Ein-/Ansichten eines ehemaligen Revisionsrichters, oder: Die Hoffnung im Revisionsverfahren ist bereits gestorben

Mit Interesse verfolge ich als ehemaliger Revisionsrichter die derzeit entbrannte Diskussion in der Frage: Revision, ja oder nein. Während der Kollege Vetter auch „Das vergessene letzte Wort“ nicht unbedingt als Anlass sieht, Revision einzulegen, plädiert der Kollege Hoenig unter der Überschrift: Kritischer Verzicht auf die Hoffnung“ dafür, i.d.R. immer, wenn Hoffnung auf Urteilsaufhebung besteht, Revision einzulegen, auch wenn das erstinstanzliche Urteil „passt“. Es gibt sicherlich eine ganz Reihe guter Gründe, die für die eher abwägende Auffassung des Kollegen Vetter sprechen, aber auch ebenso gute, die für die etwas forsche Ansicht des Kollegen Hoenig ins Feld geführt werden können. Die Entscheidung wird im Zweifel – jetzt kommt eine Platidüde – von dem sog. Umständen den Einzelfalls abhängen. Dazu gehören die vom Kollegen Hoenig ins Feld geführten Umstände: Zeitgewinn, Verfahrensverzögerung, § 331 StPO (wenn die Staatsanwaltschaft nicht auch ins Rechtsmittel geht), aber auch die Frage, wie risikofreudig der Mandant ist, der im Falle der endgültigen Verurteilung die gesamten Kosten des Verfahrens, also auch die des erfolgreichen Rechtsmittels tragen muss.

Eins ist aber – und dazu habe ich bereits beim Kollegen Hoenig kurz kommentiert – zu bedenken. Den – wie der Kollege Hoenig meint – faktisch absoluten Revisionsgrund (im Beitrag des Kollegen Vetter den des vergessenen letzten Wortes) gibt es m.E. nicht mehr. Über allen Verfahrensrügen schwebt seit der Entscheidung des großen Senats für Strafsachen vom 23.04.2007 (BGHSt 51, 298) das Damoklesschwert der nachträglichen Änderung des Protokolls der Hauptverhandlung, die der BGH ja jetzt auch zulässt, wenn dadurch einer Verfahrensrüge der Boden entzogen wird. Man mag über die Rechtsprechung denken was man will (ich denke nichts Gutes); aber man darf nicht übersehen, dass sie bei den Tatsacheninstanzen angekommen ist. Das zeigt nicht zuletzt die Rechtsprechung des BGH, wo immer wieder auch diese Frage behandelt wird (oder auch nicht).

Exkurs: Das habe ich vor kurzem selbst erlebt: Ausschluss des Angeklagten in der Hauptverhandlung nach § 247 StPO, nach dem Hauptverhandlungsprotokoll und den Aufzeichnungen/Erinnerungen des Instanzverteidigers ohne begründeten Beschluss. Damit auch ein faktisch absoluter Revisionsgrund, der auch geltend gemacht wird. 3 Wochen später Nachricht der Kammer mit dienstlichen Äußerungen, dass ein Beschluss ergangen sei (und einer m.E. technisch nicht möglichen Erklärung, warum er nicht im Protokoll ist), dann Berichtigung und der BGH verwirft die Revision, ohne ein Wort zu der zumindest aus unserer Sicht nicht nachvollziehbaren Protokollberichtigung zu sagen (er hat auch sonst nichts gesagt; auch das muss man erst mal lernen :-)). Über die Weiterungen, die das Revisionsverfahren hatte, demnächst mehr…

Zur Sache: Die Frage des „faktisch absoluten Revisionsgrundes“ und seiner „Beseitigung“ darf man bei der Beratung des Mandanten neben allen anderen bedenkwerten Umständen nicht aus dem Auge verlieren. Den sog. Selbstläufer im Revisionsverfahren gibt es nicht mehr. Übersieht man das, kann es ein böses Erwachen geben (vgl. aber auch den „positiven Spielbericht“ des Kollegen Feltus).

16 Gedanken zu „Ein-/Ansichten eines ehemaligen Revisionsrichters, oder: Die Hoffnung im Revisionsverfahren ist bereits gestorben

  1. Marcel Wodniock

    Sehr geehrter Herr Burhoff,

    aber wäre die nächträgliche Berichtigung und Ergänzung um das -in diesem Fall- fiktive letzte Wort des Angeklagten nicht eine Protokollfälschung nach § 274 Satz 2 StPO, wenn es doch tatsächlich nicht geschehen ist.

