Die zweite Entscheidung des Tages kommt auch vom KG. Das hat im KG, Beschl. v. 13.03.2020 – 3 Ws (B) 50/20 – in einer Verfahren betreffend die Rechtsbeschwerde gegen ein verwerfungsurteil dazu Stellung genommen, ob und wann der Amtsrichter, wenn der Betroffene ausbleibt, sich informieren muss, ob ggf. ein Entbindungsantrag und/oder ein sonstiger Antrag des Betroffenen, der sein Ausbleiben entschuldigen könnte, eingegangen ist. Hier war es so, dass ein Verlegungsantrag der Verteidigerin des Betroffenen zwar am Sitzungstag etwa 1 ¼ Stunden vor Sitzungsbeginn im elektronischen Postfach des AG eingegangen war, dieser die Geschäftsstelle des Gerichts ausweislich eines entsprechenden richterlichen Vermerks jedoch erst drei Tage nach der Sitzung erreicht hatte. Das KG meint dazu:
„Das Gericht darf den Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG nur verwerfen, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist. Entscheidend ist nicht, ob sich der Betroffene entschuldigt hat, sondern ob er entschuldigt ist. Daher muss der Tatrichter von Amts wegen prüfen, ob Umstände ersichtlich sind, die das Aus-bleiben des Betroffenen genügend entschuldigen (vgl. zu § 329 StPO BGHSt 17, 391). Ergeben sich konkrete Hinweise auf einen Entschuldigungsgrund, so muss er ihnen nachgehen. Da erfahrungsgemäß die Geschäftsstelle eines Gerichts auch noch kurz vor einem Termin davon verständigt wird, dass der Betroffene verhindert sei, muss sich der Tatrichter, wenn überraschend weder der Betroffene noch sein Verteidiger zum Termin erschienen sind, aufgrund seiner Fürsorge- und Aufklärungspflicht vor Erlass eines Verwerfungsurteils bei der Geschäftsstelle vergewissern, ob eine Mitteilung über die Verhinderung des Betroffenen vorliegt (vgl. BayObLG VRS 83, 56; OLG Köln VRS 102, 382; OLG Stuttgart Justiz 1981, 288). Das Rechtsbeschwerdegericht hat daher grundsätzlich zu prüfen, ob der Tatrichter dieser Aufklärungspflicht nachgekommen ist (vgl. BayObLG a.a.O.). War auf der Geschäftsstelle bereits ein Entschuldigungsschreiben oder eine entsprechende fernmündliche Nachricht über eine Verhinderung des Betroffenen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über die Verwerfung des Einspruchs bei Gericht eingegangen, ist die fehlende Kenntnis des Richters belanglos (vgl. Senat NZV 2009, 518; 2003, 586 und Beschluss vom 4. September 2000 – 3 Ws (B) 373/00 -, juris; OLG Köln VRS 102, 382; OLG Stuttgart aaO; OLG Brandenburg NStZ-RR 1997, 275; Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG 5. Aufl., § 74 Rdn. 35).
Hier liegt der Fall jedoch anders. Der Verlegungsantrag der Verteidigerin ging zwar am Sitzungstag, dem 13. Dezember 2019, etwa 1 ¼ Stunden vor Sitzungsbeginn im elektronischen Postfach des Amtsgerichts Tiergarten ein, hat die Geschäftsstelle des Gerichts ausweislich eines entsprechenden richterlichen Vermerks jedoch erst am 16. Dezember 2019 erreicht. Dass der Amtsrichter vor seiner Verwerfungsentscheidung auf andere Weise vom Verlegungsantrag Kenntnis erlangt hat, ist der Akte nicht zu entnehmen und vom Betroffenen auch nicht vorgetragen worden, so dass eine positive Kenntnis des Richters ausscheidet.
