Archiv der Kategorie: Sonstige Gerichte

Auslagen I: Reisekosten des auswärtigen PkH-Anwalt, oder: Beschränkung der Beiordnung?

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Und heute am „Money-Day“ ein paar Entscheidungen zu Auslagen.

Den Opener macht der OVG Bremen, Beschl. v. 23.07.2024 – 1 S 93/24. Gestritten wird um den Auslkagenanspruch einer nicht im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwälting. In dem zugrunde liegenden Verfahren hatte das VG dem in Bremen wohnenden Kläger mit Beschluss vom 21.12.2020 Prozesskostenhilfe bewilligt und eine auswärtig niedergelassene Rechtsanwältin beigeordnet. Eine Beschränkung der Beiordnung im Sinne des § 121 Abs. 3 ZPO enthält der Beschluss des VG weder im Tenor noch in den Gründen.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des VG hat für die Rechtsanwältin die Reisekosten zum Gerichtstermin und das Abwesenheitsgeld nicht festgesetzt. Diese seien nicht erstattungsfähig, da es sich hierbei anteilig um Kosten handele, die entstanden seien, weil die Rechtsanwältin nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts ansässig sei. Auf die Erinnerung der Rechtsanwältin hat das VG diese Kosten festgesetzt. Hiergegen richtet sich der Vertreter der Staatskasse mit der Beschwerde, der die Rechtsanwältin entgegengetreten ist. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg:

„Die zulässige Beschwerde des Erinnerungsgegners hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass eine Beschränkung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung auf die Kosten einer im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwältin im konkreten Fall nicht in Betracht kommt.

Gemäß § 121 Abs. 3 ZPO darf das Gericht einen Anwalt, der nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist, grundsätzlich nur dann beiordnen, wenn dadurch keine weiteren Kosten entstehen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass ein Prozesskostenhilfeberechtigter nicht bessergestellt wird als ein kostenbewusster und vernünftiger Prozessbeteiligter, der seine Prozesskosten selbst zu tragen hat (VGH BW, Beschl. v. 30.04.2015 – 11 S 124/15, juris Rn. 2). Daher ist bei einem auswärtigen Rechtsanwalt zur Vermeidung entbehrlicher Reisekosten eine Beschränkung der Beiordnung auf die für einen im Bezirk des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalt geltenden Bedingungen grundsätzlich geboten (OVG Bremen, Beschl. v. 25.05.2020 – 2 B 66/20, juris Rn. 34; BayVGH, Beschl. v. 19.06.2017 – 10 C 17.1076, juris Rn. 11).

Wenn im Bewilligungs- und Beiordnungsbeschluss, wie vorliegend, eine Beschränkung im Sinne des § 121 Abs. 3 ZPO nicht vorgenommen wurde, obwohl dies geboten gewesen wäre, ist der Urkundsbeamte im Vergütungsfestsetzungsverfahren gleichwohl an diese vom Gericht getroffene Entscheidung gebunden (Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl. 2023, § 46 Rn. 7). Der Bewilligungs- und Beiordnungsbeschluss ist im Vergütungsfestsetzungsverfahren einer materiell-rechtlichen Überprüfung entzogen. Selbst eine fehlerhafte Beiordnung ist deshalb im Vergütungsfestsetzungsverfahren zu beachten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.01.2014 – II-10 WF 1/14, juris Rn. 3; OLG Dresden, Beschl. v. 01.10.2008 – 8 W 958/08, juris Rn. 9; OLG Celle, Beschl. v. 20.03.2007 – 23 W 31/07, juris Rn. 7; VG München, Beschl. v. 21.05.2024 – M 3 M 20.50423, juris Rn. 16 f.; VG Würzburg, Beschl. v. 18.03.2021 – W 8 M 20.31222, juris Rn. 20; Schultzky, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 121 Rn. 27; Reichling, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 54. Ed. Stand: 01.03.2024, § 121 Rn. 34; a.A. LAG München, Beschl. v. 10.02.2022 – 6 Ta 244/21, juris Rn. 18 sowie v. 12.06.2007 – 10 Ta 229/05, juris m.w.N.; OLG Celle, Beschl. v. 14.04.2000 – 18 WF 90/00, juris Rn. 7).

Es kommt auch keine Auslegung oder Umdeutung des Beschlusses vom 21.12.2020 dergestalt in Betracht, dass die Erinnerungsführerin vorliegend trotz der uneingeschränkten Tenorierung nur eingeschränkt beigeordnet worden wäre. Denn eine Beschränkung der Beiordnung hat aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit grundsätzlich ausdrücklich zu geschehen (OLG Dresden, Beschl. v. 01.10.2008 – 8 W 958/08, juris Rn. 9). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass das in § 121 Abs. 3 ZPO normierte Mehrkostenverbot den ihre Beiordnung beantragenden Rechtsanwälten bekannt ist bzw. bekannt sein muss. Nur ausnahmsweise kann einem Beiordnungsbeschluss daher eine Beschränkung auch ohne ausdrückliche Tenorierung entnommen werden, etwa wenn sich die Beschränkung zwar nicht aus dem Tenor, wohl aber aus den Entscheidungsgründen ergibt oder wenn der Prozesskostenhilfe- und Beiordnungsantrag bereits beschränkt gestellt wurde (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 01.10.2008 a.a.O.). In dem vorliegenden Verfahren bestehen jedoch keinerlei Anhaltspunkte für eine solche Ausnahmekonstellation.“

