Archiv für den Monat: August 2022

Rechtsfolgen II: Keine „günstige Sozialprognose“, oder: Doch, positive Prognose trotz Bewährungsbruch?

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Die zweite Entscheidung kommt vom BayObLG. Das hat im BayObLG, Beschl. v. 05.07.2022 – 202 StRR 68/22 – zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung und zur Bedeutung neuer Umstände für eine positive Legalprognose Stellung genommen. Das LG hatte die gegen den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt. Das gefällt dem BayObLG nicht:

„2. Dagegen hält die Entscheidung der Berufungskammer, die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung auszusetzen, rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Das Landgericht hat vor allem mit Blick auf die Vorverurteilungen und das Bewährungsversagen eine günstige „Sozialprognose“ verneint und dabei maßgebliche Gesichtspunkte, die für die nach § 56 Abs. 1 StGB zu stellende Kriminalprognose von Bedeutung sind, zwar erkannt, aber nicht rechtsfehlerfrei gewichtet.

aa) Allerdings entspricht es gefestigter Rechtsprechung des Senats, dass einem Bewährungsbruch ganz erhebliche Bedeutung für die Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB zukommt (BayObLG, Urt. v. 01.04.2022 – 202 StRR 35/22; 24.09.2021 – 202 StRR 98/21, jew. bei juris). Denn die Begehung von Straftaten während laufender Bewährung belegt grundsätzlich, dass die frühere Prognose falsch war.

bb) Gleichwohl schließt ein Bewährungsversagen eine nochmalige Strafaussetzung zur Bewährung nicht von vornherein aus (BGH, Urt. v. 14.04.2022 – 5 StR 313/21 bei juris; Beschluss vom 21.03.2012 – 1 StR 100/12 = NStZ-RR 2012, 201; Urt. v. 22.07.2010 – 5 StR 204/10 = NStZ-RR 2010, 306; 10.11.2004 – 1 StR 339/04 = NStZ-RR 2005, 38; Beschl. vom 04.01.1991 – 5 StR 573/90 = BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 15; BayObLG a.a.O.). Freilich kann in solchen Fällen eine günstige Prognose nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Gesichtspunkte infrage kommen. Im Falle der nochmaligen Bewilligung von Strafaussetzung zur Bewährung ist deshalb eine sorgfältige Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte geboten, in die vor allem Umstände einzubeziehen sind, die der Tatbegehung zeitlich nachfolgten (BayObLG a.a.O.).

cc) Die Berufungskammer hat diese Grundsätze im Ansatz nicht verkannt, sondern bei der Prognoseentscheidung auch berücksichtigt, dass sich die finanzielle Situation des Angeklagten mittlerweile gebessert hat und die Taten längere Zeit zurückliegen. Jedoch hat es diesen Gesichtspunkten mit nicht tragfähigen Überlegungen keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen.

(1) Der Hinweis der Berufungskammer darauf, dass der Angeklagte mehrfach vorbestraft ist und die verfahrensgegenständlichen Taten während laufender Bewährungszeit begangen hat, vermag insbesondere den Gesichtspunkt der nachhaltigen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse, die nach Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten eingetreten ist, nicht zu entkräften. Das Landgericht hat dabei vor allem dem Umstand nicht ausreichend Rechnung getragen, dass, wie sich aus der detaillierten Schilderung der zugrunde liegenden Sachverhalte im Berufungsurteil ergibt, sämtliche Vorstrafen ausschließlich auf die beengte wirtschaftliche Situation des Angeklagten zurückzuführen waren, der in jungen Jahren den landwirtschaftlichen Betrieb seiner früh verstorbenen Eltern im Jahr 2003/2004 übernehmen musste und sich von vornherein einer Schuldenlast in Höhe von ca. 650.000 Euro, die zu erheblichen Liquiditätsengpässen führte, ausgesetzt sah. Die Haupteinnahmequellen, nämlich die Milchgeldzahlungen in Höhe von 6.000 Euro monatlich und die Einnahmen aus Ausgleichszulagen in Höhe von ca. 36.500 Euro jährlich, waren zu den Tatzeitpunkten wegen Steuerschulden, die sich im Jahr 2019 noch auf ca. 140.000 Euro beliefen, an das Finanzamt abgetreten bzw. von diesem gepfändet. Die monatlichen Einnahmen aus einer Photovoltaikanlage waren wegen eines Darlehens in Höhe von ca. 100.000 Euro von einem Kreditinstitut gepfändet. Bis Ende 2021 wurden nach den Urteilsfeststellungen, die auf der Vernehmung des Steuerberaters des Angeklagten basieren, die Steuerschulden und die Verbindlichkeiten gegenüber der Bank aufgrund von Vollstreckungsmaßnahmen bzw. Tilgungsleistungen vollständig zurückgeführt. Bei Berücksichtigung dieser deutlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Situation einerseits und des Umstands andererseits, dass die Vorstrafen ebenso wie die verfahrensgegenständlichen Taten gerade ihren Ursprung in den früher vorherrschenden Liquiditätsengpässen hatten, vermag der Hinweis des Landgerichts auf die Vorverurteilungen und das Bewährungsversagen eine negative Kriminalprognose für sich genommen nicht zu rechtfertigen. Ein solches Verständnis würde darauf hinauslaufen, dass nachträglich eingetretenen Umständen von vornherein keine Bedeutung zukäme, was mit § 56 Abs. 1 StGB nicht in Einklang stünde. Denn für die nach dieser Vorschrift vorzunehmende Prognose kommt es gerade auf den Zeitpunkt der jetzigen Entscheidung an (vgl. nur BGH, Beschluss vom 30.04.2019 – 2 StR 545/18 = NStZ-RR 2019, 242 = StraFo 2019, 338 = StV 2019, 734 = BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 35).

