Archiv der Kategorie: Haftrecht

U-Haft I: Telefonieren aus der U-Haft in Corona-Zeiten, oder: Mit den Eltern schon, mit den Schwestern nicht

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Seit längerem heute dann mal wieder drei U-Haft-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem AG Kempten, Beschl. v. v. 28.10.2020 – 1 Gs 3356/20 -, der an das gestrige Tagesthema anknüpft, also Corona. Es geht um das Telefonieren eines U-Haft-Gefangenen in Coronazeiten. Das AG hat ein Telefonat mit den Eltern, die in Tschechien wohnen, genehmigt, mit den Schwestern hingegen abgelehnt:

„Dem Antrag des Rechtsanwaltes pp. vom 20.10.2020, Telefonate zwischen den Eltern des Beschuldigten und dem Beschuldigten zu gestatten, war im Hinblick auf ein Telefonat stattzugeben.

Der Antrag, Telefonate zwischen den Schwestern des Beschuldigten und dem Beschuldigten zu gestatten, war zurückzuweisen.

Grundsätzlich widerspricht das Begehren eines Untersuchungsgefangenen, Telefonate mit Personen außerhalb der Justizvollzugsanstalt zu führen oder von solchen empfangen zu dürfen, sowohl dem Zweck der Untersuchungshaft als auch der Anstaltsordnung.

Telefonate können daher nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen genehmigt werden. Bei berechtigtem Interesse können Telefonate insbesondere mit Familienangehörigen im Einzelfall erlaubt werden. Bei Telefonaten mit nahen Familienangehörigen ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG ein großzügiger Maßstab angezeigt (vgl. BeckOK StPO/Kreuß, 37. Ed. 1.7.2020, StPO § 119 Rn. 20).

Vorliegend war ein Telefonat zwischen dem Beschuldigten und seinen Eltern zu genehmigen. Des von der Staatsanwaltschaft Kempten eingeräumte Besuchsrecht kann auf Grund der derzeitigen Lage im Hinblick auf die Corona-Pandemie nicht oder nur sehr erschwert ausgeübt werden. So Ist die Tschechische Republik derzeit vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet eingestuft, so dass sich diverse Reisebeschränkungen ergeben.

Des Weiteren ist derzeit nicht vorhersehbar, ob und wie sich die Besuchsregelungen in der JVA angesichts der epidemiologischen Entwicklung In naher Zukunft ändern.

Auch Im Hinblick auf das Alter der Eitern des Beschuldigten war aus diesen Gründen ein Telefonat zu genehmigen.

Ein Telefonat mit den Schwestern des Beschuldigten war vorliegend Jedoch nicht zu genehmigen.

Auch wenn die Einschränkungen des Besuchsrechts auch die Schwestern des Beschuldigten trifft, so Ist nach Ansicht des Gerichts dem Interesse des Beschuldigten auf Kontakt mit seiner Familie durch das Telefonat mit den Eltern genügend Rechnung getragen.

Eine Ausweitung von Telefonaten auf weitere Familienangehörige widerspricht dem Zweck der Untersuchungshaft als auch der Anstaltsordnung. Dies vor allem im Hinblick auf das erhebliche Gewicht der Tat und der erheblichen Verdunkelungsgefahr.

Hinsichtlich der Schwestern des Beschuldigten ist der Beschuldigte auf die Möglichkeit des Briefverkehrs zu verweisen, welcher ebenfalls eine Kontaktaufnahme ermöglicht.“

Strafvollzug III: Die Liebesbeziehung der JVA-Beamtin zum Strafgefangenen, oder: Entfernung aus dem Dienst

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Und die dritte Entscheidung kommt auch aus dem Strafvollzug bzw. hat mit ihm zu tun. Es ist das OVG Koblenz, Urt. v. 15.6.2020 – 3 A 11024/19.OVG. Schon etwas älter, aber der Volltext stand jetzt erst zur Verfügung. Und die Entscheidung ist recht lang. Daher ziehe ich mich hier auf die PM 12/2020 des OVG v. 16.06.2020 zurück.

In der heißt es:

„JVA-Beamtin nach Liebesbeziehung zu Gefangenem aus dem Dienst entfernt

Eine Beamtin einer Justizvollzugsanstalt (JVA), die über mehrere Monate eine Liebes­beziehung zu einem Gefangenen eingegangen war und ihm dabei mehrere Nacktfotos von sich übersandt hatte, ist aus dem Dienst zu entfernen. Dies entschied das Ober­verwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz.

Im Dezember 2017 wurden bei einer Postkontrolle in einer JVA zahlreiche Briefe gefunden, die eine – zurzeit vom Dienst freigestellte – Justizvollzugsbeamtin mit einem damaligen Gefangenen ausgetauscht hat, sowie mehrere Nacktfotos von ihr. Auf die Klage des Landes hat die landesweit zuständige Disziplinarkammer des Verwaltungs­gerichts Trier die Justizvollzugsbeamtin aus dem Dienst entfernt, weil diese gegen das als Kernpflicht von Bediensteten im Strafvollzug ausgestaltete Zurückhaltungsgebot (Distanzgebot) verstoßen habe. Die Beamtin sei über mehrere Monate eine Liebes­beziehung zu einem Gefangenen eingegangen. Hierbei sei es unter Verschleierung der wahren Identität zu umfangreichem Briefverkehr – u.a. mit Offenbarung sexueller Vor­lieben und Phantasien sowie einer avisierten gemeinsamen Zukunft – sowie zur Über­lassung von Nacktfotos von ihr gekommen; ferner hat die Beamtin ein Armband und ein T-Shirt des Gefangenen unerlaubt mit nach Hause genommen. Eine Offenbarung der Beziehung und des Briefkontakts gegenüber der Anstaltsleitung sei nicht erfolgt. Mit diesen Verhaltensweisen habe sie ein schweres Dienstvergehen begangen und sich insgesamt als untragbar für den öffentlichen Dienst erwiesen. Sie habe aus eigensinni­gen Motiven verantwortungslos eine Gefährdungslage für den Strafvollzug geschaffen und dabei alle Kollegen schwer hintergangen, was einer Vertrauensbasis sowohl aus Sicht des Dienstherrn als auch aus Sicht der Allgemeinheit die Grundlage entziehe. Indem sie dem Gefangenen Nacktaufnahmen von sich überlassen habe, habe sie sich in erheblicher Weise erpressbar gemacht. Selbst nachdem der Gefangene verlegt und das Disziplinarverfahren eingeleitet worden sei, habe sie über Dritte versucht, ihr distanzloses Verhalten zum Gefangenen aufrechtzuerhalten. Schließlich habe die Beklagte sich bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung völlig uneinsichtig ins­besondere hinsichtlich des Umstands ihrer Erpressbarkeit gezeigt. Das Vertrauen in eine ordnungsgemäße Dienstverrichtung in der Zukunft sei damit nachhaltig zerstört (vgl. Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Trier Nr. 12/2019).

