OWi I: Kein Fahrverbot wegen Existenzgefährdung, oder: Kritische Prüfung der vorgetragenen Umstände

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Heute folgt dann ein OWi-Tag. Immerhin habe ich drei Entscheidungen sammeln können. Daher: Ich brauche für die Kategorie Entscheidungen. Man kann mir gerne etwas schicken.

Den Opener mache ich hier mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 09.09.2025 – 1 ORbs 340 SsBs 403/25 – zu folgendem Sachverhalt:

Das AG hat den Betroffenen wegen einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 33 km/h (nach Toleranzabzug) zu einer Geldbuße von 520 EUR verurteilt, aber von der Verhängung des im Bußgeldbescheid angeordneten Fahrverbots für die Dauer eines Monats abgesehen. Dagegen die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

„b) Die Nachprüfung des Rechtsfolgenausspruchs aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung hat durchgreifende Rechtsfehler ergeben, die zu seiner Aufhebung und Zurückverweisung der Sache insoweit führen.

Das Amtsgericht hat zwar erkannt, dass der BKat in Ziff. 11.3.6 – bei dem Zitat von BKat Ziff. 11.3.7 handelt es sich offenbar um ein Versehen – bei der hier gegebenen Überschreitung um 33 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften regelmäßig eine Geldbuße in Höhe von 260 Euro sowie ein einmonatiges Fahrverbot vorsieht. Die Entscheidung, gleichwohl unter Erhöhung der Regelgeldbuße von dessen Anordnung abzusehen, hat es im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Betroffene sei alleinig im Außendienst und Vertrieb für das Familienunternehmen, einen auf den Verkauf von Sportartikeln und Kleidung für Patienten in Krankenhäusern spezialisierten Betrieb tätig; er sei dabei der einzige Mitarbeiter, der die Waren ausführe und überregionale Kundenakquise sowie Betreuung des bisherigen Kundenstamms betreibe. „Mit Blick auf das anlaufende Geschäftsmodell, dass an die Patienten in Kliniken Kleidung für physiotherapeutische Programme etc. vergeben werden“, sei „der Betroffene nach seiner glaubhaften Einlassung für die Ausmessung der Kleidung am Patienten sowie die Auslieferung der Kleidung zuständig“. Ferner habe er sich glaubhaft eingelassen, dass das Geschäft nicht mehr gut laufe und es für den Betrieb existenziell sei, dass die Kampagne mit dem Krankenhaus erfolgreich sei. Die beiden Mitarbeitenden im Bereich des Verkaufs und ein Auszubildender verfügten über keine Fahrerlaubnis. Ferner hat das Gericht ausgeführt, Transport und Auslieferung der Sportsets an Vereine oder Patienten mittels Lastenfahrrad seien ebenso wenig möglich wie die Nutzung von ÖPNV. Es bestehe bei Verhängung des Fahrverbots daher eine existenzielle Gefährdung des Betroffenen sowie der Verlust von zwei Arbeitsplätzen und eines Ausbildungsplatzes. Finanziell sei der Betroffene, der zwei kleine Kinder und eine in Teilzeit berufstätige Frau habe, nicht so gut aufgestellt, dass er sich einen Fahrer leisten könne. Als selbständiger Unternehmer sei es ihm wegen der angespannten Firmensituation auch nicht möglich, für einen längeren Zeitraum Urlaub zu nehmen. Trotz der Tatsache, dass der Betroffene zwei Eintragungen im FAER habe, die sich allerdings auf denselben Lebenssachverhalt beziehen, bestehe anders als bei beharrlichen Wiederholungstätern kein gesteigertes Bedürfnis, trotz der damit verbundenen Härte durch Verhängung eines Fahrverbots auf ihn einzuwirken, zumal das Gericht es mit Blick auf das erst kürzlich (wegen des genannten Verstoßes) abgeleistete Fahrverbot auf Grund seines persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung nicht für notwendig erachte, auf den Reue zeigenden Betroffenen erneut einzuwirken.