(2) Auch die zusätzlichen Erwägungen der Berufungskammer, die auf die „Zusammenarbeit“ des Angeklagten mit der Bewährungshilfe abstellen, vermögen die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung nicht zu rechtfertigen. Hiernach habe der Angeklagte bis August 2021 die Termine bei der zuständigen Bewährungshelferin noch ordnungsgemäß wahrgenommen. In der Folgezeit sei er aber „unzuverlässig“ geworden; vereinbarte Termine habe er kurzfristig verschoben. Diese Wertungen sind schon nicht hinreichend mit Tatsachenfeststellungen belegt, sodass der Senat nicht beurteilen kann, wie oft und aus welchen Gründen der Angeklagte um Terminsverlegungen nachgesucht hat. Zudem bleibt offen, welche Auswirkungen dies auf die Kriminalprognose haben soll. Die von der Bewährungshelferin bei ihrer Vernehmung geschilderte Ablehnung einer „Schuldnerberatung“ durch den Angeklagten stellt für sich genommen mit Blick auf die Betreuung durch den Steuerberater einerseits und die deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Situation andererseits ebenfalls keinen Gesichtspunkt dar, der im Rahmen des § 56 Abs. 1 StGB von Bedeutung wäre.

(3) Soweit die Berufungskammer bei der Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB berücksichtigt hat, dass der Angeklagte in der Vergangenheit Bewährungsauflagen in Form von Geldzahlungen nur unzureichend nachgekommen war, ist dies insbesondere im Hinblick auf die prekäre wirtschaftliche Situation, in der sich der Angeklagte damals befand, und die Rückführung der bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber Gläubigern kein Umstand, der einer günstigen Legalprognose entgegensteht. Im Gegenteil hätte das bewährungsaufsichtsführende Gericht vielmehr eine Abänderung der Bewährungsauflagen in Erwägung ziehen müssen.

b) Diese Rechtsfehler, die dem Landgericht bei der Kriminalprognose unterlaufen sind, haften auch den hilfsweisen Erwägungen, mit denen die Berufungskammer besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB verneint hat, an. Denn in die gebotene Gesamtschau wären auch die erhebliche Verbesserung der wirtschaftlichen Situation im allgemeinen und vor allem die hieraus möglicherweise resultierenden Auswirkungen auf die Kriminalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB im besonderen einzubeziehen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 30.04.2019 – 2 StR 545/18 a.a.O.; 28.06.2018 – 1 StR 171/18 = StV 2019, 559; 23.01.2018 – 3 StR 654/17 = NStZ-RR 2018, 105; 10.05.2016 – 4 StR 25/16 = StraFo 2016, 425; BayObLG, Beschluss vom 08.12.2020 – 202 StRR 123/20 = Blutalkohol 58 [2021], 34; StV 2022, 27 = VerkMitt 2021, Nr 22)….“

Rechtsfolgen I: Keine Kompensation im 2. Rechtsgang, oder: Der BGH will wissen, warum

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Heute dann Entscheidungen, die mit der „Rechtsfolgenseite“ zu tun haben.

In dem Bereich stelle ich zunächst den – schon etwas älteren – BGH, Beschl. v. 15.02.2022 – 4 StR 485/21 – vor. Zunächst etwas zur „Kompensation“.

Die Angeklagte war im ersten Rechtsgang mit Urteil vom 30.06.2017 u.a. wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Außerdem hatte das LG festgestellt, dass sechs Monate der Strafe wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Mit Beschluss vom 08.11.2018 ‒ 4 StR 61/18 ‒ hat der BGH das Urteil auf die Revision der Angeklagten mit den zugehörigen Feststellungen – teilweise – auf gehoben. Mit Urteil vom 15.07.2021 hat das LG  die Angeklagte im zweiten Rechtsgang nunmehr u.a. der „schweren Misshandlung Schutzbefohlener in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und des Betruges“ für schuldig befunden, sie „unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil der 1. Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 30. Juni 2017“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und festgestellt, dass sechs Monate dieser Strafe als bereits vollstreckt gelten.

Dagegen die Revision, die Erfolg hatte, soweit das LG eine weitere Kompensationsentscheidung verneint hat:

„1. Die Begründung, mit der die Kammer die Notwendigkeit einer (weiteren) Kompensationsentscheidung wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung in der Zeit nach dem 30. Juni 2017 verneint hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Die Kammer hat zwar im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass die Entscheidung des Landgerichts in dem Urteil vom 30. Juni 2017, wonach sechs Monate der Gesamtfreiheitsstrafe aufgrund einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten, von dem Senat im Beschluss vom 8. November 2018 nicht aufgehoben wurde und daher in Rechtskraft erwachsen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2021 ‒ 4 StR 41/21 Rn. 1; Urteil vom 27. August 2009 ‒ 3 StR 250/09 , NJW 2009, 3734). Soweit sie daraus den Schluss gezogen hat, dass deshalb für eine weitere Kompensationsentscheidung kein Raum mehr gewesen sei, übersieht sie jedoch, dass die rechtskräftige Kompensationsentscheidung ausschließlich den Zeitraum bis zum Erlass des Urteils im ersten Rechtsgang betraf (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2016 ‒ 1 StR 121/16 Rn. 28). Über einen Ausgleich für nach diesem Zeitpunkt entstandene Verfahrensverzögerungen war daher noch zu entscheiden.

b) Auch die Hilfserwägung der Strafkammer, für eine weitere Kompensationsentscheidung habe auch deswegen keine Veranlassung bestanden, weil das Verfahren seit dem Urteil im ersten Rechtsgang „in einer der Komplexität des Verfahrens angemessenen Weise gefördert“ worden sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil sich bereits aus den Urteilsgründen ausreichende Anhaltspunkte ergeben, die zur Prüfung einer Kompensation drängen mussten (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juni 2021 ‒ 4 StR 30/21 Rn. 21; Beschluss vom 28. Mai 2020 ‒ 3 StR 99/19 Rn. 24; Urteil vom 28. Juni 2005 ‒ 4 StR 119/05 , NStZ-RR 2006, 56, 57; Beschluss vom 11. November 2004 ‒ 5 StR 376/03 , BGHSt 49, 342 ).