Mit ihrer gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil eingelegten Berufung machte die Beamtin geltend, sie habe keine sexuelle oder sonstige intime Beziehung zu dem Gefangenen gehabt. Außerdem sei sie im Jahr 2016 wegen einer akuten Belastungs­reaktion und einer Anpassungsstörung in ärztlicher Behandlung gewesen. Das Ober­verwaltungsgericht wies nach Durchführung einer Beweisaufnahme, bei der unter anderem die aufgefundenen Briefe verlesen, der Gefangene als Zeuge vernommen und die Beamtin angehört wurden, die Berufung zurück.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Justizvollzugsbeamtin eine sexuelle bzw. Liebesbeziehung zu dem Gefange­nen über mehrere Monate eingegangen sei. Dies ergebe sich unzweifelhaft aus den aufgefundenen Briefen. Die Angaben sowohl des Gefangenen als auch der Beamtin selbst erschienen demgegenüber als nicht glaubhaft. Hiervon ausgehend teile das Gericht die Rechtsauffassung der Vorinstanz, dass die Beamtin ein schweres Dienst­vergehen begangen habe, das ihre Entfernung aus dem Dienst erfordere. Für eine ver­minderte Steuerungsfähigkeit der Beamtin seien keine hinreichenden Anhaltspunkte erkennbar.“

Strafvollzug II: Ausführung des Strafgefangenen zum Urologen, oder: So geht es nicht

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Die zweite Strafvollzugsentscheidung hat mir die Kollegin Brenner aus Saarlouis geschickt. Das OLG Saarbrücken behandelt in dem OLG Saarbrücken, Beschl. v. 25.08.2020 – Vollz (Ws) 4/20 – die mit der Ausführung eines Strafgefangenen zu einem Artbesuch – hier war es ein Urologe – zusammenhängenden Fragen.

Es geht um folgenden Sachverhalt:

„Am 16.10.2017 wurde der Antragsteller auf Veranlassung der Anstaltsärztin zu dem Facharzt für Urologie Dr. pp. in Saarbrücken ausgeführt. Hierbei musste er Anstaltskleidung tragen und wurde durch zwei uniformierte Vollzugsbeamte begleitet, die auch bei der fachärztlichen Untersuchung (rektal durchgeführte Tastuntersuchung der Prostata), der Diagnosebesprechung und beim Arztgespräch ohne jedwede optische und/oder akustische Abtrennungsmaßnahmen durchgehend im Behandlungszimmer anwesend waren. Diese konkrete Art und Weise der Ausführung beruhte nicht auf einer einzelfallbezogenen Ermessensentscheidung der Anstalts- oder Vollzugsabteilungsleitung. Vielmehr entsprach sie, soweit es die Ausführung in Anstaltskleidung anbelangt, einer generellen Handlungsanweisung für alle Strafgefangenen ohne Lockerungsgewährungen gemäß §§ 38, 39 SLStVoIIzG, die der — von dem Antragsteller bestrittenen — Behauptung des Antragsgegners zufolge vorsieht, dass Strafgefangene, bei deren Ausführung keine Fesselung angeordnet ist, auf Antrag in Privatkleidung ausgeführt werden können. Einen solchen Antrag hatte der Antragsteller, bei dem eine Fesselung bei Ausführungen nicht angeordnet war, nicht gestellt. Soweit es die Aus-führung durch uniformierte Vollzugsbeamte und deren Anwesenheit bei der ärztlichen Untersuchung, der Diagnosebesprechung sowie beim Arztgespräch betrifft, entsprach dies der generellen Handhabung in der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken.“

Gegen diese Ausführung hat sich der Strafgefangene gewehrt. Und er hat dann bei der StVK und beim OLG nach längerem Hin und Her Recht bekommen:

2. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers ist bereits mit der erhobenen Sachrüge begründet, so dass es auf die Verfahrensrüge nicht ankommt. Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners ist hingegen unbegründet……

a) Der als Feststellungsantrag gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist — wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend angenommen hat — zulässig…..

b) Der Feststellungsantrag ist auch in vollem Umfang begründet. Die konkrete Ausgestaltung der am 16.10.2017 erfolgten Ausführung des Antragstellers zu einem Facharzt für Urologie war in dem von dem Antragsteller beanstandeten Umfang rechtswidrig.

aa) Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 SLStVoIIzG kann den Gefangenen das Verlassen der Anstalt unter ständiger und unmittelbarer Aufsicht gestattet werden, wenn dies aus besonderen Gründen notwendig ist (Ausführung). Auch eine außerhalb des Strafvoll-zugs erforderliche Behandlung eines Strafgefangenen (§ 63 Abs. 1 SLStVoIIzG) kann im Wege der Ausführung erfolgen (vgl. Begründung zu § 63 des Gesetzentwurfs der Regierung des Saarlandes zur Neuregelung des Vollzugs der Freiheitsstrafe im Saar-land, LT-Drucks. 15/386, S. 107).

Die Art und Weise der Ausführung eines Gefangenen i. S. des § 41 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SLStVoIIzG, insbesondere die hierbei zu treffenden Sicherungsmaßnahmen — also z. B. auch das Tragen von Anstaltskleidung oder Privatkleidung durch den Gefangenen, das Tragen von Uniform oder Privatkleidung durch die den Gefangenen hierbei begleitenden Vollzugsbediensteten und die Anwesenheit der Vollzugsbediensteten im ärztlichen Behandlungszimmer —, hängt von einer im konkreten Einzelfall zu treffenden Ermessensentscheidung des Anstaltsleiters ab; er hat die nach den konkreten Um-ständen des jeweiligen Einzelfalls erforderlichen Sicherungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Gefangenen sowie unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu treffen (vgl. Begründung zu § 41 des Gesetz-entwurfs der Regierung des Saarlandes zur Neuregelung des Vollzugs der Freiheits-strafe im Saarland, LT-Drucks. 15/386, S. 93 f.; BVerfG NStZ 2000, 166 f. — juris Rn. 917; Hanseatisches OLG Hamburg NStZ-RR 2014, 95 f. für den Fall der Ausführung eines Sicherungsverwahrten durch uniformierte Vollzugsbedienstete; Senatsbeschluss vom 10. Januar 2019 – Vollz (Ws) 18/18 -; Laubenthal in: Laubenthal/ Nestler/Neubacher/Nerrel, a. a. O., Abschn. E Rn. 162; Arloth/Krä, a. a. O., § 11 StVollzG Rn. 5, § 12 StVollzG Rn. 3, § 41 SLStVollzG Rn. 1, § 41 SächsStVollzG Rn. 1; Lau-benthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl., Kap. 6 A Rn. 4; Harrendorf/Ullenbruch in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, a. a. O., Kap. 10 C Rn. 7).

Der gerichtlichen Überprüfung unterliegt daher gemäß § 115 Abs. 5 StVollzG (i. V. mit § 118 Satz 2 Nr. 2 SLStVollzG) lediglich, ob der Anstaltsleiter die konkrete Art und Weise der Ausführung des Antragstellers zu einem Facharzt vom 16.10.2017 rechtsfehlerfrei getroffen hat, ob er also von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, die gesetzlichen Begriffe richtig angewendet, von dem ihm zustehenden Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht, die Grenzen des Ermessens eingehalten und von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BGHSt 30, 320 ff. — juris Rn. 11; Senatsbeschlüsse vom 26. März 2014 – Vollz (Ws) 11/14 – und vom 18. April 2016 ¬Vollz (Ws) 13/14 -; Bachmann, a. a. O., Abschn. P Rn. 83 ff. m. w. N.; Arloth/Krä, a. a. O., § 115 Rn. 13 ff.; vgl. auch zu der § 115 Abs. 5 StVollzG entsprechenden Vorschrift des § 28 Abs. 3 EGGVG: Senatsbeschlüsse vom 15. Juni 2015 – VAs 7/15 – und vom 6. Oktober 2015 – VAs 14-15/15 -). Der gerichtlichen Überprüfung unterliegt demgemäß insbesondere auch, ob die Ausführung des Antragstellers in Anstaltskleidung durch uniformierte Vollzugsbeamte sowie deren Anwesenheit bei der ärztlichen Behandlung des Antragstellers durch Gründe der Sicherheit, insbesondere die Gefahr des Entweichens des Antragstellers, gerechtfertigt war und bei der Entscheidung auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG), namentlich sein erkennbares Interesse, im Rahmen eines Arztbesuchs nicht ohne sachlichen Grund als Strafgefangener stigmatisiert zu werden, berücksichtigt wurde (Senatsbeschluss vom 10. Januar 2019 – Vollz (Ws) 18/18 -).

