Archiv der Kategorie: Corona

U-Haft I: Telefonieren aus der U-Haft in Corona-Zeiten, oder: Mit den Eltern schon, mit den Schwestern nicht

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Seit längerem heute dann mal wieder drei U-Haft-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem AG Kempten, Beschl. v. v. 28.10.2020 – 1 Gs 3356/20 -, der an das gestrige Tagesthema anknüpft, also Corona. Es geht um das Telefonieren eines U-Haft-Gefangenen in Coronazeiten. Das AG hat ein Telefonat mit den Eltern, die in Tschechien wohnen, genehmigt, mit den Schwestern hingegen abgelehnt:

„Dem Antrag des Rechtsanwaltes pp. vom 20.10.2020, Telefonate zwischen den Eltern des Beschuldigten und dem Beschuldigten zu gestatten, war im Hinblick auf ein Telefonat stattzugeben.

Der Antrag, Telefonate zwischen den Schwestern des Beschuldigten und dem Beschuldigten zu gestatten, war zurückzuweisen.

Grundsätzlich widerspricht das Begehren eines Untersuchungsgefangenen, Telefonate mit Personen außerhalb der Justizvollzugsanstalt zu führen oder von solchen empfangen zu dürfen, sowohl dem Zweck der Untersuchungshaft als auch der Anstaltsordnung.

Telefonate können daher nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen genehmigt werden. Bei berechtigtem Interesse können Telefonate insbesondere mit Familienangehörigen im Einzelfall erlaubt werden. Bei Telefonaten mit nahen Familienangehörigen ist mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG ein großzügiger Maßstab angezeigt (vgl. BeckOK StPO/Kreuß, 37. Ed. 1.7.2020, StPO § 119 Rn. 20).

Vorliegend war ein Telefonat zwischen dem Beschuldigten und seinen Eltern zu genehmigen. Des von der Staatsanwaltschaft Kempten eingeräumte Besuchsrecht kann auf Grund der derzeitigen Lage im Hinblick auf die Corona-Pandemie nicht oder nur sehr erschwert ausgeübt werden. So Ist die Tschechische Republik derzeit vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet eingestuft, so dass sich diverse Reisebeschränkungen ergeben.

Des Weiteren ist derzeit nicht vorhersehbar, ob und wie sich die Besuchsregelungen in der JVA angesichts der epidemiologischen Entwicklung In naher Zukunft ändern.

Auch Im Hinblick auf das Alter der Eitern des Beschuldigten war aus diesen Gründen ein Telefonat zu genehmigen.

Ein Telefonat mit den Schwestern des Beschuldigten war vorliegend Jedoch nicht zu genehmigen.

Auch wenn die Einschränkungen des Besuchsrechts auch die Schwestern des Beschuldigten trifft, so Ist nach Ansicht des Gerichts dem Interesse des Beschuldigten auf Kontakt mit seiner Familie durch das Telefonat mit den Eltern genügend Rechnung getragen.

Eine Ausweitung von Telefonaten auf weitere Familienangehörige widerspricht dem Zweck der Untersuchungshaft als auch der Anstaltsordnung. Dies vor allem im Hinblick auf das erhebliche Gewicht der Tat und der erheblichen Verdunkelungsgefahr.

Hinsichtlich der Schwestern des Beschuldigten ist der Beschuldigte auf die Möglichkeit des Briefverkehrs zu verweisen, welcher ebenfalls eine Kontaktaufnahme ermöglicht.“

Corona II: Beherbergungsverbot/Untersagung der Gastronomie, oder: Folgenabwägung im Eilverfahren

entnommen wikimedia.org
Urhber: Hichhich – Eigenes Werk

Die zweite Entscheidung kommt aus Bayern. Es handelt sich um den BayVGH, Beschl. v. 05.11.2020 – 20 NE 20.2468. Ergangen ist er im Eilverfahren gegen §§ 13 Abs. 1 und 14 Abs. 1 der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (S. BayIfSMV; BayMBl. 2020 Nr. 616 vom 30. Oktober 2020). Die Antragstellerin betreibt mehrere Hotels mit angeschlossenen Gastronomiebetrieben in Bayern. Sie hatte beantragt, die Untersagung des Gastronomiebetriebs und die Einschränkung des Beherbergungsbetriebs vorläufig auszusetzen.

