Am Gebührenfreitag stelle ich heute zwei Entscheidungen zu den Gebühren des Terminsvertreters vor. Beide Entscheidungen sind m.E. nur teilweise zutreffend.
Ich beginne mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.02.2024 – 1 Ws 13/24 (S). Ergangen ist der Beschluss in deinem vor einer Strafkammer geführten Strafverfahren gegen sechs Angeklagte wegen Verbrechen nach dem BtmG, In dem hat der Kammervorsitzende mit Einverständnis des Angeklagten B. Rechtsanwalt R für den Hauptverhandlungstag am 26.09.2022 als Pflichtverteidiger beigeordnet, nachdem der für das Verfahren beigeordnete Pflichtverteidiger für diesen Tag seine Verhinderung angezeigt hatte. In der Hauptverhandlung am 26.09.2022 wurde das Hauptverfahren gegen einen Mitangeklagten wegen dessen Verhandlungsunfähigkeit „auf unbestimmte Zeit“ abgetrennt,
Rechtsanwalt R hat beantragt seine Gebühren festzusetzen. Geltend gemacht worden sind eine Grundgebühr Nr. 4100 Verteidiger, eine Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG und eine Terminsgebühr Nr. 4114 VV RVG sowie Auslagen und Umsatzsteuer. Die Kostenbeamtin hat bei der Kostenfestsetzung die Grundgebühr und die Verfahrensgebühr, jeweils nebst Umsatzsteuer, in Abzug gebracht . Auf die gegen diese Kostenfestsetzung erhobene Erinnerung des Rechtsanwalts R hat das LG die Kostenfestsetzungsentscheidung dahingehend geändert, dass auch die beantragten Grund- und Verfahrensgebühr festzusetzen seien. Gegen diese Entscheidung hat dann der Bezirksrevisor, Beschwerde eingelegt, denn es darf ja nicht sein, was nicht sein kann. Und: Die Beschwerde hatte beim OLG teilweise Erfolg.
Ich lasse mal die Ausführungen des OLG zu den beiden zu den Gebühren des Terminsvertreters vertretenen Auffassungen weg. Das OLG schließt sich der (zutreffenden) h.M. an und führt aus:
„Dem anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen gerichtlichen Termin beigeordneten Verteidiger ist für den in der Beiordnung bezeichneten Verfahrensabschnitt die Verteidigung ohne jede inhaltliche Beschränkung mit sämtlichen Verteidigerrechten und -pflichten übertragen. Eine Beiordnung eines Verteidigers lediglich als „Vertreter“ des bereits bestellten Verteidigers sieht die Strafprozessordnung nicht vor. Dies folgt bereits daraus, dass der bestellte Verteidiger eine Untervollmacht für die Verteidigung des Angeklagten einem anderen Rechtsanwalt nicht erteilen kann, auch nicht mit Zustimmung des Gerichts, weil die Bestellung zum Verteidiger auf seine Person beschränkt ist (vgl. BGH StV 1981, 393; BGH StV 2011, 650, BGH, Beschluss vom 15, Januar 2014, 4 StR 346/13, zit. nach juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2023, 2 Ws 13/23, zit. n. juris). Eine solche Vertretung in der Verteidigung ist nur dem entweder amtlich (§ 53 Abs. 2 Satz 3 BRAO) oder vom Verteidiger selbst (§ 53 Abs. 2 Satz 1 oder 2 BRAO) bestellten allgemeinen Vertreter des Pflichtverteidigers möglich (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2014, a.a.O.). Durch die Beiordnung eines Verteidigers für die Wahrnehmung eines Termins anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers wird vielmehr ein eigenständiges, öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis begründet, aufgrund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer seiner Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Eine solche umfassende, eigenverantwortliche Verteidigung setzt auch eine Einarbeitung in den Fall voraus, ohne die eine sachgerechte Verteidigung nicht möglich ist. Gerade für diese erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall entsteht die Grundgebühr. Eine Unterscheidung danach, welchen Aufwand diese Einarbeitung im Einzelfall erfordert (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. Februar 2011, 4 Ws 195/10, NJOZ 2012, 213) verbietet sich schon deshalb, weil es sich bei den Gebühren des Pflichtverteidigers nach Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 zu § 2 Abs. 2 RVG um Festgebühren handelt, die grundsätzlich unabhängig von dem im Einzelfall erforderlichen Aufwand anfallen (ausf. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2023, 2 Ws 13/23, zit. n. juris). Der Anspruch des wegen Verhinderung des zuvor bestellten Verteidigers zeitlich beschränkt bestellten weiteren Verteidigers scheitert auch nicht daran, dass die Gebühr aus VV Nr. 4100/4101 pro Rechtsfall nur einmal entsteht und auf Seiten des ursprünglich bestellten Pflichtverteidigers bereits entstanden ist; denn die Einmaligkeit der Gebühr pro Rechtsfall ist ausschließlich personen- und nicht verfahrensbezogen zu verstehen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.; Knaudt in BeckOK RVG, a.a.O. RVG VV Vorbemerkung, Rn. 20). Auch im Falle eines Pflichtverteidigerwechsels nach § 143a StPO steht die Grundgebühr sowohl dem zunächst bestellten Pflichtverteidiger als auch dem an seiner Stelle bestellten neuen Pflichtverteidiger zu.
c) Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze steht dem Beschwerdegegner für seine am 26. September 2022 erbrachte Pflichtverteidigertätigkeit die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG in Höhe von 176,00 Euro, die Termingebühr nach Nr. 4114 VV RVG in Höhe von 282,00 Euro, die Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro, die Fahrtkosten nach Nr. 7003 VV RVG in Höhe von 33,60 E, das Tage- und Abwesenheitsgeld nach Nr. 7005 VV RVG, jeweils nebst gesetzlicher Umsatzsteuer, zu.
Hingegen ist die Verfahrensgebühr nach Nr. 4112 VV RVG für das Betreiben der Geschäfte einschließlich der Information im vorliegenden Fall nicht angefallen. Eine in den Geltungsbereich der Verfahrensgebühr fallende Tätigkeit hat der Pflichtverteidiger nicht entfaltet. Zwar wird mit der Verfahrensgebühr die Tätigkeit des Pflichtverteidigers im Strafverfahren des ersten Rechtszuges nach Abschluss des vorbereitenden Verfahrens abgegolten. Ausgenommen sind davon aber Tätigkeiten, für die besondere Gebühren vorgesehen sind, wie z.B. die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Termingebühr für die Hauptverhandlung Nr. 4114 VV RVG (vgl. OLG München, Beschluss vom 27. Februar 2014, 4c Ws 2/14, zit. n. juris m.w.N.). Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung vom 12. Verhandlungstag am 26. September 2022 ergibt sich, dass an diesem Tage keine Beweisaufnahme durchgeführt worden ist, für die eine Einarbeitung in das bisherige Beweisergebnis oder das Entwerfen einer Verteidigungsstrategie erforderlich gewesen wäre. Dem Protokoll über die 20 Minuten dauernde Hauptverhandlung ist lediglich die Beiordnung von vier Pflichtverteidigern für den Verhandlungstag sowie die Abtrennung des Verfahrens gegen den Mitangeklagten pp wegen Verhandlungsunfähigkeit „auf unabsehbare Zeit“ zu entnehmen…..“
Der Entscheidung ist – wie gesagt – teilweise zuzustimmen, teilweise aber auch zu widersprechen.
Zuzustimmen ist der grundsätzlichen Aussage des OLG zu den für den Terminsvertreter entstehenden Gebühren. Es ist zutreffend, wenn sich das OLG der insoweit herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur anschließt (vgl. dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Vorbem. 4.1 VV Rn 5 mit weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur).
2. Aber: Das war es dann aber auch schon. Denn nicht folgen kann man m.E. dem OLG hinsichtlich seiner Begründung, warum eine Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG nicht entstanden sein soll. Zwar beschränkt das OLG seine Ausführungen auf den vorliegenden Fall, wenn es mit „im vorliegenden Fall“ formuliert. Aber unabhängig davon sind die Ausführungen nicht zutreffend. Denn die Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG ist auf jeden Fall entstanden. Das OLG übersieht nämlich, dass nach den Änderungen durch das 2. KostRMoG Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und jeweilige Verfahrensgebühr immer nebeneinander entstehen (vgl. zur Grundgebühr Burhoff AGS 2022, 433 m.w.N.). Dabei kommt es auf den Umfang der jeweiligen Tätigkeit beim Pflichtverteidiger, mit dem wir es hier zu tun haben, nicht an. Denn er erhält unabhängig vom Umfang der von ihm erbrachten Tätigkeiten Festgebühren, die mit Erbringung der ersten Tätigkeit für den Mandanten entstehen. Und das OLG irrt bzw. wählt den falschen Ansatz, wenn es für die Frage des Entstehens der Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG allein darauf abstellt, was in dem Termin am 26.09.2022 geschehen ist. Das ist unerheblich, da diese Tätigkeiten durch die Terminsgebühr Nr. 4112 VV RVG abgegolten werden. Alle übrigen Tätigkeiten werden aber durch Grundgebühr- bzw. Verfahrensgebühr abgegolten. Und das ist eben nicht nur, wie das OLG offenbar meint, die Vorbereitung auf eine Beweisaufnahme, sondern jede zusätzliche Tätigkeit die vom Rechtsanwalt erbracht wurde. Ausreichend sind eine Gespräch mit dem eigentlichen Pflichtverteidiger über die Übernahme der Vertretung im Termin, ein Gespräch mit dem Mandanten, das im Zweifel vor der dem Hauptverhandlungstermin geführt worden ist, usw. Dass es sich dabei um nur geringe Tätigkeiten handelt, ist wegen der Festgebührencharakter der Pflichtverteidigergebühren ohne Bedeutung. Daher hätte hier die Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG auch festgesetzt werden müssen. Die Entscheidung des LG war zutreffend. Dort hatte man offenbar mal in einen Kommentar geschaut. 🙂