aaa) Mit Recht hat die Strafvollstreckungskammer angenommen, dass die Ausführung des Antragstellers, soweit er hierbei Anstaltskleidung tragen musste und von uniformierten Vollzugsbeamten begleitet wurde, schon deshalb rechtswidrig war, weil es in-soweit an einer im konkreten Einzelfall getroffenen Ermessensentscheidung des Antragsgegners des erstinstanzlichen Verfahrens von vornherein gefehlt hat. Die generelle Handlungsanweisung, wonach Strafgefangene, denen keine Lockerungen gemäß §§ 38, 39 SLStVollzG gewährt werden, grundsätzlich in Anstaltskleidung ausgeführt werden sowie der Umstand, dass Arztausführungen durch uniformiertes Personal der „generellen Handhabung“ in der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken entsprechen, vermögen die gebotene Einzelfallprüfung nicht zu ersetzen. Das gilt selbst dann, wenn — wie der Antragsgegner des erstinstanzlichen Verfahrens behauptet hat — solche Gefangene, soweit bei ihrer Ausführung — wie bei dem Antragsteller — keine Fesselung angeordnet ist, auf einen entsprechenden Antrag in Privatkleidung und möglicherweise auch durch nicht uniformierte Vollzugsbeamte ausgeführt werden können.

(1) Abgesehen davon, dass die in der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken einsitzenden Strafgefangenen auf die Möglichkeit der Ausführung durch nicht uniformierte Bedienstete überhaupt nicht hingewiesen werden, und es jedenfalls fraglich erscheint, ob der in der Hausordnung sowie in der (bei der Interessenvertretung der Strafgefangenen erhältlichen) „Gelben Mappe“ enthaltene Hinweis auf die Möglichkeit einer Erlaubnis zum Tragen privater Kleidung ausreicht, um die Strafgefangenen in die Lage zu versetzen, von ihrem Antragsrecht auch Gebrauch zu machen, wäre eine solche, lediglich antragsabhängige Prüfung der im konkreten Einzelfall erforderlichen Sicherungsmaß-nahmen zur Wahrung des berechtigten Interesses des Antragstellers, im Rahmen eines Arztbesuchs nicht ohne sachlichen Grund als Strafgefangener stigmatisiert zu werden, nicht ausreichend. Die Verpflichtung zum Tragen einer einheitlichen Anstaltskleidung, die von Strafgefangenen regelmäßig als Selbstwertkränkung und Deprivation empfunden wird, stellt eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG dar (vgl. BVerfG NStZ 2000, 166 f. — juris Rn. 14 ff.). Verfassungsrechtlich geboten ist es daher zumindest, bei einer Ausführung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Strafgefangenen bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen und hierbei seinem Interesse, in einer von ihm als angemessen empfundenen Kleidung ausgeführt zu werden, Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, a. a. O., juris Rn. 17). Ebenso verhält es sich hinsichtlich der Ausführung durch uniformierte Vollzugsbedienstete (vgl. OLG Hamburg NStZ-RR 2014, 95 f.). Generelle Handlungsanweisungen und eine generelle Handhabung sind nicht geeignet, diese verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte eines Strafgefangenen einzuschränken.

(2) Gleiches gilt, soweit sich der Antragsgegner bezüglich der Ausführung durch uniformierte Vollzugsbedienstete auf geltende Dienst- und Bekleidungsvorschriften sowie auf einen organisatorischen und gegebenenfalls personellen Mehraufwand — in der Regel würden mehrere Fahrten von Strafgefangenen zu niedergelassenen Arztpraxen pro Tag durch Beamte des Fahrdienstes durchgeführt, die dann mehrmals pro Tag zwischen Dienst- und Privatkleidung wechseln müssten — beruft. Zwar weist der Antragsgegner zutreffend darauf hin, dass bei der Prüfung der Notwendigkeit der Ausführung auch die personellen und organisatorischen Möglichkeiten der Strafanstalt zu berücksichtigen sind (vgl. Arloth/Krä, a. a. O., § 11 StVollzG Rn. 5 m. w. N.). Das ändert jedoch nichts daran, dass die Art und Weise der Ausführung — wie ausgeführt — einer einzelfallbezogenen Prüfung bedarf. Dementsprechend verpflichtet die AV des Ministeriums der Justiz Nr. 10/2013 vom 29.11.2013 (J 4400-107) zum Saarländischen Strafvollzugsgesetz in Abs. 1 VV zu § 41 SLStVoIIzG die Anstaltsleitung bei einer Ausführung zur Entscheidung über die „nach Lage des Falles“ erforderlichen besonderen Sicherungsmaßnahmen. Soweit der Antragsgegner meint, im vorliegenden Fall habe es der Antragsteller hinnehmen müssen, während des Aufenthalts in der Arztpraxis von Außenstehenden als Inhaftierter erkannt zu werden, weil „das Delikt des Antragstellers ohnehin mit einer öffentlichen Berichterstattung verbunden“ gewesen sei, trifft dies schon deshalb nicht zu, weil aus der öffentlichen Berichterstattung über die Taten, derentwegen der Antragsteller verurteilt wurde, nicht ohne Weiteres folgt, dass Dritte den ihnen nicht bekannten Antragsteller in der Öffentlichkeit wiedererkennen. Im Übrigen hätte dieser Umstand die gebotene Prüfung des Einzelfalls auch nicht entbehrlich gemacht.

(3) Schließlich hat bereits die Strafvollstreckungskammer mit Recht darauf hingewiesen, dass es selbst Strafgefangenen, die von der Möglichkeit, eine Ausführung in Privatkleidung durch nicht uniformierte Bedienstete zu beantragen, Kenntnis haben, praktisch kaum möglich wäre, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Denn nach dem unstreitigen Vorbringen des Antragstellers erlangen Strafgefangene — und so auch im vorliegenden Fall der Antragsteller am 16.10.2017 — von stattfindenden Ausführungen zu einem Arzt erst am Tag der Ausführung beim Wecken durch Vollzugsbeamte Kenntnis. Bei einer solchen Handhabung läuft das Recht der Strafgefangenen, einen entsprechenden Antrag zu stellen, von vornherein leer.

(4) Soweit der Antragsgegner im Rahmen der Begründung seiner Rechtsbeschwerde meint, die Strafvollstreckungskammer habe übersehen, dass über die Ausführungs-modalitäten im Rahmen der Vollzugsplanfortschreibungen entschieden worden sei, trifft dies nicht zu. Vielmehr wird im Vollzugs- und Eingliederungsplan nach dem eigenen Vorbringen des Antragsgegners lediglich darüber entschieden, ob Ausführungen mit oder ohne Fesselung erfolgen (vgl. §§ 9 Abs. 1 Nr. 16, 78 Abs. 2 Nr. 6 SLStVollzG).

bbb) Soweit im Rahmen der Ausführung des Antragstellers zum Facharzt für Urologie am 16.10.2017 die ihn begleitenden Vollzugsbeamten bei der ärztlichen Untersuchung, dem Arztgespräch und bei der Behandlung im Behandlungszimmer anwesend waren, gilt entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer nichts Anderes. Auch insoweit war die konkrete Art und Weise der Ausführung rechtswidrig, weil es an einer im konkreten Einzelfall getroffenen Ermessensentscheidung des Antragsgegners des erstinstanzlichen Verfahrens von vornherein gefehlt hat.

