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StPO III: Erneute Erörterung über Verständigung, oder: Erneute Pflicht zu Belehrung über Schweigerecht?

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Und dann habe ich als dritte Entscheidung aus dem Komplex „Verständigung“ den BGH, Beschl. v. 15.06.2022 – 6 StR 206/22 – zum richtigen Zeitpunkt der Belehrung des Angeklagten und Verständigungsgespräche, also § 243 Abs. 5 StPO.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er auch einen Verstoß gegen § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO geltend gemacht hat. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

Die Revision des Angeklagten hatte eine Verletzung des § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO darin gesehen, dass der Angeklagte nicht unmittelbar nach der Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, sondern erst nach dem Zustandekommen einer der Verständigung aufgrund der weiteren Erörterungen in der Hauptverhandlung über sein Schweigerecht belehrt worden ist; wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf den Volltext.

Der BGH hat darin keinen Verfahrensfehler gesehen.

„2. Die Rüge ist unbegründet.

Soll – wie hier – im Zusammenhang mit der Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO (erneut) in Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung ( § 257c StPO ) eingetreten werden, ist der Vorsitzende nicht verpflichtet, den Angeklagten zunächst über sein Schweigerecht zu belehren ( § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO ).

Den Regelungen des § 243 StPO über den Gang der Hauptverhandlung lässt sich eine solche Verpflichtung nicht entnehmen. Daraus ergibt sich nur, dass der Angeklagte nach der Mitteilung gemäß Abs. 4 Satz 1 und vor seiner Vernehmung zur Sache (Abs. 5 Satz 2) darauf hinzuweisen ist, dass es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (Abs. 5 Satz 1). Für den Fall, dass bereits vor der Vernehmung des Angeklagten zur Sache Erörterungen über eine mögliche Verständigung geführt werden sollen, sieht die Vorschrift eine Belehrung des Angeklagten über sein Schweigerecht demgegenüber nicht vor.

Das entspricht der Intention des Gesetzgebers. Durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2353) sollte unter anderem klargestellt werden, dass eine Verständigung zu jedem Zeitpunkt nach der Eröffnung des Hauptverfahrens, also auch in der Hauptverhandlung getroffen werden kann (vgl. BT-Drucks. 16/13095, S. 2). Der Gesetzgeber hatte mithin im Blick, dass es im Anschluss an die Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO und vor der Vernehmung des Angeklagten zur Sache zu einer Verständigung kommen kann, zumal diese gerade dazu dient, die Beweisaufnahme abzukürzen bzw. überflüssig zu machen, und deshalb regelmäßig zu Beginn der Hauptverhandlung – nicht unbedingt erst im Zusammenhang mit der Vernehmung des Angeklagten zur Sache oder nach Eintritt in die Beweisaufnahme – getroffen wird (vgl. LR-StPO/Stuckenberg, 27. Aufl., § 257c Rn. 29). Er hat sich gleichwohl nicht veranlasst gesehen, für diesen Fall eine Belehrung des Angeklagten über sein Schweigerecht vorzuschreiben.

Dies trägt Sinn und Zweck des § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO Rechnung. Die Belehrung des Angeklagten über sein Schweigerecht soll ihm seine Selbstbelastungsfreiheit vor Augen führen, bevor er zur Sache vernommen und in die Beweisaufnahme eingetreten wird. Ihm soll bewusst sein, dass die Angaben, die er im Rahmen der Vernehmung macht, unter Umständen zu seinem Nachteil gewertet werden können und er deshalb die Möglichkeit hat, sich nicht zur Sache einzulassen, ohne dass dies für ihn nachteilig ist. Die Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten wird demgegenüber nicht berührt, falls im Anschluss an die Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO Erörterungen stattfinden, die in eine Verständigung münden. Denn dabei geht es naturgemäß nur um hypothetische Erwägungen. Der Angeklagte macht in diesem Zusammenhang ebenso wenig Angaben zur Sache wie im Rahmen entsprechender Erörterungen nach den §§ 202a , 212 StPO vor der Hauptverhandlung. Das gilt insbesondere dann, wenn ihm – wie hier – für den Fall eines Geständnisses die Verhängung einer Strafe unter Angabe einer Ober- und Untergrenze in Aussicht gestellt wird. Das Einverständnis des Angeklagten mit dem Verständigungsvorschlag stellt noch keine Einlassung zur Sache dar, insbesondere kein Geständnis und noch nicht einmal ein Indiz für seine Schuld. Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung entfaltet der Angeklagte in Fällen wie dem hier in Rede stehenden durch seine Zustimmung zu der Verständigung mithin keine „massiven Selbstbelastungsaktivitäten“. Seine Selbstbelastungsfreiheit wird dadurch gewahrt, dass er stets vor seiner Vernehmung zur Sache über sein Schweigerecht zu belehren ist.“