Es ist zwar anerkannt, dass die Verhängung eines Fahrverbots unter Anwendung der Regelbeispielstechnik des Bußgeldkataloges nach Maßgabe von § 25 Abs. 1 S. 1 StVG dann unangemessen sein kann, wenn der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erheblich abweicht, dass er als Ausnahme zu werten ist, insbesondere wenn dem Betroffenen infolge des Fahrverbots der Verlust seines Arbeitsplatzes oder seiner sonstigen wirtschaftlichen Existenz droht und dies nicht durch zumutbare Vorkehrungen vermieden werden. Auch kann das dem Tatgericht insoweit eingeräumte Ermessen vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin überprüft werden, ob es deshalb fehlerhaft ausgeübt worden ist, weil es die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt oder die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat. Denn die Frage, ob die Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen besondere Umstände ergibt, nach denen es der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbots ausnahmsweise nicht bedarf, liegt grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich (vgl. KG Beschl. v. 03.05.2017 – 3 Ws (B) 102/17, BeckRS 2017, 113783 Rn. 3). Indessen sind dem tatrichterlichen Ermessensspielraum der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit wegen enge Grenzen gesetzt und die gerichtlichen Feststellungen müssen die Annahme eines Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen. Dabei ist nach der Einführung des § 25 Abs. 2a StVG mit der Möglichkeit, den Beginn der Wirksamkeit des Verbotes innerhalb von vier Monaten selbst zu bestimmen, ein noch strengerer Maßstab anzulegen. Der Tatrichter ist gehalten, die Einlassung eines Betroffenen, mit der er eine unverhältnismäßige Härte geltend macht, einer kritischen Prüfung zu unterziehen (KG Berlin, Beschluss vom 05.02.2019 – 3 Ws (B) 3/19, juris Rn. 13 f. mwN.). Er muss dazu so umfassende tatsächliche Feststellungen treffen, dass dem Rechtsbeschwerdegericht eine abschließende Prüfung möglich ist (KG Beschl. v. 3.5.2017 – 3 Ws (B) 102/17, BeckRS 2017, 113783 Rn. 3).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Feststellungen ermöglichen es dem Senat nicht, die tatrichterliche Bewertung nachzuvollziehen, das Fahrverbot treffe den Betroffenen mit außergewöhnlicher Härte. Das Gericht hat sich zur Überprüfung der vorgetragenen Existenzgefährdung und der finanziellen Unmöglichkeit der Einstellung eines Fahrers keine schriftlichen Unterlagen (Umsatzübersichten, Bilanzen etc.) vorlegen lassen, die diese Behauptung untermauern würden. Ferner hat das Gericht mit Blick auf alternative Möglichkeiten des Transports der Waren und der Fortbewegung des das Unternehmen bei der Kundenakquise und sonst nach außen repräsentierenden Betroffenen, etwa mittels öffentlichem Personennahverkehr, keine solchen Feststellungen getroffen, die es dem Senat ermöglichen, die Unmöglichkeit der Nutzung dieser Fortbewegungs- bzw. Transportmittel nachzuvollziehen: Insoweit fehlen Feststellungen dazu, von welchem Ort (Lager/Geschäftsräume) die auszuliefernden Waren zu welchen Kunden jeweils zu transportieren wären. Auch ist die Möglichkeit einer Versendung durch Postdienstleister nicht erwogen worden. Des Weiteren fehlen Feststellungen dazu, wo die Kliniken, bei denen das neue Projekt anlaufen soll, sich befinden, sowie eine nähere Auseinandersetzung damit, ob der Betroffene, der schließlich im Großraum Karlsruhe (…) wohnt, der über ein gut ausgebautes ÖPNV-Netz und mit dem Hauptbahnhof Karlsruhe über einen Fernbahnhof mit hervorragenden Schnellzug-Verbindungen in die Nachbarbundesländer und Nachbarstaaten verfügt, die Kliniken und auch sonstige Kunden nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln und ggf. unter Zuhilfenahme eines Taxis für die verbleibende nicht durch ÖPNV abgedeckte Strecken aufsuchen kann. Für den Fall, dass ÖPNV-Angebote und Warenverschickung nicht ausreichen, wäre auch die Einstellung eines Fahrers unter Aufnahme eines Kredits zu prüfen gewesen.“

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