Archiv für den Monat: März 2023

Wochenspiegel für die 11. KW., das war Impfung, flinke Frauenhände, lachender Richter, geschasster Anwalt

© Aleksandar Jocic – Fotolia.com

Kommt das nur mir so vor oder rast die Zeit wirklich, jedenfalls berichte ich jetzt schon über die 12. KW. mit diesem Wochenspiegel, und zwar mit folgenden Hinweisen:

  1. Soldat muss Impfung nicht zustimmen

  2. Hinweis auf fehlende „flinke Frauenhände“ diskriminiert Männer

  3. OLG Köln: Berichterstattung in Bild Zeitung und Bild-Online über Kardinal Woelki teilweise unzulässig
  4. EuGH-Generalanwalt: SCHUFA-Scoring ist Profiling im Sinne der DSGVO und zur Speicherung der Restschuldbefreiung über 6 Monate hinaus
  5. Der lachende Richter…

  6. Kommt jetzt der Widerrufs-Button für den gesamten E-Commerce?!

  7. Täterschaftliche Haftung von DNS-Resolvern?

  8. Ex-Schiedsrichter Gräfe fordert Ersatz von Verdienstausfall

  9. Aufbewahrungsfrist: Wann sind Bewerbungen zu löschen?

  10. und aus meinem BlogG: Befangenheit II: Vorbefassung der Ehefrau des Richters, oder: Teilnahme am „einstimmigen Beschluss“

Kollision Pkw und Bahn wegen offener Schranken, oder: Bahnbetreiber haftet i..d.R. allein

entnommen wikimedia.org
By Feuermond16 – Own work

Im zweiten Posting stellt ich das OLG Celle, Urt. v. 31.01.2023 – 14 U 133/22. In der – umfangreich begründeten – Entscheidung geht es um Schadensersatz nach einem Bahnunfall. Zugrunde liegt dem Urteil folgender Sachverhalt:

„Die am pp. 1952 geborene Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Schienenbahnunfall in Anspruch.

Am Freitag, den 02. August 2019, befuhr die Klägerin auf dem Weg zum Zahnarzt mit ihrem Pkw Opel Corsa, pp., in R.-E. die B. Straße Richtung Bpp. Gegen 10:42 Uhr erreichte sie den Bahnübergang in Höhe des Bahnkilometers pp. der Eisenbahnstrecke von H. O. nach R., Streckennummer pp.

Der Übergang führte über die eingleisige nicht elektrifizierte Bahnlinie. Dort galt in beiden Fahrtrichtungen eine Höchstgeschwindigkeit für Züge von 120 km/h. Der Bahnübergang war gesichert mit Andreaskreuz, Halbschranken auf beiden Seiten und einer Lichtzeichenanlage. Verbaut war eine sog. Bahnübergangssicherungsanlage (künftig auch: BÜSA) der Fa. S. und B. mit Einheits-Bahnübergangstechnik (EBÜT) aus den 1980-er Jahren. Diese BÜSA wurde nicht vom Fahrdienstleiter oder Schrankenwärter bedient, sondern durch Überfahren eines Einschaltkontaktes durch den Zug aktiviert. Der Kontakt war aus Richtung H. O. kommend am Bahnkilometer pp. angebracht. Wenn beim Überfahren dieses Kontaktes eine Störung auftrat, wurde diese nicht dem Triebwagenführer angezeigt, sondern lief bei dem zuständigen Fahrdienstleiter in R. auf, der dann den Zugführer über Funk verständigen musste.

Dort waren am 02. August 2019 gegen 10:42 Uhr aufgrund einer technischen Störung die Schranken offen, die Lichtanlage war außer Funktion. Zugleich funktionierte auch die Noteinschaltung nicht.

