Archiv für den Monat: Juli 2023

Fahrtenbuch II: Fahrtenbuchauflage versus DSGVO, oder: Sind 36 Monate verhältnismäßig?

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Und als zweite Fahrtenbuchentscheidung dann der OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 20.06.2023 – 7 B 10360/23. Die Beschwerde gegen die Anordnung des Fahrtenbuchs hatte auch hier keinen Erfolg.

Aus den Gründen schenke ich mir die Ausführungen der Beschwerde zur Frage der rechtmäßigen Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung und zur Verwertbarkeit der Geschwindigkeitsmessun. Das ist alles bekannt.

Im Übrigen führt das OVG aus:

„c) Entgegen der Annahme der Beschwerde war die Ermittlung des oder der Fahrzeugführer der auf die Antragstellerin zugelassenen PKW, mit denen am 11. Juni 2022 und 6. September 2022 Verkehrsverstöße begangen worden sind, nicht möglich, obwohl die Ermittlungsbehörden nach pflichtgemäßem Ermessen ausreichende Maßnahmen getroffen haben, um den Verkehrsverstoß aufzuklären. Soweit mit der Beschwerde in diesem Zusammenhang gerügt wird, es sei der Bußgeldbehörde zumutbar gewesen, selbst Ausschau nach den Mitarbeitern zu halten und den tatsächlichen Fahrzeugführer ausfindig zu machen, vermag der Senat dieser Argumentation nicht zu folgen. Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Beschluss bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass die Befragung von Mitarbeitern in einer Firma zu dem in Rede stehenden Verkehrsverstoß regelmäßig eine ausreichende Ermittlungsmaßnahme darstellt. Es fällt in den Verantwortungsbereich der Gesellschaft, innerbetrieblich dafür Sorge zu tragen, dass die Geschäftsführung bzw. die Mitarbeiter, die zuverlässig Auskunft über den Einsatz der Firmenwagen geben können, informiert werden. Erfolgen daraufhin keine weiteren Angaben zu der Person, die im fraglichen Zeitpunkt das Firmenfahrzeug geführt hat, ist es der Behörde regelmäßig nicht mehr zuzumuten, noch weitere zeitraubende Ermittlungen zu betreiben (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. November 2013 – 8 A 632/13 –, juris Rn. 13 ff., m.w.N.). So liegt der Fall hier. Bei den insgesamt vier Vorortkontrollen wurde jeweils Herr A., der sich in Abwesenheit des Geschäftsführers als verantwortlicher Mitarbeiter der Firma zu erkennen gab, von den Beamten des Polizeipräsidiums Mainz ergebnislos zu den Fahrern der Fahrzeuge und zur Identifizierung der Personen auf den vorgezeigten Lichtbildern befragt. Darüber hinaus war eine Rückmeldung des sich bei den Befragungen stets im Ausland verweilenden und für die Beamten telefonisch nicht erreichbaren Geschäftsführer der Antragstellerin bis zuletzt nicht erfolgt. Weitere Ermittlungsmaßnahmen waren vor diesem Hintergrund nach den dargelegten Maßstäben nicht geboten, zumal mit der Beschwerde auch nicht geltend gemacht worden ist, dass den ermittelnden Beamten weiterer Zutritt zum Gelände und zu den Räumlichkeiten der Firma angeboten worden sei oder bei Bedarf gestattet worden wäre.d) Entgegen der Annahme der Antragstellerin war sie an der Preisgabe des verantwortlichen Fahrzeugführers oder der verantwortlichen Fahrzeugführerin nicht gehindert durch die Bestimmungen der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO –). Dabei bedarf es vorliegend keiner Entscheidung, ob die Verarbeitung personenbezogener Daten im Ordnungswidrigkeitenverfahren – in dessen Rahmen die vorliegenden Ermittlungen vorgenommen wurden – in den sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO fällt (zweifelnd: VG Regensburg, Urteil vom 17. April 2019 – RN 3 K 19.267 –, juris Rn. 25 ff.) oder sie hiervon gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. b) DSGVO ausgenommen ist (ebenfalls offenlassend: BayVGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2022 – 11 ZB 22.895 –, juris Rn. 18 und vom 30. November 2022 – 11 CS 22.1813 –, juris Rn. 34). Selbst wenn der Anwendungsbereich der DSGVO eröffnet sein sollte, wäre die Preisgabe der persönlichen Daten der Fahrzeugführer durch die Antragstellerin an die Polizei- oder Bußgeldbehörden gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO zur Wahrung der berechtigten Interessen der Behörden, eines Dritten im Sinne von Art. 4 Nr. 10 DSGVO, zulässig. Behörden haben ein berechtigtes Interesse daran, die ihnen im öffentlichen Interesse obliegenden Aufgaben zu erfüllen, zu denen die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten gehört (vgl. BayVGH, Beschluss vom 22. Juli 2022 – 11 ZB 22.895 –, juris Rn. 18). Gleiches gilt für das Führen eines Fahrzeugbuchs durch und die damit verbundene Datenerhebung durch den Fahrzeughalter (vgl. BayVGH, Beschluss vom 30. November 2022 – 11 CS 22.1813 –, juris Rn. 34; ferner HambOVG, Beschluss vom 1. Dezember 2020 – 4 Bs 84/20 –, juris Rn. 19: Zulässigkeit nach Art. 6 Abs. 1 lit. e) DSGVO). Ferner ist auch die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden – die Eröffnung des Anwendungsbereichs der DSGVO vorausgesetzt – gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. e) DSGVO gerechtfertigt (vgl. VG Regensburg, Urteil vom 17. April 2019 – RN 3 K 19.267 –, juris Rn. 30).