Der BayVGH hat den Antrag abgelehnt. Ich stelle auch hier nicht die Begründung ein, sondersn beziehe mich auf die PM des BayVGH, in der es heißt:

„Der 20. Senat wiederholte zwar seine Zweifel, ob die einschlägigen Bestimmungen des Bundesinfektionsschutzgesetzes (IfSG) in ihrer derzeitigen Fassung als Grundlage der angegriffenen Bestimmungen der 8. BayIfSMV dem Parlamentsvorbehalt genügten. Die angegriffenen Regelungen der 8. BayIfSMV seien aber nicht offensichtlich rechtswidrig. Sie seien ein Bestandteil des der Verordnung zugrundeliegenden Auswahl-und Regelungskonzepts, das die Bereiche Bildung und Erwerbsleben, soweit es nicht den Freizeitbereich betreffe,weitgehend offenhalte und hinsichtlich der Einschränkungen an das Freizeitverhalten der Gesellschaft anknüpfe. Dies sei bei prognostischer Einschätzung eine denkbare Reaktion auf das derzeit stark ansteigende pandemische Geschehen und erwiese sich bei summarischer Prüfung nicht als offensichtlich unverhältnismäßig oder gleichheitswidrig. Dabei sei zu berücksichtigen, dass für die betroffenen Betriebe erhebliche staatliche Entschädigungsleistungen für den Umsatzausfall angekündigt worden seien.

Die im Hinblick auf den Parlamentsvorbehalt offenen Rechtsfragen erforderten im Eilverfahren eine Folgenabwägung. Dabei überwiege im Hinblickauf die enorm steigenden Infektionszahlen das Schutzgut Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen die betroffene freie wirtschaftliche Betätigung. Zu berücksichtigen seien auch hier dieseitens der Bundesregierung in Aussicht gestellten Ausgleichszahlungen für betroffene Betriebe sowie die zeitliche Befristung der Maßnahmen, zunächst bis zum 30. November 2020.“

Die Einzelheiten bitte im Volltext nachlesen.

Und auch hier: Kommentarfunktion ist deaktiviert.

Corona I: Corona-VO/Kontaktverbot, oder: Man braucht ein förmliches Gesetz

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In die 46. KW. starte ich dann mit zwei Entscheidungen zu Corona. Das Thema begleitet uns ja immer noch und wird uns sicherlich auch noch einige Zeit „begleiten“.

Bei der ersten Entscheidung, die ich auch hier vorstelle, handelt es sich um das AG Dortmund, Urt. v. 02.11.2020 – 733 OWi – 127 Js 75/20 – 64/20. Das hatte ja in der vergangenen Woche für Furore gesorgt, vor allem bei „Corona-Leugner“, aber auch bei denjenigen, die zwar Cornona nicht leugnen, aber die Corona-Maßnahmen als nicht mehr verfassungsgemäß ansehen.

Ich stelle das Urteil hier nicht insgesamt bzw. teilweise ein, dafür ist die Begründung zu lang. Die mag jeder, den es interessiert im Volltext nachlesen.

In der Sache ging es um einen Freispruch von drei Betroffenen, die sich im Früh­jahr 2020 Betroffenen gemeinsam in der Zeit vom 23:53 Uhr bis 0:08 Uhr auf einem öffentlichen Platz aufgehalten und damit gegen die da­mals gel­ten­den Kon­takt­be­schrän­kun­gen ver­sto­ßen haben sol­len.

Die Begründung des AG geht im Ansatz von folgender Überlegung aus:

„Der Betroffene war gleichwohl freizusprechen, da § 12 CoronaSchVO gegen höherrangiges Recht verstößt. Zum einen ist die Vorschrift von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage der §§ 28 Abs. 1 Satz 1 und 2, 32 IfSG nicht gedeckt und verstößt damit gegen Bundesrecht. Zum anderen ist die Norm für sich genommen keine geeignete gesetzliche Grundlage, weil eine solche Regelung dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten war und die Norm damit wegen Verstoßes gegen den Parlamentsvorbehalt verfassungswidrig ist.

