Wann bzw. wie lange ist eine Befragung eigentlich (noch) eine „informatorische Befragung“?

Jeder Verteidiger kennt das Problem: Der Mandant hat bei der Polizei gequasselt und sich – mehr oder weniger – um Kopf und Kragen geredet. Nun soll/will er schweigen. Da stellt sich dann die Frage, wie halte ich sein ihm schadendes Quasseln aus dem Verfahren raus. Das geht ggf., wenn der Mandant vor dem Quasseln nicht belehrt worden ist (§ 136 StPO lässt grüßen), aber hätte belehrt werden müssen. Dann können die Angaben gegenüber den Polizeibeamten nicht in das Verfahren eingeführt werden.

Es spitzt sich also auf die Frage zu: Belehrung ja oder nein? Dazu sind schon umfangreiche Abhandlungen geschrieben worden: In dem Zusammenhang spielt eben auch der Begriff der informatorischen Befragung eine Rolle. Denn so lange es sich (noch) darum handelt, muss nicht belehrt werden. Dazu verhält sich jetzt auch noch einmal der Beschl. des OLG Zweibrücken v. 16.08.2010 – 1 SsBS 2/10, über den wir schon in anderem Zusammenhang berichtet hatten (vgl. hier, aber auch hier).

Zum Sachverhalt heißt es da:

Nach den in erster Instanz getroffenen Feststellungen fuhr der Betroffene am Donnerstag, den 20. November 2008 gegen 14.30 Uhr mit dem Pkw von Speyer nach Germersheim, wo er auf der Polizeiinspektion einen Bekannten abholen wollte. Der auf der Dienststelle anwesende Polizeibeamte B. gewann den Eindruck, der Betroffene stehe unter Drogeneinfluss. Auf seine Frage, wie er nach Germers­heim gekommen sei, erklärte der Betroffene, er sei mit dem Auto gefahren. Daraufhin belehrte der Polizeibeamte den Betroffenen als Beschuldigten und setzte die Befra­gung fort, wobei sich der Betroffene in Widersprüche verwickelte.

Der Verteidiger hatte geltend gemacht, dass der Betroffene vor der Frage, wie er nach Germersheim gekommen sei, hätte belehrt werden müsse. Das OLG sagt:

„Es begründet keine Verletzung des Verfahrensrechts, dass das Amtsgericht auch die vor der Beschuldigtenbelehrung gefallene Äußerung des Betroffenen verwertet hat, er sei mit dem Auto nach Germersheim gefahren. Seit einer Grundsatz­entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1992 ist zwar anerkannt, dass der Verstoß gegen die Belehrungspflicht bei der ersten Vernehmung des Beschuldig­ten durch die Polizei (§§ 163a Abs. 4 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO; hier i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG) grundsätzlich ein Verwertungsverbot nach sich zieht (BGH NJW 1992, 1463 = BGHSt 38, 214; vgl. a. Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 136 Rn. 20). Dabei wird aber davon ausgegangen, dass nicht jeder unbestimmte Tatverdacht bereits die Beschuldigteneigenschaft begründet mit der Folge einer entsprechenden Beleh­rungspflicht; vielmehr kommt es auf die Stärke des Verdachts an. Es obliegt der Strafverfolgungsbehörde, nach pflichtgemäßer Beurteilung darüber zu befinden, ob dieser sich bereits so verdichtet hat, dass die vernommene Person ernstlich als Täter oder Beteiligter der untersuchten Straftat in Betracht kommt. Falls der Tatverdacht aber so stark ist, dass die Strafverfolgungsbehörde anderenfalls willkürlich die Gren­zen ihres Beurteilungsspielraums überschreiten würde, ist es verfahrensfehlerhaft, wenn der Betreffende ohne Beschuldigtenbelehrung vernommen wird (BGH NJW 1992, 1463, 1466; NJW 2007, 2706, 2707 f.; Meyer-Goßner a.a.O. Einl. Rn. 77.)

Diese Grenze der sog. informellen Befragung erachtet der Senat als hier noch nicht überschritten. Der Tatbestand der Drogenfahrt nach § 24a Abs. 2 StVG setzt einer­seits einen durch den Genuss von Drogen geschaffenen körperlichen Zustand vor­aus, und andererseits, dass in diesem Zustand ein Fahrzeug geführt wird. Die Wahr­nehmungen des Polizeibeamten deuteten zunächst nur auf den Einfluss von Drogen hin. Der Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs wurde erst durch die Antwort hergestellt, die der Betroffene auf die an ihn gestellte erste Frage gegeben hatte. Die Wertung des Beamten, der erst hierdurch den zur Belehrungspflicht füh­renden Verdachtsgrad als erfüllt erachtete, ist nicht zu beanstanden.“

Na, ich weiß nicht. Noch kein bestimmter Tatverdacht? Da steht ein offenbar erkennbar unter Drogeneinfluss stehender Betroffener und die Polizei fragt, wie biste hierher gekommen? Erst die Antwort auf die Frage, bringt dann den Tatverdacht? M.E. nein, die Frage zielt doch gerade auf den Umstand des Fahrens. Denn was sollte es sonst die Polizei interessieren, wie ein Betroffener von A nach B gekommen ist.