2. Ob der Antragsgegner das ihm nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat, kann allerdings zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beurteilt werden.

……

b) Allerdings vermag der Senat zum jetzigen Zeitpunkt auf der Grundlage der vorgelegten Verwaltungsakten nicht abschließend zu beurteilen, ob die Dauer des hier angeordneten Fahrtenbuchs von 36 Monaten verhältnismäßig ist. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, ist die Verhältnismäßigkeit der Zeitspanne, für die ein Fahrtenbuch zu führen ist, mit Blick auf den Anlass der Anordnung und den mit ihr verfolgten Zweck unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Bei der Bemessung der Dauer der Fahrtenbuchanordnung ist insbesondere das Gewicht des nicht aufgeklärten Verkehrsverstoßes zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2015 – 3 C 13/14 –, juris Rn. 20). Daneben kann in die Ermessensentscheidung einfließen, ob das erste Mal mit dem Kraftfahrzeug des Halters ein Verkehrsverstoß ohne Fahrerfeststellung begangen wurde oder ob ein Wiederholungsfall vorliegt. Auch das Verhalten des Halters bei der Aufklärung des Verkehrsverstoßes kann gewürdigt werden (vgl. VGH BW, Beschluss vom 21. Juli 2014 – 10 S 1256/13 –, juris Rn. 10; SächsOVG, Beschluss vom 22. März 2017 – 3 B 42/17 –, juris Rn. 10). Sofern sich der Antragsgegner zur Begründung der Dauer der Fahrtenbuchanordnung neben der Schwere der Verkehrsverstöße offenbar darauf stützt, dass es neben den hier vorgeworfenen Zuwiderhandlungen bereits in der Vergangenheit zu Verkehrsverstößen mit den Fahrzeugen der Antragstellerin gekommen sei, bei denen aufgrund der fehlenden Bereitschaft der Antragstellerin zur Mitwirkung der Fahrzeugführer nicht habe ermittelt werden können, kann vorliegend nicht geklärt werden, ob diese Argumentation in tatsächlicher Hinsicht trägt. Ob und inwiefern der Antragstellerin hinsichtlich der auf sie zugelassenen Fahrzeuge bereits mehrfach Verkehrsverstöße zur Last gelegt worden sind und inwieweit sie sich diesbezüglich bei der Ermittlung des Fahrzeugführers unkooperativ gezeigt hat, ist den vorgelegten Akten nämlich nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu entnehmen. Die vom Antragsgegner in Bezug genommenen Vermerke vom 14. Juli 2022 (Bl. 31 der Verwaltungsakte) und 20. November 2022 (Bl. 53 Rs. der Verwaltungsakte) enthalten insoweit lediglich vage, in tatsächlicher Hinsicht nicht näher erläuterte Ausführungen, auf die allein sich die erhebliche Dauer der Fahrtenbuchanordnung von 36 Monaten nicht stützen lässt. Diesbezüglich bedarf es – auch vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin nun im Beschwerdeverfahren weitere Verkehrsverstöße in der Vergangenheit ausdrücklich bestritten hat – weiterer Sachverhaltsaufklärung im Widerspruchsverfahren. Insofern erweisen sich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache derzeit als offen.