Fälligkeit der anwaltlichen Vergütungsforderung, oder: Ruhen des Verfahrens

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In der zweiten Entscheidung, dem LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 26.10.2023 – 26 Ta (Kost) 6085/23 – geht es um die Fälligkeit der anwaltlichen Vergütungsforderung in den Fällen des „Ruhens des Verfahrens“.

Dazu das LAG:

„1. Der Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswerts ist zulässig. Die Vergütung der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats ist fällig.

a) Nach § 8 Absatz 1 Satz 2 RVG soll der in einem gerichtlichen Verfahren tätige Anwalt seine Vergütung nicht nur und erst dann geltend machen können, wenn der Auftrag erledigt oder die Angelegenheit beendet ist, sondern unter anderem auch dann, wenn das Verfahren mehr als drei Monate geruht hat. Die Kammer schließt sich der Auffassung an, nach der insoweit auch ein drei Monate andauernder Stillstand des Verfahrens genügt. Entscheidend ist dabei aber, dass das Gericht zu erkennen gegeben hat, dass es das Verfahren von sich aus bis auf Weiteres nicht weiter betreiben will (vgl. LAG Köln 17. November 2011 – 7 Ta 30/11, Rn. 11; OLG Karlsruhe 22. November 2007 – 5 U 147/05, NJW-Spezial 2008, 92 f.). Einer förmlichen Ruhensanordnung im Sinne von § 251 ZPO bedarf es nicht.

b) Dem ist hier dadurch genügt, dass beantragt worden ist, das Verfahren terminlos zu stellen sowie den angesetzten Gerichtsterm in aufzuheben und das Arbeitsgericht dem nachgekommen ist. Hintergrund war die Fortsetzung einer eingerichteten Einigungsstelle. Die Beteiligten haben das Verfahren auch nach über einem Jahr nicht wieder aufgerufen.“

Kessel

KCanG II: „Kessel Buntes“ vom LG, AG und VG, oder: Funkzellenabfrage, Mietverhältnis, Erkennungsdienst

Kessel

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Und dann im zweiten Posting ein „Kessel Buntes“ zum KCanG, nämlich eine LG-, eine AG und eine VG-Entscheidun. Im Einzelnen:

Der Anordnung steht einer Funkzellenabfrage nach § 100g Abs. 3 S. 1 StPO steht nicht entgegen, dass kein Verdacht einer besonders schweren Straftat im Sinne des § 100g Abs. 2 StPO vorliegt, da eine solche Katalogtat für eine Funkzellenabfrage nach § 100g Abs. 3 StPO nicht erforderlich ist. (Anschluss an: LG Hamburg, Beschl. v. 06.06.2024 – 621 Qs 32/24; entgegen: BGH, Beschl. v. 10.01.2024 – 2 StR 171/23).

Eine Kündigungsgrund kann auch nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetz – KCanG – grundsätzlich dann gegeben sein, wenn der Bereich der eigenen Wohnung durch die Auswirkungen des Cannabiskonsum überschritten wird, da insofern dann ein Verstoß gegen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme und damit eine erhebliche Störung des Hausfriedens in Betracht kommt (§ 241 Abs. 2, § 535, § 543 Abs. 1, § 549, § 569 Abs. 2, § 573, § 573c, § 574, § 574a BGB unter Beachtung des KCanG).

Zu den Auswirkungen der Neuregelungen des KCanG auf die für eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b Abs. 1 Alt. StPO erforderliche Gefahrenprognose.

Mal wieder Befreiung vom sog. Verhüllungsverbot, oder: Tragen einer Niqab

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Author Manuelfb55

Und als zweite Entscheidung dann OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 13.08.2024 – 7 A 10660/23.OVGzur Frage der Befreiung vom Verhüllungsverbot im Straßenverkehr zum Tragen eines Gesichtsschleiers/Niqab.

Darüber habe ich ja schon ein paar Mal berichtet, so dass m.E. die Leitsätze des OVG reichen:

1. Gegen das Verhüllungs- und Verdeckungsverbot des § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

2. Zur Ablehnung des Antrags einer Niqab-Trägerin auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO (hier: nicht beanstandet).

Rest dann bitte in der umfangreich begründeten Entscheidung selbst lesen.

Präventive Sicherstellung eines Motorrades, oder: Gefahren-/Verdachtslage

Heute dann im Kessel Buntes noch zwei Entscheidung aus dem verwaltungsrechtlichen Bereich.

