Archiv der Kategorie: BGH

Strafe I: Besitz kinderpornographischer Inhalte, oder: Neufassung des § 184b StGB milderes Gesetz

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Heute dann drei Posting zu Strafzumessung, also auch zur Bewährung usw.

Zunächst der BGH, Beschl. v. 6 StR 398/24. Das ist einer von inzwischen mehreren, die sich mit den Auswirkungen der Änderung des Strafrahmens bei § 184b Abs. 3 StGB befassen. Ich weise – als „Reminder“ – ausdrücklich hier nur auf diesen hin. Der BGh führt aus:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Besitzes kinderpornographischer Inhalte zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Strafausspruch hat keinen Bestand.

Das Landgericht hat die Strafe dem zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung geltenden Strafrahmen des § 184b Abs. 3 StGB a.F. (in der Fassung vom ) entnommen, der Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren vorsah. Dabei konnte es nicht berücksichtigen, dass § 184b Abs. 3 StGB durch das am in Kraft getretene „Gesetz zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 des Strafgesetzbuches – Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte“ vom (BGBl. I 2024 Nr. 213) als Vergehen mit erhöhter Mindeststrafe von drei Monaten neugefasst worden ist; die Strafrahmenobergrenze hat der Gesetzgeber unverändert gelassen. Die Neufassung erweist sich bei der gebotenen konkreten Betrachtung als das mildere Gesetz (§ 2 Abs. 3 StGB), was der Senat im Revisionsverfahren zu berücksichtigen hat (§ 354a StPO).

Da die Strafkammer die verhängte Strafe dem unteren Bereich des von ihr angewendeten Strafrahmens entnommen hat, vermag der Senat nicht auszuschließen, dass sie bei Anwendung des nunmehr geltenden deutlich geringeren Strafrahmens eine niedrigere Strafe verhängt hätte (§ 337 Abs. 1 StPO).“

StGB I: Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, oder: Verbreiten/Herstellen von KiPo

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Und heute dann mal wieder ein wenig aus dem StGB.

Ich starte mit dem BGH, Urt. v. 16.05.2024 – 3 StR 112/23 -, das in etwa folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Das LG hat die beiden Angeklagten jeweils u.a. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, teilweise in Tateinheit mit Herstellen pornografischer Schriften oder Inhalte, verurteilt. Beide hatten sich sexuell an mehreren Kindern vergangen und von den Tatgeschehen Foto- bzw. Videoaufnahmen angefertigt. Der jüngere Angeklagte hatte die Aufnahmen seiner Missbrauchstaten mindestens einer anderen Person zur Verfügung gestellt. In einigen Fällen beabsichtigte er eine Weitergabe der Aufnahmen bereits bei Vornahme der sexuellen Handlungen.

Anders als das LG sieht der BGH darin einen schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in pornografischer Absicht im Sinne von § 176c Abs. 2 StGB. Das LG habe seiner rechtlichen Beurteilung einen zu engen Verbreitungsbegriff des § 176c Abs. 2 StGB zu Grunde gelegt, so der BGH. Es habe angenommen, eine Verbreitungsabsicht im Sinne des Qualifikationstatbestandes sei nur gegeben, wenn der Täter bereits bei dem sexuellen Missbrauch beabsichtige, hiervon einen kinderpornographischen Inhalt anzufertigen und diesen im Sinne von § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Hs. 1 Alt. 1 StGB zu verbreiten. Hierzu müsste er einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis zugänglich gemacht werden. Das hatte das LG abgelehnt, da es hier nur um (mindestens) eine Person ging.

Die Entscheidung hat folgenden Leitsatz:

    1. Der Begriff des „Verbreitens“ in § 176c Abs. 2 StGB ist nicht im engen Sinne des Verbreitungsbegriffs des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 Alternative 1 StGB zu verstehen. Er erfasst vielmehr alle in § 184b Abs. 1 genannten Varianten der Hergabe oder Zugänglichmachung, darunter auch die Drittbesitzverschaffung gemäß § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB.
    2. Die bloße Absicht der Herstellung eines kinderpornographischen Inhalts (§ 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB) genügt dagegen für eine Strafbarkeit nach § 176c Abs. 2 StGB nicht; vielmehr muss zu dieser die weitere Intention einer anschließenden Handlung im Sinne einer der in § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 StGB aufgeführten Verbreitungsvarianten hinzutreten.