Die hiernach vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Verfügung und dem Interesse der Antragstellerin, vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vom Vollzug der Verfügung verschont zu bleiben, fällt dennoch zu Lasten der Antragstellerin aus. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass es sich bei der Fahrtenbuchanordnung um eine Maßnahme zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs handelt (vgl. hierzu auch BayVGH, Beschluss vom 18. Mai 1999 – 11 CS 99.730 –, juris Rn. 18). Demgegenüber belastet die Erfüllung der Fahrtenbuchanordnung die Antragstellerin – wie bereits dargelegt – nicht in nennenswertem Umfang. Hinzu kommt, dass die Anordnung eines Fahrtenbuchs dem Grunde nach – wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt – gerechtfertigt ist. Die Konstellation, dass sich die Anordnung aller Voraussicht nach vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens erledigen könnte und der Halter aufgrund des Sofortvollzugs ein Fahrtenbuch geführt hat, ohne hierzu verpflichtet gewesen zu sein (zu diesem Aspekt vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. April 2013 – 8 B 173/13 –, juris Rn. 16; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. Februar 2020 – 3 M 15/20 –, juris Rn. 12), besteht vorliegend nicht. Es spricht vielmehr einiges dafür, dass die Auferlegung eines Fahrtenbuchs für 24 Monate auf der Grundlage des bereits feststehenden Sachverhaltes – wiederholter mit einem Punkt bewerteter unaufgeklärter Verkehrsverstoß (vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 2016 – 8 A 1217/15 –, juris Rn. 16, m.w.N.) – rechtlich nicht zu beanstanden sein dürfte. Da zu erwarten ist, dass vor Ablauf dieses Zeitraums das Widerspruchsverfahren unter Nachholung der genannten Sachverhaltsermittlungen beendet sein wird, besteht auch mit Blick auf das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes kein Anlass, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Fahrtenbuchanordnung wiederherzustellen.“

Fahrtenbuch I: „KFz-Führer wohnt in Bosnien“, oder: Rechtshilfe ist unangemessener Ermittlungsaufwand

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Und dann noch einmal heute im Kessel-Buntes Entscheidungen zur Fahrtenbuchauflage, also § 31 StVZO.

Zunächst hier der OVG Lüneburg, Beschl. v. 18.07.2023 – 12 ME 77/23 -, der nochmals zur Frage des angemessenen bzw. unangemessenen Ermittlungsaufwands der Verwaltungsbehörde Stellung nimmt.

Der Antragsteller hatte beanstandet, dass das VG im seiner Zuge summarischer Prüfung zu Unrecht bejaht habe, dass hier nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften die Feststellung des Fahrzeugführers nicht möglich gewesen sei. Der Antragsteller hatte im Anhörungsbogen zwar Namen und Vornamen sowie mit „Bosnien“ das Land des Wohnsitzes des auf dem Tatfoto abgebildeten Fahrzeugführers angegeben, allein mit diesen Angaben war die bezeichnete Person in dem fremden Staat auf dem Postweg nicht erreichbar gewesen.