    Ich habe letztens in meiner StPO-Vorlesung von dieser nachträglichen Protokollberichtigung im Hinblick auf das Vergessen des Verlesens der Anklageschrift gehört und fand es plausibel, angesichts der hohen Unwahrscheinlichkeit dieses Formfehlers und der latenten Missbrauchsgefahr, eine solche Regelung zu erschaffen.

    Aber wenn es doch tatsächlich einen Formfehler gab, dann leuchtet es mir nicht ein, weshalb eine Berichtigung auch dann zulässig sein soll. Aber vielleicht sehe ich das zu ideell.

    In der Hoffnung einer kleinen Nachhilfe verbleibe ich
    mit besten Grüßen
    Marcel Wodniock

  2. Detlef Burhoff

    wenn es einen Formfehler gab, dann ist die Protokollberichtigung nicht zulässig….., aber, ob es einen gegeben hat, darüber können die Meinungen ja (leider) auseinander gehen. M.E. wäre es besser gewesen, bei der alten Formenstrenge zu bleiben….

  3. Dante

    Wenn ich sie richtig verstehe wollen Sie behaupten, Tatrichter würden regelmäßig Hauptverhandlungsprotokolle nachträglich wahrheitswidrig „berichtigen“, d.h. verfälschen um Verfahrensfehler zu vertuschen.

    Das empfinde ich als Richter ehrlich gesagt als ziemliche Unverschämtheit.

    Ich war in ihrem Fall nicht dabei und kann es daher nicht ausschließen. Zu behaupten, so etwas sei Usus, ist aber schlicht dreist. Als Richter behaupte ich ja auch nicht, Verteidiger würden regelmäßig ihren Mandanten falsche Alibis verschaffen, obwohl auch das vorkommen mag.

    Im Fall von Herrn Vetter ist ihre Befürchtung darüber hinaus schlicht abwegig. Schließlich hat der Richter seinen Fehler schon zugegeben.

  4. Dante

    Ach, jetzt tun sie mal nicht so scheinheilig.

    Wie sollen denn im Zusammenhang mit dem Ausgangsfall ihre Formulierungen

    „Die Hoffnung im Revisionsverfahren ist bereits gestorben.“

    „Über allen Verfahrensrügen schwebt seit der Entscheidung des großen Senats für Strafsachen vom 23.04.2007 das Damoklesschwert der nachträglichen Änderung des Protokolls der Hauptverhandlung.“

    zu verstehen sein, wenn nicht so, dass in Fällen wie dem des Herrn Vetter eine reale Gefahr droht, dass das Hauptverhandlungsprotokoll nachträglich gefälscht wird?

  5. Detlef Burhoff

    wenn Sie es so sehen. ich kann Sie eh nicht vom Gegenteil überzeugen.
    Jedenfalls werde ich jetzt in den Urlaub aufbrechen und mich nicht über Begriffe wie „abwegig“ und „scheinheilig“ ärgern. 🙂

  6. RA Feltus

    @ Dante Nr. 3
    Also ich habe noch keinem Mandanten auch nur einmal ein Alibi, ob gelogen oder wahr, gegeben.

    @ Detlef Burhoff
    wünsche einen schönen Urlaub.

  7. Harry

    Offen gestanden habe ich mich auch gefragt, weshalb hier die Rechtsprechung zur nachträglichen Protokollberichtigung greifen soll, wenn der Verfahrensfehler tatsächlich stattgefunden hat (und nicht nur von der Revision behauptet wird, weil das Protokoll schweigt). Bei unstreitig stattgefundenen Verfahrensfehlern wird wohl kein Richter eine nachträgliche Protokollberichtigung durchführen; das wäre eine glatte Urkundenfälschung.

  8. Marcel Wodniock

    @dante: Um eben dieses Missverständnis zu beseitigen, habe ich bei Herrn Burhoff nochmal nachgefragt.

    Fakt ist: Die nachträgliche Protokollberichtigung birgt, so sehr sie im Falle der tatsächlich vergessenen Formalia angebracht erscheint, ebenfalls eine latente Missbrauchsgefahr in Fällen, wo es nicht so einfach liegt.