Die Bahnstrecke wurde zu dieser Zeit befahren in Richtung R. von der pp.Bahn (pp.), RB pp., Zugnummer pp., gesteuert von dem Zugführer und Zeugen K. B. Er näherte sich dem oben genannten Bahnübergang mit einer Geschwindigkeit von etwa 116 km/h. Dabei war dem Zugführer bis zu diesem Zeitpunkt der Ausfall der Schranken und der Signale nicht bekannt. Zuständiger Fahrdienstleiter für den Übergang war Herr R. P., der sich in seinem Kontrollraum in R. befand. Ca. 175 m vor dem Übergang löste der Zeuge B. eine Schnellbremsung aus, nachdem er die offenstehenden Schranken bemerkt hatte. Der RB pp. wurde daraufhin etwas langsamer, fuhr beim Erreichen des Übergangs aber immer noch 96 km/h schnell. Zwischen den Parteien ist streitig, ob und ggfs. wann und wie lange der Zeuge B. zusätzlich das Makrofon, die Hupe des Zuges, betätigt hat.

Auf dem Bahnübergang kam es zur Kollision zwischen dem RB pp. und dem von der Klägerin gesteuerten Pkw Opel Corsa. Das Auto wurde vom Zug auf der Beifahrerseite erfasst und zunächst durch die Luft gegen zwei dort abgestellte DB-Fahrzeuge geschleudert, ehe es sich teilweise um die eigene Achse drehte und erheblich deformiert und beschädigt in umgekehrter Fahrtrichtung zwischen den DB-Fahrzeugen und dem Schrankenantrieb zum Stehen kam.

Zur Zeit des Unfalls befanden sich die beiden Mitarbeiter B. K. und M. W. der Beklagten zu 2) im Bereich des Bahnübergangs.

Die Klägerin wurde bei dem Zusammenstoß schwer verletzt. Sie musste von Feuerwehrleuten aus dem Fahrzeugwrack ihres Pkw befreit werden. Die Klägerin erlitt bei dem Unfall ein Polytrauma mit gedecktem Schädelhirntrauma und multiple Kontusionsblutungen rechts frontal und temporal, weiter eine Rippenserienfraktur rechts, mit traumatischem Pneumohämatothorax rechts, eine ausgedehnte Rissquetschwunde am distalen Oberarm rechts, eine Radiusköpfchenfraktur mit Gelenkbeteiligung und knöcherner Absprengung am Olekranon rechts (Ellenbogenhöcker an der Spitze des Ellenbogens) und eine Milzkontusion. Die Olekranon-Fraktur wurde noch am Unfalltag operativ versorgt. Die Klägerin wurde vom 02. August 2019 bis 26. August 2019 im Krankenhaus M. stationär behandelt. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus war sie bis zum 17. September 2019 zu einer Rehabilitation in einer Klinik in Bad O. Danach konnte sie in ihre eigene Wohnung entlassen werden.

Die Beklagte zu 1) zahlte außergerichtlich auf das Schmerzensgeld 4.000,00 € an die Klägerin.“

Das LG hat die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 56.000,00 €, zur Zahlung weiterer 443,98 € sowie 2.561,83 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt, festgestellt, dass die Beklagten der Klägerin auch zum Ersatz zukünftiger materieller und immaterieller Schäden verpflichtet sind und die Klage im Übrigen hinsichtlich des begehrten Haushaltsführungsschadens überwiegend abgewiesen. Dagegen die Berufungen der Beklagten und der Klägerin.

Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg, die der Klägerin war hingegen erfolgreich. Ich beschränke mich hier auf die (amtlichen) Leitsätze der Entscheidung, den Rest bitte im verlinkten Volltext selbst lesen:

  1. Bei einem Zusammenstoß von Kfz und Bahn infolge geöffneter Schranken haftet der Bahnbetreiber im Grundsatz alleine. Eine Mithaftung auf Seiten des beteiligten Pkws kommt nur dann in Betracht, wenn der herannahende Zug für den Kfz-Fahrer erkennbar gewesen ist.
  2. Die Beweislast für die optische und/oder akustische Erkennbarkeit eines herannahenden Schienenfahrzeugs für den Straßenverkehr einschließlich der Wahrnehmbarkeit akustischer Warnsignale, hier für ein rechtzeitiges Betätigen des Makrofons durch den Zugführer, liegt bei den beteiligten Eisenbahnunternehmen.
  3. Es liegt grundsätzlich ein erhebliches Organisationsverschulden des für die Bahnstrecke verantwortlichen Unternehmens der Deutschen Bahn vor, wenn es an einem Bahnübergang in weniger als einem Monat zu 15 Störungsfällen und schließlich zu einer Kollision zwischen Bahn und Pkw wegen der defekten Bahnübergangssicherungsanlage (BÜSA) deswegen kommt, weil bis zur Klärung der Ursache der Störungsserie keine zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen für den betroffenen Bahnübergang getroffen worden sind.
  4. Zur Erhöhung des Schmerzensgeldes aufgrund eines nicht nachvollziehbaren Regulierungsverhaltens (hier: Komplettverweigerung bei erheblicher Mitverantwortung für ein Unfallgeschehen trotz schwerer Verletzungen der Geschädigten).

Beim Elektroroller explodiert die ausgebaute Batterie, oder: Haftet der Halter?

Bild von Yo Bykes auf Pixabay

Und heute dann zwei zivilgerichtliche Entscheidungen.

Zunächst hier das zu BGH, Urt. v. 23.01.2023 – VI ZR 1234/20 – zur Haftun des Halters eines Elektrorollers, wenn dessen ausgebaute Batterie bei einer Inspektion während des Aufladens explodiert und eine Werkstatt in Brand setzt. Geklagt hatte hier der Gebäudeversicherer gegen die Haftpflichtversicherung des Elektrorollers. Der Halter hatte den zur Inspektion in die Werkstatt gebracht, die bei der Klägerin versichert war. Ein Mitarbeiter des Werkstattinhabers hatte die Batterie aus dem Rollen genommen, um sie aufzuladen. Dabei erhitzte sich diese so stark, dass er sie vom Stromnetz trennen musste und sie zur Abkühlung auf den Boden der Werkstatt legte. Kurz darauf explodierte dann der Akku und setzte das Gebäude in Brand.

LG und OLG haben die Klage abgewiesen. Die Revision hatte dann beim BGH keinen Erfolg:

„1. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Batterie nicht im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG bei dem Betrieb des Elektrorollers explodierte.

a) Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG ist, dass eines der dort genannten Rechtsgüter „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ verletzt bzw. beschädigt worden ist. Dieses Haftungsmerkmal ist entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, das heißt, wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, das heißt, die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (vgl. Senatsurteile vom 20. Oktober 2020 – VI ZR 319/18, VersR 2021, 597 Rn. 7; – VI ZR 374/19, DAR 2021, 87 Rn. 7; – VI ZR 158/19, NJW 2021, 1157 Rn. 7 mAnm Makowsky, JR 2021, 386; jeweils mwN).

b) Zwar ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts der Umstand, dass sich der Elektroroller und die Batterie zur Inspektion in einer Werkstatt befanden, für die Frage der Haftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG unerheblich. Denn dass Dritte durch den Defekt einer Betriebseinrichtung eines Kraftfahrzeuges an ihren Rechtsgütern einen Schaden erleiden, gehört zu den spezifischen Auswirkungen derjenigen Gefahren, für die die Haftungsvorschrift des § 7 StVG den Verkehr schadlos halten will. Dabei macht es rechtlich keinen Unterschied, ob der Brand unabhängig vom Fahrbetrieb selbst vor, während oder nach einer Fahrt eintritt. Wollte man die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG auf Schadensfolgen begrenzen, die durch den Fahrbetrieb selbst und dessen Nachwirkungen verursacht worden sind, liefe die Haftung in all den Fällen leer, in denen unabhängig von einem Betriebsvorgang allein ein technischer Defekt einer Betriebseinrichtung für den Schaden eines Dritten ursächlich geworden ist. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist das Schadensgeschehen jedoch auch in diesen Fällen durch das Kraftfahrzeug selbst und die von ihm ausgehenden Gefahren entscheidend (mit)geprägt worden. Hierzu reicht es aus, dass der Brand oder dessen Übergreifen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht (vgl. die nach Verkündung des Berufungsurteils ergangenen Senatsurteile vom 20. Oktober 2020 – VI ZR 319/18, VersR 2021, 597 Rn. 8 [schwer beschädigtes und nicht fahrbereites Fahrzeug in Lagerhalle]; – VI ZR 374/19, DAR 2021, 87 Rn. 8 ff. [in Werkstattgebäude zur Reparatur aufgebockter LKW]; – VI ZR 158/19, NJW 2021, 1157 Rn. 13 ff. [zur TÜV-Untersuchung in Werkstattgebäude abgestellter LKW]).