Das angefochtene Urteil ist am 15. Juli 2021 ergangen. Vor dem Hintergrund, dass das im ersten Rechtsgang am 30. Juni 2017 verkündete Urteil aufgrund des Senatsbeschlusses vom 8. November 2018 bereits teilweise in Rechtskraft erwachsen war und sich der verbleibende Prozessstoff dadurch reduziert hatte, hätte es insbesondere näherer Darlegung bedurft, warum mit der Durchführung der neuerlichen Hauptverhandlung erst am 7. Juni 2021 begonnen werden konnte.

StGB III: Äußerungen in einem Online-Kondolenzbuch, oder: „Wieder ein Grüner weniger… “ als Beleidigung

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Und dann noch einmal – der Beitrag war gestern schon – aufgrund eines technischen Versehens – online. 🙂

Als dritte StGB-Entscheidung dann noch der LG Verden, Beschl. v. 07.02.2022 – 4 Qs 101/21 – zur Strafbarkeit einer Äußerung über eine verstorbene Politikerin in einem Online-Kondolenzbuch als Beleidigung.

Die Staatsanwaltschaft hat beim AG den Erlass eines Strafbefehls beantragt. Vorgeworfen wird wird dem, am 17.05.2021 in N. das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft zu haben, indem er auf dem – online-basierten – Trauerportal der Zeitung „XXX“ unter den Nachrufen der verstorbenen Sprecherin des Ortsverbandes R.-L. der Partei Bündnis 90/Die Grünen, B. N., einen Kommentar mit dem folgenden Inhalt verfasst haben soll: „WIEDER EIN GRÜNER WENIGER.HERRGOTT WIR DANKEN DIR.“.

Der Beschuldigte bestreitet den Tatvorwurf aus tatsächlichen Gründen. Das AG hat den Erlass des Strafbefehls aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Dagegen die sofortige Beschwerde der StA, die Erfolg hatte:

2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist vorliegend ein hinreichender Tatverdacht gegen den Beschuldigten wegen der in dem von der Staatsanwaltschaft Verden beantragten Strafbefehl bezeichneten Tat gegeben.

…..

Ausgangspunkt für die Prüfung, ob eine Äußerung eine Beleidigung i.S.v. § 185 StGB darstellt, ist die Ermittlung ihres objektiven Sinnes. Maßgeblich ist insofern weder wie der Erklärende seine Äußerung subjektiv verstanden haben wollte noch wie sie sein Kommunikationspartner tatsächlich verstanden hat (vgl. Valerius, in BeckOK/StGB, 46. Edition 2020, § 185 Rn. 21 m.w.N.), sondern der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Der tatsächliche Gehalt der Äußerung ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Es ist vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, wobei dieser den Sinn der Äußerung nicht abschließend festlegt. Er wird vielmehr auch durch den sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Empfänger erkennbar sind (BVerfG, Nichtannahmebeschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12.07.2005, Az.: 1 BvR 2097/02).

Bereits auf der einfachen Sinn- und Deutungsebene trägt der durch die schriftliche Erklärung „WIEDER EIN GRÜNER WENIGER.HERRGOTT WIR DANKEN DIR.“ zur Schau getragene Dank über den Tod eines Menschen ehrherabsetzenden Charakter. Jedoch verstößt nicht jede ehrherabsetzende Äußerung gegen § 185 StGB.

Der Ehrenschutz des Opfers einer Beleidigung steht nämlich regelmäßig im Widerstreit mit der Äußerungsfreiheit des Täters, die ihrerseits dem besonderen Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG unterliegen kann. Zwar findet die dadurch geschützte Meinungsfreiheit seine Schranke schon nach Art. 5 Abs. 2 GG im Recht der persönlichen Ehre. Dies führt jedoch aufgrund der besonderen Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG für eine pluralistische Demokratie nicht dazu, dass per se jede ehrangreifende Äußerung der Strafandrohung der §§ 185 ff. StGB unterliegt (OLG Celle, a.a.O., Rn. 33). Vielmehr müssen beide Rechtspositionen bei der Anwendung des einfachen Rechts in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. Dies erfolgt über eine Gesamtabwägung aller Umstände.

Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob die Äußerung eine Tatsachenbehauptung oder die Kundgabe eines Werturteils, einer Meinung, darstellt. Während bei Tatsachenbehauptungen die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund steht, sind Meinungen durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage und durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt (BVerfG, Beschluss vom 13.04.1994, Az.: 1 BvR 23/94). Der Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. 1 GG bezieht sich grundsätzlich auf letzteres (vgl. OLG Celle, a.a.O., Rn. 33 – 34).

Bei der schriftlichen Erklärung „WIEDER EIN GRÜNER WENIGER.HERRGOTT WIR DANKEN DIR.“ handelt sich nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um ein Werturteil. Zwar lässt sich die Äußerung auch als Behauptung über die – dem Beweis zugänglichen – Tatsache begreifen, es gäbe nunmehr ein Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen weniger. Eine solche Würdigung griffe indes zu kurz. Der Schwerpunkt der Äußerung ist – gemessen am Auslegungsmaßstab eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums – indes in der Missachtung, Geringschätzung bzw. Nichtachtung der Verstorbenen zu sehen. Dies ergibt sich bereits aus der Äußerung als solcher, die den Dank und somit die Freude über das Ableben eines Mitmenschen zum Ausdruck bringt. Verstärkt wird die zum Ausdruck kommende Missachtung, Geringschätzung und Nichtachtung noch durch den Kontext der Äußerung in einem online abrufbaren Kondolenzbuch der Verstorbenen. Durch die vorstehende Äußerung wird der Verstorbenen, derer sowohl im privaten, beruflichen und politischen Umfeld gedacht wird, der ethische, personale und soziale Geltungswert ganz oder teilweise abgesprochen, indem der Dank über ihr Ableben allein aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit bekundet wird. Hierdurch wird ihr grundsätzlich uneingeschränkter Achtungsanspruch verletzt.