    Aber wo liegt eine solche Gefahr nicht.

    MfG MW

  9. Sascha Petzold

    Liebe Mitstreiter auf beiden Seiten,
    Ich kann die Entrüstung des Richter Dante verstehen, wenn er den Vorwurf herausgelesen hat; allein, ich kann den Vorwurf im Posting von Herrn Burhoff nicht finden.
    Es zeigt sich leider, dass auf beiden Seiten großes gegenseitiges Mißtrauen besteht, das aber aus meiner Sicht jeweils nur in paar Ausnahmefällen begründet ist.
    Sicher ist aber, dass unkontrollierte Macht zu Machtmißbrauch verleiten kann. Ein großes Einfallstor ist hier das Protokoll. Da dem Verteidiger im gelebten Strafprozess nur wenig macht gegeben ist (danke BGH), ist entsprechend die Mißbrauchsgefahr reduziert.
    Die Gretchenfrage ist aber wieder einmal, wie bringt man die schwarzen Schafe auf beiden Seiten dazu, sich anständig und regelkonform zu verhalten.
    Grüße Sascha Petzold

  10. RA Schiffchen

    Hallo miteinander!

    Ein Bericht zum Thema aus meiner Praxis.

    Ich verteidige wegen einer angeblichen Trunkenheitsfahrt. Es wird über alles gestritten, Verwertung der Blutprobe, Schlangenlinien, etc. Nur alles zum Promillegehalt wird vergessen. Es wird weder das Gutachten verlesen, noch irgendetwas in Augenschein genommen. Natürlich war allen klar, dass der Vorwurf 1,x o/oo war. Aber es wurde eben nicht in s Verfahren eingeführt. Nach dem Urteil kommt die Referendarin, die alles mitverfolgt hat und macht mich darauf aufmerksam, dass ja gar nichts Verlesen wurde. Mir war das auch aufgefallen, aber es ist ja sicherlich nicht meine Aufgabe darauf hinzuweisen.

    Ich lege Sprungrevision ein. Nicht nur deshalb, sondern insbesonders wegen der Verwertbarkeit der Blutprobe.

    Das Urteil kommt und siehe da das Gericht nimmt ausschweifend Bezug auf die diversen angeblich verlesenen Urkunden. Ich schaue im übersandten Protokoll nach und stelle fest: Es fehlt eine Seite des Protokolls. Genau die Seite mit den angeblichen Verlesungen, zumindest findet sich auf den übersandten dazu nicht. Ich gehe zur Geschäftsstelle und kopiere die Akte. Dort finde ich die nicht übersandte Seite und in dem Protokoll finden sich eine Vielzahl von Änderungen mit Füllfederhalter und Änderungsdatum vom Tage der Ausfertigungsverfügung des Langtextes. Der Richter hat das Protokoll auch zweimal dem Protokollführer mit der Bitte um Genehmigung der Änderungen zugesandt. Dieser hat aber nicht genehmigt, weil, wie sich später herausstellt, der Protokollführer über drei Monate dienstunfähig erkrankt gewesen sein soll.

    Ich rüge, wie das OLG feststellt immerhin in ordnungsgemäßer Weise, das Verfahren und bekomme zu lesen, dass für den Fall, dass der Protokollführer erkrankt ist alleine der Richter das Protokoll ändern kann. Da dies erfolgt ist und streitet das Protokoll für die Verlesung. Meine anwaltliche Versicherung und der „angebotene“ Zeugenbeweis bzw Äußerung der Referendarin waren Luft für das OLG.

    Die Revision wurde verworfen und der Richter fand es gar nicht lustig, dass ich ihm zwischen den Zeilen vorgeworfen habe, das Protokoll gebogen zu haben.

    So kanns gehen.

    Viele Grüße

  11. Susi

    Eine nachträgliche Protokollabänderung sollte schlicht und ergriefend verboten sein! Würde im Gerichtssaal prinzipiell alles auf Tonband festgehalten, gäbe es eine nachvollziehbare Grundlage für Protokolländerungen, so aber sind Manipulationen Tür und Tor geöffnet.
    Kein Protokollführer wird wesentliche Dinge vergessen, es sei denn er/sie ist einfach unfähig.