c) Allerdings ist nicht festgestellt – und die Revision zeigt dazu auch keinen übergangenen Vortrag auf -, dass die Erhitzung und die nachfolgende Explosion der Batterie bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG standen. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Batterie bereits aus dem Elektroroller ausgebaut und hatte zu diesem keine Verbindung mehr. Bei dieser Sachlage besteht kein Unterschied zu der Situation, in der eine zuvor nicht im Elektroroller befindliche Batterie dort eingebaut werden soll und zu diesem Zweck vorher aufgeladen wird. In diesen Fällen ist die Batterie nicht mehr bzw. noch nicht Teil der Betriebseinrichtung.

Weiter ist nicht festgestellt – und die Revision zeigt auch dazu keinen übergangenen Vortrag auf -, dass die Explosion der Batterie in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang stand (vgl. dazu Senatsurteil vom 26. März 2019 – VI ZR 236/18, NJW 2019, 2227 Rn. 9). Allein der Umstand, dass sich die Batterie zuvor im Elektroroller befand und in diesem entladen wurde, begründet nicht den erforderlichen Zurechnungszusammenhang.

2. Es bedarf daher keiner Klärung, ob die von der Revision angegriffenen Erwägungen des Berufungsgerichts zur möglichen Verursachung des Brandes durch ein schadhaftes Ladegerät und zur bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit des Elektrorollers revisionsrechtlicher Prüfung standhalten würden.“

Ich habe da mal eine Frage: Wer ist für die Kostenentscheidung zuständig?

© AllebaziB – Fotolia

Und dann noch die Gebührenfrage, und zwar mal wieder aus der FB-Gruppe „Strafverteididger“:

Die hiesige StA hatte mal wieder Berufung eingelegt, weil man eine Berufung des Angeklagten erwartet hatte. Da sich die Erwartung nicht erfüllt hat, wurde die Berufung zurückgenommen.

Selbstverständlich wurden Einlegung und Rücknahme des Rechtsmittels dem Angeklagten bzw. seinem Verteidiger von keiner Stelle mitgeteilt. Ich habe über das Amtsgericht zufällig von der Rechtsmitteleinlegung erfahren.

Wie ist das nun mit der Kostenentscheidung? Ich kenne es nur so, dass das unter den Tisch gekehrt wird, weil die StA davon ausgeht, der Verteidiger wisse nichts von dem Rechtsmittel. Wer ist zuständig? AG, da Vorlage an LG noch nicht erfolgt war? Oder das Berufungsgericht?“

Mittelgebühr bei straßenverkehrsrechtlicher OWi, oder: Ja, jedenfalls wenn Eintragung ins FAER droht

© SZ-Designs – Fotolia.com

Um die Einordnung des straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahrens als mindestens durchschnittlich und damit den Ansatz der Mittelgebühr (§ 14 Abs. 1 RVG) rechtfertigend gibt es im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren immer wieder Streit. Zu der Frage hat jetzt das AG Kaufbeuren, Urt. v. 03.03.2023 – 4 C 1117/22 – noch einmal positib Stellung genommen,