Ausgangspunkt beider Begründungsansätze ist hierbei, dass es sich bei dem in Rede stehenden Kontaktverbot um einen äußerst schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützten Interessen der Bürgerinnen und Bürger Nordrhein-Westfalens handelt. Das Verbot von Zusammenkünften und Ansammlungen im öffentlichen Raum von mehr als zwei Personen betrifft den Kern einer durch Interaktion seiner Bürger in allen Lebensbereichen ausgezeichneten offenen, freiheitlichen und sozialen Gesellschaft, wie sie das Grundgesetz im Blick hat. Für sich genommen greift ein solches Verbot zwar unmittelbar lediglich in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG ein, da anders als die Ausgangsbeschränkungen in anderen Bundesländern die körperliche Fortbewegung nicht erschwert oder unmöglich gemacht wird und somit ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ausscheidet. Das Kontaktverbot stellt aber das Grundkonzept der Pandemiebekämpfung in Nordrhein-Westfalen wie auch in vielen anderen Bundesländern dar. Nachvollziehbarer Weise und wahrscheinlich auch erfolgreich wurde durch eine möglichst große Reduzierung der sozialen Kontakte der Menschen untereinander durch ein final bezwecktes „Herunterfahren“ des öffentlichen Lebens eine unkontrollierte Infizierung der Bevölkerung mit einem in seinen Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen noch weitgehend unbekannten Virus und eine damit zu befürchtende Überlastung des Gesundheitssystems verhindert. Dieser Logik der Pandemiebekämpfung folgt das Kontaktverbot bzw. ist dessen normativer Grundpfeiler. Durch die übrigen in der CoronaSchVO enthaltenen Ge- und Verbote, die besondere Lebensbereiche betreffen, wird diese Logik fortgeschrieben. So stehen sämtliche in den §§ 1 bis 11 CoronaSchVO in der hier maßgeblichen Fassung vom 30.03.2020 genannten Maßnahmen in unauflösbarem Zusammenhang mit der Systematik der Pandemiebekämpfung durch Kontaktreduzierung und damit dem allgemeinen Kontaktverbot des § 12 CoronaSchVO. Daher betrifft diese Norm nicht nur den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit, sondern darüber hinaus mittelbar die Berufsfreiheit, die Eigentumsfreiheit, die Religionsfreiheit und die Versammlungsfreiheit (vgl. im Einzelnen: Wissenschaftliche Dienste-Deutscher Bundestag, Kontaktbeschränkungen zwecks Infektionsschutz: Grundrechte, WD 3-3000-079/20).“

Nun, man wird sehen, was das OLG Hamm – m.E. der 1. Senat für Bußgeldsachen – damit macht. Rechtsbeschwerde hat die Staatsanwaltschaft eingelegt. Wir werden dann bald etwas aus Hamm hören.

Vielleicht noch Folgendes: In der „Corona-Szene“ ist das Urteil natürlich gefeiert worden (vgl. z.B. das Zitet in der SZ). Allerdings wird dabei m.E. zum Teil übersehen, dass ein Beschluss aus Hamm, der die Rechtsbeschwerde der StA verwerfen würde – ebenso wie das AG Urteil – keine allgemeine Bidnungswirkung hat. Es war ja kein Normenkontrollverfahren. Eine Signalwirkung würde der Beschluss allerdings schon haben.

Zur Info: Ich habe die Kommentarfunktion zu diesem Beitrag ausnahmsweise deaktiviert. Ich habe nämlich weder Lust noch Zeit, ggf. zahlreiche Kommentare moderieren zu müssen.

Corona: Fahrzeugdesinfektion nach Unfallreparatur, oder: Kostenerstattung?

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Heute dann zwei Entscheidungen zur Unfallschadenabwicklung.