Pflichti I: „Pflichti-Versäumnisse, Verteidigerwechsel, oder: Wahlanwalt, Zeitpunkt des Bestellungsantrags

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Und dann heute mal wieder Pflichtverteidigungsentscheidungen, darunter einiges vom BGH.

Ich beginne mit den BGH-Entscheidungen, zu denen ich hier aber nur die Leitsätze vorstelle:

Etwaige Versäumnisse eines Pflichtverteidigers können dem Staat nur ausnahmsweise angelastet werden, da die Führung der Verteidigung Sache des Angeklagten und seines Pflicht- oder Wahlverteidigers ist. Für Behörden und Gerichte besteht eine Verpflichtung zum Eingreifen nur, wenn das Versagen eines Pflichtverteidigers für die Justiz offenkundig ist oder sie davon unterrichtet wird.

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers setzt gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO voraus, dass die betreffende Person Beschuldigter in einem Strafverfahren ist und die Strafverfolgungsbehörde ihr durch amtliche Mitteilung oder auf sonstige Art und Weise die Einleitung gegen sie gerichteter Ermittlungen zur Kenntnis gebracht hat. Vor der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens sowie im Zeitraum noch nicht offen geführter Ermittlungen ist für eine Pflichtverteidigerbestellung kein Raum. Dementsprechend sind Anträge auf Pflichtverteidigerbestellung, die bereits vor der amtlichen Bekanntgabe des Tatvorwurfs, etwa aufgrund von Vermutungen über die Einleitung eines Strafverfahrens, gestellt werden, unzulässig.

Gemäß § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO ist es – grundsätzlich zwingend – geboten, eine Pflichtverteidigerbestellung aufzuheben, wenn der Beschuldigte einen anderen Verteidiger gewählt und dieser zudem die Wahl angenommen hat. Eine Ausnahme besteht u.a., wenn zu besorgen steht, dass der neue Verteidiger das Mandat demnächst niederlegen und seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragen wird.

1. Hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs in der Beschwerdeinstanz gilt, dass dem zur Entscheidung über einen Verteidigerwechsel nach § 143a StPO und über die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers nach § 144 StPO berufenen Richter ein Beurteilungsspielraum zukommt

2. Einer Bestellung eines Pflichtverteidigers im Wege eines konsensualen Verteidigerwechsels steht entgegen, wenn eine angemessene Verteidigung des Angeklagten bei einer Teilnahme an lediglich einem Drittel der Verhandlungstermine nicht gewährleistet ist.

 

 

KCanG I: nicht geringe Menge, Gesamt-, Eigenmenge, oder: BGH-Vorlage an den Großen Senat

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Und in die 38 KW starte ich mit einigen Entscheidungen zum KCanG. Ein wenig hat sich „angesammelt“. Und zwar haben wir da:

„aa) Die Handelsmenge Cannabis von rund 614 Gramm besaß nach den Urteilsfeststellungen einen Wirkstoffgehalt von 124 Gramm THC und beläuft sich damit annähernd auf das 17-fache der nicht geringen Menge im Sinne des § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG, die bei 7,5 Gramm liegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24 Rn. 7; vom 27. Mai 2024 – 1 StR 145/24 Rn. 12; vom 6. Mai 2024 – 2 StR 480/23 Rn. 27; vom 15. Mai 2024 – 2 StR 177/24 Rn. 3; vom 14. Mai 2024 – 3 StR 115/24 Rn. 9; vom 6. Mai 2024 – 4 StR 5/24 Rn. 10; vom 4. Juni 2024 – 4 StR 111/24 Rn. 5; vom 23. April 2024 – 5 StR 153/24 Rn. 11; vom 24. April 2024 – 5 StR 136/24 Rn. 3 und vom 30. April 2024 – 6 StR 536/23 Rn. 21).

Bedenken dahin, dass es dem Qualifikationstatbestand des § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG wie auch der Strafzumessungsregel in § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG, die nach ihrem Wortlaut wie § 29a BtMG als normatives Tatbestandsmerkmal eine „nicht geringe Menge“ voraussetzen, an der gemäß Art. 103 Abs. 2 GG erforderlichen hinreichenden Bestimmtheit fehlen könnte (so wohl Gärditz, JZ 2024, 564, 565 ff.), hat der Senat nicht (vgl. BVerfGE 126, 170, 194 ff.; 143, 38 Rn. 41; 160, 284 Rn. 90 ff.). Denn der konkretisierungsbedürftige Begriff der „nicht geringen Menge“ hat aufgrund der seit Jahrzehnten gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu §§ 29a ff. BtMG eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewonnen.“

