Archiv für den Monat: August 2022

StGB III: Übersendung/Empfang mehrerer KiPo-Dateien, oder : Tateinheit

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Und als dritte Entscheidung dann noch ein BGH-Beschluss, und zwar der BGH, Beschl. v. 19.07.2022 – 4 StR 167/22.

Das LG hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Vergewaltigung, wegen Zugänglichmachens kinderpornographischer „Schriften“ in zwei Fällen sowie wegen Besitzes kinderpornographischer „Schriften“ in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer „Schriften“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.

Der BGH hat auf die Revision des Angeklagten den Schuldspruch gändert:

„1. Der Schuldspruch war abzuändern, weil die Annahme von zwei selbständigen, realkonkurrierenden Taten des Zugänglichmachens kinderpornographischer Inhalte i.S.v. § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB in den Fällen II.4.a und II.4.b der Urteilsgründe rechtlicher Prüfung nicht standhält; stattdessen war – jedenfalls in Anwendung des Zweifelssatzes – von nur einer Tat auszugehen.

a) Bei der Übersendung und dem Empfang mehrerer kinderpornographischer Bild- oder Videodateien über das Internet liegt nur eine Tat im materiell-rechtlichen Sinn vor, wenn der Täter mehrere Dateien während eines einheitlichen Kommunikationsvorganges herunterlädt oder versendet (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 ‒ 4 StR 258/13 Rn. 14, insoweit in BGHSt 59, 28, NJW 2013, 3528 und NStZ 2014, 34 nicht abgedruckt; Beschluss vom 10. Juli 2008 ‒ 3 StR 215/08, NStZ 2009, 208; MüKo-StGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184b Rn. 61). Lassen sich dazu keine eindeutigen Feststellungen treffen, ist das Geschehen nach dem Zweifelsgrundsatz als eine Tat im materiell-rechtlichen Sinn zu beurteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2014 – 4 StR 342/14 Rn. 8).

b) Daran gemessen war nur eine Tat des Zugänglichmachens kinderpornographischer Inhalte anzunehmen.

Nach den Feststellungen übersandte der Angeklagte am 25. Mai 2021 unter Nutzung des Messenger-Dienstes Telegram einem anderen Nutzer ein kinderpornographisches Video (Fall II.4.a der Urteilsgründe). Am selben Tag etwa 30 Sekunden später übersandte der Angeklagte in gleicher Art und Weise ein anderes kinderpornographisches Video an denselben Empfänger (Fall II.4.b der Urteilsgründe). Weitere Feststellungen zur Dauer und zum Verlauf der TelegramKommunikation hat das Landgericht nicht getroffen.

Es bleibt daher offen, ob dem Versenden der kinderpornographischen Dateien nur ein einheitlicher oder mehrere getrennte Kommunikationsvorgänge zugrunde lagen. Angesichts des nur geringen zeitlichen Abstands zwischen den einzelnen Übertragungen ergibt sich die vom Landgericht angenommene materiell-rechtliche Selbständigkeit auch nicht von selbst. Vielmehr liegt nahe, dass die beiden Versendungen innerhalb eines einheitlichen Kommunikationsvorgangs erfolgten; daher ist in Anwendung des Zweifelssatzes lediglich von einer Tat des Zugänglichmachens kinderpornographischer Inhalte auszugehen.ten Freiheitsstrafe. Die Freiheitsstrafe von sechs Monaten für Fall II.4.a der Urteilsgründe bleibt als alleinige Einzelstrafe für die einheitliche Tat vom 25. Mai 2021 bestehen.“

StGB II: Unter Drogen auf der Flucht vor der Polizei, oder: Allein die Ergebnisse der Blutprobe reichen nicht

Die zweite Entscheidung kommt dan auch vm BGH. Der 4. Strafsenat hat mal wieder zu den Feststellungen für eine Drogenfahrt Stellung genommen.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr verurteilt. Das LG ist nach einen Feststellungen – wegen der Einzelheiten verweise ich auf den Volltext – von zwei Polizeifluchtfäln ausgegangen. Dem Angeklagten an den Tattagen entnommene Blutproben wiesen jeweils 320 Mikrogramm Amphetamin sowie bei der ersten Fahrt 3,4 Mikrogramm THC und bei der zweiten Fahrt 17 Mikrogramm THC pro Liter Blut auf.

Das LG hat die Fahruntüchtigkeit des Angeklagten zunächst mit dessen geständiger Einlassung zum Konsum von Betäubungsmitteln und mit den Ergebnissen der Blutproben begründet. Im Übrigen hat es lediglich ausgeführt, dass die Feststellungen zum Fahrverhalten des Angeklagten auf dessen Einlassung – der ein Einfluss seiner Intoxikation nicht zu entnehmen ist („in Panik geraten“) beruhen.