Die Äußerung ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB gerechtfertigt.

Werturteile unterfallen als Meinungsäußerungen dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28.09.2015, Az.: 1 BvR 3217/14 Rn. 13). Auch eine polemische oder verletzende Formulierung entzieht die Äußerung nicht dem Schutz des Grundrechts (u.a. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 08.02.2017, Az.: 1 BvR 2973/14 Rn. 14). Wo der Grenzbereich von der Unhöflichkeit zur Beleidigung überschritten ist, ist nicht immer eindeutig (Regge/Pegel, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2021, § 185 Rn. 13).

Eine Formalbeleidigung, welche sich dadurch auszeichnet, dass sich die Kränkung bereits aus der Form der Äußerung ohne Rücksicht auf deren Inhalt ergibt, ist vorliegend nicht gegeben. Aber auch eine Schmähkritik liegt nach vorläufiger Würdigung der Sach- und Rechtslage nicht vor. Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen eng zu verstehen. Schmähung im verfassungsrechtlichen Sinn ist gegeben, wenn eine Äußerung keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Es sind dies Fälle, in denen eine vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen, etwa in Fällen der Privatfehde (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020, Az.: 1 BvR 2397/19 Rn.19 m.w.N.). Davon abzugrenzen sind Fälle, in denen die Äußerung, auch wenn sie gravierend ehrverletzend und damit unsachlich ist, letztlich als (überschießendes) Mittel zum Zweck der Kritik eines Sachverhaltes dient. Dann geht es dem Äußernden nicht allein darum, den Betroffenen als solchen zu diffamieren, sondern stellt sich die Äußerung als Teil einer anlassbezogenen Auseinandersetzung dar (BVerfG, ebd., Rn. 20). Die Wahl des Benutzernamens „DIE ANTIGRÜNEN“ und die Bezeichnung der Verstorbenen als „EIN GRÜNER“ lässt einen politischen Kontext zumindest erkennen, sodass eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung bzw. dem Pietätsempfinden der Angehörigen und die Menschenwürde der Verstorbenen einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch das Verbot der Äußerung andererseits vorzunehmen ist. Das Ergebnis der Abwägung ist von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig.

Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht (vgl. BVerfG, ebd., Rn. 29 m.w.N.). Allein die Wahl der Plattform, die online abrufbare Kondolenzseite einer Zeitung, zeigt, dass es dem Verfasser lediglich nachrangig – wenn überhaupt – um den öffentlichen Diskurs einer parteikritischen Äußerung geht. So lässt die Äußerung zwar einen Bezug zum politischen Kontext erkennen, sie setzt sich aber inhaltlich nicht argumentativ mit der Politik auseinander, sondern behandelt die Verstorbene aufgrund ihrer politischen Zugehörigkeit zu einer Partei als unterwertiges Wesen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.02.2010, Az.: 1 BvR 369/04, Rn 31).

Wenn das Amtsgericht im Rahmen der zu treffenden Abwägung mit der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit darauf abstellt, dass die Äußerung im virtuell-öffentlichen Raum einer Zeitung im unmittelbaren Zusammenhang zu einer öffentlichen Erklärung eines politischen Verbands vorgebracht wurde und die vom Verfasser verfolgte Zielrichtung darüber hinaus auch durch die Wahl seines Benutzernamens „DIE ANTIGRÜNEN“ deutlich gemacht worden sei, stellt dies eine Verkürzung der nach Aktenlage vorliegenden Tatsachen dar. Die Homepage XXX enthält ausweislich des Screenshots vom heutigen Tage bereits seit dem 15.05.2021 insgesamt drei Traueranzeigen. Die oberste Traueranzeige wurde gestellt von „T., S. und Su.“. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei „T.“ um den Witwer der Verstorbenen und Antragsteller T. F. N. handelt. Bei der mittleren Traueranzeige handelt es sich um diejenige des R.-L. Ortsverbands der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Bei der untersten Traueranzeige handelt es sich um eine der Schulgemeinschaft der Grundschule M., an der die Verstorbene seit 2012 gearbeitet hatte. Der Kontext des hinterlassenen Kommentars ist hiernach keineswegs allein im Politischen zu suchen. Selbst wenn dies so wäre, änderte es nichts an der Beurteilung seiner Strafbarkeit. Im Gegenteil:

In der zu treffenden Abwägung sind die Besonderheiten digitaler Kommunikation zu berücksichtigen (vgl. hierzu auch die Beschlüsse des BVerfG vom 19.05.2020 zu den Az.:1 BvR 2397/19, 1 BvR 1094/19 und 1 BvR 362/18). Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann insbesondere erheblich sein, ob sie unvermittelt in einer hitzigen Situation oder im Gegenteil mit längerem Vorbedacht gefallen ist. Denn für die Freiheit der Meinungsäußerung wäre es besonders abträglich, wenn vor einer mündlichen Äußerung jedes Wort auf die Waagschale gelegt werden müsste. Der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit als unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit impliziert – in den Grenzen zumutbarer Selbstbeherrschung – die rechtliche Anerkennung menschlicher Subjektivität und damit auch von Emotionalität und Erregbarkeit. Demgegenüber kann bei schriftlichen Äußerungen im Allgemeinen ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung erwartet werden. Dies gilt – unter Berücksichtigung der konkreten Kommunikationsumstände – grundsätzlich auch für textliche Äußerungen in den „sozialen Netzwerken“ im Internet (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 Rn. 36 m.w.N.). Ebenfalls erheblich kann sein, ob und inwieweit für die betreffende Äußerung ein konkreter und nachvollziehbarer Anlass bestand und welche konkrete Verbreitung und Wirkung sie entfaltet. Erhält nur ein kleiner Kreis von Personen von einer ehrbeeinträchtigenden Äußerung Kenntnis oder handelt es sich um eine nicht schriftlich oder anderweitig perpetuierte Äußerung, ist die damit verbundene Beeinträchtigung der persönlichen Ehre geringfügiger und flüchtiger als im gegenteiligen Fall. Demgegenüber ist die beeinträchtigende Wirkung einer Äußerung beispielsweise gesteigert, wenn sie besonders sichtbar in einem der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Medium getätigt wird. Ein solches die ehrbeeinträchtigende Wirkung einer Äußerung verstärkendes Medium kann insbesondere das Internet sein, wobei hier nicht allgemein auf das Medium als solches, sondern auf die konkrete Breitenwirkung abzustellen ist (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 Rn. 37 m.w.N.).

Die Breitenwirkung eines online abrufbaren Kondolenzbuches einer lokalen Tageszeitung ist groß. So weisen die Traueranzeigen für die Verstorbene N. bereits 1.407 Besuche (Stand: 07.02.2022) auf. Die auf der Homepage veröffentlichten Statistiken: „12.860 Trauerfälle online, 26.061 Traueranzeigen online, 30.507 Kerzen angezündet, 3.268 Kondolenzeinträge verfasst“ (Stand: 07.02.2022) sprechen ihr übriges.

In die Abwägung sind darüber hinaus auch aktuelle Bestrebungen des Gesetzgebers einzustellen. So hat er mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30.03.2021 (BGBl. 2021 I 441) eine Qualifikation des § 185 StGB für die öffentliche – somit auch im Internet – begangene Beleidigung eingeführt. Richtet sich die Beleidigung gegen eine Person des politischen Lebens, welches bis hin zur kommunalen Ebene reicht, so ist sie gemäß § 188 StGB sogar mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe zu sanktionieren, wenn die Tat geeignet ist, das öffentliche Wirken der Person des politischen Lebens erheblich zu erschweren. Der Gesetzgeber reagierte hiermit auf das aktuelle Kriminalitätsphänomen öffentlich ehrverletzender Herabsetzungen in digitalen Medien und stellt klar, dass Beleidigungen, die unter dem Deckmantel vermeintlicher Anonymität im Internet begangen werden, keineswegs weniger schlimm wiegen, als solche in persona.

Die Verschärfung der vorgenannten Normen zum 01.07.2021 hat der Gesetzgeber nicht mit der Notwendigkeit eines besseren Ehrschutzes, sondern mit der bestehenden Gefahr für den freien Meinungsaustausch begründet. Er führt dazu aus: „Die eigene Meinung frei, unbeeinflusst und offen sagen und sich darüber austauschen zu können, stellt einen wesentlichen Grundpfeiler der demokratischen pluralistischen Gesellschaft dar, die der Staat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen hat.“ (BT-Drs. 19/17741, S. 1). Schutzgut des § 185 StGB ist somit nicht mehr nur die individuelle Ehre im Spannungsverhältnis zur Meinungsfreiheit, sondern die Meinungsfreiheit selbst und der Schutz demokratischer Institutionen (Hoven/Wittig, in: NJW 2021, 2397). Der wirksame Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern und Politikern liegt im öffentlichen Interesse und ist auch gewichtig (so zuletzt wieder: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 Rn. 47 m.w.N.). Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19.05.2020 – 1 BvR 1094/19 Rn. 32 m.w.N.)……“a.O., § 473 Rn. 7).“

StGB II: „Wer braucht den Nazi in pp?“ auf Instagram, oder: Strafbare Beleidigung?

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Und dann noch eine Entscheidung vom OLG Stuttgart, und zwar der OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.07.2022 – 4 Rv 26 Ss 366/22. Das OLG hat in der Entscheidung Stellung genommen zur Frage der Beleidigung im politischen Bereich.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Verurteilung beruhte auf folgenden Sachverhaltsfeststellungen:

,,Am 29.07.2021 beleidigte der Angeklagte über einen Kommentar auf der Plattform Instagram – vermutlich von seiner Wohnanschrift pp. unter Achalm aus – den Landtagsabgeordneten der Partei AfD pp. mit den Worten „Wer braucht den Nazi in pp.???“, um seine Missachtung auszudrücken. Der Post des Angeklagten erfolgte unter einem von pp. geposteten Bildbeitrag samt Text, welcher den Geschädigten pp. mit dem Bürgermeister der Stadt pp. Herrn pp.  vor einer Luftbildaufnahme der Gemeinde pp. zeigte. Das pp. zeigende Bild wurde durch einen Text wie folgt ergänzt: „Unterwegs im Wahlkreis: Heute war ich im Rahmen meines Antrittsbesuchs bei pp. Bürgermeister pp. zu Gast. Thema war dabei vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse u.a. die Vorbereitung auf den Katastrophenfall. In diesem Zusammenhang habe ich Herrn pp. auch meine anstehende parlamentarische Initiative zur Förderung von Regenwassernutzungsanlagen vorgestellt, mit welchen — neben anderen Effekten — die Auswirkungen örtlich extrem starker Niederschläge abgemildert werden können. Über seine positive Rückmeldung hierzu habe ich mich sehr gefreut. Auch ansonsten war das Gespräch höchst interessant und ich war beeindruckt, wie gut pp. industriell aufgestellt ist. Ich bedanke mich für die Möglichkeit, tiefe Eindrücke in die Lage der Gemeinde gewinnen zu können und Herrn pp. kennenlernen zu dürfen.“ pp. #AfD

Direkt unter diesem Eintrag bzw. Post des Bildes war die Äußerung des Angeklagten gepostet. Hierunter befindet sich ein Icon mit einem Herzsymbol und der Unterschrift „gefällt 21 Mal“.