Das OVG hat das nicht anders gesehen:

„Davon abgesehen, dass der Antragsteller die angebliche Notwendigkeit und Zumutbarkeit weiterer Ermittlungen schon nicht mit überzeugenden Darlegungen begründet, unterschätzt er erkennbar die Schwierigkeiten von Ermittlungen deutscher Verfolgungsbehörden im Ausland. Wie sich aus § 1 Abs. 2 IRG ergibt, zählt der Rechtshilfeverkehr in Bußgeldverfahren nämlich zum Rechtshilfeverkehr in strafrechtlichen Angelegenheiten. Hierbei ist unter anderem Nr. 121 der Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt) zu beachten, der einer unmittelbaren Kontaktaufnahme deutscher Verfolgungsbehörden mit Personen, die im Ausland wohnen, (enge) Grenzen zieht. Es ist hiernach nicht einmal evident, dass eine als Bußgeldstelle tätige deutsche Verwaltungsbehörde einem in Bosnien wohnenden Betroffenen, dessen genaue Anschrift sie kennt, einen Anhörungsbogen zuschicken dürfte, obwohl das (nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG) eine den Betroffenen belastende, nämlich die Verfolgungsverjährung unterbrechende, Rechtswirkung hätte. Jedenfalls aber ist nicht davon auszugehen, dass eine deutsche Bußgeldstelle (einfach) unmittelbar mit bosnisch-herzegowinischen Behörden Kontakt aufnehmen dürfte und müsste, um bei dortigen Meldestellen nach einem bestimmten verdächtigen Fahrzeugführer zu forschen. Wie sich aus den Angaben unter III.1 des für Bosnien und Herzegowina einschlägigen Länderteils der Nr. 3 des Anhangs II der RiVASt (hier zitiert nach juris) ergibt, wird von Seiten Bosniens und der Herzegowina in Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten nämlich nur dann eine Rechtshilfe geleistet, wenn für das jeweilige Verfahren im Zeitpunkt des Rechtshilfeersuchens eine (deutsche) Justizbehörde zuständig ist. Das wäre hier aber nicht der Fall gewesen. Davon abgesehen werden (vgl. a. a. O. unter III.2 im Länderteil der Nr. 3 des Anhangs II der RiVASt) bis auf Weiteres Rechtshilfeersuchen gegenüber Bosnien und Herzegowina nur auf dem diplomatischen Geschäftsweg (d. h. die Regierung eines der beiden beteiligten Staaten und die diplomatische Vertretung des anderen treten miteinander in Verbindung – vgl. Nr. 5 RiVASt) übermittelt. Auch deshalb müsste die Inanspruchnahme von Rechtshilfe hier als ein dem Tatvorwurf unangemessener Ermittlungsaufwand angesehen werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.6.1989 – 2 BvR 239/88 -, BVerfGE 80, 109 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 43).“

 

 

Ich habe da mal eine Frage: Ist der Anspruch auf die Terminsgebühr bereits verjährt?

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Und dann noch die Gebührenfrage, und zwar heute:

„Sehr geehrter Herr Burhoff,

bezugnehmend auf Ihren Online Blog habe ich folgende Gebührenanfrage an Sie:

Als Pflichtverteidiger bin ich in einem Wirtschaftsstrafverfahren tätig, in dem das Landgericht pp. am 03.08.2020 das Urteil gesprochen hat. Stand heute ist das Urteil noch nicht rechtskräftig, da der BGH noch nicht über die wechselseitig eingelegten Revisionen entschieden hat.

Mit KFA vom 29.07.2022 habe ich u.a. Terminsgebühren für die gesamte Hauptverhandlung, die einen Zeitraum vom 23.03.2015 bis zum 03.08.2020 mit 254 Hauptverhandlungstage umfasste, geltend gemacht.