Zunächst macht das OVG-Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.04.2024 – 7 A 10988/23.OVG – den Opener. Es geht um die präventive Sicherstellung eines Motorrades. Das OVG sagt: das ist grundsätzlich erlaubt, aber aAn die Gefahrenprognose sind hohe Anforderungen zu stellen. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutung genügen nicht:

„Zwar kann, wie hier geschehen, eine präventiven Zwecken dienende Sicherstellung nach § 22 Nr. 1 Polizei- und Ordnungsbehördengesetz – POG – grundsätzlich neben einer Sicherstellung bzw. Beschlagnahme nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (sog. doppelfunktionale Maßnahme) angeordnet werden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. April 2017 – 2 StR 247/16 –, juris Rn. 21, 25 ff.; OVG RP, Beschluss vom 20. April 2022 – 7 B 10279/22.OVG –, n.v.).

Die Voraussetzungen für eine präventive Sicherstellung des Motorrades des Klägers lagen hier indes nicht vor.

1. Nach § 22 Nr. 1 POG können die allgemeinen Ordnungsbehörden und die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden. Unter einer polizeilichen Gefahr ist eine Lage zu verstehen, in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung führen würde. Dabei sind vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit nicht nur die Individualrechtsgüter, wie Leib, Leben und Eigentum anderer erfasst, sondern auch die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2008 – 6 C 21/07 –, juris Rn. 13; OVG RP, Urteil vom 10. Februar 2010 – 7 A 11095/09 –, juris Rn. 27; Rühle, Polizei- und Ordnungsrecht Rheinland-Pfalz, 9. Aufl. 2023, § 3 Rn. 2 ff.). § 22 Nr. 1 POG enthält mit dem Erfordernis einer gegenwärtigen Gefahr eine zusätzliche Qualifizierung der Eingriffsvoraussetzungen. Der Begriff der gegenwärtigen Gefahr stellt strengere Anforderungen an die zeitliche Nähe und den Wahrscheinlichkeitsgrad des Schadenseintritts (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 – I C 31/72 –, juris Rn. 32; OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2021 – 5 A 942/19 –, juris Rn. 40; Beschluss vom 24. März 2021 – 5 B 1884/20 –, juris Rn. 9; VGH BW, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 1 S 1401/11 –, juris Rn. 58). Gegenwärtig ist eine Gefahr dann, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder unmittelbar bzw. in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht (vgl. OVG RP, Beschluss vom 25. März 2009 – 1 A 10632/08.OVG –, juris Rn. 26; Beschluss vom 30. Oktober 2009 – 7 A 10723/09.OVG –, juris Rn. 28; Beschluss vom 26. August 2011 – 7 E 10858/11.OVG –, ESOVGRP; Beschluss vom 8. Mai 2015 – 7 B 10383/15 –, juris Rn. 11; OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2021 – 5 A 942/19 –, juris Rn. 40 f. m.w.N.; BayVGH, Beschluss vom 17. September 2015 – 10 CS 15.1435 u.a. –, juris Rn. 21; OVG Bremen, Urteil vom 24. Juni 2014 – 1 A 255/12 –, juris Rn. 25). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 – I C 31/72 –, juris Rn. 41).

Die polizeiliche Gefahr ist eine auf Tatsachen gegründete prognostische Einschätzung über einen künftigen Geschehensverlauf, wobei die Tatsachen pflichtgemäß aufzuklären sind. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 – I C 31/72 –, juris Rn. 33; OVG RP, Urteil vom 10. Februar 2010 – 7 A 11095/09 –, juris Rn. 35; OVG Nds., Urteil vom 25. Juni 2015 – 11 LB 34/14 –, juris Rn. 34). Die Gefahr muss im Zeitpunkt der Entscheidung über die zu ergreifende polizeiliche Maßnahme vorliegen; es ist also beim polizeilichen Eingriff grundsätzlich die ex-ante-Sicht entscheidend (vgl. etwa VGH BW, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 1 S 1401/11 –, juris Rn. 59). Auch für die der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Sicherstellungsanordnung zugrunde zu legende Sach- und Rechtslage ist maßgeblicher Zeitpunkt der bei Vornahme der Sicherstellungsanordnung (stRspr. des Senats, vgl. etwa Beschluss vom 4. September 2018 – 7 B 10912/18.OVG –, ESOVGRP; so auch OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 2007 – 5 A 1056/06 –, juris Rn. 2 ff.; BayVGH, Urteil vom 23. Februar 2016 – 10 BV 14/2353 –, juris Rn. 16; HessVGH, Beschluss vom 25. April 2018 – 8 B 538/18 –, juris Rn. 21; OVG Bremen, Beschluss vom 4. Juni 2019 – 1 LB 225/18 –, juris Rn. 40).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen war die zum Zeitpunkt der Sicherstellung des Motorrades des Klägers getroffene Gefahrenprognose der Polizeibeamten nicht gerechtfertigt…..“

Rest dann bitte im verlinkten Volltext nachlesen.