In die Diskussion passt dann dann auch die Entscheidung des KG v. 05.06.2009 – 2 Ss 131/09. Dieses sagt:

„Hinsichtlich des geltend gemachten Verwertungsverbots ist darauf hinzuweisen, dass sich die Ermächtigung zur Durchführung der verdachtsunabhängigen Verkehrskontrolle aus § 36 Abs. 5 Satz 1 StVO ergibt. Die im Rahmen einer solchen Kontrolle durchgeführte informatorische Befragung des Betroffenen – um nichts anderes handelt es sich bei der allgemeinen Frage nach Alkohol- und/oder Drogenkonsum – zwingt noch nicht zu einer Belehrung gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 136 StPO. Die so gewonnene Information über den Drogenkonsum des Betroffenen am Vortag, andere Informationen sind ausweislich der Urteilsgründe und der Rüge des Betroffenen im vorliegenden Verfahren weder unmittelbar noch mittelbar verwertet worden, ist daher verwertbar (vgl. BayObLG NStZ-RR 2003, 343). Einer zusätzlichen späteren qualifizierten Belehrung (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 136a Rdn. 30) bedurfte es folglich nicht.“

Na ja, kann man so sehen, allerdings passt der Hinweis auf die Entscheidung des BayObLG nicht. Denn da handelte es sich zwar auch um eine verdachtsunabhängige Verkehrs-Alkoholkontrolle durch die Polizei in einem Fahrzeug. Es war dann aber Alkoholgeruch festgestellt worden., Damit haben wir m.E. einen Tatverdacht, oder?

5 Gedanken zu „Wann bzw. wie lange ist eine Befragung eigentlich (noch) eine „informatorische Befragung“?

  1. RA Müller

    Ein Polizeibeamter hat hier in einer Verhandlung vor einiger Zeit, daß die Befragung der Person, die er für den Täter gehalten hatte, eine „informatorische Befragung“ gewesen sei, da er ja noch nicht genau gewußt habe, ob sie wirklich der Täter gewesen sei.

    Fassungslos machte es mich, als der Richter dazu neigte, dem zuzustimmen. Demnach liegt also eine informatorische Befragung erst dann nicht mehr vor, wenn der Täter eindeutig überführt ist. Dagegen ist die OLG Entscheidung doch geradezu harmlos 😉

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  3. n.n.

    ich finde den beschluss völlig korrekt. die beschuldigteneigenschaft setzt letztlich einen anfangsverdacht voraus. und der ist nur gegeben, wenn zureichende tatsächliche anhaltspunkte für eine straftat vorliegen.
    das dürfte jedoch kaum der fall sein, wenn ein mensch einfach nur erkennbar fahruntüchtig ist, ohne dass weitere umstände hinzutreten. denn betrunkene menschen haben noch mehr möglichkeiten sich fortzubewegen, als selbst auto zu fahren.
    oder andersherum gedacht: wären das bereits tatsächliche anhaltspunkte, wäre der polizist berechtigt gegen jeden angetrunkenen menschen, gleichgültig wo dieser sich befindet, ein strafverfahren einzuleiten.

  4. Sascha Petzold

    Lieber NN
    Ihr Beitrag amüsiert mich. Was versuchen Strafverfolgungsbehörden (Sie sind doch Teil davon) nicht alles, um sich nicht an die Regeln halten zu müssen.
    Haben Sie schon einmal davon gehört, dass auch Zeugen darüber zu belehren sind, dass sie sich nicht selbst der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen müssen. Nach der Handhabung der Polizei/Staatsanwaltschaft reicht dafür schon sehr wenig an Infos.

    Die Argumentation, dass ja noch nicht sicher sei, ob tatsächlich eine Straftat vorliege, würde zu eigenartigen Ergebnissen führen: Nämlich dazu, dass Belehrungen grundsätzlich erst nach rechtskräftigen Verurteilungen notwendig sind.
    Gute Nacht Rechtsstaat.

    Ich bin der Meinung, dass derjenige, der andere verurteilen will, sich selbst auch an Recht und Gesetz halten sollte, oder nicht?

    Sascha Petzold

  5. n.n.

    lieber herr petzold,

    es freut mich, dass ich zu ihrem amusement beitragen durfte. denn jetzt muss ich wohl sowohl ihre erwartungen enttäuschen, als auch ihren rechtsauffassungen herumkritteln.

    zum einen arbeite ich – natürlich – weder für die strafverfolgungsbehörden noch für die justiz.

    zum anderen ist es vielmehr ihre argumentation, die rechtsstaatswidrig ist, falls sie tatsächlich eine belehrungspflicht aus § 136 stpo herleiten wollten. denn dies hätte zur folge, dass man gegen jedermann, der den eindruck macht, nicht fahrtüchtig zu sein, sofort ein strafverfahren einleiten könnte. und dies mit der möglichkeit die strafprozessualen zwangsmaßnahmen anzuwenden. keine schöne vorstellung.

    falls sie die belehrungspflicht jedoch aus § 55 stpo herleiten wollen, würde dies voraussetzen, dass es sich bei dem später beschuldigten zunächst um einen zeugen gehandelt hätte. und da möchte ich sie bitten, die eigentlich recht banale frage zu beantworten: zeuge in welchem verfahren, zu welcher tatsache?

    sie sehen also, dass belehrungen für zeugen und beschuldigte zunächst die einleitung eines verfahrens voraussetzen. und die einleitung eines verfahrens setzt wiederum TATSÄCHLICHE anhaltspunkte voraus.

    und diese argumentation ist – auch wenn sie es mir nicht glauben wollen – sehr rechtsstaatlich. denn mit ihrer argumentation müssten sie es akzeptieren, dass die hilfsbeamten der staatsanwaltschaft willkürlich verfahren einleiten.

    n.n.

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