Zwar hat die Strafvollstreckungskammer zutreffend darauf hingewiesen, dass die Aus-führung nach der gesetzlichen Vorgabe des § 41 Abs. 1 Satz 1 SLStVoIIzG „unter ständiger und unmittelbarer Aufsicht“ zu erfolgen hat. Soweit sie angenommen hat, dieser Gesetzeswortlaut lasse „keinen Ermessensspielraum“ zu, so dass Begleitpersonen „während der gesamten Untersuchung im Arztzimmer anwesend sein müssen“, trifft dies indes nicht zu.

(1) Auch im Rahmen des Strafvollzugs sind die verfassungsrechtlich verbürgten Grundrechte der Strafgefangenen, insbesondere ihre Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG), zu beachten. Die Verpflichtung der öffentlichen Gewalt zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde einer gefangenen Person setzt deren Behandlung im Rahmen des Strafvollzugs Grenzen. Auch im Strafvollzug ist der öffentlichen Gewalt jede Behandlung verboten, die die Achtung des Werts vermissen lässt, der jedem Menschen um seiner selbst willen zukommt (vgl. BVerfGE 109, 279, 313; BVerfG, Beschl. v. 13.11.2007 — 2 BvR 2354/04, juris Rn. 16). Ob eine bestimmte Maßnahme die Menschenwürde des betroffenen Strafgefangenen verletzt, hängt dabei von einer Gesamtschau der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls ab (vgl. zur Belegung und Ausgestaltung von Hafträumen: BVerfG, Beschl. v. 04.12.2019 — 2 BvR 1258/19, 2 BvR 1497/19, juris Rn. 56). Zudem gewährleistet das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch die Selbstbestimmung des Einzelnen über die Darstellung der eigenen Person. Der Einzelne soll selbst darüber befinden dürfen, wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen will und was seinen sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll (vgl. BVerfG NStZ 2000, 166 f. — juris Rn. 15).

(2) Der in § 41 Abs. 1 Satz 1 SLStVollzG verwendete Begriff „unter ständiger und unmittelbarer Aufsicht“ ist entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer im Lichte dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben auslegungsbedürftig. Auch im Rahmen der Ausführung eines Strafgefangenen ist dessen berechtigtes Interesse, nicht ohne sachlich gerechtfertigten Grund einer Situation ausgesetzt zu werden, die sein Schamgefühl verletzt oder von ihm als demütigend und Kränkung seines Selbstwerts empfunden wird, zu berücksichtigen und diesem, soweit Sicherheitsbelange der Allgemeinheit nicht entgegenstehen, Rechnung zu tragen. So wird etwa ein Strafgefangener bei dem notwendigen Gang zur Toilette die persönliche Anwesenheit eines Vollzugsbediensteten während des Ausscheidungsvorgangs regelmäßig als Verletzung seines Schamgefühls empfinden. Diese Beeinträchtigung hat er nur dann hinzunehmen, wenn dies durch Sicherheitsbelange der Allgemeinheit, namentlich zwecks Vermeidung einer Missbrauchs- oder Fluchtgefahr, geboten ist. Die Beurteilung dessen, was zur Gewährleistung einer ständigen und unmittelbaren Aufsicht erforderlich ist, hängt daher von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab, namentlich von dem von dem betroffenen Strafgefangenen ausgehenden Gefahrenpotential einerseits sowie von den örtlichen Gegebenheiten andererseits. Der Fall eines hochgradig gefährlichen, bereits wegen Geiselnahme verurteilten Strafgefangenen wird daher anders zu beurteilen sein als der Fall eines bislang lediglich wegen Vermögensdelikten verurteilten Strafgefangenen. Zudem ist zu berücksichtigen, welche konkreten Flucht-möglichkeiten an dem betreffenden Ort bestehen. Ist eine Fluchtmöglichkeit ausgeschlossen oder geht von dem Strafgefangenen keine Fluchtgefahr aus und ist eine Missbrauchsgefahr, insbesondere die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten, zu verneinen, so kann dem Erfordernis der ständigen und unmittelbaren Aufsicht nach den Umständen des Einzelfalls auch dadurch genügt sein, dass die den Strafgefangenen begleitenden Vollzugsbediensteten bei dessen Gang zur Toilette vor der Toilettentür warten. Andererseits kann bei auf der Hand liegender Flucht- oder Missbrauchs-gefahr das Ermessen dahin auf „Null“ reduziert sein, dass das Erfordernis der ständigen und unmittelbaren Aufsicht des Strafgefangenen nur durch die ununterbrochene persönliche Gegenwart der Vollzugsbediensteten im selben Raum gewährleistet ist.

(3) Nach Maßgabe dieser Grundsätze erweist sich die Ausführung des Antragstellers zum Facharzt für Urologie vom 16.10.2017 auch insoweit als rechtswidrig, als die ihn begleitenden Vollzugsbeamten während der ärztlichen Untersuchung, dem Arztgespräch und der Behandlung im Behandlungszimmer anwesend waren. Auch insoweit hat sich der Antragsgegner lediglich auf die in der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken geübte generelle Praxis berufen, ohne dass er im konkreten Einzelfall eine Ermessensentscheidung getroffen hat. Das reicht nicht aus. Nach den vorstehenden Ausführungen folgt aus dem in § 41 Abs. 1 Satz 1 SLStVollzG normierten Erfordernis der ständigen und unmittelbaren Aufsicht nicht, dass die einen Strafgefangenen zu einem externen Arzt ausführenden Vollzugsbediensteten während der Untersuchung, der Be-handlung und dem Arztgespräch unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls stets im Arztzimmer anwesend sein müssen. Die ärztliche Untersuchung des Antragstellers in Gestalt der rektal durchgeführten Tastuntersuchung der Prostata, dessen Behandlung sowie das Arztgespräch in Anwesenheit der beiden Vollzugsbediensteten berühren die Menschenwürde sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers. Ob die Anwesenheit der Vollzugsbediensteten im Behandlungs-zimmer erforderlich war, um die in § 41 Abs. 1 Satz 1 SLStVollzG vorgeschriebene ständige und unmittelbare Aufsicht zu gewährleisten, oder ob diesem Erfordernis auch durch ein Zuwarten der Vollzugsbediensteten vor der Tür zum Behandlungszimmer genügt worden wäre, hätte daher einer konkreten Einzelfallprüfung durch den Antrags-gegner des erstinstanzlichen Verfahrens bedurft. Daran fehlt es. Da der Antragsgegner überhaupt keine einzelfallbezogene Entscheidung getroffen hat, hat er auch von dem ihm zustehenden Ermessen, für dessen Reduzierung auf „Null“ im Falle des lediglich wegen Vermögensdelikten verurteilten Antragstellers, bei dem keine Fesselung bei Ausführungen angeordnet war, im Übrigen keine Anhaltspunkte bestehen, keinen Gebrauch gemacht.“

Strafvollzug I: Telefonat mit dem Verteidiger, oder: Wann ist es dringlich?

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Heute stelle ich dann drei Entscheidungen zum Strafvollzug vor. Die erste kommt aus bayern.

Im BayObLG, Beschl. v. 29.06.2020 – 204 StObWs 102/20 – hat der BayObLG über die Rechtsbeschwerde eines Strafgefangenen entschieden. Der hatte ein Telefonat mit seinem Verteidiger beantragt, nachdem ihm das BayObLG in verschiedenen Verfahren Fristen zur Gegenerklärung zum jeweiligen Antrag der in den Verfahren abgegebenen Erklärung der GStA  München gesetzt hatte. Diesen Antrag lehnte die JVA ab und verwies auf die fehlende Dringlichkeit. Der Gefangene könne eine Fristverlängerung beim BayObLG beantragen. Dagegen die – erfolglose – Gegenvorstellung. Daraufhin stellte der Strafgefangene Antrag auf gerichtliche Entscheidung und beantragte, die JVA zur Bewilligung und Durchführung eines Verteidigertelefonats zu verpflichten, hilfsweise festzustellen, die Telefonatsablehnung sei rechtswidrig gewesen. Diesen Antrag hat die StVK zurückgewiesen. Gegen den Beschluss hat der Antragsteller Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg:

„a) Nach Art. 35 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG kann Gefangenen in dringenden Fällen gestattet werden, Ferngespräche zu führen.