    Ein „Formfehler“ kann Freispruch oder lebenslänglich bedeuten.
    http://www.strate.net/de/publikationen/der_einundzwanzigste_tag_des_mariotti-prozesses.html

  12. Harry

    Aber Herr Kollege! Sie müssen doch zugeben, daß Ihr und der Referedarin lückenhaftes Gedächtnis nichts wert sind gegenüber unantastbaren Amtsautorität eines Richters. Wenn der Herr Vorsitzende das Protokoll entsprechend korrigiert hat, kann man zu 100% sicher sein, daß der Vorgang auch stattgefunden hat. Oder wollen Sie ernsthaft auch nur im entferntesten in Erwägung ziehen anzudeuten, der Richter habe Rechtsbeugung oder Urkundenfälschung begangen? Schon das Niederschreiben dieser Worte verursacht mir Atemnot und Herzaussetzer! Seien Sie versichert, mein Herr, so etwas ist in einem deutschen Gericht niemals vorgekommen und wird auch niemals vorkommen!

    Wie hat das Landgericht Kassel in einem Urteil vom 28.03.1952 so treffend formuliert:

    „Der deutsche Richter zeichnete sich ohne Rücksicht auf wiederholte sogenannte Justizkrisen, die mit der inneren Einstellung der Richter nichts zu tun hatten, von jeher dadurch aus, daß er in seiner richterlichen Unabhängigkeit, das heißt dem Richten ohne Rücksicht auf rechtsfremde Einflüsse, das Wesen seiner Tätigkeit überhaupt sah. So erklärt es sich, daß Verurteilungen von Richtern wegen Rechtsbeugung zu den größten Seltenheiten in der deutschen Strafrechtspraxis gehörten. Im
    vorliegenden Fall war daher zu prüfen, ob die beiden Angeklagten von der deutschen Tradition der Sauberkeit des Richterstandes abgewichen sind.“

    Das war im Ergebnis natürlich nicht der Fall. Und ein verdienter Freispruch gegen einen ebenso haltlosen wie empörenden Vorwurf!

  13. RANRW

    Auch wegen der hier diskutierten „Protokollproblematik“ ist es zwingend und längst überfällig, dass der BRAK-Entwurf zum verstärkten Einsatz von Bild-Ton Technik im Strafverfahren umgesetzt wird. Unter anderem die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem LG (und OLG) würde dann auf Bild-Ton-Träger aufgenommen und zu den Akten genommen.

    http://www.brak.de/seiten/pdf/Stellungnahmen/2010/Stn1.pdf

  14. Detlef Burhoff

    Hallo, die Diskussion ist durch das Posting von Dante in eine Richtung gelaufen, um die es gar nicht geht/ging. Ich habe an keiner Stelle behauptet, das wahrheitswidrig berichtigt wird. Es ging/geht nur darum, dass es eben wegen der Möglichkeit der Protollberichtigung keinen „faktisch absoluten Revisionsgrund“ mehr gibt. Damit muss man immer rechnen. Und da es über die Frage der „Richtigkeit“ oder der Fehlerhaftigkeit des Protokolls unterschiedlicher Auffassung geben kann und häufig geben wird – siehe meinen o.a Exkurs – gibt es keinen „Selbstläufer“ mehr.

  15. RA Müller

    Herr Burhoff wird am besten wissen, was er gemeint hat 🙂

    Auch bedarf es keines „Mißbrauchs“ des Instruments der Protokollberichtigung, da auch Richter sich täuschen und daher – ggf. gemeinsam mit dem Protokollführer – eine Protokollberichtigung vornehmen können, welche faktisch gar nicht berechtigt ist. Ebenso können sich Anwälte täuschen und durch das ursprüngliche Protokoll bestärkt Revision einlegen, der dann wenig vorhersehbar und mit der entsprechenden Kostenfolge der Boden entzogen wird.

    Das Strafverfahren zeichnet sich durch eine hohe Formstrenge aus. Die nachträgliche Protokollberichtigung erscheint vor diesem Hintergrund wesensfremd. Es wäre aber wohl auch nie zur Einführung der nachträglichen Prokollberichtigung gekommen, wenn nicht Revisionen eingelegt worden wären, obwohl allen bewußt gewesen ist, daß der Formfehler sich tatsächlich gar nicht ereignet hatte.

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