nicht locker gelassen“.

Dazu hat die vom Landgericht vernommene aussagepsychologische Sachverständige erläutert, die Nebenklägerin besitze „keine erhöhte Anfälligkeit dafür, Suggestiveinflüssen zu folgen. Sie habe sowohl bei der gutachterlichen Exploration als auch bei den anderen Vernehmungen Suggestivfragen oftmals nicht gemäß der Suggestion beantwortet.“ Ihre Angaben sprächen auch nicht dafür, dass sie „durch den Druck im Gespräch mit ihrer Mutter und der Zeugin A. dazu motiviert gewesen sein könne, eine bewusste Falschaussa-ge gegen den Angeklagten vorzubringen, um dadurch ihre eigene Schuld zu vermindern und ihre Mutter in der Diskussion wegen des Aufrufens der Sexsei-ten im Internet milde zu stimmen. Aus aussagepsychologischer Sicht sei es äu-ßerst unwahrscheinlich, insbesondere auch aufgrund der vorhandenen Entwicklungsverzögerungen der Zeugin, dass L. eine qualitativ so hochwertige Lüge hätte spontan vorbringen können.“

Das Landgericht hat sich insgesamt dem Ergebnis der Sachverständigen angeschlossen, dass die Angaben der Nebenklägerin „mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisbasiert und glaubhaft“ seien. Es hat aber nicht selbst überprüft, ob die Nebenklägerin unter dem Druck der intensiven Befragung und mit Blick auf ihr Anschauungsmaterial aus Filmdarstellungen im Internet das Bild von sexuellen Handlungen mit Erlebnissen aus dem Alltag in der Grund-schule verknüpft haben könnte, um dem Druck zu entweichen.

Bei weiteren Befragungen der Nebenklägerin sind nach der Bemerkung der Sachverständigen auch Suggestivfragen vorgekommen, deren Art und Be-deutung im Urteil nicht näher erläutert werden. Der Hinweis der Sachverständigen darauf, dass die Nebenklägerin auf Suggestivfragen oft nicht im Sinne der Erwartungshaltung der Fragesteller geantwortet habe, reicht nicht aus, um nachvollziehbar zu begründen, dass es sich bei den tatbezogenen Aussagen der Nebenklägerin um nicht aufgrund von suggestiven Einflüssen entstandene Schilderungen gehandelt hat.

b) Es fehlt auch die bei dieser Lage notwendige besonders sorgfältige Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte. ………“

Wenn der BGH „angefressen ist“, oder: Kleiner Grundkurs zur Abfassung der Urteilsgründe

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Manchen Entscheidungen des BGH merkt man an, dass der Senat mehr oder weniger „angefressen“ war. Nicht dass der Senat dann unhöflich würde, aber man merkt: Das Urteil, das ihm da vorgelegen hat, hat ihm nicht gepasst. Sei es vom Inhalt her, sei es aber auch von der Form her. Das gibt es dann einen versteckten Rüffel oder auch eine versteckte Warnung.

So mal wieder im BGH, Beschl. v. 25.07.2017 – 3 StR 111/17. Da „bemerkt“ der Senat zur „Abfassung der Urteilsgründe“ nämlich:

Zur Abfassung der Urteilsgründe bemerkt der Senat:

Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwie-sen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden; die Sachverhaltsschilderung soll ein geschlossenes Ganzes bilden und – unter Weglassung alles Unwesentlichen – kurz, klar und bestimmt sein (Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 29. Aufl., Rn. 271). Beruht die Überzeugung des Landgerichts auf einer Vielzahl von Indizien – wie hier zur Täterschaft des Angeklagten darauf, dass er im Besitz einer Vielzahl verfahrensrelevanter Dokumente war -, so ist es im Interesse der Verständlichkeit des Urteils dringend angezeigt, diese Indizien nicht in den Feststellungen, sondern ausschließlich im Rahmen der Beweiswürdigung abzuhan-deln. Dies vermeidet eine umfangreiche, das eigentliche Tatgeschehen in den Hintergrund drängende Darstellung von zuerst mehr oder minder belanglos erscheinenden Umständen und stellt zudem sicher, dass nur solche Tatsachen Erwähnung im Urteil finden, die in der Beweiswürdigung eine Rolle spielen (BGH, Beschluss vom 14. Juli 2005 – 3 StR 238/05, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 14).

Die Beweiswürdigung wiederum soll keine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme enthalten, sondern lediglich belegen, warum bestimmte bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind. Es ist regelmäßig verfehlt, die Aussagen von Zeugen und Sachverständigen aus der Hauptverhandlung in ihren Einzelheiten mitzuteilen (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 StR 179/15, juris Rn. 4 mwN). Es ist auch nicht nötig, für jede einzelne Feststellung einen Beleg in den Urteilsgründen zu erbringen, denn auch dies stellt sich lediglich als Beweisdokumentation, nicht aber als Beweiswürdigung dar (Meyer-Goßner/Appl aaO, Rn. 350 mwN). Dies gilt insbesondere, wenn sich – wie hier – zahlreiche Indizien aus Urkunden ergeben, die in der Hauptverhandlung verlesen wurden oder im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt wurden. Da es insoweit auf den Inbegriff der Hauptverhandlung ankommt, ist es zudem verfehlt, Blattzahlen dieser Urkunden aus der Gerichtsakte in den Urteilsgründen anzugeben, zumal dem Revisionsgericht eine Überprüfung des Akteninhalts insoweit ohnehin verwehrt ist.