Mit KFB vom 16.01.2023 wurde u.a. die Terminsgebühr für einen Hauptverhandlungstag am 06.04.2016, in dem ein Kollege als mein Terminsvertreter vom Gericht beigeordnet worden ist (der mir jedoch seinen Vergütungsanspruch abgetreten hat) in Abzug gebracht mit der Begründung, dass die Gebühr verjährt sei. Die Bezirksrevisoren führt im Einzelnen dazu wörtlich aus:

„Der Zedent (ich) eines abgetretenen Vergütungsanspruches nach §§ 48 Abs. 1 i.V. m. 55 RVG kann sich nicht auf § 8 Abs. 2 S. 1 und 2 RVG berufen, wenn es sich um einen persönlichen Vergütungsanspruch eines nur als Terminsvertreter für einen bestimmten Hauptverhandlungstag beigeordneten Rechtsanwalt handelt. Dessen Auftrag im Rahmen der Beiordnung vom 06.04.2016 war vorliegend mit Beendigung der Hauptverhandlung am 06.04.2016 im Sinne des § § 8 Abs. 1 S. 1 RVG erledigt, sodass zu diesem Zeitpunkt die Vergütung in der Person des Terminsvertreters tatsächlich fällig. Daher muss sich Rechtsanwalt König (ich) vorliegend zurechnen lassen, dass im Zeitpunkt der Antragstellung des KFA am 29.07.2022 dieser Vergütungsanspruch gegen die Landeskasse bereits verjährt war.

Ist diese Rechtsauffassung zutreffend und können bei derartigen Konstellationen einzelne Hauptverhandlungsterminsgebühren vor Abschluss der Hauptverhandlung und Verkündung des Urteils am 03.08.2020 bereits verjährt sein. (Terminsgebühr vom 06.04.2016 wäre somit bereits zum 01.01.2020 verjährt?).“

Wenn die Rechtsanwaltskammer Gutachten erstattet, oder: Sind die Kosten erstattungsfähig?

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Und als zweite Entscheidung dann etwas zu § 14 RVG. Es geht aber nicht um die richtige Bemessung der Rahmengebühr, sondern um eine Problematik des § 14 Abs. 3 RVG – Stichwort: Gutachten der RAK.

Folgender Sachverhalt: In dem Strafverfahren, das gegen den ehemaligen Angeklagten wegen versuchter Gebührenüberhöhung u.a. geführt worden war, hat die Staatsanwaltschaft  noch vor Anklageerhebung die Rechtsanwaltskammer des Landes Brandenburg um eine gutachterliche Stellungnahme gebeten, und zwar zu verschiedenen Fragen gebeten, die nichts mit der Höhe von (Rahmen)Gebühren zu tun hatten.

Als Vorstandsmitglied der Rechtsanwaltskammer des Landes Brandenburg erstattete dann eine Rechtsanwältin  unter dem 03. März 2020 eine Stellungnahme gemäß § 73 Abs. 2 Ziffer 8 BRAO. In Folge beantragte die Staatsanwaltschaft dann beim Amtsgericht den Erlass eines Strafbefehls gegen den ehemaligen Angeklagten wegen versuchter Gebührenüberhöhung und Beleidigung, der aerlassen wurde. Als Sachverständige wurde die Rechtsanwältin benannt.

Nachdem der ehemalige Angeklagte fristgerecht Einspruch eingelegt hatte, beraumte das Amtsgericht Hauptverhandlung an und lud die Rechtsanwältin als Sachverständige. Im Hauptverhandlungstermin erstattete diese ihr Gutachten, wobei sich die Rechtsanwältin nicht nur zur Höhe der geforderten Vergütung, sondern auch unter Würdigung der Zeugenaussagen zum Zustandekommen eines Beratungsvertrages äußerte. Der ehemalige Angeklagte wurde schließlich zu einer Geldstrafe verurteilt. Für ihre Teilnahme an der Hauptverhandlung wurde die Rechtsanwältin mit 736,68 EUR entschädigt.

 Nachdem der ehemalige Angeklagte gegen das Urteil Berufung eingelegt hatte, wurde die Rechtsanwältin zur Berufungshauptverhandlung ebenfalls als Sachverständige geladen. Der ehemalige Angeklagte wurde im Ergebnis der Hauptverhandlung freigesprochen. Die Rechtsanwältin macht hier ein Honorar und Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 947,76 EUR geltend. Der Beleg über die Auszahlung von Sachverständigen-, Dolmetscher- u. Übersetzungsvergütung wurde von der Vorsitzenden mit dem Vermerk unterzeichnet, dass die Sachverständige bestimmungsgemäß zu vergüten sei und die getätigten Angaben zuträfen.