Dagegen die Revision des Angeklagten. Das OLG hat das Vorliegen einer Beleidigung verneint und frei gesprochen. Das OLG nimmt zunächst allgemein zum Vorliegen einer Beleidigung Stellung und führt dann aus:

„2. Daran gemessen begegnet das angefochtene Urteil durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Im Ansatz zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass es sich bei der verfahrensgegenständlichen Äußerung „Wer braucht den Nazi in pp.??“ um ein Werturteil handelt. Eine Tatsachenbehauptung scheidet demgegenüber aus, da der Begriff „Nazi“ keine Verbindung zu einer genau definierten Personengruppe ermöglicht und konkretisierende Informationen fehlen, die auf ihre Wahrheit hin überprüft werden könnten (OLG Dresden, Beschluss vom 26. März 2019 — 4 U 184/19, juris Rn. 10).

b) Eine von der Meinungsfreiheit nicht gedeckte Schmähung oder Formalbeleidigung ist mit der Äußerung jedoch nicht verbunden. Der Begriff „Nazi“ lässt schon wegen der Weite seines Bedeutungsgehalt verschiedenste Verwendungsweisen zu, die von einer streng historischen Terminologie bis zum substanzlosen Schimpfwort reichen können (BVerfG, NJW 1992, 2013, 2014); inzwischen handelt es sich gewöhnlich um eine schlagwortartige Qualifizierung der politischen Einstellung oder Geisteshaltung (OLG Stuttgart, Urteil vom 23. September 2015 — 4 U 101/15, juris Rn. 107; LG Kassel, Urteil vom 28. Oktober 2021 — 16 0 181/21, juris Rn. 34). Entscheidend ist jedoch stets der Einzelfall.

Es verbieten sich daher allgemeine Aussagen dahingehend, dass die Bezeichnung einer anderen Person als „Nazi“ stets oder niemals den Tatbestand der       erfülle. Vielmehr ist der Aussagegehalt des Begriffs abhängig von dem jeweiligen Gebrauch, insbesondere vom Gesamtzusammenhang des Textes, in dessen Rahmen er verwendet wird.

c) Vorliegend hat das Amtsgericht vorliegend schon nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Äußerung nicht allein auf eine persönliche Diffamierung des Anzeigeerstatters abzielte, sondern jedenfalls auch eine Bewertung seiner politischen Haltung und Gesinnung enthielt vor dem Hintergrund seiner Zugehörigkeit zu einer von nicht unerheblichen Teilen der Bevölkerung im rechten Spektrum verorteten Partei, die zudem jedenfalls in Teilen bereits zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Äußerung in mehreren Bundesländern von den Verfassungsschutzbehörden als extremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde. Denn die Äußerung erfolgte gerade nicht im Rahmen einer privaten Auseinandersetzung, sondern vor dem Hintergrund der politischen Tätigkeit des Anzeigeerstatters, die dieser, womit sich das Amtsgericht ebenfalls hätte auseinandersetzen müssen, durch das Hochladen seines Beitrags auf Instagram zudem selbst öffentlich machte.

Der gesamte Beitrag bezog sich ersichtlich auf die politische Arbeit des Anzeigeerstatters als Landtagsabgeordneter, handelt es sich doch bei Wahlkreisbereisungen um eine klassische Abgeordnetentätigkeit. Überdies hat der Anzeigeerstatter in seinem Beitrag ausdrücklich auf eine von ihm vorbereitete parlamentarische Initiative hingewiesen und zudem durch die Verwendung des Hashtags „#AfD“ einen unmittelbaren Bezug zu seiner Partei hergestellt. Mithin hatte die Äußerung des Angeklagten keinen Bezug zur Intimsphäre oder Privatsphäre, sondern betraf das politische Leben, also lediglich die Sozialsphäre.

Zudem hat das Amtsgericht nicht hinreichend in seine Erwägungen einbezogen, dass sich die Situation von Politikern, die bewusst in die Öffentlichkeit treten, von derjenigen staatlicher Amtswalter, denen ohne ihr besonderes Zutun im Rahmen ihrer Berufsausübung eine Aufgabe mit Bürgerkontakten übertragen wurde, unterscheidet (vgl. BVerfG, Nichtannahme-beschluss vom 19. Mai 2020 – 1 11./R 2397/19, juris Rn. 31). Einem im öffentlichen Meinungskampf stehenden Politiker sind grundsätzlich härtere Äußerungen zuzumuten, auch wenn er kein Regierungsamt bekleidet.

d) Weiter hat das Amtsgericht die Äußerung des Angeklagten zu sehr auf den Begriff „Nazi“ verengt und dabei außer Acht gelassen, dass die vollständige Formulierung „Wer braucht den Nazi intimer“ auch als Kritik sowohl an der Wahlkreisbereisung selbst als auch daran, dass der Anzeigeerstatter vom Bürgermeister der Gemeinde pp. empfangen wurde, verstanden werden kann, was ebenfalls gegen eine reine Schmähung spricht.

e) Soweit das Amtsgericht meint, dass auch bei einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem Persönlichkeitsrecht des Anzeigeerstatters „klar und deutlich“ eine strafbare Beleidigung gegeben sei, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden.

aa) Wie bereits dargelegt bezog sich die verfahrensgegenständliche Äußerung auf politische Aktivitäten des Anzeigeerstatters, die dieser bewusst öffentlich gemacht hat, und nicht auf dessen Privatleben. Dass zwischen ihm und dem Angeklagten keine persönliche oder emotionale Beziehung bestand, vermag eine Strafbarkeit der verfahrensgegenständlichen Äußerung nicht zu begründen.