Diese Ausführungen waren nach Auffassung des BGH nicht ausreichend, so dass er das angefochtene Urteil mit dem BGH, Beschl. v. 02.08.2022 – 4 StR 231/22 – insoweit aufgehoben hat:

„c) Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

aa) Der Nachweis einer drogenbedingten Fahrunsicherheit im Sinne von § 316 StGB kann – wovon auch das Landgericht ausgegangen ist – nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16 Rn. 10; Beschluss vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15 Rn. 9; Urteil vom 15. April 2008 – 4 StR 639/07 Rn. 10 ff.; Beschluss vom 3. November 1998 – 4 StR 395/98 , BGHSt 44, 219, 221 ff. ). Dies hat das Tatgericht anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu beurteilen (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82 , BGHSt 31, 42, 44 ff. ; Pegel in MüKo-StGB, 3. Aufl., § 316 Rn. 53, Krumm, NZV 2009, 215, 217).

bb) Das Landgericht scheint in dem grob fehlerhaften und risikoreichen Fahrverhalten des Angeklagten drogenbedingte Ausfallerscheinungen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82 , BGHSt 31, 42, 45 ; König in LK-StGB, 13. Aufl., § 316 Rn. 97) erblickt zu haben. Eine diese Annahme tragende Beweiswürdigung ist den Urteilsgründen jedoch nicht zu entnehmen. Diese wäre aber erforderlich gewesen, denn es versteht sich unter den hier gegebenen Umständen auch nicht etwa von selbst, dass in dem festgestellten Fahrverhalten des Angeklagten eine drogenbedingte Fahrunsicherheit zum Ausdruck gekommen ist. Dabei hätte insbesondere in die Beurteilung einfließen müssen, dass das Fahrverhalten des Angeklagten in beiden Fällen darauf ausgerichtet war, sich von ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen abzusetzen. Die Strafkammer hätte deshalb erörtern müssen, ob und inwieweit die fehlerhafte und riskante Fahrweise des Angeklagten nicht auf seinem Fluchtwillen beruhte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16 Rn. 10; Beschluss vom 11. Februar 2014 – 4 StR 520/13 Rn. 2; Beschluss vom 25. Mai 2000 – 4 StR 171/00 Rn. 5 mwN). Die nicht weiter konkretisierte Feststellung, der Angeklagte sei auf der Autobahn „Schlangenlinien“ gefahren, ist für sich genommen noch nicht geeignet, seine Fahruntüchtigkeit bei der ersten Tat zu belegen, zumal die Strafkammer auch hier einen allein fluchtbedingten Grund für das Fahrverhalten des Angeklagten nicht ausgeschlossen hat.

Auch mit Blick auf die mitgeteilten Blutwerte versteht sich ein Indizwert des Fahrverhaltens des (konsumgewohnten) Angeklagten für seine jeweilige Fahruntüchtigkeit nicht von selbst. Zwar können die Anforderungen an Art und Ausmaß drogenbedingter Ausfallerscheinungen umso geringer sein, je höher die im Blut festgestellte Wirkstoffkonzentration ist (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 1998 – 4 StR 395/98 , BGHSt 44, 219, 225 ; s. dazu auch BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2011 – 4 StR 477/11 Rn. 3 f.). Dem steht aber entgegen, dass die Strafkammer bei der Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten jeweils nicht von einer „manifesten Intoxikation“ ausgegangen ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2008 – 4 StR 272/08 Rn. 8; Beschluss vom 3. November 1998 – 4 StR 395/98 , BGHSt 44, 219, 225 ).“

StGB I: Angeklagter gibt an: „Ich bin von der Polizei.“, oder: Ist der Eindruck staatlichen Handelns erweckt?

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Heute stelle ich dann drei StGB-Entscheidungen vor.

An der Spitze der BGH, Beschl. v. 29.03.2022 – 2 StR 426/21- zum Vorliegen eine Amtsanmaßung. Das LG hat de Angklagten u.a. wegen Amtsanmaßung verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die Erfolg hatte.