  • BGH, Beschl. v. 01.08.2024 – 2 StR 107/24 – mit der Vorlage zu den Fragen, wie beim „gemischten Handeln“ aus der „Gesamtmenge“ die für den Eigenkonszm bestimmte Menge herauszurechnen ist und der ähnlichen Problematik bei der Einziehung:

Dem Großen Senat für Strafsachen sind gemäß § 132 Abs. 4 GVG folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt worden:

1. Kommt es für die Beurteilung der Strafbarkeit des Besitzes von Cannabis nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) und Buchstabe b) KCanG in Fällen, in denen vorrätig gehaltenes Cannabis sowohl zum Handeltreiben als auch für den Eigenkonsum bestimmt ist, auf die Gesamtmenge an, oder ist die dem Eigenkonsum dienende Teilmenge gesondert zu betrachten?

2. Muss bei einer auf § 37 KCanG gestützten Einziehung eine dem Eigenkonsum dienende und die Grenzen des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG oder des § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) und Buchstabe b) KCanG nicht übersteigende Cannabismenge stets ausgenommen werden?

1. Bei der konkreten Strafzumessung darf nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Gesamtmenge des besessenen Cannabis (und dementsprechend auch nicht die Gesamtwirkstoffmenge) ohne Abzug der zum Eigenkonsum erlaubten Menge nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden.

2. Es bestehen Bedenken gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bzgl. des Abzugs der erlaubterweise besitzbaren Cannabismenge von der Gesamtmenge bei der Beurteilung, ob ein besonders schwerer Fall i. S. v. § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG vorliegt, weil sie sich nicht verwerfungsfrei in die weitere Rechtsprechung zum Grenzwert für die nicht geringe Menge von Cannabis und zur Einziehung von Cannabis einreiht.

 

 

 

Verkehrsrecht II: Teilnahme am unerlaubten Entfernen, oder: Psychische Beihilfe

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Und im zweiten Posting dann noch einmal etwas vom 4. Strafsenat des BGH, und zwar erneut zu § 142 StGB.

Der BGH nimmt im BGH, Urt. v. 01.08.2024 – 4 StR 409/23 – noch einmal zur Teilnahme beim unerlaubten Entfernen Stellung. Folgende Feststellungen hatte das LG getroffen:

Am 19.07. 2021 verusachte der Angeklagte K. einen schweren Verkehrsunfall, bei dem der Geschädigte erheblich verletzt und erheblicher Sachschaden angerichtet wurde. Unmittelbar nach dem Zusammenstoß verständigten sich die Angeklagten K. und M. und Y., die sich auch im Fahrzeug des Angeklagten befunden hatten, noch im Fahrzeug darauf zu flüchten. Die Angeklagten M. und Y. stärkten hierdurch den Entschluss des Angeklagten K., den Unfallort zu verlassen, ohne die notwendigen Feststellungen zu ermöglichen. Alle Angeklagten verließen zeitnah zueinander das Fahrzeug und liefen davon.

Der BGH hat die Schuldsprüche wegen Beihilfe zum unerlaubten Entfernen nicht beanstandet:

„a) Die Schuldsprüche wegen Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort gegen die Angeklagten Y. und M.  im Fall II.2. der Urteilsgründe sind rechtlich nicht zu beanstanden. Sie werden von den Feststellungen getragen, die ihrerseits rechtsfehlerfrei belegt sind.

aa) Das Landgericht hat zutreffend eine psychische Beihilfe (§ 27 StGB) der Angeklagten Y.   und M. darin gesehen, dass sie sich mit dem Angeklagten K.   auf eine gemeinsame Flucht verständigten und ihn hierdurch in seinem Entschluss, sich vom Ort des durch ihn verursachten Verkehrsunfalls zu entfernen, bestärkten. Danach kann dahinstehen, ob die Feststellungen sogar eine Verurteilung der Angeklagten Y. und M. wegen mittäterschaftlich begangenen unerlaubten Entfernens vom Unfallort getragen hätten, weil sie selbst wartepflichtig gewesen sein könnten (vgl. zur Wartepflicht eines Mitfahrers, dessen Verhalten nach den Umständen zu dem Unfall beigetragen haben kann, BGH, Urteil vom 22. Juli 1960 – 4 StR 232/60, BGHSt 15, 1, 4 f.). Denn die unterbliebene Verurteilung wegen etwaiger täterschaftlicher Verwirklichung des § 142 StGB beschwert die Angeklagten jedenfalls nicht.

bb) Gegen die diesen Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern…..“