Gestritten worden ist mit der Rechtsschutzversicherung um die nach dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrag zu erstattenden Gebühren und Auslagen. Die Rechtsschutzversicherung hatte dem Kläger als Betroffenen eines gegen ihn laufende Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren wegen eines Geschwindigkeits- und Handy-Verstoßes Deckungszusage erteilt. Bei dem dem Kläger vorgeworfenen Verstoß handelte es sich um einen Verkehrsverstoß, der mit der Eintragung eines Punktes ins Fahreignungsregister geahndet wird. Die Rechtsanwältin des Klägers hatte für die Gebühren der Nrn. 5100, 5103, 5109 und 5110 VV RVG jeweils die Mittelgebühr geltend gemacht. Diese sind von der beklagten Rechtsschutzversicherung nicht gezahlt worden. Die Klage des Klägers hatte Erfolg:

„Der Kläger hat den streitgegenständlichen Anspruch ganz überwiegend schlüssig begründet. Das Vorbringen der gemäß § 79 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO ordnungsgemäß vertretenen beklagten Partei, welches im Übrigen mangels Verzögerung des Rechtsstreits nicht gemäß § 296 ZPO präkludiert ist, führt zu keinem anderen Ergebnis.

Unstreitig besteht zwischen den Parteien ein Rechtsschutzversicherungsvertrag mit Selbstbeteiligung von 150,00 €. Unstreitig hat die beklagte Partei eine Deckungszusage für das gegen den Kläger als Betroffenen laufende Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren wegen eines Geschwindigkeits- und Handy-Verstoßes erteilt. Unstreitig handelte es sich um einen Verstoß, der mit der Eintragung eines Punktes ins Fahreignungsregister geahndet wird. Unstreitig wurde der Kläger in diesem Verfahren sowohl im Verfahren vor dem bayerischen Polizeiverwaltungsamt als auch in der Folge im gerichtlichen Einspruchsverfahren durch eine Rechtsanwältin der Rechtsanwaltskanzlei pp. vertreten.

Aufgrund des Rechtsschutzversicherungsvertrags ist die Beklagte verpflichtet, die hierdurch angefallenen Rechtsanwaltsgebühren (abzüglich der Selbstbeteiligung) an den Kläger zu erstatten. Der Anfall und die Höhe der Post-/Telekommunikation-/Dokumentenpauschalen ist zwischen den Parteien unstreitig. Streitig ist lediglich, ob in Bezug auf die vier Gebühren (5100 VV RVG, 5103 VV RVG, 5109 VV RVG und 5110 VV RVG) die jeweilige Mittelgebühr zum Ansatz gebracht werden durfte oder ob eine niedrigere Gebühr anzusetzen gewesen wäre. Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG hat bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen zu bestimmen.
Ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer war nicht einzuholen. Die in § 14 Abs. 3 RVG festgeschriebene Verpflichtung betrifft nur das Verfahren zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten und ist in Bezug auf einen Dritten nur optional werden (vgl. HK-RVG/Klaus Winkler, 8. Aufl. 2021, RVG § 14 Rn. 67). Vorliegend war eine solche Einholung jedoch nicht erforderlich, da dies vom Gericht selbst aufgrund der sich aus der Akte ergebenden Umstände des Falles eingeordnet werden konnte. Im vorliegenden konkreten Fall war das Ansetzen der Mittelgebühr jeweils nicht zu beanstanden. Unabhängig von der Frage, ob Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten generell oder in bestimmten Fällen zu einer geringeren Gebühr führen müssen, weil es sich um unterdurchschnittliche Angelegenheiten handelt, war dies vorliegend bereits deshalb nicht der Fall, weil unstreitig die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister drohte (so z.B. BeckOK OWiG/L. Bücherl, 37. Ed. 1.1.2023, RVG § 14; HK-RVG/Klaus Winkler, 8. Aufl. 2021, RVG § 14 Rn. 25), was, wenn nicht unmittelbar, so zumindest mittelbar für die Zukunft Auswirkungen auf die vom Kläger dringend benötigte Fahrerlaubnis haben kann. Bereits aus diesem Grund liegt im vorliegenden konkreten Fall bereits keine gebührenrechtlich unterdurchschnittlich zu bewertende Angelegenheit vor, sodass das Ansetzen der Mittelgebühr gerechtfertigt ist.“