„1. Die Verurteilung des Angeklagten in Fall 2 der Urteilsgründe wegen Amtsanmaßung in Tateinheit mit versuchter Nötigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Nach den Feststellungen wollte der alkoholisierte und unter dem Einfluss von Amphetamin stehende Angeklagte durch die Vorspiegelung, Polizist zu sein, Geld für den Erwerb von Drogen erlangen. Er trat an den vor einem Wohnhaus wartenden Zeugen F. heran, erklärte ihm bewusst wahrheitswidrig, von der Polizei zu sein und forderte ihn auf, ihm seinen Ausweis auszuhändigen. Der Zeuge ging davon aus, dass der Angeklagte, der einen „hibbeligen Eindruck“ machte, unter Drogen stehe. Er erwiderte, er glaube nicht, dass der Angeklagte von der Polizei sei. Der Angeklagte forderte ihn daraufhin auf, in ein in der Nähe geparktes Fahrzeug einzusteigen. Als der Zeuge auch dieser Aufforderung nicht nachkam, zog der Angeklagte sein T-Shirt hoch und zeigte dem Zeugen eine im Hosenbund steckende Spielzeugwaffe, die er wenige Zentimenter aus dem Hosenbund herauszog. Die Waffe wirkte auf den Zeugen echt, so dass er schockiert war und sich durch den Angeklagten bedroht fühlte. Kurz darauf fing der Angeklagte jedoch an zu lachen und fragte: „Sieht echt aus, oder?“ Ihm war bewusst geworden, dass er den Zeugen nicht würde täuschen und zu einer Ausweiskontrolle bewegen können. Er fragte den Zeugen sodann, ob dieser Drogen bei sich habe und ob er Pep oder Ecstasy kaufen wolle.

b) Gemäß § 132 StGB macht sich strafbar, wer als Inhaber eines öffentlichen Amtes auftritt und eine Handlung vornimmt, die den Anschein hoheitlichen Handelns erweckt ( § 132 Var. 1 StGB ) oder eine Handlung vornimmt, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf ( § 132 Var. 2 StGB ).

Zwar ist es für die Tatbestandverwirklichung ohne Belang, ob im Einzelfall der Betroffene die fehlende Befugnis des Täters erkennt oder auf die vermeintlich amtliche Maßnahme reagiert (OLG Frankfurt, NJW 1964, 61, 63 [OLG Frankfurt am Main 06.03.1963 – 2 Ss 1192/62] ; OLG Stuttgart, NStZ 2007, 527, 528; Krauß in: LK-StGB, 13. Aufl., § 132 Rn. 4). Im Hinblick auf den Zweck der Strafvorschrift, die das Vertrauen der Allgemeinheit in die Autorität staatlichen Handelns schützen soll, hat eine Handlung jedoch mangels Gefährlichkeit keine Tatbestandserheblichkeit, wenn sie nach dem Verständnis eines unbefangenen Beobachters offenkundig so weit von normaler staatlicher Tätigkeit abweicht, dass der Eindruck staatlichen Handelns nicht erweckt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 1993 – 4 StR 416/93 , BGHSt 40, 8, 12 f. ; Beschluss vom 15. März 2011 – 4 StR 40/11 , BGHSt 56, 196, 202 ; Krauß, aaO; Hohmann in: MüKo-StGB, 4. Aufl., § 132 Rn. 3 jeweils mwN). Angesichts der konkreten Umstände, insbesondere der erkennbaren Drogenbeeinflussung und des von allen Zeugen als „sehr auffällig“ beschriebenen Verhaltens des Angeklagten, hätte das Landgericht näher prüfen müssen, ob ein solcher Ausnahmefall vorlag.“

StPO III: Erneute Erörterung über Verständigung, oder: Erneute Pflicht zu Belehrung über Schweigerecht?

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Und dann habe ich als dritte Entscheidung aus dem Komplex „Verständigung“ den BGH, Beschl. v. 15.06.2022 – 6 StR 206/22 – zum richtigen Zeitpunkt der Belehrung des Angeklagten und Verständigungsgespräche, also § 243 Abs. 5 StPO.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er auch einen Verstoß gegen § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO geltend gemacht hat. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

Die Revision des Angeklagten hatte eine Verletzung des § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO darin gesehen, dass der Angeklagte nicht unmittelbar nach der Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, sondern erst nach dem Zustandekommen einer der Verständigung aufgrund der weiteren Erörterungen in der Hauptverhandlung über sein Schweigerecht belehrt worden ist; wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf den Volltext.

Der BGH hat darin keinen Verfahrensfehler gesehen.

„2. Die Rüge ist unbegründet.

Soll – wie hier – im Zusammenhang mit der Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO (erneut) in Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung ( § 257c StPO ) eingetreten werden, ist der Vorsitzende nicht verpflichtet, den Angeklagten zunächst über sein Schweigerecht zu belehren ( § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO ).

