Begriff der Inkassodienstleistung im Sinne des RVG, oder: Besonders umfangreiche/schwierige Tätigkeit

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Im zweiten Posting dann etwas zivilrechtliches, und zwar das AG Köln, Urt. v. 30.10.2025 – 131 C 258/25Entschieden hat das AG über den Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten bezüglich Schadensersatzforderungen wegen einer Flugstornierung. Es ist also nichts straf-/bußgeldrechtliches, aber da ich ja gelegentliche unter dem Stichwort. Verkehrsrecht, auch „Reiseentscheidungen“ vorstelle, kann ich den hier bringen.

Der Kläger buchte über die Q. bei der Beklagten einen Flug. Für diesen zahlte er 1.856,34 EUR und löste Meilen ein. Für den Fall der Kündigung war mit der Beklagten vereinbart, dass Meilen wie Zuzahlung erstattet werden. Der Kläger kündigte den Beförderungsvertrag vor Abflug, erhielt aber lediglich die Meilen erstattet. Der Kläger forderte die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 01.03.2025 erfolglos zur Zahlung auf.

Am 31.03.2025 beauftragte er seine jetzigen Prozessbevollmächtigten mit der Prüfung des Vorgangs sowie der lediglich außergerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche. Dabei traf er mit diesen eine Vergütungsvereinbarung, nach der er pauschal zur Zahlung von 299 EUR verpflichtet war, solange die Tätigkeit drei Stunden Arbeitsaufwand nicht überschreitet. Außerdem war vereinbart: „Es wird keine Inkassodienstleistung und kein Mahnschreiben beauftragt.“

Die jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers prüften den Fall unter Berücksichtigung der Tarifregeln sowie der 19-seitigen Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten. Daneben berücksichtigten sie, dass eine LX-Flugnummer verwendet wurde und aufgrund der eingelösten Meilen auch Ansprüche gegen die Q. in Betracht kamen, außerdem gegen die die Flüge für die Beklagte durchführenden Luftfahrtunternehmen H.. Schließlich forderten sie die Beklagte zur Zahlung der 1.856,34 EUR auf. Daneben forderten sie die Beklagte zur Freistellung des Klägers von den Kosten der anwaltlichen Vertretung in Höhe von 280,60 EUR unter Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung für den Fall des Fristablaufs auf. Die Gebühren wurden ordnungsgemäß abgerechnet.

Nachdem die Beklagte die Hauptforderung gezahlt hat, sind/waren noch Anwaltskosten im Streit. Die hat das AG ebenfalls zugesprochen:

„Die zulässige Klage ist im nach übereinstimmender Teilerledigung noch rechtshängigen Umfang weitgehend begründet.

1. Der Kläger kann von der Beklagten den Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten lediglich in tenorierter Höhe verlangen.

Der Anspruch folgt aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 BGB.

2. Dem Kläger ist ein Schaden in Form seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten entstanden. Diese beruhen jedoch nur in tenorierter Höhe kausal auf der Pflichtverletzung der Beklagten.

a) Rechtsverfolgungskosten stellen einen kausalen Schaden dar, wenn sie zur Rechtsverfolgung erforderlich und zweckmäßig sind. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sind grundsätzlich nur in Höhe der gesetzlichen Gebühren zu ersetzen, da sie darüber hinaus nicht erforderlich sind (stRspr., vgl. BGH, NJW 2014, 939 Rn. 48 f. mwN).

b) Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Klägers in Höhe von 299 EUR waren in gesetzlicher Höhe erforderlich und zweckmäßig, weil der Kläger mangels anderer Anhaltspunkte hoffen durften, dass die Beklagte sich durch eine anwaltliche Zahlungsaufforderung doch zur Zahlung entschließen würde.

c) Die gesetzlichen Gebühren betragen nach § 2 Abs. 2 RVG iVm Nr. 2300, 7002, 7008 VV RVG beim vorliegenden Gegenstandswert bis 2.000 EUR lediglich 201,59 EUR (= (166 EUR x 0,9 + 20 EUR) x 1,19). Insbesondere durften die jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers eine 0,9-fache Geschäftsgebühr bestimmen.

aa) Die Bestimmung einer höheren Gebühr ist nach Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG nicht möglich.

Danach kann bei Inkassodienstleistung, die eine unbestrittene Forderung betreffen, eine Gebühr von mehr als 0,9 nur gefordert werden, wenn die Inkassodienstleistung besonders umfangreich oder besonders schwierig war. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist gerichtlich voll überprüfbar (vgl. BGH, NJW-RR 2013, 1020 Rn. 8 zur 1,3-fachen Schwellengebühr des Abs. 1).

(1) Bei der vorgerichtlichen Tätigkeit der jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers handelt es sich um eine Inkassodienstleistung im Sinne der Norm.