Damit stellt Art. 35 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG (ebenso wie § 32 Abs. 1 StVollzG, dem Art. 35 BayStVollzG im Wesentlichen entspricht, vgl. LT-Drucks. 15/8101, Seite 57) die Erteilung einer Telefonerlaubnis in das pflichtgemäße Ermessen der Anstalt (vgl. zu § 32 StVollzG die Begründung des Regierungsentwurfs des Strafvollzugsgesetzes, BTDrucks. 7/918, Seite 61 f.; so auch BayObLÖ, Beschluss vom 18.6.2019 – 203 StObWs 897/19, nicht veröffentlicht), wobei diese nicht grundsätzlich gehindert ist, bei ihrer Entscheidung Gesichtspunkte das personellen Aufwandes für die Gewährleistung der notwendigen Sicherheit zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, BVerfGK 14, 381 = NJW 2009, 661 juris Rn. 31) und der Gefangene lediglich einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung hat (vgl. Laubenfhal, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Stralvollzugsgesetze, 12. Aufl., Abschn. E, Rn. 100, 105; Arloth, in: BeckOK Strafvollzug Bayern, 13. Ed. 1.5.2020, BayStVollzG Art. 35 Rn. 2 m.w.N.).

Gegenüber § 32 StVollzG des Bundes und den Normen über Telefongespräche in den Strafvollzugsgesetzen der meisten Länder (außer Niedersachsen, vgl. § 33 Abs. 1 Satz. 1 NJVollzG) enthält Art. 35 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG die Einschränkung, dass den Gefangenen nur in dringenden Fällen gestattet werden kann, Telefongespräche zu führen (vgl. Laubenthal, in: Laubenthal/ Nestler/Neubächer/Verrel, a.a.O., Abschn. E, Rn. 105): Somit handelt es sich um eine Vorschrift, die auf der Tatbestandsseite den gerichtlich voll überprüfbaren, unbestimmten Rechtsbegriff des „dringenden Falles“ enthält und auf der Rechtsfolgenseite der Anstalt Ermessen einräumt (vgl. Arloth/Krä, a.a.O., Art. 35 BayStVollzG Rn. 1; so auch OLG Celle, NStZ-RR 2009, 158, Juris Rn. 9 zu § 33 Abs. 1 Satz.1 NJVollzG).

b) Das Erfordernis eines dringenden Falls gilt nach der Gesetzeslage in Bayern grundsätzlich auch für Telefongespräche des Gefangenen mit seinem Rechtsanwalt, da Art. 35 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG seinem Wortlaut nach keine Unterscheidung hinsichtlich der Gesprächspartner trifft.

aa) Demgemäß folgt ein gesetzlicher Anspruch des Gefangenen, jederzeit Telefongespräche mit seinem Rechtsanwalt oder Verteidiger zu führen, auch nicht aus Art. 35 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG, wonach für Telefongespräche die Vorschriften über den Besuch entsprechend gelten. Zwar sind gemäß Art. 29 Satz 1 BayStVollzG Besuche von Verteidigern (pp.) sowie von Rechtsanwälten oder Notaren in einer den Gefangenen (pp.) betreffenden Rechtssache zu gestatten. Da die Verweisung in Art. 35 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG auf die entsprechende Geltung der Besuchsregelungen aber nichts am grundsätzlichen Erfordernis des Vorliegens eines dringenden Falles ändert, hat sie keine Bedeutung für das „ob“ von Telefongesprächen, sondern nur für das „wie“, namentlich im Hinblick auf die bei den Besuchsvorschriften jeweils vorgesehenen Beschränkungen des Kontakts mit Personen, außerhalb der Anstalt (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl., § 32 Rn. 2; wohl auch Schwind, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 6. Aufl., § 32 Rn. 3), hier also für die Überwachung der. Telekommunikation (vgl. Dessecker, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 9. Kap. D Rn. 15; Arloth, in: BeckOK Strafvollzug Bayern, a.a.O., Art. 35 BayStVollzG Rn. 3).

bb) Demgegenüber enthält etwa das Strafvollzugsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen eine eindeutige Verweisung auf die Gestattungspflicht für Telefongespräche des Gefangenen mit seinem Rechtsanwalt. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 StVollzG NRW sind Besuche von Verteidigerinnen und Verteidigern sowie von Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälten, Notarinnen und Notaren in Rechtssachen der Gefangenen zu gestatten. Nach § 26 Abs. 5 StVollzG NRW gilt unter anderem § 26 Abs. 1 Satz 1 StVollzG NRW für Telefongespräche entsprechend. Die Entscheidung hierüber steht somit nicht im Ermessen der Anstalt. Das belege – wie das Oberlandesgericht Hamm zutreffend ausführt [vgl. Beschluss vom 15.9.2015 – III-1 Vollz (Ws) 401/15, in juris] – nicht nur die Formulierung des Gesetzestextes, sondern auch die Gesetzesbegründung (LT-Drs. NW 16/5413 S. 108). Darin heißt es: „Absatz 5 stellt klar, dass auch Telefongespräche der Gefangenen mit dem in Absatz 1 Satz 1 und Absatz 4 genannten, insoweit privilegierten Personenkreis zu gestatten sind“. Könnten nach dem Gesetzeswortlaut (Telefonate „von“ Verteidigerinnen und Verteidigern etc.) noch Zweifel bestehen, ob dies nicht lediglich ankommende Telefongespräche betrifft, so mache die Gesetzesbegründung insoweit keine Einschränkung und es würde dem Schutzzweck der Regelung zuwiderläufen, gerade die besonders wichtige Möglichkeit der Kontaktaufnahme vom Gefangen zum Verteidiger als Ermessensentscheldung auszugestalten (vgl. OLG Hamm, a.a.O., juris Rn. 4).

c) Eine § 26 StVollzG NRW entsprechende Norm, die ausdrücklich die entsprechende Geltung der Regelung über die Gestattung des Besuches des Verteidigers auf Telefongespräche anordnet, enthält das Bayerische Strafvollzugsgesetz nicht. Gleichwohl sind bei der Frage, wann ein dringender fall im Sinne des Art. 36 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG anzunehmen ist, bei Telefongesprächen mit Verteidigern Besonderheiten zu beachten, so dass sich die Ermesssinsentscheidung auf einen Rechtsanspruch für Telefonate mit dem Anwalt verdichten kann.

aa) Die Vorschrift des Art. 35 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG hat – wie die Gesetzgebungsgeschichte zeigt – vorrangig die Zulässigkeit und die Reglementierung von Telefongesprächen durch Gefangene im Rahmen der Pflege allgemeiner Außenkontakte im Blick und ist nicht auf den Spezialfall des Telefonats eines Gefangenen mit seinem Verteidiger oder Rechtsanwalt zugeschnitten. Die Begründung zu Art. 35 BayStVollzG lautet wie folgt:

„Entsprechend der bayerischen Vollzugspraxis wird in Abs. 1 geregelt, dass den Gefängenen nur in dringenden Fällen gestattet werden kann, Telefongespräche zu führen. Außenkontakte sind für die Erfüllung des Behandlungsauftrags wichtig, weil sie der Wiedereingliederung der Gefangenen dienen, bedürfen aber einer gewiesen Kontrolle. Nicht nur aus Gründen der Sicherheit und Ordnung In der Anstalt, sondern auch aus behandlerischen Gründen muss die Anstalt, wissen, wann und mit welchen Personen die Gefangenen Kontakt haben. Eine unkontrollierte Kommunikation mit Außenstehenden kann daher nicht zugelassen werden. Dies gilt in besonderem Maße für Telefongespräche, da es bei dieser unmittelbaren Form der Kommunikation leichter möglich ist, dass Gefangene versuchen, das Gespräch zu unerlaubten Geschäften zu missbrauchen. Eine Kontrolle der Telefongespräche in größerem Umfang wäre personell nicht leistbar. Sie werden daherauf dringende Fälle beschrankt (LT-Drucks. 15/8101, Seite 57).

Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ist die Beschränkung von Ferngesprächen auf dringende Fälle mit Art. 100, 101 BV. vereinbar. Unter Berücksichtigung des Spannungsverhältnisses zwischen den im Rahmen der Resozialisierung wichtigen Außenkontakten einerseits und der bei Telefongesprächen bestehenden Gefahr, dass Kontakte gepflegt werden, die mit dem Behandlungsauftrag oder den Sicherheitsinteressen der Anstalt oder der Allgemeinheit nicht zu vereinbaren sind, andererseite, sei eine intense Überwachung erforderlich. Anders als bei einem Besuch bestehe beispielsweise die Möglichkeit, dass der Gefangene mit einem unteren als dem angegebenen Telefonpartner spricht oder dass der eigentliche Partner das Gespräch an einen Dritten weiterreicht. In diesem Zusammenhang habe es dem Normgeber freigestanden, Gesichtspunkte des personellen Aufwands für die Gewährleistung der notwendigen Sicherheit in die Überlegungen einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund sei es nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber Telefongespräche mit den Argument, eine Kontrolle in größerem Umfang wäre personell nicht zu leisten (LT-Drucks. 15/8101 Seite 57), nur in dringenden Fällen gestattet. Er habe im Übrigen dem für den Schutz der Allgemeinheit und für die Anstaltsordnung eminent wichtigen Sicherheitsaspekt den Vorrang einräumen dürfen. Dam Resozialisierungsgedanken könne auch in anderer Weise hinreichend Rechnung getragen werden (Beschluss vom 12.5.2009 – Vf, 4-VII-08, FS 2009, 267, juris Rn. 56).

bb) Weder die Gesetzesmaterialien noch der Bayerische Verfassungsgerichtshof verhalten sich zum Spezialfall von Telefongesprächen eines Gefangenen mit seinem Verteidiger oder seinem Rechtsanwalt in konkreten Rechtsangelegenheiten, bei denen die genannten Abwägungsgesichtspunkte nicht in gleicherweise greifen. Denn es geht hierbei nicht primär um die Pflege der im Rahmen der Resozialisierung wichtigen sozialen Außenkontakte, sondern um die Gewährleistung eines fairen Verfahrens durch die Form der Inanspruchnahme einer rechtlichen Beratung.

cc) Demgemäß hat der 3. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts mit Beschluss vom 18.6.2019 (203 StObWs 897/19) zur Ausübung des Ermessens der Anstalt über die Bewilligung eines Telefonats des Beschwerdeführers mit seinem Verteidiger entschieden, dass namentlich die Gestaltungsgrundsätze von § 3 StVollzG, Art. 5 BayStVollzG zu berücksichtigen seien und der hieraus resultierende Angleichungsgrundsatz und die Förderungspflicht (Art. 26 Satz 2 BayStVollzG) im Einzelfall das Recht des Gefangenen auf fehlerfreien Ermessensgebrauch zu einem Recht auf telefonischen Kontakt erstarken lassen können. Dies gelte in besonderem Maße für Telefonate des Gefangenen mit seinem Verteidiger wegen laufender Verfahren. Solche Telefonate stünden dem Strafgefangenen im Regelfall zu (unter Hinweis auf Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, a.a.O., Teil E, Rn. 100, 101).

Im zugrundeliegenden Fall hatte die Justizvollzugsanstalt den Strafgefangenen auf die Erforderlichkeit weiterer Darlegungen zur Dringlichkeit seines Antrags hingewiesen. Daraufhin hatte dieser mitgeteilt, dass in einem konkret bezeichneten Verfahren zu einem bestimmten Zeitpunkt seine Rechtsbeschwerdefrist ablaufe. Gleichwohl hatte die Anstalt nicht zeitnah vor Fristende eine. Entscheidung getroffen, um dem Strafgefangenen das beantragte Telefonat oder – im Falle einer Versagung – einen gerichtlichen Eilantrag zu endlichen. Dies sah der 3. Strafsenat als ermessensfehlerhaft an, da die Justizvollzugsanstalt durch diese Untätigkeit den Antrag des Strafgefangenen abgelehnt und im Ergebnis eine – von dieser auch so gewollte – endgültig Regelung herbeigeführt hatte. Hierbei habe sie ihr Ermessen nicht ausgeübt und euch nicht geprüft, ob möglicherweise sogar eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben war.

Der 3. Strafsenat hat jedoch nicht entschieden, unter welchen konkreten Voraussetzungen sich das Recht des Gefangen auf fehlerfreien Ermessensgebrauch einem Anspruch auf telefonischen Kontakt mit seinem Rechfsanwält verdichtet.

dd) Unabhängig von der Regelung in Art. 35 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG ist nach überwiegender und zutreffender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass Telefongespräche des Gefangenen mit seinem Verteidiger oder mit seinem Rechtsanwalt zum Zwecke der Besprechung in einer ihn betreffenden Rechtssache grundsätzlich zu ermöglichen sind [vgl. zur Untersuchungshaft: BVerfG, Kammerbeschluss vom 7.3.2012 – 2 BvR 988/10, NJW 2012, 2790; zur Sicherungsverwahrung in Nordrhein-Westfalen; BVerfG, Kammerbeschluss vom 3.12.2013 – 2 BvR 2299/13, NStZ-RR 2014, 121; zum Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen: OLG Hamm Beschluss vom 15.9.2015 – Vollz (Ws) 401/15, in juris; so auch Dessecker, in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 9. Kap. D. Rn. 4; Knauer, in Feest/Lesting/Lindemann, StVollzG, 7. Aufl., § 30 LandesR Rn. 15; Laubenthal, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, a.a.O Abschn. E, Rn. 100; Callless/Müller-Dietz, a.a.O„§ 32 Rn. 1; and Ansicht Schwind in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 6. Aufl., § 32 Rn. 2, außer wenn zweifelsfrei feststeht, dass der telefonische Gesprächspartner auch der Verteidiger ist], Dies gilt zumal dann, wenn gesetzliche oder gerichtlich gesetzte Fristen einzuhalten sind (vgl. OLG Köln, NStZ 1990
4). Demgemäß sind auch Telefongespräche bei drohendem Fristablauf In Anwaltssachen zu gestaten (vgl. Bosch, in: BeckOK Strafvollzug Bund, 17. Ed. 1.2.2020, StVollzG § 32 Rn. 2). Insoweit wird es als es ermessensfehlerhaft angesehen Telefongespräche in dringenden Familien- oder Anwaltsangelegenheiten abzulehnen (vgl. Arloth/Krä, a.a.O., § 32 Rn. 2; Calliess/Müller-Dietz a.a.O., § 32 Rn. 1, und Laubenthal, in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, a.a.O., Abschn. E Rn. 101).