Den Regelungen des § 243 StPO über den Gang der Hauptverhandlung lässt sich eine solche Verpflichtung nicht entnehmen. Daraus ergibt sich nur, dass der Angeklagte nach der Mitteilung gemäß Abs. 4 Satz 1 und vor seiner Vernehmung zur Sache (Abs. 5 Satz 2) darauf hinzuweisen ist, dass es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (Abs. 5 Satz 1). Für den Fall, dass bereits vor der Vernehmung des Angeklagten zur Sache Erörterungen über eine mögliche Verständigung geführt werden sollen, sieht die Vorschrift eine Belehrung des Angeklagten über sein Schweigerecht demgegenüber nicht vor.

Das entspricht der Intention des Gesetzgebers. Durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2353) sollte unter anderem klargestellt werden, dass eine Verständigung zu jedem Zeitpunkt nach der Eröffnung des Hauptverfahrens, also auch in der Hauptverhandlung getroffen werden kann (vgl. BT-Drucks. 16/13095, S. 2). Der Gesetzgeber hatte mithin im Blick, dass es im Anschluss an die Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO und vor der Vernehmung des Angeklagten zur Sache zu einer Verständigung kommen kann, zumal diese gerade dazu dient, die Beweisaufnahme abzukürzen bzw. überflüssig zu machen, und deshalb regelmäßig zu Beginn der Hauptverhandlung – nicht unbedingt erst im Zusammenhang mit der Vernehmung des Angeklagten zur Sache oder nach Eintritt in die Beweisaufnahme – getroffen wird (vgl. LR-StPO/Stuckenberg, 27. Aufl., § 257c Rn. 29). Er hat sich gleichwohl nicht veranlasst gesehen, für diesen Fall eine Belehrung des Angeklagten über sein Schweigerecht vorzuschreiben.

Dies trägt Sinn und Zweck des § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO Rechnung. Die Belehrung des Angeklagten über sein Schweigerecht soll ihm seine Selbstbelastungsfreiheit vor Augen führen, bevor er zur Sache vernommen und in die Beweisaufnahme eingetreten wird. Ihm soll bewusst sein, dass die Angaben, die er im Rahmen der Vernehmung macht, unter Umständen zu seinem Nachteil gewertet werden können und er deshalb die Möglichkeit hat, sich nicht zur Sache einzulassen, ohne dass dies für ihn nachteilig ist. Die Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten wird demgegenüber nicht berührt, falls im Anschluss an die Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO Erörterungen stattfinden, die in eine Verständigung münden. Denn dabei geht es naturgemäß nur um hypothetische Erwägungen. Der Angeklagte macht in diesem Zusammenhang ebenso wenig Angaben zur Sache wie im Rahmen entsprechender Erörterungen nach den §§ 202a , 212 StPO vor der Hauptverhandlung. Das gilt insbesondere dann, wenn ihm – wie hier – für den Fall eines Geständnisses die Verhängung einer Strafe unter Angabe einer Ober- und Untergrenze in Aussicht gestellt wird. Das Einverständnis des Angeklagten mit dem Verständigungsvorschlag stellt noch keine Einlassung zur Sache dar, insbesondere kein Geständnis und noch nicht einmal ein Indiz für seine Schuld. Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung entfaltet der Angeklagte in Fällen wie dem hier in Rede stehenden durch seine Zustimmung zu der Verständigung mithin keine „massiven Selbstbelastungsaktivitäten“. Seine Selbstbelastungsfreiheit wird dadurch gewahrt, dass er stets vor seiner Vernehmung zur Sache über sein Schweigerecht zu belehren ist.“

StPO II: Mitteilung über Verständigungsgespräch, oder: Das Gerichts muss so früh wie möglich informieren

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In der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, dem BGH, Beschl. v. 03.08.2022 – 5 StR 62/22 – nimmt der BGH noch einmal Stellung zum „richtigen“ Zeitpunkt der Mitteilung über ein Verständigungsgespräch.

Das LG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Mi seiner Revision rügt der Angeklagte eine Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO gerügt.

