Die zweite Entscheidung, der LG Trier, Beschl. v. 30.05.2023 – 1 Qs 24/23, behandelt auch die Frage der Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen auf die Staatskasse, wenn das Bußgeldverfahren wegen Verjährung eingestellt wird. Auch hier klare Worte zum Regel-Ausnahme-Verhältnis – wie im AG Büdingen, Beschl. v. 30.05.2023 – 60 OWi 48/23:
„Sie ist auch begründet. Das Amtsgericht hat die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu Unrecht nicht der Staatskasse auferlegt.
Nach dem Grundsatz des § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO fallen die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse zur Last, soweit das Verfahren gegen ihn eingestellt wird.
Als Ausnahme hiervon kann das Gericht nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er wegen einer Ordnungswidrigkeit nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Bei Hinwegdenken dieses Verfahrenshindernisses – hier der eingetretenen Verfolgungsverjährung – muss feststehen, dass es mit Sicherheit zu einer Verurteilung gekommen wäre (BGH, NStZ 1995. 406, 407). Als Ausnahmevorschrift ist diese eng auszulegen (OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.11.2014 – 2 Ss 142/14, BeckRS 2015, 337 Rn. 4 m.w.N.).
Eine solche Schuldspruchreife kann nur nach vollständig durchgeführter Hauptverhandlung und dem letzten Wort des Betroffenen eintreten (BGH. NJW 1992, 1612, 1613; dem folgend Niesler, in: BeckOK StPO. 45. Edition, Stand: 01.10.2022, StPO § 467 Rn. 11; siehe auch BGH. Beschl. v. 19.06.2008 – 3 StR 545/07, Rn. 17 – juris).
Selbst wenn man der Gegenansicht folgt, wonach von der Auslagenerstattung durch die Staatskasse bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgesehen werden kann. wenn nämlich ein auf die bisherige Beweisaufnahme gestützter erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Fortführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden (so etwa BGH. NStZ 2000, 330, 331; siehe auch die insoweit kritische Anmerkung von Hilger, a.a.O.), führt dies im vorliegenden Fall zu keiner anderen Beurteilung. Denn es begründet insofern durchgreifende Bedenken, dass die Verteidigung des Betroffenen insofern beeinträchtigt war, als ihm die Bußgeldstelle – entgegen der gerichtlichen Entscheidung nach § 62 OWiG – die Baumusterprüfbescheinigung des verwendeten Messgeräts und die verkehrsrechtliche Anordnung der maßgeblichen Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht zur Verfügung gestellt hat.
Nach diesen Erwägungen war die Verurteilung des Betroffenen – auch wenn keine Verfolgungsverjährung eingetreten wäre – nicht derart sicher gewesen, dass von der Ausnahmevorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO Gebrauch zu machen gewesen wäre, zumal die unterlassene Überlassung bestimmter Unterlagen an die Verteidigung auch bei Ausübung des von dieser Vorschrift eingeräumten Ermessens zu würdigen ist. Vielmehr hatte es bei dem Grundsatz der Tragung der notwendigen Auslagen des Betroffenen durch die Staatskasse zu bleiben.“