Dies steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerlchts zum telefonischen Kontakt des Beschuldigten mit seinem Verteidiger (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss, vom 7.3.2012 – 2 BvR 988/10, NJW 2012, 2790, juris Rn. 30 ff.). Maßnahmen, die den freien Kontakt zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger behindern, berühren das Recht auf ein faires Verfahren (vgl. BVerfGE 49, 24, 55), das seine Grundlage im Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsprinzip hat (vgl. BVerfGE 86, 288, 317). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bereits die Darlegungslast, die Strafgefangenen beziehungsweise ihren Verteidigern mit der Beschränkung wechselseitigen Telefonkontakts auf besonderers zu begründende Drinlichkeitsfälle auferlegt wird, mit dem Anspruch auf Vertraulichkeit der Veteidigerkommunikation in Konflikt geraten kann und dass eine telefonische Kontaktmöglichkeit erhebliche Bedeutung für die Efffektivität des vom Recht auf ein faires Verfahren umfassten und in § 137 StPO einfachgesetzlich verankerten Rechts auf freie Wahl des Verteidigers hat (vgl. hierzu BVerfG, Kammerbeschluss vom 7.3.2012 – 2 BvR 988/10, NJW 2012, 2790, juris Rn. 36 m.w.N).

Nichts anderes kann aber in Strafvollzugssachen für den Kontakt des Gefangenen mit seinem anwaltlichen Beistand gelten (vgl. zu dessen Gleichstellung, mit dem Verteidiger Dessecker/Schwind, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 9. Kap. Abschn. B, Rn. 54; Arloth/Krä. a.a.O., § 26 Rn. 1).

d) Dies zugrunde gelegt war die Versagung der Bewilligung des vom Beschwerdeführer beantragten Telefongespräches mit seinem Rechtsanwalt ermessensfehlerhaft.

aa) Allerdings trifft es zu, dass in der Praxis der beiden für Rechtsbeschwerden in Strafvollzugssachen zuständigen Strafsenate des Bayerischen Obersten Landesgerichts Anträgen auf Fristverlängerung in solchen Fällen grundsätzlich stattgegeben wird und beide Senate mittlerwelle dazu übergegangen sind, entsprechende Stellungnahmefristen von vornherein auf zwei Wochen zu bemessen. Hierauf hat auch die Justizvollzugsanstalt Amberg in ihrer Stellungnahme vom 2.1,2020 hingewiesen.

Soweit die Strafvollstreckungskammer hieraus den Schluss zieht, dass bei richterlich gesetzten Fristen wegen der Möglichkeit der Fristverlängerung eine Dringlichkeit für Telefonate mit dem Verteidiger regelmäßig nicht vorliege, während bei richterlich nicht verlängerbaren Fristen – etwa der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde – Telefonaten des Strafgefangenen mit seinem Verfahrensbevollmächtigten regelmäßig stattzugeben sein wird, greift dies jedoch zu kurz.

bb) Die von den Strafsenaten des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafvollzugssachen mittlerweile grundsätzlich eingeräumten zweiwöchentlichen Fristen zur Erwiderung auf Anträge der Generalstaatsanwaltschaft dienen dazu, den Gefangenen ausreichend Zeit zu geben, um auf die Stellungnahme und den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft zu erwidern und hierbei gegebenenfalls Rechtsrat einzuholen, was bei den bislang eingeräumten einwöchigen Fristen angesichts des technischen und organisatorischen Ablaufe der Postbeförderung innerhalb der Justizvollzugsanstalten nicht immer ausreichend gewährleistet war. Die Verlängerung der Fristen hat nicht den Zweck, Telefongespräche des Gefangenen mit seinem Rechtsanwalt durch den Verweis auf eine schriftliche Kontaktaufnahme zu vermeiden bzw. gar überflüssig zu machen. Diese würde dem Recht des Gefangenen auf Gewährleistung eines fairen Verfahrens – hier in der Form der Inanspruchnahme rechtlicher Beratung – zuwiderlaufen. Zunächst ist darauf hinzuweisen dass ein allfälliges persönliches Beratungsgespräch des Gefangenen mit seinem Verteidiger nicht durch Schriftverkehr ersetzt werden kann. Sodann ist zu berücksichtigen dass der in Strafhaft befindliche Gefangene nicht die Möglichkeit hat, den Rechtsanwalt in seinen Geschäftsräumen zur Durchführung eines solchen Beratungsgesprächs aufzusuchen. Vielmehr müsste der Rechtsanwalt zu einem solchen Gespräch in die Anstalt kommen, was einerseits wegen des hierfür erforderlichen Zeitaufwandes zu Terminschwierigkeiten auf Anwaltsseite und andererseits zu hohen Kosten für den Gefangenen führen kann.

cc) Der vorliegende Sachverhalt gibt keinen Anlass zu einer Grundsatzentscheidung über den generellen Umfang des Rechts von Gefangenen auf Führung von Telefonaten mit ihrem Verteidiger oder ihrem Rechtsanwalt in sie betreffenden Rechtsachen. Jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in denen dem Gefangenen in einem Gerichtsverfahren eine Frist zur Stellungnahme gesetzt wurde, kann es dem Gefangenen nicht verwehrt werden, ein Telefongespräch mit seinem Verteidiger, dem ihm beigeordneten oder dem von ihm mandatierten Rechtsanwalt (was dieser gegebenenfalls bei der Vermittlung des Telefonats dem zuständiger Mitarbeiter der Justizvollkommen, ob es sich um eine gesetzliche oder richterlich bestimmte Frist handelt, da dem Gefangenen in beiden Fällen die Möglichkeit zu eröffnen ist, vor der Angabe der Stellungnahme entsprechenden Rechtsrat bei seinem \/erteidiger oder anwaltlichen Beistand bzw. Verfahrensbevollmächtigten einzuholen.

Die gewünschte telefonische Verbindung kann unter Nutzung der Telefonnummer, die der als solcher ausgewiesene Rechtsanwalt angegeben hat, von der Justizvollzugsanstalt selbst hergestellt werden (vgl. BVerf, Kammerbeschluss vom 7.3.2012 – 2BvR 988/10, NJW 2012, 2790, juris Rn. 35).“

U-Haft I: Fixierung, oder: Nicht in der U-Haft

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Heute gibt es dann drei Postings zu „Haftfragen“.

Ich beginne mit dem AG Lübeck, Beschl. v. 31.08.2020 – 9 XIV 17461 L. Das AG hat die Frage entschieden, ob in Schleswig-Holstein während der U-Haft die  die Anordnung einer Fixierung zulässig ist.Grudnlage war folgender Sachverhalt:

„Der Betroffene ist U-Haftgefangener. Die Untersuchungshaft wurde seit dem 03.07.2020.in der JVA N. vollzogen. Nachdem der Betroffene am 30.08.2020 einen Bediensteten der Untersuchungshaftabteilung mit einem gefährlichen Gegenstand angegriffen und verletzt hatte, wurde er unter Fesselung am 31.08.2020 in die JVA L. verlegt und machte bei seiner Zuführung einen zunächst ruhigen und kooperativen Eindruck. Bei der Abnahme der für den Transport angeordneten Handfesseln schlug er direkt auf die umstehenden Bediensteten ein. Der Betroffene wurde erneut an den Händen gefesselt und in den besonders gesicherten Haftraum (bgH) verbracht. Während des Transports in den bgH war der Betroffene erneut ruhig. Bei erneuter Abnahme der Handfesseln wurde der Betroffene wieder aggressiv und versuchte die Bediensteten körperlich zu attackieren. Daraufhin wurde der Betroffene gegen 12.50 Uhr fixiert. Gegen 14.00 Uhr erfolgte eine Antragstellung beim Amtsgericht Lübeck sowie gegen 15.00 Uhr eine körperliche Untersuchung des Betroffenen durch den stellvertretenden Anstaltsarzt Dr. L. Um 16.30 Uhr wurde der Betroffene 7- Punkt fixiert in der JVA angetroffen und im Beisein des ihm beigeordneten Verfahrenspflegers angehört.“