Der Rüge lag etwa folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Vor Beginn des neunten Hauptverhandlungstages fand zwischen den Mitgliedern der Strafkammer, der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger ein Erörterungsgespräch statt, das die Möglichkeit einer Verständigung nach § 257c StPO zum Gegenstand hatte. Der Verteidiger stellte ein „qualifiziertes“ Geständnis für den Fall einer Verständigung auf eine Strafe von zwei Jahren und sechs Monaten bis zu zwei Jahren und acht Monaten in Aussicht. Die Staatsanwaltschaft lehnte es angesichts der weitgehend abgeschlossenen Beweisaufnahme zunächst ab, einer Verständigung näherzutreten. Einer Anregung des Vorsitzenden folgend nannte sie im Falle eines Geständnisses ihre Strafvorstellung, die von sechs Jahren und drei Monaten bis zu sechs Jahren und sechs Monaten reichte. Nach einer fünfzehnminütigen Unterbrechung unterbreitete der Vorsitzende den Verfahrensbeteiligten einen Verständigungsvorschlag: Für den Fall eines „substantiellen“ Geständnisses könne sich die Strafkammer eine Strafuntergrenze von vier Jahren und eine Strafobergrenze von vier Jahren und drei Monaten vorstellen. Weder die Staatsanwaltschaft noch die Verteidigung wollten hierzu unmittelbar Stellung nehmen. Hierüber fertigte der Vorsitzende einen Vermerk. Anschließend wurde der inhaftierte Angeklagte vorgeführt und die Hauptverhandlung mit der Vernehmung eines Zeugen fortgesetzt. Nach einer gut zwanzigminütigen Unterbrechung teilte der Verteidiger mit, dass „seitens der Verteidigung“ keine Bereitschaft zu einer Verständigung bestehe, da der Angeklagte sich nunmehr zur Sache einlassen wolle. Sodann legte dieser ein Geständnis ab. Danach wurde die Hauptverhandlung unterbrochen. Im Fortsetzungstermin am nächsten Tag machte der Angeklagte weitere Angaben zur Sache. Am Ende des Sitzungstages verlas der Vorsitzende den auf den Vortag datierten Vermerk über das an jenem Tag geführte Verständigungsgespräch; zuvor fand es in der Hauptverhandlung keine Erwähnung. Nach der Verlesung des Vermerks wurde die Beweisaufnahme geschlossen.

Die Rüge hatte Erfolg:

„2. Es liegt danach ein durchgreifender Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO vor, weil die Mitteilung verspätet war.

a) Zwar enthält das Gesetz keine feste zeitliche Vorgabe für die gebotene Mitteilung (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2022 – 5 StR 365/21). In aller Regel ist aber mit Blick auf die vom Gesetz bezweckte Transparenz des Verständigungsverfahrens eine umgehende Information des Angeklagten nach dem Verständigungsgespräch geboten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Januar 2015 – 1 StR 393/14, NStZ 2015, 353; vom 11. Juni 2015 – 1 StR 590/14, NStZ-RR 2015, 379; vom 10. Dezember 2015 – 3 StR 163/15; vom 6. Februar 2018 – 1 StR 606/17, NStZ 2018, 419, 420; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 243 Rn. 56; KK-StPO/Schneider, 8. Aufl., § 243 Rn. 64; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 243 Rn. 18f.). Dem ist der Vorsitzende nicht gerecht geworden, weil er trotz mehrerer Unterbrechungen der Hauptverhandlung erst am Ende des zehnten Hauptverhandlungstages nach Abschluss der an zwei Verhandlungstagen abgegebenen geständigen Einlassung des Angeklagten und kurz vor Schluss der Beweisaufnahme mitgeteilt hat, dass bereits vor dem neunten Hauptverhandlungstag ein Verständigungsgespräch stattgefunden hatte. Angesichts der Ankündigung seiner geständigen Einlassung hätte spätestens vor deren Beginn Anlass bestanden, den Angeklagten über das Verständigungsgespräch zu informieren, damit dieser sein Prozessverhalten darauf einstellen kann. Umstände, die es ausnahmsweise hätten rechtfertigen können, die Mitteilung zurückzustellen, sind nicht ersichtlich (vgl. hierzu KK-StPO/Schneider aaO).

b) Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte bei einer Information über den Inhalt des Verständigungsgesprächs vor seiner angekündigten Einlassung sein Prozessverhalten anders als geschehen ausgerichtet hätte (vgl. KK-StPO/Schneider aaO Rn. 110; MüKo-StPO/Arnoldi, § 243 Rn. 96). Dass der Angeklagte vor der Abgabe der Einlassung von seinem Verteidiger vollständig über den Inhalt des Verständigungsgesprächs unterrichtet worden war und auch von seiner Seite – nicht lediglich „seitens der Verteidigung“ – keine Verständigungsbereitschaft bestand (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 22. Juni 2021 – 5 StR 157/21), ergibt sich aus dem Revisionsvorbringen nicht. Zu einem Vortrag, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang er vor seiner geständigen Einlassung von seinem Verteidiger über den Inhalt des Verständigungsgesprächs informiert worden war, war der Beschwerdeführer nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht verpflichtet (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 2019 – 3 StR 336/19, NStZ-RR 2020, 87).“