Soweit das Amtsgericht auf das Fehlen einer solchen Beziehung abstellt, verkennt es die Bedeutung und die Reichweite der Meinungsfreiheit. Verlangte man nämlich eine derartige Verbindung, würde dies die Grenzen zulässiger Kritik an Amts- und Mandatsträgern in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise einschränken, dürften doch die wenigsten Bürger in einer persönlichen oder emotionalen Beziehung zu der kritisierten Person stehen. Den Bürgern muss es aber möglich sein, straflos und ohne Furcht vor Strafe zum Ausdruck zu bringen, dass sie eine bestimmte Person für ungeeignet zur Führung der von ihr bekleideten politischen Ämter halten (BVerfG, NJW 2020, 2631, 2635). Dies gilt unabhängig von einer persönlichen Verbindung zwischen den beteiligten Personen.

bb) Auch der Umstand, dass der Beitrag des Anzeigeerstatters sich nicht mit politisch besonders umstrittenen Themen, sondern mit eher alltäglichen kommunalpolitischen Angelegenheiten befasste, begründet eine Strafbarkeit des Angeklagten nicht. Denn auch im Zusammenhang mit solchen politischen Aktivitäten sind polemische und überspitzte Äußerungen von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt, zumal sich Kritik an Politikern auch generell gegen deren Zugehörigkeit zu einer Partei, die der Äußernde für nicht demokratisch oder gar für extremistisch hält, richten kann und darf, ohne dass eine solche Einschätzung einer gerichtlichen Richtigkeitskontrolle unterworfen wäre. Der Umstand, dass das Amtsgericht keine Anhaltspunkte für eine Verortung des Anzeigeerstatters im rechten politischen Spektrum zu erkennen vermochte, schränkt daher die Meinungsfreiheit des Angeklagten nicht ein.

cc) Zu keiner anderen rechtlichen Bewertung führt schließlich auch, dass der Kommentar des Angeklagten zu dem Instagram-Beitrag des Anzeigeerstatters keine politische Diskussion in Gang setzte. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit greift unabhängig davon, ob eine Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, emotional oder rational begründet ist (OLG Karlsruhe aa0). Ob der Äußernde eine inhaltliche Debatte zu bestimmten Themen oder auch Personen anstoßen oder lediglich seinen Unmut äußern will, spielt daher keine Rolle.

Zu beachten ist ferner, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich differenzierte Äußerungen schützt, sondern Kritik gerade auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist (BVerfG, NJW 1992, 1439). Überdies dürfen Bürger gegenüber Amtsträgern auch harsche Fundamentalkritik üben, und zwar unabhängig davon, ob sie dieses negative Urteil näher begründen können und ob es weniger drastische Ausdrucksformen gegeben hätte (vgl. BVerfG, NJW 2020, 2631, 2635).“

StGB I: Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte, oder: Tatsächliche Feststellungen

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Heute dann drei StGB-Entscheidungen.

Zunächst stelle ich den OLG Stuttgart, Beschl. v. 11.07.2022 – 4 Rv 26 Ss 378/22 – zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung vor.

Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„In der Nacht vom 20.05.2020 auf den 21.05.2020 kam es zu mehreren Platzverweisen gegen eine Gruppe alkoholtrinkender Personen, unter denen sich auch der Angeklagte befand. Der Angeklagte wurde schließlich wegen des Verdachts, eine Bierflasche gegen ein Polizeiauto geworfen zu haben — insofern wurde in der Hauptverhandlung nach § 154 II StPO verfahren — in polizeilichen Gewahrsam genommen. Zu diesem Zweck verbrachten ihn, mit Handschließen fixiert, Polizeikräfte zum Polizeirevier Calw. Gegen 0.10 Uhr am 21.05.2020 nahmen ihm PHMZ pp. und PMA pp. in der Gewahrsamszelle des Polizeireviers Calw, Schloßberg 3, die Handschließen ab. Als PMA pp. die Handschließen abgestreift hatte und im Begriff war, diese außerhalb der Gewahrsamszelle abzulegen, und während PHMZ pp. den Angeklagten aus Sicherheitsgründen am Arm festhielt, holte der Angeklagte plötzlich mit dem rechten Arm aus, um PHMZ Pp. einen Faustschlag zu versetzen, wobei er in Richtung Kopf/Hals zielte. PHMZ Pp. konnte den Schlag jedoch abwehren und den Angeklagten gemeinsam mit den hinzugeeilten PMA pp. und PK pp. wieder schließen.

Eine noch zu Beginn der Gewahrsamsnahme am Polizeiauto durchgeführte Atemalkoholkontrolle ergab um 0:08 Uhr eine Atemalkoholkonzentration von 1,54 mg/I. Trotz der hohen Alkoholisierung lag weder eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungs- noch der Einsichtsfähigkeit vor“.

Dagegen die Berufung, die beschränkt worden ist. Das LG hat die Beschränkung als wirksam angesehen und die Berufung verworfen. Anders das OLG in der Revision:

„2. Gemessen hieran ist die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam. Denn die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen sind lückenhaft und ermöglichen dem Senat keine Überprüfung dahingehend, ob die Verurteilung wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte gemäß § 114 Abs. 1 StGB zu Recht erfolgt ist.