Und in dem Kontext stelle ich zunächst das AG Heinsberg, Urt. v. 04.09.2020 – 18 C 161/20 – vor, das der Kollege Frese aus Heinsberg erstritten hat. Der Kollege hat das Urteil ja auch schon auf seiner Homepage vorgestellt. Da habe ich es mir „geklaut“ 🙂 .

Gestritten worden ist um die Kosten einer Fahrzeugdesinfektion. Die waren nach der Reparatur eines Unfallschadens von dem Autohaus, das die Reparatur ausgeführt hatte, in Rechnung gestellt worden. Das AG sagt – anders als die Versicherung: Diese Kosten sind zu zahlen:

Es ist unstreitig, dass der klägerische Pkw am 09.06.2020 bei einem allein schuldhaft durch den Fahrer eines bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw verursachten Verkehrsunfall beschädigt worden ist.

Der Höhe nach hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung eines weiteren Betrags von 60,87 €. Der Kläger hat die unfallbedingten Schäden seines Pkw von der Autohaus GmbH reparieren lassen. Für die Reparatur sind ihm Kosten von insgesamt 3.262,39 € brutto in Rechnung gestellt worden. Die Beklagte hat diese Rechnung um einen Betrag von 60,87 € gekürzt und lediglich den Restbetrag an den Kläger erstattet. Es besteht jedoch ein Anspruch des Klägers auf Vollständigen Ausgleich der Reparaturkostenrechnung der Fa. GmbH. Es sind auch die Kosten für eine Fahrzeugdesinfektion zu erstatten. Eine solche ist in Zeiten der Corona-Pandemie nach erfolgter Reparatur eines Fahrzeugs, die ein Berühren des Fahrzeugs durch Dritte erfordert, notwendig. Der Betrag ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden, sondern für den anfallenden Materialund Arbeitseinsatz angemessen (§ 287 ZPO).“

Corona III: Das „Anbieten einer sexuellen Dienstleistung“ ist nicht „Betreiben eines Prostitutionsgewerbes

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In der dritten und letzten Entscheidung, dem AG Stuttgart, Beschl. v.  08.09.2020 – 5 OWi 170 Js 73249/20 -geht es noch einmal um einen Verstoß gegen die Corona-Verordnung. Die Stadt Stuttgart hatte der Betroffenen zur Last gelegt, am 19.04.2020 trotz eines bestehenden Betriebsverbots nach der Corona-Verordnung eine Einrichtung (Prostitutionsbetrieb) betrieben zu haben. Gegen die Betroffene wurde ein Bußgeld in Höhe von 5.000 EUR verhängt. Dagegen der Einspruch der Betroffenen. Das AG hat dann im Beschlussweg frei gesprochen:

„§ 4 Abs. 1 Nr. 9 der zum Vorfallszeitpunkt geltenden Corona-Verordnung untersagte den Betrieb von Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen bis zum 3. Mai 2020 für den Publikumsverkehr. Untersagt war auch jede sonstige Ausübung des Prostitutionsgewerbes im Sinne von § 2 Abs. 3 des Prostitutionsschutzgesetzes. Dort heißt es: „Ein Prostitutionsgewerbe betreibt, wer gewerbsmäßig Leistungen im Zusammenhang mit der Erbringung sexueller Dienstleistungen durch mindestens eine andere Person anbietet oder Räumlichkeiten hierfür bereitstellt, indem er eine Prostitutionsstätte betreibt, ein Prostitutionsfahrzeug bereitstellt, eine Prostitutionsveranstaltung organisiert oder durchführt oder eine Prostitutionsvermittlung betreibt.“

Die Betroffene hat nach Aktenlage jedoch nur eine sexuelle Dienstleistung im Sinne des § 2 Abs. 1 des Prostitutionsschutzgesetzes angeboten und keine der genannten Einrichtungen betrieben, weshalb der Tatbestand des § 9 Nr. 6 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 9 CoronaVO nicht erfüllt ist.“

Fazit an diesem Tag bzw. was zeigen die drei vorgestellten Entscheidungen? Der Rechtsstaat funktioniert. Finde ich jedenfalls.