Das AG verneint die Zulässigkeit der Fixierung und hat den entsprechenden Antrag zurückgewiesen:

„Für die freiheitsentziehende Maßnahme der Fixierung fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Die Fixierung des betroffenen Gefangenen ist auf Basis des § 49 UVollzG SH nicht möglich. Diese von der JVA in Anspruch genommene Vorschrift nennt in Abs. 2 Nr. 6 als besondere Sicherungsmaßnahme die Fesselung. Eine Fesselung ist allerdings etwas anderes als eine Fixierung. Eine Fesselung beschränkt die Bewegungsfreiheit der Extremitäten, nicht des ganzen Körpers. Dies ergibt sich bereits aus § 51 S. 1 UVollzG SH, wonach in der Regel Fesseln nur an den Händen oder an den Füßen angelegt werden. Selbst wenn hieraus geschlossen werden könnte, dass von dieser Regel Ausnahmen möglich sein müssen und eine solche die 7-Punkt-Fixierung sei, dürfte eine solche von der regelmäßigen Fesselung abweichende besondere Fesselung nur im Interesse des Gefangenen angeordnet werden, § 51 S. 2 UVollzG SH. Hier wurde die Fixierung (als besondere Art der Fesselung) allerdings im Interesse der Bediensteten angeordnet, denn diese sollen vor weiteren Angriffen des betroffenen Gefangenen geschützt werden. Selbst bei einer extensiven Auslegung des Begriffes Fesselung könnte die hiervon der JVA durchgeführte und nachträglich beantragte Maßnahme also nicht auf § 49 Abs. 2 Nr, 6 UVollzG SH gestützt werden.

Die extensive Auslegung des Begriffes „Fesselung“ überzeugt ohnehin nicht. Eine Fixierung, also die vollständige Aufhebung der Bewegungsfreiheit in jede Richtung, ist etwas andere als eine Fesselung, die die Extremitäten beschränkt. Dies ergibt neben der Auslegung des Begriffes auch die Gesetzessystematik. § 49 UVollzG nennt ausweislich der Überschrift „Besondere Sicherungsmaßnahmen“. Unter derselben Überschrift regelt § 108 LStVollzG SH dies für den Bereich des Strafvollzugs, also einer der U-Haft sehr ähnlichen Situation, die auch in denselben Haftanstalten vollzogen wird. Hier sind als besondere Sicherungsmaßnahme ausdrücklich die Fesselung sowie die Fixierung genannt, § 108 Abs. 2 Nr. 5, 6 LStVollzG SH. Mithin unterscheidet der Landesgesetzgeber durchaus zwischen Fesselung und Fixierung. Das UVollzG wurde im Jahre 2011 beschlossen, das LStVollzG im Jahre 2016. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber im Jahre 2011 eine andere Begrifflichkeit verwendet hat als 5 Jahre später.

Auch ist der Gesetzgeber verpflichtet, insbesondere die Fälle, in denen eine Freiheitsentziehung zulässig sein soll, hinreichend klar zu bestimmen. Freiheitsentziehungen sind in berechenbarer messbarer und kontrollierbarer Weise zu regeln, BVerfG a. a. O., Randnummer 79. Dies spricht gerade in diesem Bereich gegen die den Wortlaut überdehnende Auslegung, dass eine Fixierung eine besondere Form der Fesselung sei.

Da auf Basis des U-Haftvollzugsgesetz keine Fixierung angeordnet werden kann, ist der Antrag der Justizvollzugsanstalt mangels gesetzlicher Grundlage insgesamt zurückzuweisen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die Möglichkeit der Anordnung der Fixierung unmittelbar aus der Verfassung folgen würde, wie es das BVerfG für Fixierungen in Bayern angenommen hat, da die dortige Regelung der öffentlich rechtlichen Unterbringung an entsprechender Klarheit zu wünschen übrig ließ, BVerfG a. a. O., Randnummer 128, 129. Das Bundesverfassungsgericht hatte innerhalb einer Übergangsfrist trotz fehlender gesetzlicher Grundlage Fixierungen für zulässig erklärt soweit sie unerlässlich sind, um eine gegenwärtige erhebliche Selbstgefährdung oder eine erhebliche Gefährdung bedeutender Rechtsgüter anderer abzuwenden.

Selbst wenn man annehmen würde, dass bei Vollzug einer Untersuchungshaft in Schleswig-Holstein unter diesen strengen Voraussetzungen trotz fehlender gesetzlicher Grundlage eine Fixierung zulässig wäre, so wäre sie im konkreten Fall jedoch nicht anzuordnen. Es ist nicht ersichtlich, dass die vom Betroffenen für andere ausgehende Gefahr nicht auch im besonders gesicherten Haftraum abgewendet werden könnte. Zwar wäre er erst einmal dort hinzubringen, seine Fesselung wäre dann zu lösen, durch geeignete Personalstärke wird es aber gelingen, den betroffenen Gefangenen in den bgH zu verbringen und dort die Fesselung zu lösen, ohne dass die dies durchführenden Beamten verletzt werden. Jedenfalls ist die Gefahr für das eingesetzte Personal bei dem unbewaffneten Gefangenen nicht so hoch, dass sein Aufenthalt in der JVA ohne Fixierung nicht riskiert werden könnte; erst dann aber dürfte eine einfach gesetzliche nicht geregelte Fixierungsmöglichkeit sich unmittelbar aus der Verfassung ergeben.

Schließlich ist bei der Frage, ob sich nicht aus der Verfassung eine Fixierungsmöglichkeit ergäbe, zu berücksichtigen, dass andere Maßnahmen zwischen Aufnahme in die Haftanstalt und der Verlegung nach Lübeck möglicherweise eher angezeigt gewesen wären, um die Verbringung in den bgH, Fesslungen und jetzt eine Fixierung und gleichzeitig Gefahren für Dritte zu vermeiden. Nach dem Eindruck, den das Gericht vom Betroffenen gewonnen hat und nach den Ausführungen des Anstaltsarztes dürfte beim Betroffenen eine psychotische Symptomatik vorliegen, die zu raptusartigen Durchbrüchen führt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Betroffene auf eine psychiatrische Grunderkrankung überhaupt untersucht worden ist, geschweige denn dass versucht wurde, diese zu behandeln. Die Verlegung von der JVA N., bei der eine psychiatrische Behandlung immerhin möglich ist, in die JVA L. erscheint daher verwunderlich. Den Gefangenen bei Wiederherstellung seiner Gesundheit zu unterstützen ist aber eine der Aufgaben der JVA; bei Gefahren für Dritte wie vorliegend kämen auch Behandlungsmaßnahmen gegen den Willen des Betroffenen in Betracht, § 21 UVollzG. Es ist nicht ersichtlich, dass solches in der bisher zuständigen JVA auch nur erwogen wurde.

Auch weckt die Durchführung der Fixierung in der JVA L. Bedenken. Der Betroffene hat sich ausweislich der Anhörung und der Schilderungen der Justizbediensteten in einem starken Erregungszustand befunden, was auch die ärztliche Stellungnahme belegt. Den Betroffenen in einem solch starken Erregungszustand ohne jede beruhigende Medikation zu fixieren scheint nicht sachgemäß und medizinisch kaum vertretbar zu sein; der Erregungszustand dürfte sich im nicht beruhigten fixierten Zustand eher verstärken. Dies muss allerdings nicht abschließend beurteilt werden, da aus vorgenannten Gründen die Fixierung ohnehin nicht anzuordnen ist.“