Man hätte auch schreiben können: Schreibt nicht so viel. Und wenn ihr schreibt: Bitte nur das Wichtige.

Ist übrigens alles nicht neu, sondern das hat der BGH schon häufiger „bemerkt“. Liest aber wohl keiner.

Rechtsbeugung II: Die Probehaft durch den Proberichter, oder: „Fürchterlich schlechte Idee“

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Author Denis Barthel

Im dritten „Tagesposting“ geht es auch um den Vorwurf der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) und hier der Aussageerpressung (§ 343 StGB). Grundlage des Postings ist aber (noch) keine BGH-Entscheidung, sondern „nur“ ein LG-Urteil, und zwar das LG Kassel, Urt. v. 27.06.2017 – 11 KLs 3600 KLs 37702/09. Das habe ich allerdings auch nicht im Volltext. Ich blogge dazu nur auf der Grundlage von Pressemitteilungen. Das tue ich ja sonst nicht. Hier mache ich aber mal eine Ausnahme, weil es thematisch zum Posting betreffend die Hüttenstädter Prozessordnung passt (vgl. hier Rechtsbeugung I: Saalverhaftung nach der „Hüttenstädter Prozessordnung“ oder: Ping-Pong) und weil die Sache ebenfalls schon mal beim BGH war (vgl. BGH, Urt. v. 31.05.2012 – 2 StR 610/11; dazu Die Rechtsbeugung des Proberichters – hier ist dann der Volltext).

Das LG hatte den angeklagten Proberichter im ersten Durchgang frei gesprochen: Vorwurf – der Sachverhalt stammt aus dem BGH, Urt. v. 31.05.2012:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts leitete der Angeklagte als Strafrichter eine Hauptverhandlung wegen exhibitionistischer Handlungen, die sich an einen Einspruch des damaligen Beschuldigten anschloss. Schon vor der Hauptverhandlung war er entschlossen, als Rechtsfolge einen Schuldspruch mit Strafvorbehalt auszusprechen und eine Therapieauflage anzuordnen. In der Hauptverhandlung bestritt der damalige Beschuldigte den Tatvorwurf. Der Angeklagte, der möglicherweise annahm, der Strafbefehl sei im Schuldspruch bereits rechtskräftig und der Einspruch auf das Strafmaß beschränkt, wirkte nun nachhaltig und zunehmend erregt und drohend auf den damaligen Beschuldigten ein, um diesen zu einem Geständnis und zur Erklärung zu veranlassen, in eine ambulante Therapie einzuwilligen. Außerdem wollte er erreichen, dass der Beschuldigte nach Urteilsverkündung sogleich auf Rechtsmittel verzichtete. Aufgrund eines Sachverständigengutachtens war ihm bekannt, dass der damals Beschuldigte wegen einer Persönlichkeitsstörung eine schwache und selbstunsichere Person war. Der Angeklagte forderte den Beschuldigten in zunehmend erregter Form auf, ein Geständnis abzulegen. Schließlich unterbrach er unvermittelt die Sitzung, sagte zum damaligen Beschuldigten: „Sie kommen jetzt mit! Ich zeige Ihnen mal, wie Ihre Zukunft aussehen kann.“, und begab sich – mit angelegter Robe – mit dem Beschuldigten und einem Wachtmeister in den Keller des Amtsgerichts, wo sich mehrere Gewahrsamszellen befanden.

Er veranlasste den vollständig verunsicherten Beschuldigten, sich in eine Zelle zu begeben, die daraufhin geschlossen wurde. Nach etwa 20 Sekunden wurde die Tür auf Veranlassung des Angeklagten wieder geöffnet. Während dieser Zeit war die Türe von dem Zeugen nicht mehr zu öffnen.

Hiernach setzte der Angeklagte die Hauptverhandlung fort, in der der damalige Beschuldigte nunmehr vollumfänglich geständig war. Der Angeklagte verurteilte ihn daraufhin zu einer Geldstrafe unter Strafvorbehalt, verbunden mit einer Therapieauflage; dies entsprach dem staatsanwaltschaftlichen Antrag. Der immer noch stark eingeschüchterte Beschuldigte und der Staatsanwalt erklärten sogleich Rechtsmittelverzicht.“

Der BGH hatte das erste LG-Urteil – den Freispruch – wegen Fehlern in der Beweiswürdigung aufgehoben. Nun hat das LG Kassel den Proberichter wegen Rechtsbeugung und Aussageerpressung zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Dazu aus der Tagespresse:

„Das Landgericht Kassel bewertete das Vorgehen jetzt als Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung. Es verurteilte den ehemaligen Richter am Dienstag zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung. Zwar habe er das beste Ergebnis für den Angeklagten erreicht, teilte das Gericht mit. Aber es sei eine „fürchterlich schlechte Idee“ gewesen, ihn ohne gesetzliche Grundlage in eine Zelle sperren zu lassen.“

„Fürchterlich schlechte Idee“ – „schöne“ Formulierung.

Wir werden – denke ich – von der Sache sicherlich auch noch hören. War ja erst der zweite Durchgang beim LG.