Die Bezirksrevisorin „meckert“. Sie sieht eine Erstattungsfähigkeit als nicht gegeben an, weil die Rechtsanwaltskammer kraft Gesetzes verpflichtet sei, (Gebühren-) Gutachten bzw. Stellungnahmen zu erstellen (§ 73 Abs. 2 Nr. 8, § 177 Abs. 2 Nr. 5 BRAO). Diese Gutachten/Stellungnahmen (im Rahmen von § 3a RVG bzw. § 14 RVG) stellten keine Heranziehung zu Beweiszwecken dar und seien daher nicht nach dem JVEG zu entschädigen.

Das hat das OLG dann im OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.06.2023 – 1 Ws 12/23 (S) – schließlich anders gesehen:

„Die Beschwerde der Bezirksrevisorin erweist sich als unbegründet.

Bei der Heranziehung der Rechtsanwältin („Name 01“) im Termin der Hauptverhandlung des Landgerichts („Ort 01“) vom 07. April 2022 handelt es sich nicht um eine gutachtliche Leistung der Rechtsanwaltskammer im Sinne von § 14 Abs. 3 RVG, denn nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes (§ 14 Abs. 3 Satz 1 RVG) und dem Willen des Gesetzgebers (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf zur Einführung des RVG – BT-Drucks 15/1971, Seite 234) beschränkt sich die Anwendbarkeit der vorgenannten Vorschrift auf die Fälle der Einholung eines Gutachtens der Rechtsanwaltskammer durch das Gericht in einem Rechtsstreit über die Höhe der Rahmengebühr zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Damit sind die Anwendungsfälle auf Zivilstreitigkeiten zwischen Rechtsanwalt und Mandanten beschränkt. Fälle der Heranziehung durch die Staatsanwaltschaft oder durch die Strafgerichte sind unabhängig von § 73 Abs. 2 Nr. 8 BRAO davon nicht erfasst.

Da Kostenrecht einer Auslegung nicht zugänglich ist, scheidet eine entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 14 Abs. 3 RVG und insbesondere des dortigen Satzes 2 auf gutachterliche Leistungen, die durch die Heranziehung der Staatsanwaltschaft oder der Strafgerichte erfolgen, aus.

Darüber hinaus kann vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass im Hauptverhandlungstermin des Berufungsgerichts von der Rechtsanwältin (nur) ein Gebührengutachten im materiell rechtlichen Sinne von § 14 Abs. 3 RVG erstattet wurde.

Zwar lässt sich den Urteilsgründen des freisprechenden Urteils lediglich entnehmen, dass die Rechtsanwältin die vom ehemaligen Angeklagten erstellte Kostennote geprüft und als nicht zu beanstanden bewertet habe. Zum Zeitpunkt der Ladung der Rechtsanwältin als Sachverständige durch die Vorsitzende der Berufungskammer stand aber das gesamte erstinstanzliche Urteil zur Überprüfung an, mithin auch die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang ein kostenpflichtiger Vertrag dem Grunde nach zustande gekommen war. Denn diese Frage war auch Gegenstand der schriftlichen gutachterlichen Stellungnahme vom 03. März 2020. Vorliegend diente das Gutachten hiernach auch der Klärung streitiger Tatsachen und ging über eine amtliche Äußerung der Rechtsanwaltskammer zur Gebührenhöhe deutlich hinaus.

Eine Beschränkung des Beweisthemas allein auf die Höhe der geltend gemachten und ggf. berechtigten Gebühren hat die Vorsitzende bei der Verfügung der Ladung der Rechtsanwältin als Sachverständige nicht vorgenommen und folgerichtig auf dem Beleg über die Auszahlung von Sachverständigen-, Dolmetscher- und Übersetzungsvergütung angeordnet, dass die Sachverständige bestimmungsgemäß zu vergüten sei.

Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem, der dem Beschluss des LG Baden-Baden vom 12. Januar 20002 -1 AR 24/00 – zugrunde lag, bei dem es ausschließlich um die Erstattung eines von der Staatsanwaltschaft beauftragten schriftlichen Gebührengutachtens und nicht um eine Beweisaufnahme im Rahmen einer gerichtlichen Hauptverhandlung ging.

Die von der Rechtsanwältin erbrachte „sonstige“ gutachtliche Leistung ist mithin vergütungsfähig nach den Vorschriften des JVEG, denn erfolgt die Gutachtenerstellung nach der Allgemeinvorschrift des § 73 Abs. 2 Nr. 8 BRAO, ist die Kostenfreiheit nicht gewährleistet (vgl. N. Schneider in: Schneider/Volpert, AnwK RVG, § 14 Rahmengebühren, Rn. 151)

Die Höhe der geltend gemachten Gebühren ist nicht zu beanstanden.“

Nochmals Auslagenerstattung im OWi-Verfahren, oder: Schuldspruchreife und/oder „angeblicher Tatverdacht“

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Und heute dann noch Gebühren bzw. Entscheidungen, die damit in Zusammenhang stehen. Vorab wieder der Aufruf, mir gebührenrechtliche Entscheidungen zu schicken, denn der Ordner bei mir ist fast leer. Daher muss ich ausweichen.

So auch heute. Ich stelle nämlich noch einmal eine Entscheidung zur Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren vor in einem Fall, in dem das AG wegen Verjährung eingestellt hatte. Das AG hat der Landeskasse die Auslagen des Betroffenen nicht auferlegt. Das sieht das LG Trier, das sich neulich schon einmal zu der Frage geäußert hatte, im LG Trier, Beschl. v. 05.07.2023 -5 Qs 69/23 – anders:

„Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung des Beschlusses im angegriffenen Umfang. Das Amtsgericht hat dem Betroffenen seine notwendigen Auslagen zu Unrecht auferlegt.

Dies widerspricht dem Grundsatz des § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO, wonach die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse zur Last fallen, soweit das Verfahren gegen ihn eingestellt wird.

Als Ausnahme hiervon kann das Gericht nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO zwar davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er wegen einer Ordnungswidrigkeit nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Bei Hinwegdenken dieses Verfahrenshindernisses – hier der eingetretenen Verfolgungsverjährung – muss feststehen, dass es mit Sicherheit zu einer Verurteilung gekommen wäre (BGH, NStZ 1995, 406, 407). Als Ausnahmevorschrift ist diese jedoch eng auszulegen (OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.11.2014 – 2 Ss 142/14, BeckRS 2015, 337 Rn. 4 m.w.N.).

Eine solche Schuldspruchreife kann allerdings nur nach vollständig durchgeführter Hauptverhandlung und dem letzten Wort des Betroffenen eintreten (BGH, NJW 1992, 1612, 1613; dem folgend Niesler, in: BeckOK StPO, 47. Edition, Stand: 01.04.2023, StPO § 467 Rn. 11; siehe auch BGH, Beschl. v. 19.06.2008 3 StR 545/07, Rn. 17 juris; LG Neuruppin, Beschl. v. 18.12.2020 – 11 Qs 95/20, Rn. 7 juris).

Selbst wenn man der Gegenansicht folgt, wonach von der Auslagenerstattung durch die Staatskasse bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgesehen werden kann, wenn nämlich ein auf die bisherige Beweisaufnahme gestützter erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Fortführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden (so etwa BGH, NStZ 2000, 330, 331; siehe auch die insoweit kritische Anmerkung von Hilger, a.a.O.), führt dies im vorliegenden Fall zu keiner anderen Beurteilung, da eine Hauptverhandlung nebst Beweisaufnahme vorliegend noch nicht einmal begonnen wurde.

Im Ergebnis hat daher die Staatskasse nach beiden Ansichten neben den Kosten des Verfahrens auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen.“