Der Begriff der Inkassodienstleistung ist in § 2 Abs. 2 S. 1 RDG legaldefiniert. Inkassodienstleistung meint danach die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird, einschließlich der auf die Einziehung bezogenen rechtlichen Prüfung und Beratung. Diese Definition ist nach dem Willen des Gesetzgebers auch bei Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG zugrunde zu legen, da dieser im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens hinsichtlich Inkassodienstleistungen nicht zwischen Rechtsanwälten und Inkassodienstleistern unterschieden hat und mit der Einführung der über § 13e Abs. 1 RDG auch auf Inkassodienstleister anwendbaren Norm auch deren ersatzfähige Kosten begrenzen wollte (vgl. nur BT-Drucksache 19/20348, S. 62 ff.; so im Ergebnis auch Ahlmann/Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz/H. Schneider, 11. Aufl. 2024, RVG VV 2300 Rn. 35a). Anders als der Kläger meint, steht das Erfordernis einer rechtlichen Prüfung und Beratung der Qualifikation als Inkassodienstleistung also nicht entgegen. Vielmehr entspricht es dem Willen des Gesetzgebers bei Einführung von Nr. 2300 Abs. 2 S. 1 RVG, entsprechende Tätigkeiten bei der Forderungseinziehung als Inkassodienstleistung zu qualifizieren. Der Gesetzgeber nahm an, es werde im Rahmen von Inkassodienstleistungen oft zumindest eine Schlüssigkeitsprüfung erfolgen, Beratungsbedarf im nennenswerten Umfang zwar nicht in der Regel, grundsätzlich zuweilen aber auch, wobei dann eine Überschreitung der Schwellengebühr möglich sein soll (vgl, BT-Drucksache 19/20348, S. 23).

(a) Die vorgerichtliche Tätigkeit der jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers war auf die Einziehung einer diesem zustehenden, für die jetzigen Prozessbevollmächtigten also fremden Forderung in Form des Rückzahlungsanspruchs gegen die Beklagte gerichtet. Dass in der Vergütungsvereinbarung ausdrücklich vereinbart ist, es solle keine Inkassodienstleistung erfolgen, stellt insoweit eine unbeachtliche Falschbezeichnung der Tätigkeit dar, denn eine andere Tätigkeit als die Einziehung, was entsprechend der obigen Ausführungen auch die Prüfung des richtigen Anspruchsgegners umfassen kann, war nicht vereinbart.

(b) Die jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers betreiben die Forderungseinziehung als Rechtsanwälte auch im Rahmen eines eigenständigen Geschäfts.

(c) Soweit der Kläger meint, es handle sich nicht um eine Inkassodienstleistung im Sinne der Norm, weil eine anwaltliche Tätigkeit beauftragt gewesen sei, verkennt er, dass das RVG und damit auch die VV RVG überhaupt nur anwendbar sind, wenn eine anwaltliche Tätigkeit erfolgt (vgl. auch Ahlmann/Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz/H. Schneider, 11. Aufl. 2024, RVG VV 2300 Rn. 2).

(2) Der Rückzahlungsanspruch des Klägers ist vorgerichtlich unstreitig geblieben.

(3) Eine besonders umfangreiche oder schwierige Tätigkeit ist nicht dargetan.

Maßgeblich ist insoweit die Abweichung von einer typischen Inkassodienstleistung (vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, 27. Aufl. 2025, RVG VV 2300 Rn. 51). Ein besonderer Umfang kommt danach beispielsweise in Betracht, wenn zahlreiche Mahnungen und weitere Korrespondenz mit dem Schuldner erfolgt oder mehrfach Nachforschungen zu dessen Aufenthaltsort erfolgen müssen. Eine besonders schwierige Tätigkeit liegt regelmäßig vor, wenn sich komplizierte Rechtsfragen stellen oder auch ausländisches Recht zu prüfen ist.

Angesichts dieses Maßstabs ist die vorgerichtliche Tätigkeit nicht als besonders umfangreich oder schwierig zu qualifizieren. Die Höhe der geltend zu machenden Forderung stand fest. Ebenso war klar, dass diese gegenüber der Beklagten geltend gemacht werden sollte, da der Kläger diese bereits selbst gemahnt hatte. Dass zusätzlich noch eine Schlüssigkeitsprüfung mit Blick auf die weiteren potentiellen Schuldner erfolgte, begründet allein keinen besonderen Umfang oder keine besondere Schwierigkeit, zumal nicht dargetan ist, dass die Prüfung kompliziert war oder das Tarifwerk oder die Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten insoweit eingehend zu studieren waren. Es wurden auch keine besonders umfangreichen Beitreibungsbemühungen entfaltet, sondern lediglich eine erfolglose Zahlungsaufforderung versandt.

bb) Die Gebühr ist aber auch nicht nach Nr. 2300 Abs. 2 S. 2 VVRVG auf 0,5 begrenzt, weil kein einfacher Fall im Sinne der Norm vorliegt.

Ein einfacher Fall liegt in der Regel vor, wenn die Forderung innerhalb von zwei Wochen nach der ersten Zahlungsaufforderung beglichen wird.

Eine Zahlung erfolgte nicht. Zwar haben die jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers nur ein Schreiben versandt, sodass für die Beitreibung selbst kein größerer Aufwand entstand, als bei Zahlung binnen zwei Wochen nach erster Zahlungsaufforderung. Aufgrund der erforderlichen Prüfung der Schlüssigkeit unter Berücksichtigung der Tarifbedingungen sowie der allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten überschreitet die Tätigkeit den Umfang eines einfachen Falles dennoch.

cc) Eine 0,9-fache Geschäftsgebühr liegt angesichts dieser durch die jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers entfalteten Tätigkeit auch jedenfalls im20%-igen Toleranzrahmen, der diesen bei Bestimmung der Geschäftsgebühr zustand (vgl. BGH, NJW 2012, 2813 Rn. 10 mwN).“

Das AG hat die Berufung zugelassen. Mal sehen, ob und was das LG Köln ggf. dazu sagt.

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