Er muss sich auch nicht, wovon der Betroffene offenbar ausgeht, etwaiges Wissen von Mitarbeitern des Gerichts (hier der Postannahmestelle des Amtsgerichts, die die Eingänge von elektronischen Schriftsätzen nach § 32a StPO verwaltet) zurechnen lassen. Denn Anknüpfungspunkt ist § 77 Abs. 1 OWiG, wonach allein das erkennende Gericht die Pflicht zur Aufklärung und Nachforschung trifft. Abzustellen ist deswegen – wie dargelegt – allein darauf, ob der erkennende Richter bei Beschlussfassung Kenntnis vom Verlegungsantrag hat bzw. hätte haben können. Die ihn treffende Nachforschungspflicht vor Verwerfung eines Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG gebietet es nicht, dass er bei allen möglichen und zugelassenen Einlaufstellen für digitale und physikalische Post ermittelt, ob Hinweise für eine Entschuldigung vorliegen (vgl. Senat NZV 2015, 253; OLG Bamberg NZV 2009, 355; OLG Köln VRS 93. 357; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 74 Rdn. 31; Senge a.a.O.). Erkundigungen, die über Nachforschungen auf der Geschäftsstelle hinausgehen, können insbesondere bei großen Gerichten, wie dem Amtsgericht Tiergarten als dem größten Amtsgericht Deutschlands, angesichts eines üblicherweise dynamisch und komplex verlaufenden Sitzungstages nicht verlangt werden (vgl. Senat a.a.O.). Will der Betroffene, dass Anträge oder eilbedürftige Nachrichten den erkennenden Richter rechtzeitig erreichen, bleibt es ihm unbenommen, sich an die Geschäftsstelle des Gerichts zu wenden.“
Na ja, das kann man auch anders sehen. Warum sollte der Amtsrichter die Wartezeit vor der Verwerfung des Einspruchs nicht dazu verwenden (müssen), sich nach ggf. eingegangenen Entbindungsanträgen o.Ä. zu erkundigen. Und wenn ich den Satz: „Will der Betroffene, dass Anträge oder eilbedürftige Nachrichten den erkennenden Richter rechtzeitig erreichen, bleibt es ihm unbenommen, sich an die Geschäftsstelle des Gerichts zu wenden.“ lese, kann ich nur lachen. Vielleicht versucht man ja mal vom Senat, die Geschäftsstelle zu erreichen und die zu bitten, den Richter über den eingegangenen Antrag zu informieren. Ich denke, ich denke das Unternehmen wird in vielen Fällen zum Scheitern verurteilt sein. Zudem: Was soll der elektonische Postverkehr, wenn es dann offenbar drei Tage dauert, um einen Antrag von der Posteingangsstelle an die Geschäftsstelle zu transportieren. Willkommen im 21. Jahrhundert.
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Als Owi-Richter renne ich nicht im ganzen Haus herum und frage, ob an einem der zahlreichen Faxgeräte eine Einspruchsrücknahme eingegangen ist.
Wenn der Betroffene anwaltlich vertreten ist, rufe ich in der Kanzlei an, um die Sache aufzuklären. In allen anderen Fällen sind bislang nie kurzfristige Einspruchsrücknahmen oder Terminsverlegungsanträge nach Urteilserlass aufgetaucht.
Eigentlich sollte die Organisation innerhalb des Gerichts für die am Verfahren Beteiligten total egal sein. Diese Organisation liegt nämlich nicht in ihrem Verantwortungsbereich, sondern alleine in dem des Gerichts.
Wenn das Gericht nicht fähig ist, oder die Richter nicht willig sind, offensichtlich zugegangene Schriftsätze und Anträge zur Kenntnis zu nehmen, darf darunter nicht der Betroffene leiden. Die Entscheidung ist aus meiner, zugegeben zivilrechtlich geprägten Sicht eines Unternehmensjuristen, offenkundiger Unsinn. Wenn bei uns am Empfang eine förmliche Zustellung zugeht, ist es egal, ob die Rechtsabteilung oder die Geschäftsführung davon Kenntnis erlangen, denn es ist so in den Machtbereich gelangt, dass wir es hätten zur Kenntnis nehmen müssen.
Warum bei Gericht andere Regeln gelten sollten (noch dazu dass die nichtmal rechtlich kodifiziert sind! Wo ist die gesetzliche Grundlage für eine Informationspflicht an die „Serviceeinheit“?), ist weder nachvollziehbar geschweige denn auch nur plausibel. Wenn der Antrag rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist, ist das rechtzeitig bei Gericht und dann kann es keine Rolle spielen, ob der konkrete Richter das auch weiß, denn dem Gericht lag es vor…
Richter im OLG K-Sprengel: danke für diesen nicht selbstverständlichen Service!
Dass der Richter nicht alle Faxgeräte abklären will: nur zu selbstverständlich (und beim Fax an eine andere als die zuständige Geschäftsstelle oder Zentralnummer hätte auch ich eine andere als die obige Auffassung). Aber dass zumindest seine Geschäftsstelle und die allgemeinen Eingangstore abgefragt werden (müssen) halte ich für beinahe zwingend.
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