Dem Urteil ist nicht hinreichend zu entnehmen, ob die polizeilichen Diensthandlungen, gegen die sich der Angeklagte zur Wehr setzte, rechtmäßig waren. Der Vorschrift des § 113 Abs. 3 StGB, auf die § 114 Abs. 3 StGB verweist, liegt der strafrechtliche Rechtmäßigkeitsbegriff zugrunde, der sich mit dem materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff nicht in jedem Fall deckt. Es kommt grundsätzlich nicht auf die Richtigkeit der Amtshandlung, sondern auf ihre formale Rechtmäßigkeit an, also auf die sachliche und örtliche Zuständigkeit des handelnden Beamten, die gesetzlichen Förmlichkeiten, soweit sie vorgeschrieben sind und — soweit der Beamte nach eigenem Ermessen handelt — die Ordnungsgemäßheit der Ermessensausübung. Entscheidend ist weiter, ob der Beamte im Bewusstsein seiner Verantwortung und unter bestmöglicher pflichtgemäßer Abwägung aller erkennbaren Umstände die Handlung für nötig und sachlich gerechtfertigt halten durfte (BVerfG, Beschluss vom 30. April 2007 – 1 BvR 1090/06, juris Rn. 37). Zudem sind Belehrungs-, Eröffnungs- und Hinweispflichten, die eine effektive Wahrnehmung entgegenstehender Rechte, aber auch eine autonome Entscheidung zur freiwilligen Befolgung des Verwaltungsbefehls ermöglichen, für die strafrechtliche Rechtmäßigkeit einer Diensthandlung wesentlich (MüKoStGB/Bosch, 4. Aufl., § 113, Rn. 41).

Hiervon ausgehend ist es, um die rechtliche Einordnung der Diensthandlung durch das Tatgericht nachvollziehbar prüfen zu können, erforderlich, dass die Urteilsfeststellungen die Diensthandlung, gegen die sich der Angeklagte zur Wehr setzte, genau erkennen lassen. Es genügt nicht, die Diensthandlung nur ihrer Art nach zu benennen, sondern es bedarf auch hinreichender Feststellungen zum Zweck, zur Ausführung und zu den Begleitumständen, so-dass ein Bezug zu einer bestimmten Ermächtigungsgrundlage erkennbar wird, aus der sich wiederum die einzuhaltenden wesentlichen Förmlichkeiten ergeben (OLG Hamm, Beschluss vom 25. Februar 2016 — 3 RVs 11/16, juris Rn. 6, 7). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

a) Aus den Feststellungen ergibt sich bereits nicht, ob die von den Polizeibeamten vorgenommenen Diensthandlungen, nämlich die Ingewahrsamnahme, das Anlegen der Hand-schließen und das Verbringen auf die Dienststelle, präventiv-polizeilichen oder repressiven Zwecken dienten. Die Formulierung des Amtsgerichts, der Angeklagte sei von den Beamten wegen des Verdachts, eine Bierflasche gegen ein Polizeiauto geworfen zu haben, in Gewahrsam genommen worden, lässt es zumindest als möglich erscheinen, dass die Ingewahrsamnahme nicht aus einem der in § 28 Abs. 1 PolG BW (in der zur Tatzeit geltenden Fassung) anerkannten Gründe erfolgte, sondern als — repressive — Reaktion auf den vermeintlichen Flaschenwurf. Dass die lngewahrsamnahme zur Vermeidung weiterer Ausschreitungen und damit zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden erheblichen Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG BW a.F.) oder zur Identitätsfeststellung (§ 28 Abs. 1 Nr. 3 PolG BW a.F.) erfolgte, ist dagegen gerade nicht festgestellt.

b) Auch lässt sich den Feststellungen nicht hinreichend entnehmen, ob die Polizeibeamten dem Angeklagten die durchgeführten Maßnahmen im Rahmen eines stufenweisen Vorgehens angedroht und ihm so die Möglichkeit der freiwilligen Beachtung des Verwaltungsbefehls, namentlich der Befolgung des Platzverweises, ermöglicht haben oder ob im vorliegenden Einzelfall eine solche Androhung aufgrund (in einem Urteil näher darzulegender) besonderer Umstände ausnahmsweise entbehrlich oder nicht möglich war. Das Erfordernis der vorherigen Androhung einer polizeilichen Zwangsmaßnahme ergibt sich bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist beispielsweise für den unmittelbaren Zwang ausdrücklich gesetzlich geregelt (§ 52 Abs. 2 PolG BW a.F., jetzt § 66 Abs. 2 PolG BW n.F.). Bei einer Ingewahrsamnahme sind zudem der Grund der Maßnahme und die gegen sie zulässigen Rechtsbehelfe unverzüglich bekanntzugeben (§ 28 Abs. 2 PolG BW a.F., jetzt § 33 Abs. 2 PolG BW n.F.).

Ob dies erfolgt ist oder nicht, ist im Urteil des Amtsgerichts nicht hinreichend dargetan. Zwar ist – im Rahmen der Beweiswürdigung – ausgeführt, dass einer der Beamten dem An-geklagten den Gewahrsam „erläutert“ habe; dem lässt sich jedoch nicht entnehmen, ob die konkreten Vorgaben des § 28 Abs. 2 PolG BW a.F. eingehalten wurden.

c) Da sich aus den Feststellungen nicht ergibt, ob derartige wesentliche Förmlichkeiten von den beteiligten Polizeibeamten eingehalten wurden, sind diese insoweit lückenhaft, zumal die Einhaltung der Förmlichkeiten auch nicht aus einer Gesamtbetrachtung der Urteilsgrün-de ersehen werden kann. So bleibt offen, aus welchem konkreten Anlass es zu den Platz-verweisen gegen die Gruppe, der auch der Angeklagte angehörte, kam. Auch ist nicht dar-getan, wie der Angeklagte hierauf reagierte und welche weiteren Maßnahmen ihm von den an dem Einsatz beteiligten Polizeibeamten für den Fall der Nichtbefolgung angedroht wurden.

Ebenfalls nicht festgestellt ist, aufgrund welcher konkreten Umstände dem Angeklagten Handschließen angelegt wurden und ob vor Anwendung dieser Maßnahme des unmittelbaren Zwangs eine Androhung erfolgte oder ob dies, etwa aufgrund des Verhaltens des Angeklagten, ausnahmsweise unterbleiben konnte.“